Protocol of the Session on February 5, 2004

Ich sage: ausgerechnet jetzt. – Frau Utzt, Sie haben selber gesagt, dass die Bemühungen des Vermittlungsausschusses, bei zugegebenermaßen doch von Beginn an sehr weit auseinander liegenden Standpunkten zu einem Ergebnis zu kommen, jetzt in eine entscheidende Phase getreten sind. Unser Innenminister ist Mitglied dieser größeren Arbeitsgruppe, die sich um einen Kompromiss bemüht. Glauben Sie im Ernst, dass es für unser gemeinsames Ziel, zu einem Zuwanderungsgesetz zu kommen, förderlich wäre, wenn unser Innenminister heute hier offen legen würde, wie der Verhandlungsstand ist und wie er persönlich sich einen Kompromiss vorstellt?

(Beifall bei der CDU und des Abg. Hofer FDP/ DVP – Zuruf der Abg. Marianne Wonnay SPD)

Ich verstehe ja noch, meine Kolleginnen und Kollegen von der Opposition, dass Sie ein stärkeres Interesse daran haben, dass politische Probleme auf dem öffentlichen Markt ausgetragen werden. Aber spätestens seit Sie in Berlin an der Regierung sind, wissen Sie doch selber, dass über

schwierige politische Probleme ab und zu auch einmal hinter verschlossenen Türen verhandelt werden muss, damit man überhaupt zu einem Ziel kommt.

(Abg. Dr. Birk CDU: So sieht es Schily auch! – Zu- ruf der Abg. Marianne Wonnay SPD – Abg. Jun- ginger SPD: Sagen Sie einmal etwas zu Herrn Mül- ler! Was ist mit Herrn Müller vom Saarland? Jede Woche einmal!)

In dieser Situation befinden wir uns jetzt beim Zuwanderungsgesetz.

(Abg. Marianne Wonnay SPD: Der Peter Müller äußert sich doch auch immer!)

Lassen Sie mich jetzt noch zwei Sätze weiterreden.

Ich kann Ihnen jetzt natürlich auch Stimmungsbilder von diesen Verhandlungen darlegen, wie sie ab und zu der Zeitung zu entnehmen sind.

(Abg. Carla Bregenzer SPD: Das brauchen wir nicht! Das wissen wir selber! Wir wollen wissen, was für eine Position der Innenminister vertritt!)

Die Stimmungsbilder sind optimistisch, weil die Äußerungen von beiden Seiten der großen Parteien immer noch von einem Kompromiss ausgehen. Ich glaube, wenn sich die beiden großen Parteien in dieser Frage auf etwas einigen, dann kommt es tatsächlich auch zu einem Kompromiss.

Ich kann Ihnen jetzt auch die vier, fünf Hauptstreitpunkte nennen, die bei diesem Zuwanderungsgesetz eine Rolle spielen. Der Hauptstreitpunkt – der Punkt, bei dem man sich sicherlich am wenigsten einig ist – ist die Frage der Arbeitsmigration.

(Abg. Junginger SPD: Trauzeuge Döring, ja!)

Wir sind uns insofern einig, als es bei der Arbeitsmigration sicherlich kaum oder keine Probleme bei den Höchstqualifizierten geben dürfte. Es wird auch wenig oder gar keine Probleme beim Zuzug von Selbstständigen geben. Aber die große Masse der Arbeitsmigranten sind diejenigen, die etwa nach einer zwei- oder dreijährigen Qualifikation eine Zuwanderungs- und Einreisemöglichkeit nach Deutschland bekommen sollen. Da haben wir halt nach wie vor das Problem, dass wir 4,5 Millionen Arbeitslose haben und nicht einfach sagen können, wir erleichtern uns die – zugegebenermaßen notwendige – Besetzung von Arbeitsstellen ohne Rücksicht auf diese 4,5 Millionen Arbeitslose.

Ich gebe ausdrücklich zu, dass ich jetzt ein Extrembeispiel anführe. Es kann doch nicht sein, dass wir nach dem ursprünglichen Vorschlag des Gesetzes auf der ganzen Welt suchen, wer die erforderliche Punktzahl erreicht, um nach Deutschland zuwandern zu können, und uns erst dann, wenn wir niemanden finden, der die erforderliche Punktzahl erreicht hat, um die 4,5 Millionen Arbeitslosen kümmern und uns überlegen, wie wir sie für die eine oder andere Stelle qualifizieren können.

