Ich versuche, meinen Kopf in der Weise aus der Schlinge zu ziehen, Frau Kollegin Utzt, Frau Kollegin Bauer,
dass ich mich zunächst einmal – Herr Kollege Zeller, ich sage es freundlicher; ich spreche hier ja auch über mich und nicht gegen mich – auf allgemeine Tatsachen berufe, die auch in den Medien bereits zu lesen und zur Kenntnis zu nehmen waren, und dass ich mir zweitens aber da und dort – auch im Namen der Regierung und als Mitglied dieser Arbeitsgruppe sowieso – eine maßvolle persönliche Bewertung der bisherigen Gespräche erlaube.
Ich mache das deshalb maßvoll – damit bin ich am Anfang meiner inhaltlichen Ausführungen –, weil wir uns in der Arbeitsgruppe unter anderem auf Anregung des Kollegen Wiefelspütz, des innenpolitischen Sprechers der SPD, versprochen haben, dass wir die Verhandlungen nicht durch Erklärungen in der Öffentlichkeit erschweren, was ja auch völlig richtig ist. Aber demgegenüber ist es natürlich auch nicht untersagt, dass man seine Meinung sagen darf – insbesondere das, was nach einer Welle von Interviews in den letzten Tagen ohnehin schon zu lesen war. Man darf durchaus versuchen, dies zu einem Gesamtpuzzle zusammenzutragen.
Die Atmosphäre in dieser Arbeitsgruppe, die der Vermittlungsausschuss eingesetzt hat, ist ausgesprochen gut und
sachlich. Jedes Mitglied der Arbeitsgruppe – das darf ich für alle Kolleginnen und Kollegen sagen – ist sich seiner Verantwortung bewusst. Das ist der erste Punkt.
Der zweite ist: Durch die bekannte Tatsache, dass sich Rot und Grün in dieser Arbeitsgruppe nicht ganz einig sind, ist die Sache für alle Beteiligten taktisch nicht leichter geworden.
Ich sage nichts Neues, Herr Kollege Zeller. Aber man darf noch einmal festhalten, dass insbesondere bei dem Kollegen Schily und auch bei dem Kollegen Wiefelspütz der Wille zur Einigung, der Wille, zu einem Ergebnis, zu einem Zuwanderungsgesetz, zu kommen, wie es Kollege Scheuermann formuliert hat, sehr groß ist. Das bedeutet konkret, dass diese Kollegen auch bei bestimmten Positionen, die bisher im Zuwanderungsgesetzentwurf der Bundesregierung enthalten waren – ein Stichwort ist insbesondere das Punktesystem und anderes mehr –, ausgesprochen gesprächsbereit sind.
Frau Kollegin Bauer, ich sage Ihnen nichts Neues: Sie wissen, dass die Grünen die Sache insoweit etwas anders sehen, wobei – Kollege Glück hat mit Recht darauf hingewiesen; das erschwert die Sache weiter – innerhalb der Grünen, wie ich den Interviews der letzten Tage entnommen habe, die Dinge auch wieder etwas differenziert betrachtet werden. Es ist mit Recht gesagt worden, dass unser früherer Landtagskollege Bütikofer beim Thema Punktesystem offensichtlich gesprächsbereiter ist als der Kollege Beck, der hier eine Conditio-sine-qua-non-Position aufgebaut hat, an der er nicht festhalten kann – das muss auch klar gesagt werden; das weiß jeder in der Arbeitsgruppe –, wenn es am Schluss zu einem Zuwanderungsgesetz kommen soll.
In der Arbeitsgruppe ist dankenswerterweise auch ziemlich klar – eben mit der Einschränkung, was den Vertreter der Grünen, den Kollegen Beck angeht –, dass wir – Stichwort Arbeitsmigration – heute, im Jahr 2004, bei inzwischen fast 4,6 Millionen offiziell registrierten Arbeitslosen, wie ich heute Morgen gelesen habe, von noch schwierigeren und zugespitzteren Verhältnissen ausgehen müssen als noch vor zwei oder drei Jahren.
