Protocol of the Session on March 10, 2004

Mittel mit 100 % ansetzt – und in anderen Landkreisen bis zu 250 % kostet, dann müssen einfach auch Überlegungen angestellt werden, wie das kostengünstiger gestaltet werden kann. Ein gewisser sanfter Zwang zu mehr Wirtschaftlichkeit ist hier nicht verkehrt.

Ich will nur ein Schlagwort nennen: leer stehende Unterkünfte. Wenn ein Dritter diese Unterkünfte nach Spitzabrechnung bezahlt, ist man nicht so hinterher, eine wirtschaftliche Lösung zu finden, als wenn man das selber bezahlen muss.

(Zuruf von der SPD)

Besondere Sorge bereitet uns in der Tat – wir haben schon mehrfach darüber gesprochen – die Erstattung der medizinischen Leistungen. In dieser Hinsicht haben die Landkreise wirklich keine Möglichkeit, im Sinne des Sparens einzugreifen. Sie müssen das bezahlen, was erbracht wurde. Die Landkreise tragen letztlich auch das Morbiditätsrisiko.

Es gäbe sicherlich Gründe, diesen Bereich spitz abzurechnen – das habe ich bereits bei der ersten Lesung gesagt –, zumal von den Leistungserbringern die Kosten bereits definitiv errechnet wurden, also ausgeworfen sind. Nur, meine Damen und Herren, wenn wir jetzt ein Gesetz auf den Weg bringen, das vereinfachen soll, dann sollten wir nicht gleich zu Beginn diese Pauschalierung, die vernünftig ist, wieder infrage stellen und mit Ausnahmeregelungen befrachten. Sehr wichtig ist mir, dass es nach zwei Jahren definitiv zu einer Revision kommen muss, wobei dann wirklich die Kosten berechnet werden. Gegebenenfalls muss dann nachjustiert werden.

(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der CDU)

Das Wort erhält Frau Abg. Bauer.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Schön wäre es, könnten wir heute ein Flüchtlingsaufnahme- und Eingliederungsgesetz verabschieden, das das neue bundesweite Zuwanderungsrecht im Land umsetzt und das einen Impuls gibt für Integration, humanitäre Verantwortung und effizienten Mitteleinsatz; denn es ist höchste Zeit für eine Einwanderungspolitik aus einem Guss. Wir brauchen eine abgestimmte Politik, die die Integration von Bleibeberechtigten beschleunigt, statt sie hinauszuschleppen. Wir brauchen einen verbindlichen Gesetzesrahmen, der einen menschenwürdigen Umgang mit Flüchtlingen sicherstellt.

Aber – das wissen Sie – die Verhandlungen um ein Zuwanderungsgesetz im Bund sind im Vermittlungsausschuss nach wie vor festgefahren. Es hat den Anschein, dass die CDU immer neue Anläufe startet, die Einigung zu verhindern, solange das Vorhaben nicht komplett inhaltlich entkernt ist.

(Abg. Heinz CDU: Da würde ich mal bei dem Herrn Beck nachfragen! Das soll ein chaotischer Unterhändler sein, der Herr Beck!)

Fragen Sie Herrn Henkel, den Expräsidenten des BDI. Er sagt über den CDU-Verhandlungsführer Peter Müller, die

ser sei ein Oberpopulist, der sich mit Totschlagargumenten gegen dringend gebrauchte hoch qualifizierte Arbeitskräfte wehre. Lassen Sie sich das von dem gesagt sein!

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der Grünen – Zuruf des Abg. Heinz CDU)

Eines kann ich Ihnen heute schon voraussagen: Der Gesetzentwurf, den wir heute verabschieden, bleibt Stückwerk und wird in kurzer Zeit nachgebessert werden müssen.

Der vorliegende Entwurf für ein Flüchtlingsaufnahmegesetz bringt jedenfalls keinen positiven Impuls. Im Gegenteil, mit dem Gesetzentwurf wird sich die Lage der Flüchtlinge, Spätaussiedler und jüdischen Kontingentflüchtlinge im Land verschlechtern. Die Bürgergesellschaft und subsidiäre Strukturen werden geschwächt, und nicht zuletzt werden Menschen demotiviert, die in den Gemeinschaftsunterkünften unter schwierigsten Bedingungen täglich mit den Betroffenen arbeiten. Denn der Leitgedanke dieses FlüAG ist einzig und allein, Kosten, Finanzierungsrisiken vom Land auf die Stadt- und Landkreise zu verlagern und auf die Kommunen abzuwälzen.

Die Landesregierung verfährt hierbei nach dem bei der Verwaltungsreform bewährten Muster: Aufgabendelegation mit beschränkter Haftung. Staatliche Aufgaben werden nach unten verschoben, das Geld dafür wird dann gekappt, und auf den wachsenden Kosten bleibt die untere Ebene sitzen.

(Abg. Capezzuto SPD: Sag einmal!)

