Protocol of the Session on January 29, 2004

Deshalb halte ich diesen Antrag für weltfremd. Er zeigt, dass es bei den Antragstellern nicht wirklich ein Verständnis für Selbstständigkeit von Schule gibt. Alle internationa

len Untersuchungen zeigen: Selbstständigkeit von Schule und gute Unterstützungssysteme außerhalb der Schule sind die zwei Seiten der einen Medaille. Autonomie alleine führt zur Beliebigkeit, wenn die Einhaltung von Standards nicht klar überprüft wird.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP – Zuruf von der CDU: Genau! – Abg. Wacker CDU: Es tritt dann die Chaostheorie ein!)

Bewertungskategorie ist der internationale Kontext.

Es ist klar, dass ich das Beispiel von gestern aufgreife. Ich könnte aber viele andere Beispiele nennen. Was immer wir in der Bildungspolitik tun, es interessiert uns nicht mehr in erster Linie der nationale Vergleich. Es interessiert uns nicht wirklich, ob wir auf Platz 1 oder Platz 2 sind. Das ist keine Neuigkeit mehr.

Uns ist wichtig und uns interessiert, wie unsere Schulen in einem internationalen Kontext stehen, weil die Generation, um die es jetzt geht, und künftige Generationen sich nicht ausschließlich in einem nationalen Kontext aufhalten, sondern in einem internationalen. Deshalb ist die zentrale Botschaft des gestrigen Tages nicht, dass die Grundschulen in Baden-Württemberg im nationalen Ranking auf Platz 1 stehen.

Die zentrale Botschaft des gestrigen Tages ist: Sie haben Anschluss an die internationale Spitzengruppe. Das war die Botschaft!

(Anhaltender Beifall bei der CDU und der FDP/ DVP – Zurufe von der CDU: Bravo! – Jawohl!)

Ich konkretisiere es an wenigen Beispielen.

Erstes Beispiel: Unter 35 Ländern gibt es kein Land, in dem in der Grundschule zwischen Jungen und Mädchen so wenig Unterschiede im Lernen und in den Lernergebnissen existieren wie hier. Das betrifft die viel zitierte Frage, wie Jungen und wie Mädchen richtig gefördert werden. Hier sind wir auf Platz 1.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU)

Zweitens: Bei den Naturwissenschaften am Ende der Klasse 4 sind Grundschulen in Baden-Württemberg zusammen mit Japan auf Platz 2 unter 35 Ländern der Welt.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP – Zurufe von der CDU: Bravo!)

Bei der Lesekompetenz und bei der Mathematik ist es ähnlich: Wir sind unter den ersten fünf.

Herr Professor Bos hat gestern Morgen in Berlin und gestern Nachmittag bzw. gestern Abend in Stuttgart gesagt, in keinem europäischen Land seien die Grundschulen besser als in Baden-Württemberg – in allen drei Kompetenzbereichen!

(Anhaltender Beifall bei der CDU – Beifall bei der FDP/DVP)

Ich finde, man könnte von einer Opposition

(Ministerin Dr. Annette Schavan)

(Zuruf von der CDU: Wo? Wir haben keine! – Weiterer Zuruf von der CDU: Hinter Ihnen, Frau Ministerin! – Abg. Kübler CDU: In Baden-Würt- temberg gibt es keine Opposition! – Abg. Heidero- se Berroth FDP/DVP: Die hat sich verabschiedet! – Abg. Dr. Lasotta CDU: Opposition findet nicht mehr statt!)

wirklich erwarten, dass sie solche Ergebnisse bei den Grundschulen nicht nur mit einem pflichtschuldigen ersten Satz in ihren Reden wahrnimmt, sondern dass sie sich darauf auch einlässt. Das sind doch nicht unsere Leistungen; das haben doch nicht wir vollbracht. Das ist die Arbeit der Lehrerinnen und Lehrer in unseren Grundschulen.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP – Abg. Wacker CDU: So ist es! – Zurufe von der CDU: Ja- wohl!)

Das ist das Ergebnis der Tatsache, dass sich diese Lehrerinnen und Lehrer an unseren Grundschulen, die übrigens das höchste Deputat aller Lehrerinnen und Lehrer in unserem Land haben, als Erste – nämlich seit Mitte der Neunzigerjahre – in einen kontinuierlichen Reformprozess begeben haben. Vieles läuft ja schon seit zehn Jahren, worüber andere Länder jetzt, in Reaktion auf IGLU, nachdenken. Deshalb sage ich: Gratulation an unsere Grundschulen.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP)

Damit komme ich zur Gerechtigkeitsfrage. Natürlich wissen wir: Wenn zehn Leute auf einer Veranstaltung waren, ist nicht auszuschließen, dass diese zehn Leute zehn verschiedene Dinge gehört haben.

(Abg. Kübler CDU: Das kommt darauf an, wo sie herkommen! – Abg. Seimetz CDU: Nur bei SPD- Leuten!)

Oder hören wollten. Das ist überhaupt kein Problem; selektive Wahrnehmung beherrscht im Zweifelsfall jeder von uns. Das haben wir alle gelernt.