Wir müssen auch Folgendes sehen – auch dessen ist sich jeder in der Arbeitsgruppe bewusst –: Rot-Grün hat ja mit Unterstützung des Bundesrats und damit auch der Union das Hartz-Paket im Vermittlungsausschuss kurz vor Weihnachten durchgesetzt. Damit wurde die Zumutbarkeitsschwelle für die Arbeitslosen in Deutschland herabgesetzt. Die Arbeitslosen sollen nun auch unbequemere Tätigkeiten aufnehmen. Dieser Änderung – oder, wenn Sie so wollen, Zuspitzung – der Sachlage ist sich jeder in der Arbeitsgruppe bewusst. Ich werde viel später noch einmal darauf zurückkommen.
Herr Schäuble, könnten Sie mir erläutern, welchen Zusammenhang Sie sehen zwischen den Hartz-Gesetzen und dem Versuch, der ja mit dem Zuwanderungsgesetz gemacht werden soll, über das Punktesystem besonders in dem Segment der Höchstqualifizierten Zuwanderung zu ermöglichen? Was ändert Hartz daran, dass wir besonders qualifizierte Menschen aus aller Welt einladen wollen, sich hier niederzulassen und zu arbeiten?
Können Sie, Frau Kollegin Bauer, sich damit einverstanden erklären, dass ich auf diesen Fragenkomplex – es sind ja mehrere Fragen – später im Zusammenhang mit meinen Ausführungen zu dem kniffligen Punkt der Arbeitsmigration zurückkommen werde? Ich möchte zunächst einmal gerne darstellen, wo sich positive Entwicklungen bereits abzeichnen, bei denen ich mir – soweit man überhaupt Voraussagen machen kann, Frau Kollegin Utzt – sicher bin, dass an diesen Fragen ein Zuwanderungsgesetz nicht scheitern wird.
Ich beginne bei dem, was Sie vorhin in Ihrem zweiten Beitrag ja auch angeführt haben: Ein Zuwanderungsgesetz wird nicht an der Frage einer Härtefallregelung scheitern. Eine Härtefallregelung ist, wie ich es gegenüber der Presse auch formuliert habe, von einer großen Mehrheit in der Arbeitsgruppe erwünscht. Allerdings sind sich in der Arbeitsgruppe alle – ich unterstreiche: alle – einig, dass eine solche Härtefallregelung nicht den Gang durch alle Rechtsinstanzen auslösen darf – eine Gefahr, die in unserer verrechtlichten Bundesrepublik Deutschland immer besteht. Es war deshalb – meines Erachtens nicht ganz korrekt, aber bezogen darauf, was man so will – immer wieder von einer Art „Gnadenentscheidung“, die möglichst nicht justiziabel sein soll, die Rede. Das wird man aus rechtlichen Gründen – Artikel 19 Abs. 4 – so einfach nicht lösen können.
Aber die Bemühungen gehen im Augenblick in die Richtung, die ich für völlig richtig halte, nämlich erstens in Richtung auf eine Härtefallregelung aus Gründen, die Kollege Scheuermann vorhin ja völlig vernünftig dargelegt hat, zweitens aber auch auf eine Härtefallregelung in einer Ausgestaltung, die möglichst wenig – das wird nicht hundertprozentig zu erreichen sein – justiziabel sein soll. Denn sonst wird Folgendes passieren: Jeder, der nicht von einer entsprechenden Kommission als Härtefall anerkannt wurde, wird kommen und sagen: „Ich bin aber in der gleichen Situation wie Person A, die als Härtefall anerkannt wurde. Deshalb klage ich jetzt erst vor Gericht, dann vor dem Verwaltungsgerichtshof, dann vor dem Bundesverwaltungsgericht und notfalls noch vor dem Bundesverfassungsgericht.“
Das muss, jedenfalls weitgehend, vermieden werden. Der Bundesinnenminister hat zugesagt, eine entsprechende Formulierung auf den Tisch zu legen. Das ist inzwischen auf der Arbeitsebene auch geschehen. Allerdings müssen die verschiedenen Fachverwaltungen in den Ländern diese noch einmal genau daraufhin abklopfen, ob das angestrebte Ziel, nicht den Gang durch alle Instanzen auszulösen, auch erreicht werden kann.
