Protocol of the Session on July 28, 2004

Ich wiederhole: Der Berufung von Herrn Professor Dr. Ulrich Goll zum Justizminister wurde mehrheitlich zugestimmt.

Wir kommen jetzt zur Vereidigung des Herrn Justizministers, und diese sollte etwas ernsthafter sein.

Nach Artikel 48 der Verfassung des Landes Baden-Württemberg haben die Mitglieder der Landesregierung bei Amtsantritt vor dem Landtag den Amtseid zu leisten. Er lautet:

Ich schwöre, dass ich meine Kraft dem Wohle des Volkes widmen, seinen Nutzen mehren, Schaden von ihm wenden, Verfassung und Recht wahren und verteidigen, meine Pflichten gewissenhaft erfüllen und Gerechtigkeit gegen jedermann üben werde. So wahr mir Gott helfe.

Der Eid kann auch ohne religiöse Beteuerung geleistet werden.

Ich darf Sie bitten, sich zu erheben, auch die Gäste auf der Zuhörertribüne.

(Die Anwesenden erheben sich.)

Herr Minister, ich bitte Sie, zu mir auf das Podium zu treten, die rechte Hand zu erheben und die Worte zu sprechen: „Ich schwöre es, so wahr mir Gott helfe.“

Ich schwöre es, so wahr mir Gott helfe.

Vielen Dank. Alles Gute für Ihr neues Amt und viel Erfolg.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP sowie des Abg. Kretschmann GRÜNE – Die Anwesenden nehmen ihre Plätze wieder ein. – Zahlreiche Abge- ordnete aus allen Fraktionen gratulieren Justizmi- nister Dr. Goll.)

Meine Damen und Herren, ich rufe Punkt 2 der Tagesordnung auf:

Aktuelle Debatte – Der Wirtschaftsstandort BadenWürttemberg in der aktuellen Diskussion – beantragt von der Fraktion der FDP/DVP

Es gelten die üblichen Redezeiten: fünf Minuten für die einleitenden Erklärungen und fünf Minuten für die Redner in der zweiten Runde.

Das Wort erteile ich Herrn Abg. Hofer.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Aktualität des aufgerufenen Tagesordnungspunkts bedarf sicherlich keiner vertiefenden Begründung angesichts der verständlichen Aufregung um die ursprünglich ins Auge gefasste Verlagerung von 6 000 Arbeitsplätzen ins Ausland und angesichts der harschen, verallgemeinernden Standortkritik; Sie kennen das Wort von

der „baden-württembergischen Krankheit“. Gerade auch angesichts der viel beachteten Einigung bei Daimler-Chrysler in der letzten Woche wäre es geradezu unverständlich, wenn sich der Landtag darum nicht kümmern würde.

Zum Zweiten wollen wir natürlich auch unserem neuen Wirtschaftsminister die Möglichkeit geben, sich im Rahmen dieser Debatte zum ersten Mal zum Standort Baden-Württemberg und zu dessen Weiterentwicklung zu äußern.

Ohne die besondere Bedeutung der Einigung bei DaimlerChrysler verkennen zu wollen, möchte ich doch sagen, dass die allgemeine Standortdebatte um Baden-Württemberg schon einige theaterhafte Attribute an sich hatte.

(Abg. Dr. Noll FDP/DVP: Wie das eben gerade auch!)

Da ist der „Standortheld“ Baden-Württemberg, der durch eine rätselhafte Krankheit gewissermaßen über Nacht zum Patienten wird. Anrufer aus Hamburg, München und Berlin sorgen sich um Baden-Württemberg; eine gewisse Genugtuung darüber, dass man nicht der Einzige ist, der hüstelt, schwingt dabei unverkennbar mit. Die Krankheit scheint schon so weit verbreitet zu sein, dass man sich ihr nur durch Flucht ins Ausland entziehen kann, etwa nach Südafrika oder nach Bremen – Bremen gilt für Schwaben ja auch als Ausland. Der Patient ist schon so schwächlich, dass er jede Stunde eine fünfminütige „steinkühlende“ Pause braucht.

(Heiterkeit und Beifall des Abg. Dr. Noll FDP/ DVP)

Er leidet ganz offenbar an Halluzinationen, weil er bereits um 12 Uhr mittags den späten Abend sieht und deshalb schon ab diesem Zeitpunkt der Spätschichtzuschläge bedarf. Er braucht im Übrigen auch doppelt so viel Schlaf wie andere, deshalb auch die doppelten Nachtschichtzuschläge.

(Zuruf des Abg. Zeller SPD)

Gemeinsam sucht man nun nach einer Therapie, findet diese auch sehr schnell, und die Wirkung ist frappierend: Der Patient ist über Nacht wieder gesund und entwickelt sich geradezu zum Modellathleten für die ganze Nation. Manche argwöhnen allerdings, dass er überhaupt nie krank war.

(Beifall der Abg. Beate Fauser FDP/DVP)

Wie dem auch sei: Alle sind glücklich, der Vorhang fällt, die Akteure verbeugen sich, es gibt Beifall von allen Seiten, und auch die Kritiken – bis auf die einiger notorischer Kritikaster – sind hervorragend.