Landesregierung und Regierungsfraktionen versuchen seit Monaten vergeblich, dieses Vorhaben vor Ort schmackhaft zu machen, und verkaufen es, wie eben auch wieder gehört, als Pauschalierung und Entbürokratisierung. Aber ihr FlüAG bleibt trotz der vielen süßen Worte unverdaulich für die Stadt- und Landkreise. Denn ich bin mir sicher, nicht nur bei der Grünen-Fraktion stapeln sich die Protestschreiben von Landräten und Oberbürgermeistern. Sicherlich kommen sie auch bei Ihnen an, denn unter den Verfassern dieser Schreiben sind viele CDU-Vertreter. Wir bekommen Schreiben aus Schwäbisch Hall, aus Stuttgart, aus Göppingen, aus Konstanz, aus Heilbronn, aus dem SchwarzwaldBaar-Kreis, aus Calw, aus Emmendingen, aus Mannheim,

(Abg. Capezzuto SPD: Aus Biberach!)

aus Pforzheim, aus Heidelberg, aus Freiburg, aus dem Bodenseekreis, vom Landkreistag, vom Städtetag, von den israelitischen Religionsgemeinschaften usw. usf. Das ist Ihnen sicher bekannt.

(Unruhe – Abg. Heinz CDU: So viel Post haben Sie wahrscheinlich noch nie gehabt!)

Aber bei Ihnen scheint sich nichts zu bewegen.

Die geplante Pauschalierung der Kostenerstattung – nicht als Grundsatzgedanke, sondern so, wie Sie sie vornehmen – macht in dieser Form keinen Sinn. Die drei wichtigsten Punkte hierfür sind:

Die Krankheitskosten – das wissen Sie selbst sehr gut – fallen in den verschiedenen Regionen ganz unterschiedlich an. So etwas lässt sich nicht pauschalieren. Die faktische Streu

ung der Kosten ist riesengroß. Deswegen nutzt ein Durchschnittswert zur Berechnung der Krankheitskosten im konkreten Fall nichts.

(Beifall des Abg. Sakellariou SPD)

Deshalb fordern wir: Die Spitzabrechnung muss beibehalten werden.

Zweitens die Liegenschaftskosten. Die pauschalierte Übertragung der Zuständigkeiten für die Liegenschaften geht in zweifacher Hinsicht auf Kosten der Stadt- und Landkreise. Erstens sind die meisten Unterkünfte – das ist schon erwähnt worden – in einem wahrlich erbarmungswürdigen Zustand. Nötige Renovierungsarbeiten sind oft seit Jahren vom Land nicht mehr gemacht worden. Ich war gerade vor wenigen Tagen in Gemeinschaftsunterkünften in Schwäbisch Hall. Ich rate Ihnen: Gehen Sie hin! Schauen Sie es sich an!

(Zuruf des Abg. Zimmermann CDU)

Da sehen Sie die Probleme nicht nur. Sie können sie mit Händen fassen, und Sie können sie auch riechen. Für diese nicht gemachten Renovierungsaufgaben sollen jetzt die Stadt- und Landkreise vor Ort zahlen.

Der zweite Grund, warum es mit der Pauschalierung nicht funktioniert, ist: Die Liegenschaften sind zurzeit nicht mehr voll ausgelastet, weil die Zugangszahlen von Spätaussiedlern und Asylbewerbern seit Jahren kontinuierlich zurückgehen. In vielen Fällen binden aber langfristige Mietverträge die Kommunen. Sie müssen für die Kosten aufkommen, und zwar auch für Objekte, die dem Land gehören und die mit langer Bindung angemietet werden müssen. Das Land kommt jetzt nicht mehr für die laufenden Kosten auf, weil es nur noch Pro-Kopf-Zuschüsse zahlt. Den Leerstand müssen die Kommunen zahlen. Deshalb gilt auch hier: Die Liegenschaften sind weiterhin spitz abzurechnen.

Ein dritter Grund, warum die Pauschalierung nicht funktioniert, ist: Die Pauschalen für Asylbewerber sind viel zu knapp kalkuliert, weil sie von einer Aufenthaltsdauer von 20 Monaten ausgehen. Auch das entspricht nicht der Realität, weil die Aufenthaltsdauer in vielen Fällen de facto sehr viel länger ist.

(Abg. Heinz CDU: Sie wird in Zukunft immer kür- zer werden! Sie wird sehr viel kürzer werden, Frau Bauer!)

Aber zurzeit ist es nicht so. Gehen Sie in die Unterkünfte, und fragen Sie nach! Es gibt jede Menge Familien und Einzelpersonen, die zwei Jahre, drei Jahre oder vier Jahre da untergebracht sind und nicht herauskönnen.

(Abg. Heinz CDU: Aber wir reden jetzt über die Zukunft! Das Gesetz gilt ab April!)