Beim zweiten Punkt – Frau Kollegin Utzt und Frau Kollegin Bauer, da darf ich Sie ansprechen – bitte ich auch die Grünen, zu sehen, dass wir da doch ein Stück weit entgegenkommen wollen, jedenfalls gesprächsbereit sind. Ich sage es so: Das Zuwanderungsgesetz wird auch nicht an der Frage einer Lösung für geschlechtsspezifisch und nichtstaatlich Verfolgte scheitern. Die Gespräche darüber sind zwar noch im Gange – diese Frage gehört irgendwo zur Verhandlungsmasse –, aber ich bin mir weitestgehend sicher, soweit man, wie gesagt, Vorhersagen machen kann, dass das Gesetz auch daran nicht scheitern wird.
Jetzt komme ich zu einem umfassenden Bereich, über den man, glaube ich, einiges mehr sagen muss. Das ist das Thema Integration. Ich finde, das Thema Integration ist in der Arbeitsgruppe außerordentlich erfreulich und konstruktiv diskutiert worden. Wir haben vor allem in der Diskussion am Schluss darin Übereinstimmung erzielt, dass gerade beim Thema Integration doch stärker differenziert werden muss, als dies bisher der Fall war. Das heißt, wir müssen aufgrund der Realität ganz nüchtern feststellen, dass sich Integrierbarkeit, Integrierfähigkeit, Integration bei vielen gar nicht als Problem darstellen. Frau Kollegin Bauer, das heißt aber wiederum in der Conclusio, dass wir uns auf die Gruppen konzentrieren müssen, die uns in Deutschland bisher tagein, tagaus – ich habe den Eindruck, eigentlich von Woche zu Woche immer mehr – Probleme machen. Das sind einerseits teilweise – ich sage, ausdrücklich differenziert, „teilweise“ – Angehörige des Islam, die sich sehr schwer tun, sich in die deutschen Lebensverhältnisse einzufügen und einzufinden, weil sie eine ganz andere Werteordnung haben. Sie sind schwer integrierfähig und in vielen Fällen auch nicht integrationswillig.
Auch eine andere Gruppe macht uns eigentlich von Jahr zu Jahr – früher nicht, aber in den letzten Jahren – immer größere Probleme, nämlich die jungen Spätaussiedler. Ich bin sehr dankbar dafür, dass man jetzt in der Arbeitsgruppe auf Bundesebene stärker differenziert und sagt, das Integrationsthema könne nicht einfach verallgemeinernd gesehen werden, sondern man müsse sich auf die Problemgruppen konzentrieren, bei denen uns die Integration bekanntermaßen von Jahr zu Jahr, von Monat zu Monat und von Woche zu Woche immer größere Schwierigkeiten bereitet. Ich habe vorhin die zwei Hauptgruppen offen skizziert.
Das Problem muss übrigens auch vor einem anderen Hintergrund gesehen werden. Auch da bin ich dankbar dafür, dass man in der Arbeitsgruppe einen Schritt weitergekommen ist. Sie können sich sicherlich vorstellen, dass bei dem Thema Integration die Frage, wer die Kosten für Sprachund Integrationskurse übernimmt, eine Rolle spielt. Hier ist der übliche Streit wieder entfacht, dass der Bund den Ländern sagt: „Wir zahlen so viel, aber nicht mehr, den Rest müsst ihr erbringen.“ Die Länder sagen natürlich, der Bund solle so viel bezahlen, wie es irgend geht. Der Streit ist etwa von gleicher Intelligenz wie Ihr Verhalten in der letzten Woche bei den Beratungen des Haushaltsplans. Bedauerlicherweise beklagen Sie am Vormittag die Höhe der Verschuldung, fordern aber am Nachmittag Mehrausgaben für Polizei und Feuerwehr. So kann es nicht sein. Die Wahrheit ist doch ganz einfach:
Für die Übernahme der Integrationskosten in vollem Umfang, Herr Kollege Zeller – als Lehrer sind Sie ja des Rechnens fähig –,
haben weder der Bund noch die Länder die dafür erforderlichen Mittel. Das ist die Wahrheit. Vor diesem Hintergrund ist in der Diskussion über die Integration und ihre Kosten ein entscheidender Schritt gelungen, indem man gesagt hat: Wir müssen uns auf denjenigen Personenkreis konzentrieren, bei dem die Integration wirklich notleidend ist; denn alles andere ist finanziell überhaupt nicht schulterbar. Das heißt jetzt in der konkreten Auswirkung: Wir dürfen nicht allen, die nach Deutschland kommen wollen und die bereits in Deutschland leben, aber noch nicht integriert sind, mit einem Anspruch auf Integration winken. Das wäre finanziell weder für den Bund noch für die Länder schulterbar. Nebenbei bemerkt: Im eben verabschiedeten Haushalt sind für die Übernahme von Integrationskosten überhaupt keine Mittel vorgesehen!