Sehen Sie mir es bitte nach, wenn ich hier dennoch einige wenige nüchterne Anmerkungen für nötig halte. Natürlich ist das Bekenntnis von Daimler-Chrysler zum Standort Baden-Württemberg, ist die Entscheidung, die Produktnachfolger der C- und der E-Klasse hier in Sindelfingen zu bauen, und ist vor allem die Stellengarantie für 160 000 Beschäftigte – und das über einen ungewöhnlich langen Zeitraum, nämlich bis 2012 – nicht nur für die Beschäftigten, sondern auch für diesen Standort Baden-Württemberg eine hervorragende Sache.

(Beifall bei der FDP/DVP)

Allerdings muss man auch sehen, dass das zum Teil mit Lohnverzicht und mit der Anrechnung auf übertarifliche Leistungen erkauft wird. Das ist für die Binnennachfrage, die ja vor sich hindümpelt, nicht unbedingt erfreulich. Aber machen wir uns nichts vor: Arbeitsplatzabbau wäre für die Binnennachfrage noch viel schlimmer. Wer sich keine Sorgen um seinen Arbeitsplatz machen muss, der konsumiert auch mehr; das wissen wir.

Darüber hinaus hat die ganze Diskussion ja auch gezeigt, dass der Standort nie krank war, sondern dass er nach wie vor ein ganz hervorragender Standort ist. Ich denke, er ist auch ein ganz hervorragender Standort für den noch amtierenden Mercedes-Chef, Herrn Hubbert. Seine verallgemeinernde Standortphilippika war ja geradezu geeignet, sämtliche millionenschwere Imageprogramme des Landes wertlos zu machen. Bei so viel verbaler Selbstverstümmelung hätte man ihm in Japan sicherlich ein Samuraischwert gereicht

(Abg. Wieser CDU: Oi! Samurai!)

mit den Worten: „Mein Herr, bedienen Sie sich!“ Wir im freundlichen Baden-Württemberg belassen es bei einer Entschuldigung und gratulieren nachträglich herzlich zum runden Geburtstag.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP/DVP – Abg. Dr. Noll FDP/DVP: Es hört keiner zu!)

Meine Damen und Herren, der Vereinbarung bei DaimlerChrysler wird Modellcharakter beigemessen.

(Zuruf: Eine Schlammschlacht!)

Das ist die entscheidende Frage, die ich hier stellen will, und ich würde mich freuen, wenn der Wirtschaftsminister dazu auch noch etwas sagen könnte. „Modellcharakter“, das mag sein. Aber die große Frage heißt: Hat diese Vereinbarung Modellcharakter für das ganze Land, Modellcharakter vor allem auch für die mittleren und kleinen Betriebe? Denn diese mittleren und kleinen Unternehmen sind mit ihren Problemen nicht minder betroffen. Sie haben im Gegenteil im Grunde genommen unter den tariflichen Abschlüssen und auch unter den übertariflichen Leistungen am meisten gelitten.

(Abg. Dr. Noll FDP/DVP: So ist es!)

Deshalb müssen wir uns auch um sie kümmern.

(Beifall der Abg. Dr. Noll und Beate Fauser FDP/ DVP)

Ich möchte einfach sagen: So wichtig 6 000 Arbeitsplätze sind – 60 mal 100 Arbeitsplätze oder 600 mal 10 Arbeitsplätze sind genauso viel

(Beifall bei der FDP/DVP)

und bedürfen genauso unserer Zuwendung. Darauf müssen wir drängen.

Lassen Sie mich in dieser ersten Runde noch einen Abschlusssatz vorbringen, einen Satz von Robert Bosch, der gesagt hat: „Lieber Geld verlieren als Vertrauen.“ Ich weiß, dass es im Wettbewerb in einer globalen Wirtschaft nahezu

unmöglich ist, rein nach diesem Grundsatz zu verfahren. Aber ein bisschen von diesem Grundgedanken ist meines Erachtens auch für längerfristige Erfolge von Unternehmen wichtig. Dieser Grundgedanke sollte beachtet werden, nämlich in dem Sinne, dass beide Seiten – Unternehmer und Belegschaften – sehen

(Abg. Boris Palmer GRÜNE meldet sich zu einer Zwischenfrage. – Glocke des Präsidenten)

einen kleinen Moment –, dass das Geld aus dieser Einsparung sicherlich ein wichtiger Faktor ist, aber sicher nicht alles, sondern dass Vertrauen, Kontinuität und das Miteinander sowie vor allem auch die Qualifizierung genauso wichtig sind. Das hat das Land Baden-Württemberg und diesen Standort groß gemacht. Das wird auch häufig noch praktiziert. Ein bisschen hiervon sehe ich auch in dieser Vereinbarung.

(Beifall der Abg. Beate Fauser FDP/DVP)

Das stimmt mich optimistisch.

In der zweiten Runde wird meine Kollegin Frau Berroth sagen, was die Politik machen kann, um diesen Standort infrastrukturell zu verbessern.