Nun habe ich zum Ärger mancher – es blieb mir nichts anderes übrig – gestern nicht nur den Vortrag von Professor Bos gehört, sondern auch mit ihm gesprochen. Warum nimmt die Opposition den Satz nicht wahr, den er geäußert hat, dass Baden-Württemberg das Musterland für Durchlässigkeit nach oben ist?

(Beifall bei der CDU)

Sie nehmen nicht wahr, dass unmittelbar anschließend an die Kurve mit den Überlappungen der Schülergruppen, die wir schon von der PISA-Studie kannten, die Tabelle folgt, die besagt, dass genau jenes Drittel der Schüler, die im ersten Anlauf – ich sage es jetzt etwas technokratisch – falsch gesteuert sind, im zweiten Anlauf das Abitur über das berufliche Gymnasium oder ein anderes Angebot der beruflichen Bildung erlangen. Warum werden solche Fakten, die übrigens großes Interesse bei nahezu allen anderen Bundesländern wecken, im baden-württembergischen Landtag von der Opposition konsequent geleugnet?

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der FDP/ DVP)

Ich kann nur sagen: Wenn die SPD Lust auf das Regieren in Baden-Württemberg hätte, würde sie jetzt langsam anfangen, gut über das Land zu reden.

(Zuruf von der CDU: Sehr gut!)

So, wie sie darüber redet, kann man nur davon ausgehen, dass sie 0,0 % Lust auf das Regieren hat. Nur dann kann man so reden.

(Beifall bei der CDU)

Die Problembereiche sind völlig klar. Die erste pädagogische Aufgabe lautet: Wie schaffen wir es, in der Grundschule gewecktes Leseinteresse und Spaß am Lernen – und die damit verbundene Qualität der Grundschule – in der Sekundarstufe I fortzusetzen? Wie schaffen wir es, dass es keine Einbrüche gibt? Erste Schritte sind getan: naturwissenschaftlicher Unterricht, naturwissenschaftliches Praktikum, Weiterentwicklung von didaktischen Ansätzen, die sich in der Grundschule bewährt haben und die wir unter neuen Vorzeichen in der Sekundarstufe I fortsetzen.

Zweitens: Migration. Das ist in der Tat eine Frage, die sich jeder von uns immer wieder stellen muss: Was ist unser nächster Schritt, um Kindern, die nicht in Deutschland geboren sind, die mit ihren Eltern spät zu uns gekommen sind und wenig Möglichkeiten zur Vorbereitung auf die Schule haben, die gleiche Chance zu geben wie Kindern ohne Migrationshintergrund? Auch deshalb ist die Sprachförderung wichtig. Auch deshalb ist es wichtig, früh anzusetzen, konsequent zu handeln, unsere Bemühungen zu verstärken. Deshalb ist gestern Abend mein erster Satz gewesen: Nichts ist so gut, als dass es nicht besser werden könnte.

Aber wer Verbesserung will, muss dem, der das wesentlich zu leisten hat, auch die gerechte Beurteilung zukommen lassen, dass er schon Wesentliches erreicht hat. Ansonsten wird im Bildungswesen nicht die Entwicklung möglich werden, die wir alle wollen.

Schließlich der vierte und letzte Bereich, die Strukturpolitik: Es ist mir schleierhaft, wie die Grünen fordern können, in einem Flächenland wie Baden-Württemberg, das in jeder Erfolgsanalyse die gleichmäßige Entwicklung aller Regionen bescheinigt bekommt, 260 Hauptschulen zu schließen.

(Zuruf von der CDU: Skandalös!)

Meine Damen und Herren, es ist doch völlig klar: In Zeiten des Schülerrückgangs werden Bürgermeister kommen und sagen: Jetzt ist es so weit, diese Schule können wir nicht mehr halten.

(Zuruf von der CDU: Den möchte ich mal sehen!)

Dann werden wir auf Wunsch der Gemeinde – das ist eine der notwendigen Voraussetzungen – diese Schule auch schließen. Aber ich sage Ihnen auch: Gute Versorgung aller Regionen mit Schulen ist d e r Wettbewerbsfaktor und d e r strukturpolitische Faktor Nummer 1.

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der FDP/ DVP)

(Ministerin Dr. Annette Schavan)

Wir wollen nicht, dass nur die Familien, die in den großen Städten leben, alle Angebote haben, und die Familien, die im ländlichen Raum leben, ihren Kindern immer weitere Schulwege zumuten müssen. Das ist kein strukturpolitisches Konzept für Baden-Württemberg.

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der FDP/ DVP)

Zur gleichmäßigen Entwicklung aller Regionen gehört als ganz wesentlicher und innovativer Faktor unsere differenzierte Landschaft der beruflichen Bildung.

(Abg. Kleinmann FDP/DVP: Ja, das ist richtig!)

Wenn ein Land wie Baden-Württemberg in einer so ungewöhnlich schwierigen wirtschaftspolitischen Lage – –

(Abg. Knapp SPD geht durch den hinteren Teil des Plenarsaals.)

Sie haben sich verirrt, Sie dürfen gar nicht im Saal sein!