Protocol of the Session on January 28, 2004

Herzlichen Dank.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD)

Das Wort erteile ich Herrn Ministerpräsident Teufel.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Haushalt 2004 ist wie die Vorjahreshaushalte von ständig zurückgehenden Steuereinnahmen geprägt. Auf der Einnahmeseite schlagen sich die wirtschaftliche Entwicklung, die hohe Arbeitslosigkeit, die Investitionsschwäche unserer Wirtschaft und die zunehmende Zahl von Konkursen nieder. Sie alle führen zu geringeren Steuereinnahmen auf der Grundlage von sehr viel geringeren Erträgen.

(Abg. Boris Palmer GRÜNE: Plus 3 % letztes Jahr!)

Im letzten Jahr hat man uns genauso irregeführt, wie man uns jetzt irreführt. Wenn Sie sich die Mühe machen und sich exakt aus dem Januar des Jahres 2003 – ich habe mir solche Zeitungen aufgehoben – die Wachstumsprognosen der Bundesregierung vor Augen führen, dann sehen Sie, dass sie exakt so hoch waren, wie die Wachstumsprognosen auch jetzt sind. Am 1. Januar lagen sie bei 2,0 %, und am 31. Dezember lagen sie bei minus 0,1 %. Das ist doch ein Problem, von dem alle öffentlichen Haushalte – der Bundeshaushalt, die Länderhaushalte und die kommunalen Haushalte – abhängen.

Die Steuereinnahmen für das Jahr 2004 wurden erstmals im Jahr 2000 vom Arbeitskreis Steuerschätzung geschätzt. Das Ergebnis damals, die Prognose für 2004: 547,4 Milliarden € bundesweit. Das Ergebnis der aktuellen NovemberSteuerschätzung, auf der jetzt unser Haushalt beruht: 453,4 Milliarden € Einnahmen bundesweit. Die Differenz zu der Prognose im Jahr 2000 beträgt 94 Milliarden €; das sind 17 % weniger. Das ist doch unser Problem!

Herr Kollege Kretschmann hat seine Ausführungen mit der Aussage begonnen: „Die Landesregierung hat einen Haushaltsentwurf vorgelegt, der schon zum Zeitpunkt seiner Einbringung nicht mehr gestimmt hat.“ Das ist wahr. Warum war das denn so? Weil wir den Haushalt vor der NovemberSteuerschätzung eingebracht haben – mit dem ausdrücklichen Hinweis auf die ausstehende November-Steuerschätzung – und weil wir in der November-Steuerschätzung für das Jahr 2004 gegenüber der Steuerschätzung vom Mai letzten Jahres noch einmal einen Ausfall von 467 Millionen € zu verzeichnen hatten.

Was blieb uns denn dann anderes übrig, als eine Nachschiebeliste vorzulegen? Was blieb uns denn anderes übrig, als

(Ministerpräsident Teufel)

wieder in der Koalitionsrunde zu tagen, mit den beiden Regierungsfraktionen zu sprechen, die die Verantwortung für weitere hohe Kürzungen übernommen haben? Ich sage das mit allem Respekt an die CDU- und an die FDP/DVP-Fraktion: Sie allein tragen die Verantwortung für Kürzungen in Milliardenhöhe, die in den letzten Jahren erfolgt sind, damit wir uns in Baden-Württemberg nicht noch höher verschulden.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP)

Diese ganze Entwicklung können wir bei allem guten Willen nicht allein über Einsparungen abfangen. Denn wir müssen auch noch das Notwendigste tun und investieren.

(Abg. Behringer CDU: So ist es!)

Wir haben uns deshalb leider auch höher verschulden müssen, als wir dies selbst wollten.

Der Schuldenstand der öffentlichen Haushalte – vor allem jener des Bundes – war im Jahr 2003 so hoch wie nie. Die damit verbundene Gesamtschuldenquote von 62,7 % – gemessen am Bruttoinlandsprodukt – und die Defizitquote von 4 % lassen uns von der Erfüllung der Maastricht-Kriterien weit entfernt sein. Auch 2004 wird Deutschland den Europäischen Stabilitätspakt aller Voraussicht nach brechen, und das ist keine gute Entwicklung.

Meine Damen und Herren, 25 % der Ausgaben des Bundes sind bereits Transfers an die Sozialversicherungen – 25 %! Professor Siebert, ein Nationalökonom mit großem Ansehen, der viele Jahre Vorsitzender des Sachverständigenrats zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung war, sagt: „Dass Sozialleistungen auf Kredit finanziert werden, kennt man eigentlich nur aus lateinamerikanischen Problemländern.“ So weit sind wir gekommen.

(Abg. Fischer SPD: Die letzten fünf Jahre anschei- nend erst!)

Die entscheidende Zahl des letzten Jahres wurde bereits vom Kollegen Oettinger zitiert. Ich wiederhole sie: Die Zahl der Arbeitsplätze ist in einem einzigen Jahr um 630 000 gesunken. Es ist überhaupt nicht sichtbar, dass diese Entwicklung selbst bei einem prognostizierten Wachstum von 2 %

(Abg. Behringer CDU: So ist es!)

gestoppt würde. Das sagen alle die, die sich über bessere Wachstumsprognosen für das kommende Jahr freuen.

(Abg. Döpper CDU: Bittere Wahrheit!)

