Meine Damen und Herren! Ich eröffne die 6. Sitzung des 13. Landtags von Baden-Württemberg und begrüße Sie.
Meine Damen und Herren, aufgrund einer Absprache mit den Fraktionen hat der Ständige Ausschuss in seiner gestrigen Sitzung die Anträge der Landesregierung vom 18. und 26. Juni dieses Jahres – Zugehörigkeit von Mitgliedern der Landesregierung zu Organen wirtschaftlicher Unternehmen –, Drucksachen 13/12 und 13/29, beraten. Ich bitte um Zustimmung, die Beschlussempfehlung des Ständigen Ausschusses zu den beiden Anträgen als neuen Punkt 5 in die Tagesordnung aufzunehmen. Ich gehe davon aus, dass Sie dem zustimmen und eine Abstimmung hierüber nicht erforderlich ist. – Das Haus hat damit der Ergänzung der Tagesordnung durch einen neuen Punkt 5 zugestimmt.
Jetzt ist noch der Antrag auf Dringlicherklärung des Antrags der Fraktion der SPD, Drucksache 13/28, gestellt. Ich gehe davon aus, dass sich der Antrag auf Dringlicherklärung aufgrund der gestrigen Beratung im Ständigen Ausschuss und weil wir das Thema heute Nachmittag behandeln werden, erledigt hat, sodass wir jetzt in die Tagesordnung eintreten können. – Dagegen erhebt sich kein Widerspruch.
Aktuelle Debatte – Gesundheitspolitik der Bundesregierung am Scheideweg – Kassendefizite und Beitragserhöhungen belasten die Beitragszahler in Baden-Württemberg und verstärken die konjunkturellen Risiken – beantragt von der Fraktion der CDU
Das Präsidium hat die üblichen Redezeiten festgelegt: 50 Minuten Gesamtdauer, worauf die Redezeit der Regierung nicht angerechnet wird, fünf Minuten für die einleitenden Erklärungen und fünf Minuten für die Redner in der zweiten Runde. Ich darf die Mitglieder der Landesregierung bitten, sich ebenfalls an diesen Redezeitrahmen zu halten.
Schließlich darf ich auf § 60 Abs. 3 der Geschäftsordnung hinweisen, wonach im Rahmen der Aktuellen Debatte die Aussprache in freier Rede zu führen ist.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Wer beim Thema Gesundheitsreform nicht jeden Tag die Zeitungen verfolgt, befindet sich – auch wenn er das nur einen Tag versäumt – bereits auf uraltem Stand. Die rot-grüne Bundesregierung präsentiert uns bei diesem Thema jeden Tag etwas anderes, heute das Gegenteil von gestern, morgen die Konzepte von vorgestern.
Und was kommt übermorgen? Meine Damen und Herren, ich bin besonders darauf gespannt, was Sie von der SPD dazu nachher ausführen. Denn Sie haben natürlich ein großes Problem darin, heute überhaupt sagen zu können, was in Zukunft kommen soll.
Die Gesundheitspolitik ist zugegebenermaßen ein schwieriges Politikfeld, aber eine so geringe Halbwertszeit der Entscheidungen wie bei der rot-grünen Bundesregierung hatten wir noch nie: Beschlüsse werden ausgesetzt, die Umsetzung wird nicht vollzogen. Wir wissen heute nicht, was morgen kommt.
Gerade in den letzten Tagen haben wir eine dramatische Beschleunigung der Ereignisse erfahren. Wir befinden uns in einem sich selbst verstärkenden Abschwung, in einer dramatischen Wirtschaftslage. Und was tut die Bundesregierung? Sie tut überhaupt nichts, sie präsentiert uns eine tiefe Ratlosigkeit, Lügen, falsche Versprechungen und vor allem Untätigkeit.
Die „Stuttgarter Nachrichten“ von heute formulieren das so: „Die Zeitbombe explodiert früher als erwartet.“ Die rote Gesundheitsministerin ist nach der grünen ebenfalls gescheitert, und zwar mit ihrem Kurs des Abwartens und des Zuwartens.