Deshalb hat dieser Gesetzentwurf eine vollkommen absurde Konsequenz: In Zukunft wird es zur Finanzierung der Gemeinschaftsunterkünfte lukrativ sein, möglichst hohe Mieteinnahmen zu erzielen. Das muss man sich einmal vorstellen. Und siehe da: Zusammen mit dem neuen FlüAG wird eine neue Gebührenordnung in Kraft treten, die die Mietpreise für die Spätaussiedler glatt verdoppelt. Ab dem ers

ten Monat, ab dem Moment des Einziehens müssen Spätaussiedler pro Person für die viereinhalb Quadratmeter, die ihnen da zur Verfügung stehen, 150 € zahlen; ihre Kinder zahlen die Hälfte.

(Abg. Inge Utzt SPD: Das ist ja Wucher!)

Rechnen Sie sich das jetzt einmal durch: Eine vierköpfige Familie, die oft in einem Raum untergebracht ist, hat dann zusammen ganze 18 Quadratmeter zuzüglich der gemeinsamen Küchenbenutzung und WC-Benutzung im Flur. Sie zahlt sage und schreibe 450 €. Damit Sie es sich besser vorstellen können: Sie zahlt, in alten Preisen gerechnet, 900 DM für diese „Luxusunterkunft“. Das sind Quadratmeterpreise, die sich glatt mit Heidelbergs bevorzugtesten Wohngegenden messen lassen.

Und wer zahlt diese „Luxussuiten“? Die Kommunen, weil sie die Träger der Sozialhilfe sind und das aus Sozialhilfemitteln aufgebracht werden muss.

Asylbewerbern geht es nicht besser. Asylbewerber zahlen – wenn sie denn eine Arbeit finden und in eine Erwerbstätigkeit einsteigen könnten – dieselben exorbitanten Mietpreise für die Gemeinschaftsunterkünfte. Das ist ein Programm, das demotiviert, eigene Arbeit aufzunehmen und eigenständig zu werden. Denn wer nimmt eine Arbeit auf und zahlt dann 450 € an Mietkosten für eine solche Unterkunft?

(Abg. Boris Palmer GRÜNE: Das ist doch Wu- cher!)

Es wird also in Zukunft eine neue Form der „Bettenpolitik“ für kostenbewusste Stadt- und Landkreise geben, weil sie dafür sorgen müssen, dass die Unterkünfte wenigstens bewohnt werden, damit man nicht den Leerstand finanzieren muss. Damit wird Integrationspolitik komplett auf den Kopf gestellt, meine Damen und Herren.

(Abg. Boris Palmer GRÜNE: Absurd! – Beifall bei den Grünen und der Abg. Rita Haller-Haid SPD)

Das muss man sich wirklich auf der Zunge zergehen lassen. Anstatt den Schritt in die Unabhängigkeit und die Eigenständigkeit zu fördern, schafft die Landesregierung mit dem neuen Gesetz Anreize, die Gemeinschaftsunterkünfte möglichst lange zu vermieten.

Jetzt noch ein Wort zur Betreuung. Die Betreuungskosten, die bislang getrennt ausgewiesen und abgerechnet wurden, sind jetzt ebenfalls Bestandteil einer Gesamtpauschale. Da kann man an fünf Fingern abzählen: Am Ende werden die Aufwendungen für Betreuung dafür herhalten müssen, die wachsenden Kosten für Liegenschaften und die Krankheitskosten auszugleichen.

Auch das müsste Ihnen bekannt sein: Schon jetzt findet Betreuung nur noch minimal statt. Sie findet statt unter dem Einsatz von Personen, die, zum Teil in ehrenamtlicher Tätigkeit, mit großem Idealismus und großem persönlichem Engagement beraten. Diese Personen sind meist die einzigen Anlaufstellen, die die Menschen in den Gemeinschaftsunterkünften bei Krisenfragen, bei Behördengängen, beim Ausfüllen von Formularen, beim Schriftverkehr, bei der Suche nach Jobs und bei der Unterstützung ihrer Kinder, etwa

bei ihrer Integration in Kindergärten und Schulen, haben. Wenn man diese Strukturen auch noch aufgibt, werden wir das mittel- und langfristig alle sehr teuer zu bezahlen haben.

Integration wird damit nämlich nicht gefördert, sondern sie wird behindert, verschleppt und verteuert. Deshalb bitte ich Sie an dieser Stelle – wenigstens an dieser Stelle – dringend, die Pauschalen auch künftig getrennt nach einem Betrag für Verwaltung und Unterbringung und dem eigentlichen Betreuungsbetrag auszuweisen, damit diese Kostenpositionen nicht miteinander verrechnet werden können.

(Beifall bei den Grünen)

Meine Damen und Herren, die Regierungsfraktionen haben ja auch heute wieder, genauso wie es auch die Landesregierung gerne tut, beteuert, es gehe gar nicht darum, auf Kosten der Stadt- und Landkreise zu sparen.