(Widerspruch bei der SPD)

Ich habe ausdrücklich gesagt – –

(Unruhe bei der SPD)

Ich habe ausdrücklich gesagt, dass ich jetzt ein Extrembeispiel wähle.

(Abg. Ursula Haußmann SPD: Das ist platt! Das ist unterste Schublade! – Zurufe der Abg. Braun und Capezzuto SPD – Abg. Seimetz CDU: Der Capez- zuto regt sich wieder künstlich auf!)

Aber an diesem Punkt sehen Sie, wo die Gegensätze noch liegen und wo wir uns bemühen müssen, diese Gegensätze zu überwinden.

Langer Rede kurzer Sinn: Es kann nicht sein, dass der Anwerbestopp einfach aufgehoben wird und wir überhaupt keine Einflussmöglichkeiten mehr auf das Verhältnis von Zuwanderung und der Zahl der Arbeitslosen hätten.

Ich bin nach allem, was ich höre und – wie Sie auch – gelesen habe, zuversichtlich, dass wir zu einem Kompromiss und zu einem Ergebnis kommen. Ich kann nur hoffen und wünschen, dass wir diese Chance nicht dadurch zerreden, dass wir allzu früh auf offenem Markt Positionen austragen und es dann umso schwieriger ist, von diesen Positionen wieder herunterzukommen.

(Beifall bei der CDU)

Das Wort erhält Herr Abg. Dr. Glück.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Zunächst zu Ihnen, meine Damen und Herren von der SPD: Als Sie diesen Antrag genüsslich formuliert haben, haben Sie – davon gehe ich einmal aus – eigentlich bereits die Antworten gekannt. Es ging Ihnen eigentlich nur darum, hier einen Keil zwischen die die Regierung tragenden Fraktionen zu treiben.

(Abg. Brigitte Lösch GRÜNE: Niemals!)

Nun lassen Sie sich gesagt sein: In unseren Positionen überwiegt ganz deutlich die Übereinstimmung, wenn auch über manches im Sinne einer Konsenssuche gestritten wurde. Wenn Sie jetzt also lustvoll darauf warten, dass wir uns zerfleischen, muss ich Sie enttäuschen.

(Zurufe der Abg. Ursula Haußmann und Capezzuto SPD)

Im Übrigen sehen Sie doch im Augenblick in Berlin ganz genau, wie schwierig es ist, zwei Fraktionen bei diesem Problem in einer Spur zu halten. Dort gibt es doch im Augenblick das ganz große Problem, dass Sie sich mit Ihrem Koalitionspartner nicht einigen können. Insofern ist das Papier heute eigentlich ein Rohrkrepierer für Sie.

(Zuruf des Abg. Capezzuto SPD)

Ich bin enttäuscht, dass heute – Herr Scheuermann hat darauf hingewiesen – nach mehr als einem Jahr über dieses Papier diskutiert wird. Bisher habe ich immer geglaubt, es gäbe nichts Älteres als die gestrige Zeitung. Ich weiß jetzt, dass es noch etwas Älteres gibt, nämlich ein Papier, das schon über ein Jahr alt ist.

(Abg. Inge Utzt SPD: Nehmen Sie doch zur Kennt- nis, dass das ganz aktuell ist, weil der Vermitt- lungsausschuss – –)

Frau Utzt, ich gehe davon aus, es ist Ihnen entgangen, dass dieses Thema in diesem Jahr fortgeschrieben würde, dass Bewegung ins Zuwanderungsgesetz gekommen ist, dass man eine interfraktionelle Arbeitsgruppe gebildet hat und dass man sich in wesentlichen Positionen wirklich angenähert hat.

Ich bin zuversichtlich, dass wir eine gemeinsame Lösung finden werden. Ich halte Ihr Spaltpapier, das Sie hier bringen, nicht nur für völlig veraltet, sondern – gerade in dieser Situation – auch für unangebracht.

(Beifall bei der FDP/DVP und des Abg. Rech CDU)

Wir wollen ein praktikables, den eigenen Interessen dienendes Zuwanderungsgesetz, das die Zuwanderung steuert und die Integration regelt. Wir wollen eine Regelung der Zuständigkeit für die Integrationsmaßnahmen zwischen Bund, Land und Kommunen.

Meine Damen und Herren, wir sehen kein Problem beim Thema Arbeitsmigration bei den Hochqualifizierten, auch nicht bei den Selbstständigen. Ich denke, dass wir auch in der Lage sind, auf dem Niveau der Facharbeiter eine Lösung zu finden, wer unter welchen Voraussetzungen zuwandern darf.