Vor zwei Tagen hat die AOK Baden-Württemberg angekündigt, die Beiträge um 0,7 Prozentpunkte zu erhöhen. Das bedeutet, 3 Millionen Baden-Württemberger bezahlen mehr. Das bedeutet, 220 000 baden-württembergische Arbeitgeber bezahlen mehr. Wir haben die 40 % Lohnnebenkosten entgegen den Versprechungen der Bundesregie
rung längst erreicht, und es spielt keine Rolle, ob die Rentenbeiträge an der Tankstelle oder über den Lohnzettel gezahlt werden.
Mit dieser Ankündigung der AOK Baden-Württemberg haben wir einen neuen Tiefschlag für die baden-württembergische Wirtschaft und für die Arbeitnehmer zu verzeichnen. Was bedeutet diese Ankündigung der AOK für den baden-württembergischen Arbeitnehmer? Nehmen wir als Beispiel einen verheirateten Facharbeiter mit zwei Kindern und 5 000 DM Monatslohn. Plus 0,7 Prozentpunkte heißt 210 DM mehr im Jahr. Eine Inflationsrate von 3,5 % bedeutet ein zusätzliches Lohnminus von 2 100 DM.
Zusammen mit der Erhöhung der Lohnnebenkosten durch höhere Krankenkassenbeiträge bedeutet dies: Rund 2 300 DM fehlen diesem Arbeitnehmer, das heißt ein knappes halbes Monatsgehalt. Da weiß ich nicht, wie Sie angesichts dieser Entwicklung stolz sein können auf die Kindergelderhöhung von 30 DM. Was das für die Tarifverhandlungen bedeuten muss, das wissen wir alle.
Welche Ursachen müssen wir verzeichnen? AOK-Chef Sing, keiner unserer Parteigänger, sagt: „Der Kostentreiber ist die Politik“, und zwar die Bundespolitik, weil es am nötigen Reformwillen fehlt. Ich weiß, dass Sie versuchen werden, das rot-grüne Desaster in der Gesundheitspolitik auf den 16 Jahren Helmut Kohl und den von ihm geführten Bundesregierungen abzuladen. Aber bitte nehmen Sie zur Kenntnis, dass wir 1998 das Krankenversicherungswesen mit einem Überschuss von 2 Milliarden DM an Sie übergeben haben. Heute haben wir die Situation, dass die Patienten in der gesetzlichen Krankenversicherung die notwendigen Behandlungen aufgrund Geldmangels nicht mehr erhalten.
Wenn Sie heute in die Zeitungen schauen – und das rate ich jedem, der sich mit der Gesundheitsreform beschäftigt, dringend –, finden Sie darin die Ankündigung radikaler Reformen, aber für die Zeit nach der Bundestagswahl. Da möchte ich Sie schon auffordern, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, uns offen zu legen, was Sie denn vorhaben, den Menschen in Baden-Württemberg zu sagen, womit sie im Gesundheitswesen rechnen müssen.
(Abg. Ursula Haußmann SPD: Sagen Sie doch mal Ihr Konzept! – Abg. Kretschmann GRÜNE: Was wollen Sie eigentlich außer Rummotzen?)
Wenn Sie sich ein bisschen auskennen – und davon gehe ich aus –, wissen Sie, dass die so genannten unverbindli
chen Papiere immer die gefährlichsten sind, weil sich da einige Leute trauen, ein bisschen weiter zu denken.
Bitte sagen Sie uns, was auf uns zukommt, und sagen Sie es vor allem vor der Bundestagswahl, weil die Menschen das wissen müssen.
Wir werden im Land Baden-Württemberg die Interessen der Menschen verteidigen und nach Karlsruhe gehen, um gegen den Risikostrukturausgleich zu klagen.
Wir fordern Sie auf, den Risikostrukturausgleich in die politischen Reformen des Gesundheitswesens mit aufzunehmen.
In diesem Zusammenhang kann ich die Aussage des DGB Baden-Württemberg nicht verstehen. Er wirft uns „Prozesshanselei“ vor und nimmt lieber eine grenzenlose Ungerechtigkeit gegenüber den eigenen Mitgliedern und Arbeitnehmern in Kauf, anstatt mit uns daranzugehen, das Gesundheitswesen gerechter zu gestalten