Jetzt bewege ich mich allerdings – das will ich ausdrücklich sagen; aber das zu sagen belastet die Gespräche nicht – etwas im Spekulativen: Ich schließe auch vor dem Hintergrund, dass die Integration finanziell weder für den Bund noch für die Länder in vollem Umfang – so wie man das bisher idealistisch gedacht hat – schulterbar ist, dass der Integrationsanspruch einerseits vom Tisch ist. Andererseits könnte es in der Weise eine Lösung geben, dass beispielsweise eine Ausländerbehörde zu einem Ausländer, der vielleicht gerade einer dieser Gruppen angehört, die ich soeben genannt habe, oder auch zu einem Aussiedler sagt: „Deine Integration kommt nicht voran.“ Vielleicht sagt sie auch, dass die Integration sogar immer weiter zurückgeht. „Deshalb machen wir dir jetzt die Auflage, einen Integrationskurs zu besuchen. Wenn du das nicht tust und dir da keine Mühe gibst, kannst du als Ausländer nicht auf Dauer in Deutschland bleiben.“ Oder es müssen bei Aussiedlern, die nicht ausgewiesen werden können, finanzielle Leistungen, soweit sie solche beziehen, entsprechend zurückgefahren werden. Es geht also eine Integrationsentscheidung, die mehr auf den notleidenden Einzelfall abstellt und bei der nicht allgemein mit Geld um sich geworfen wird, das gar nicht vorhanden ist.
Herr Minister, ist Ihnen § 45 bekannt, der zur Teilnahme an der Integration verpflichtet und der durchaus auch eine Form von Repression vorsieht, wenn die Teilnahme nicht erfolgt oder nicht erfolgreich ist?
Ja. Ich habe mich jetzt ja bemüht, Frau Kollegin Utzt, die Entwicklung des Diskussionsprozesses innerhalb der Arbeitsgruppe darzustellen. Ich
wiederhole: Ich bin für die Entwicklung der Diskussion persönlich sehr dankbar. Ich halte überhaupt nichts davon, dass die Länder zum Bund sagen: „Gib du mehr Geld“ und der Bund wiederum zu den Ländern sagt: „Im Wesentlichen müsst ihr die Integrationskosten tragen.“ Denn sowohl der Bund als auch die Länder haben nicht die dafür notwendigen umfassenden Mittel.
Dass wir deshalb in dem geschilderten Sinn mit einer neuen Formulierung stärker auf Einzelfallentscheidungen abstellen werden, ist, glaube ich, am Ende des Diskussionsprozesses auch zu erwarten. Wenn jemand die Auflage nicht erfüllt – jetzt greife ich Ihr Beispiel auf –, an einem Integrationskurs teilzunehmen, obwohl seine Integration bisher schlecht, notleidend ist, dann ist es, glaube ich, eine Selbstverständlichkeit – andernfalls kann man es ja bleiben lassen –, dass daran Sanktionen geknüpft werden müssen. Insofern wird das wohl nicht das Problem sein.
Das heißt aber auch: Gerade beim Thema Integration ist es wertvoll, dass man inzwischen stärker zwischen den Ausländern differenziert. Viele machen übrigens bei der Integration überhaupt keine Probleme. Bei einem promovierten Japaner zum Beispiel gibt es keine Integrationsschwierigkeiten. Vielmehr müssen wir uns aus Kostengründen und aus sachlichen Gründen wirklich auf diejenigen Gruppen konzentrieren, bei denen die Integration notleidend ist.
Deshalb bin ich nach dem Verlauf der Diskussion eigentlich auch sicher, dass das Zuwanderungsgesetz nicht an einer Härtefallregelung, nicht an einer Lösung für geschlechtsspezifisch und nichtstaatlich Verfolgte und als Drittes auch nicht an den Regelungen zur Integration scheitern wird. Denn zu diesen Punkten, die ich jetzt sehr ausführlich dargelegt habe, hat die Aussprache in der Arbeitsgruppe doch einen großen Konsens ergeben.
Frau Kollegin Bauer, jetzt komme ich auf den Bereich zu sprechen, bei dem es Ernst wird. Das ist das Thema – –