Protocol of the Session on January 28, 2004

Nicht legitim sind die Schwerpunkte, die Sie bei Ihren Einsparungen im Sozialhaushalt gesetzt haben. Sie kürzen auf Kosten der Kommunen. Sie kürzen auf Kosten der niedrigschwelligen Dienste, der Gefährdetenhilfen, der Nachbarschaftshilfen und der Bahnhofsmissionen, die mit sehr viel ehrenamtlichem Engagement arbeiten. Wenn das auch nur kleine Beträge sind, ist das trotzdem keine intelligente Art des Sparens, weil sie nicht zukunftsgerichtet, sondern planlos und unglaubwürdig ist.

(Beifall bei den Grünen)

Ich möchte Ihnen das gerne erläutern. Man kann doch nur von Planlosigkeit reden, wenn man sich die Diskussion um die Kürzungen beim freiwilligen sozialen Jahr anschaut. Erst machen Sie eine Imagekampagne, um die Attraktivität des freiwilligen sozialen Jahrs zu steigern. Dann hat diese Imagekampagne auch noch Erfolg,

(Abg. Ursula Haußmann SPD: Oh Schreck!)

und 25 % mehr Jugendliche wollen dieses freiwillige soziale Jahr machen, und dann wollen Sie die notwendigen 660 000 € nicht in den Haushalt einstellen. Erst das Machtwort des Ministerpräsidenten Teufel hat dafür gesorgt, dass Sie noch einen Antrag mit 600 000 € nachgereicht haben.

(Abg. Drexler SPD: Ui! Mein lieber Scholli! – Zu- ruf des Abg. Dr. Noll FDP/DVP)

Da kann man lange nach einem durchdachten Konzept suchen. In einer Zeit, in der über die Abschaffung von Wehrdienst und Zivildienst diskutiert wird, kann man das Thema nicht einfach vergessen. Gerade wegen der Diskussion um die Abschaffung von Zivildienst und Wehrdienst

(Zuruf von der CDU)

brauchen wir mehr Leute, die ein freiwilliges soziales Jahr machen. Auch in dieser Diskussion hat sich Sozialminister

Repnik mit seiner vorzeitigen Positionierung für ein Pflichtjahr nicht gerade als wegweisend erwiesen.

(Abg. Zimmermann CDU: Klare Aussage! – Abg. Reichardt CDU: Bestens positioniert!)

Ein zweites Beispiel für Konzept- und Planlosigkeit möchte ich Ihnen auch gern nennen. Das ist das neue Kindergartengesetz. Es ist genau 28 Tage in Kraft.

(Abg. Drexler SPD: Sehr gut!)

Dazu möchte ich gerne Herrn Ministerpräsident Teufel mit einem Ausspruch von heute Morgen zitieren: „Meister, die Schuhe sind fertig. Sollen wir gleich mit dem Flicken beginnen?“

Dasselbe kann man auch beim Kindergartengesetz sagen.

(Beifall bei den Grünen – Zuruf von der SPD: So ist es!)

Es ist noch gar nicht lange her, dass wir dieses Thema diskutiert haben. Sie haben mich hier als „Schlechtrednerin“, als Lügnerin und als jemanden, der zu den Kommunen kein Vertrauen hat, bezeichnet, weil wir den Finger genau in die Wunden des neuen Gesetzes gelegt haben.

(Zurufe von der CDU, u. a. Abg. Zimmermann: So viel Aufmerksamkeit haben wir Ihnen nicht ge- schenkt!)

Es ist ein Gesetz, das mit einer Rahmenvereinbarung arbeitet, die keine Rechtsverbindlichkeit hat,

(Abg. Drexler SPD: So ist es!)

und das tatsächlich Nachteile für Einrichtungen mit besonderem pädagogischem Konzept oder mit gemeindeübergreifendem Einzugsgebiet hat. Das sind Waldkindergärten, Waldorfkindergärten und Betriebskindergärten.

(Abg. Dr. Witzel GRÜNE: So ist es!)