Einigkeit herrscht auch darin, dass sich Asyl und Zuwanderung zum Arbeitsmarkt ausschließen. Wir erwarten davon einen deutlichen Rückgang der Zahl der Asylsuchenden. Einigkeit herrscht auch bei Integrationsmaßnahmen. Diese müssen einerseits vom Staat zur Verfügung gestellt werden, aber es besteht auch für den Zureisenden die Pflicht, diese Integrationsmaßnahmen zu ergreifen.

Wir brauchen auch eine Regelung für humanitäre Härtefälle. Auch hier hat man sich letztlich in den Positionen angenähert, nicht zuletzt auf der Basis der UN-Flüchtlingskommission. Irgendwann wird ja auch eine EU-weite Regelung kommen. Wann das sein wird, wissen wir allerdings noch nicht.

Der Punkt, der einzig und allein wirklich noch hart umstritten ist, ist § 20 des Zuwanderungsgesetzes, nämlich dieses Punktsystem ohne konkreten Arbeitsplatznachweis. Meine Damen und Herren, wir sind bereit – ich darf das für meine Fraktion sagen –, unter bestimmten Bedingungen zugunsten eines Arbeitsplatznachweises und natürlich unter Einhaltung des Vorrangprinzips auf diese Regelung zu verzichten. Auch die CDU – man hat es gestern in der Zeitung gelesen, und auch heute kam wieder ein Artikel – ist bereit, über das Punktsystem zu reden. Interessant ist mir die Aussage von Herrn und Frau Müller, die ja nicht miteinander verwandt sind und auch nicht der gleichen Partei angehören, dass beide bereit sind, Kompromisse einzugehen. Bei Frau Müller wurde das dann wieder ein bisschen relativiert. Herr Bütikofer ging ein bisschen weiter.

(Widerspruch der Abg. Brigitte Lösch GRÜNE)

Frau Lösch, lesen Sie es einmal nach.

Die einzige Problemfigur in diesem Arbeitskreis scheint mir Herr Beck zu sein, der Verhandlungsführer der Grünen. Trotzdem bin ich zuversichtlich. Es ist Bewegung in dieses Thema gekommen. Ich werte das als positives Signal und als den gemeinsamen Wunsch auf Einigung auf ein dringend notwendiges Gesetz.

(Beifall des Abg. Pfister FDP/DVP und von Abge- ordneten der CDU – Abg. Inge Utzt SPD: Einsa- mer Beifall!)

Das Wort erhält Frau Abg. Bauer.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Zunächst zu Ihnen, Kollege Scheuermann und Kollege Glück. Es ist heute genau der richtige Zeitpunkt, um über dieses Thema zu reden. In der Tat liegt der Antrag der SPD schon lange vor, aber noch länger hängt das Verfahren zum Zuwanderungsgesetz im Vermittlungsausschuss. Daher ist jetzt der richtige Tag – weil die Verhandlungen in die entscheidende Phase eintreten –, hier Bilanz zu ziehen und zu fragen, was eigentlich Ihre Strategie ist und wohin die Reise gehen soll. Ich glaube, dass die Öffentlichkeit auch ein Recht darauf hat, dass Dinge, die für die Zukunft unserer Gesellschaft so wichtig sind, nicht hinter verschlossenen Türen verhandelt werden, sondern dass darüber eine öffentliche Debatte stattfindet.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD)

Es ist ja inzwischen allen bekannt, dass im Vermittlungsausschuss ein Zwang zum Kompromiss herrscht. Ein breiter Konsens muss in einer Frage gesucht werden, die überaus kompliziert und heiß umstritten ist. Daher wundert es auch niemanden mehr, dass beim Zuwanderungsgesetz jetzt nicht der ursprünglich angestrebte große Wurf herauskommt. Vielmehr kommt, wenn es gut geht, vielleicht eine kleine Reform, sozusagen eine Reform im Bonsaiformat, heraus. Selbst das wäre ja zu akzeptieren, wenn es denn ein Schritt in die richtige Richtung wäre. Aber ein Schritt muss es sein, und die Richtung muss auch stimmen, weil wir für schlechtere Zustände als bislang kein neues Gesetz brauchen. Wir brauchen kein Zuwanderungsgesetz, das Zuwanderung grundsätzlich untersagt oder die Bedingungen für Zugewanderte gar noch verschlechtert.

Worauf kommt es also in der Substanz an? Im Wesentlichen sind es drei Punkte: Wir brauchen Zuwanderung. Wir brauchen Integration. Und wir brauchen Verbesserungen im humanitären Bereich.