Meine Damen und Herren, die Bürgerinnen und Bürger sehen die Entwicklung ganz anders. Jeder von uns hat Neujahrsempfänge besucht, ist in den letzten Wochen des Januars mit vielen Mittelständlern, mit Bürgerinnen und Bürgern zusammengekommen und wird bestätigen, dass die Prognosen in Gesprächen mit Vertretern der Wirtschaft und der Banken keineswegs so günstig sind wie die, die offiziell verkündet werden. Laut ZDF-Politbarometer vom 16. Januar dieses Jahres meinen 49 % der Befragten, es werde sich im laufenden Jahr bei der wirtschaftlichen Entwicklung

nichts Wesentliches ändern. 26 % sind sogar davon überzeugt, dass es weiter abwärts gehen wird.

(Abg. Boris Palmer GRÜNE: Wer sagt das?)

Den privaten Konsum werden solche Überzeugungen nicht beflügeln. Nur 4 % der Befragten glauben, dass ihnen die zum 1. Januar dieses Jahres in Kraft getretenen Reformen Entlastungen bringen. Aber 54 % glauben, dass durch diese Beschlüsse weitere Belastungen auf sie zukommen, und die Letzteren haben Recht. Denn in der Tat ist den Bürgern das, was ihnen in die eine Hosentasche gegeben worden ist, mit den gleichen Beschlüssen vom Dezember aus der anderen Hosentasche wieder herausgenommen worden.

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der FDP/ DVP)

Sonst hätten der Bundeshaushalt und auch eine Reihe anderer öffentlicher Haushalte durch diese Beschlüsse kein Plus ausgewiesen.

Der Kern unserer wirtschafts- und finanzpolitischen Misere ist also seit Jahren die stark sinkende Beschäftigung in Deutschland. Das bedeutet für die öffentlichen Kassen weniger Beschäftigte, bedeutet weniger Steuereinnahmen und bedeutet weniger Zahler von Sozialabgaben.

Dazu kommen noch Sonderfaktoren. Mit welchen Freudengesängen haben Sie hier an diesem Pult – und zwar mit den gleichen Freudengesängen, mit denen Sie jetzt Forderungen nach Elitehochschulen und nach Ganztagsschulen erhoben haben – ein Antistauprogramm mit Milliardenbeträgen, die das Land Baden-Württemberg bekommen sollte, angekündigt!

(Abg. Kiefl CDU: Die stehen im Stau!)

Die Zahlungen hätten zum 1. Januar des letzten Jahres beginnen sollen. Im ganzen Jahr 2003 hat Baden-Württemberg aber keinen einzigen Euro bekommen. Alle Verkehrsmaßnahmen im Land Baden-Württemberg geraten ins Hintertreffen. Im letzten Jahr hat zum Beispiel der Kollege Boris Palmer zur Lkw-Maut in einer Pressemeldung seiner Fraktion wörtlich ausgeführt:

„Erwin Teufel muss seinen Minister zur Ordnung rufen“, sagte... Boris Palmer. Falls Müller die LkwMaut in letzter Minute zu Fall bringe, bedeute dies einen immensen Schaden

(Lachen bei der CDU und der FDP/DVP)

für die Umwelt, für die öffentlichen Haushalte und die Verkehrsinvestitionen.

Pressemitteilung der Grünen vom 19. Mai 2003.

(Lebhafter Beifall bei der CDU und der FDP/DVP – Abg. Pfister FDP/DVP: Sehr gut! – Abg. Blenke CDU: Das tut weh!)

Da muss doch die Frage erlaubt sein, wann die Opposition hier im Landtag ihre eigene Bundesregierung zur Ordnung rufen will, um weiteren immensen Schaden für die öffentlichen Haushalte abzuwenden.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP)

(Ministerpräsident Teufel)

Meine Damen und Herren von der SPD und den Grünen, die Ergebnisse der beiden Umfragen

(Abg. Kübler CDU: Die sind sehr gut!)

von verschiedenen Meinungsforschungsinstituten, die heute in der Zeitung stehen, zeigen, dass Sie auf dem Tiefstand sind, seitdem Meinungsumfragen durchgeführt werden. Sie haben das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger restlos verloren.

(Abg. Kübler CDU: Ja!)

Ich sage Ihnen: Sie gewinnen das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger nicht zurück, wenn Sie die Schuld bei anderen sehen, wie in der heutigen Debatte, sondern Sie gewinnen Vertrauen, wenn überhaupt, nur dann zurück, wenn Sie zuerst vor Ihrer eigenen Türe kehren.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP)

Das empfehle ich Ihnen.

Was tut die Bundesregierung gegen diese Entwicklung? Über 50 Kommissionen und Expertengremien agieren außerhalb der verfassungsmäßigen Gremien von Parlament und Regierung.

(Abg. Brigitte Lösch GRÜNE: Wie viele Gutachten gibt es bei uns?)

Und Sie, Herr Kretschmann, stellen sich hier hin und sagen, wichtige Entscheidungen und Beratungen würden nach außerhalb des Parlaments verlegt. Über 50 Kommissionen und Expertengremien bei der Bundesregierung, über 1 700 Analysen und Studien im Gesamtwert von 200 Millionen € von externen Beratern seit dem Amtsantritt von Rot-Grün! Wer macht denn eigentlich in Berlin noch Politik in den Ministerien,

(Abg. Brigitte Lösch GRÜNE: Das frage ich mich hier auch!)