Sie haben jetzt schnell noch einen Entschließungsantrag nachgereicht, wonach bis zum April 2004 aufgelistet werden soll, wo es Schwierigkeiten gibt. Wir fordern die Landesregierung auf, das Gesetz nachzubessern, bevor wir das Ende der ersten freien Kindergärten mit besonderem pädagogischem Konzept beklagen müssen.

(Beifall bei den Grünen – Abg. Drexler SPD: Sehr gut!)

Ebenfalls nicht zukunftweisend sind die Kürzungen bei der Umsetzung der Empfehlungen der Enquetekommission „Jugend – Arbeit – Zukunft“. Sie kürzen die Mittel für Integrationsprojekte für junge Menschen ausländischer Herkunft oder aus Spätaussiedlerfamilien, also genau dort, wo wir eigentlich eine deutliche Verstärkung der Integrationsangebote brauchen würden. Integration kann nämlich nicht nur von Migranten gefordert werden, sondern es müssen auch die notwendigen Angebote gefördert werden. Deshalb sind diese Kürzungen entschieden abzulehnen.

(Beifall des Abg. Braun SPD)

Die sozialen Herausforderungen der Zukunft sind natürlich nicht allein über öffentliche Sozialleistungen zu bewältigen. Wir brauchen viel mehr Menschen, die sich engagieren und soziale Verantwortung übernehmen; wir brauchen eine Stärkung der Gemeinwesenarbeit, der Nachbarschaftshilfen und anderer Netzwerke.

(Abg. Rückert CDU: Das müssen die Grünen aber mal lernen!)

Das ist eine zentrale, zukunftweisende Reformaufgabe des Staates. Ihre Einsparvorschläge spiegeln das aber in keiner Weise wider. Sie sind nicht zukunftsgerichtet, weil Sie bei genau diesen Einrichtungen – wie Nachbarschaftshilfen oder der Bahnhofsmission – kürzen.

Wir alle wissen, dass der Pflegebedarf aufgrund des demographischen Wandels zunehmen wird und deshalb gerade die Nachbarschaftshilfen vor Ort eine ganz zentrale Bedeutung haben. Die Nachbarschaftshilfe geschieht im Vorfeld der Pflege. Sie ist ein organisierter Dienst, bestehend aus freiwilligen Mitarbeiterinnen und geringfügig Beschäftigten. Natürlich bekommen die Dienststellenleiterinnen und -leiter für ihre Tätigkeit Geld, aber wir wissen, dass hauptamtliche Kräfte notwendig sind, um die ehrenamtlichen zu begleiten und zu motivieren.

(Zuruf der Abg. Beate Fauser FDP/DVP)

Durch die von Ihnen als solche bezeichneten, vermeintlich „kleinen“ Kürzungen im Sozialhaushalt richtet man einen riesengroßen Schaden an. Auch wenn die Einsparbeträge jetzt um die Hälfte zurückgenommen worden sind, stehen die Einsparungen in keinem Verhältnis zu dem Schaden, den sie anrichten.

(Beifall bei Abgeordneten der Grünen – Abg. Dr. Noll FDP/DVP: Aber das ist doch besser als nichts! – Gegenruf des Abg. Drexler SPD – Abg. Wieser CDU: Die Dederer versteht doch gar nichts davon! Die klatscht doch nur!)

Die Kollegin Haußmann hat vorhin schon darauf hingewiesen, dass Sie die Zuschüsse für Vereinigungen, die auf dem Gebiet der Gefährdetenhilfe tätig sind, komplett streichen: von 409 000 € auf null. Beispielsweise die Bahnhofsmission ist mit 100 000 € betroffen. Auch wenn die Finanzierung nur um 6 % gekürzt wird,

(Abg. Wieser CDU: Das sind bei euch die ganzen Stimmen!)

bedeutet das letztendlich Schließungen und eine Reduzierung der Öffnungszeiten. Es bedeutet auch, dass bei den 31 Hauptamtlichen, die mit über 100 Ehrenamtlichen arbeiten und im letzten Jahr 260 000 Hilfesuchende betreut haben, Strukturen reduziert und zerstört werden.

(Beifall bei den Grünen und des Abg. Drexler SPD – Abg. Heike Dederer GRÜNE: Sauerei!)

Gerade in Zeiten, in denen das bürgerschaftliche Engagement einen immer höheren Stellenwert erhält, halten wir eine Streichung dieser Förderung für das absolut falsche Signal. Bürgerschaftliches Engagement – das wurde vorhin

schon gesagt – wird von Ihnen gern in Sonntagsreden oder in Plenarreden zitiert.

(Zuruf des Abg. Zimmermann CDU)

Dafür habe ich ein schönes Beispiel. Der Herr Sozialminister hat am Montag bei einem Neujahrsempfang der CDU in Schönaich erst das Ehrenamt als eine „Stütze der Gesellschaft“ gelobt und dann selbstkritisch darauf hingewiesen, dass es ja die Politik sei, die dafür die Rahmenbedingungen schaffen müsse. Zum Schluss hat er den Verantwortlichen einen guten Rat mit auf den Weg gegeben, nämlich den Ehrenamtlichen ein „Dankeschön“ zu sagen – das kostet nämlich nichts und hat auch eine ganz erstaunliche Wirkung. Danke schön, Herr Repnik, für diesen guten Rat! Aber von einem Dankeschön allein kann das Ehrenamt nicht leben, und so motiviert man bestimmt auch keine Ehrenamtlichen.

(Beifall bei den Grünen und der SPD – Abg. Wie- ser CDU: Der Schluss war in Ordnung!)

Den größten Einschnitt muss jedoch der Bereich der Suchthilfe verkraften.

(Abg. Drexler SPD: Genau! Das ist bei der CDU unverständlich! – Heiterkeit bei der SPD)

Hier werden die Mittel um eine halbe Million Euro gekürzt. Das ist wirklich eine unverantwortliche Kürzung. Das entspricht dem Wegfall von Geldern für ca. 30 bis 40 Fachkräfte. Bei 400 Fachkräftestellen, die wir landesweit haben, sind das fast 10 % weniger Stellen, und dies in einer Situation, wo der Bedarf an Prävention und an Suchtberatung zunimmt, und zwar nicht bloß im illegalen Bereich, sondern vor allem im legalen Bereich. Ich darf Sie nur an die Diskussion über die Zunahme des Konsums von so genannten Alcopops bei Kindern und bei Jugendlichen erinnern. Natürlich ist der illegale Bereich spektakulärer, und es ist für die Medien interessanter, darüber zu berichten, wenn sich einer einen Schuss setzt, als wenn einer betrunken am Steuer sitzt. Trotzdem ist es nicht so, dass wir mehr Fachkräfte im illegalen Bereich als im legalen Bereich hätten. Auch hier haben wir wieder ein Beispiel der Konzeptionslosigkeit der Landesregierung. Ich darf Sie daran erinnern, dass wir im letzten Doppelhaushalt zehn neue Stellen genehmigt und dann sozusagen als Geschenk an verschiedene CDU-Wahlkreisabgeordnete vergeben haben.

(Widerspruch bei der CDU)

Heute stellt man ganz erstaunt fest, dass es ja ein Ungleichgewicht in der Versorgungsstruktur gibt. Die Planung für die Versorgung von Suchtkranken in Baden-Württemberg liegt schon immer in der Verantwortung des Sozialministeriums. Deshalb fordern wir das Sozialministerium auf, endlich ein abgestimmtes Konzept zur Versorgung Suchtkranker in Baden-Württemberg zu erstellen und von den Kürzungen Abstand zu nehmen.

(Beifall bei den Grünen und der SPD)

Die Kürzungen führen zu einer Mehrbelastung von Kommunen und Trägern, die von diesen nicht mehr verkraftet werden kann. Obwohl die Personalkosten deutlich gestie

gen sind, hat das Land seinen Förderbetrag pro Fachkraft in den letzten zehn Jahren nicht erhöht.