Ich würde die Frage von Herrn Kollegen Wieser gern entpersonalisieren. Der Konvent hat in seiner Gesamtheit natürlich schon ein ganz herausragendes Dokument vorgelegt. Wir sind jetzt mit der klassischen Methode der Regierungskonferenz aufgelaufen. Der Konvent hatte mehr Sachverstand, mehr Kraft, mehr Mut zur Zukunft als die Regierungsvertreter. Der Konvent ist nicht gescheitert. Er hat ein einmütig verabschiedetes Dokument vorgelegt, auch dank der Mitwirkung unseres Ministerpräsidenten, das nun an nationalen Egoismen in der Regierungskonferenz zerrieben worden ist. Das ist für Europa höchst bedauerlich. Leider muss man feststellen – dem werden Sie nicht widersprechen können, weil dies auch in der Berichterstattung auf europäischer Ebene einheitlich so gesehen wird –, dass auch die deutsche Bundesregierung einen Gutteil Anteil an diesem Scheitern hat.
Herr Minister, wie hätte denn die deutsche Bundesregierung der Forderung Polens nach einer besseren Berücksichtigung bei der Stimmengewichtung entsprechen sollen, ohne den Kern des Verfassungsentwurfs aufzugeben, nämlich das Prinzip der doppelten Mehrheit, das Sie gerade verteidigt haben?
Herr Kollege Fleischer sagt: „weniger arrogant“. Die Arroganz, mit der die Bundesrepublik Deutschland in der Regierungskonferenz gegenüber kleinen Mitgliedsstaaten und Beitrittsländern auftrat, war mit Händen zu greifen.
Ein zweiter Punkt ist zu benennen, Herr Kollege Palmer, der mindestens ebenso wichtig ist. Das wäre der Verzicht gewesen, den Stabilitätspakt von Maastricht in dieser einseitigen Weise zu brechen. Das war keine parteipolitische Frage. Denn unabhängig von der Zugehörigkeit zu sozialistisch, liberal oder christdemokratisch geprägten Regierungen: In der Regierungskonferenz war in dem Augenblick das Scheitern angelegt, als Länder sagen konnten: „Es ist doch ohnehin egal, was wir abschließen. Die Großen, die Franzosen und die Deutschen, biegen sich europäisches Recht ohnehin so, wie sie es brauchen.“ Dieser Bruch des Stabilitätspakts von Maastricht ist der eigentliche Sündenfall, der das Konklave der Außenminister in Neapel Ende November überlagert hat
und damit das Scheitern in der Regierungskonferenz in Brüssel ausgelöst hat. Deshalb muss sich die Bundesregie
rung den Vorwurf gefallen lassen, dass sie durch ihr Handeln daran mitgewirkt hat, dass die Regierungskonferenz auf so dramatische Art fehlgeschlagen ist.
Herr Minister, die Auswirkungen dieses Scheiterns für die kommende Europawahl können, glaube ich, nicht dramatisch genug eingeschätzt werden. Was wird denn die Landesregierung von BadenWürttemberg angesichts des Scheiterns tun, um der Europamüdigkeit, der Abneigung der Bürger gegen Europa ein Stück entgegenzutreten?
Das, was in Brüssel geschehen ist, ist jedenfalls kein Rückenwind für das Erweiterungsjahr und das Europawahljahr 2004; das wird man nicht behaupten können. Wir werden uns, Frau Kollegin Gräßle, trotzdem nicht entmutigen lassen in dem Bemühen um eine hohe Wahlbeteiligung. Wir werden, wie auch bei den vorangehenden Wahlen, versuchen, mit dem Kuratorium der europäischen Bewegung, in dem alle relevanten gesellschaftlichen Kräfte Baden-Württembergs vertreten sind, für gemeinsame Aktionen zu werben, um auf die Wahlbeteiligung positiv einzuwirken. Das reicht von den Gewerkschaften bis zu den Unternehmerverbänden, von den Kirchen bis zu den Jugendorganisationen. Es wird eine Vielzahl von gemeinsamen Initiativen und Aktivitäten besprochen. Wir werden dies dann endgültig am 26. Januar 2004 auf den Weg bringen.
Antrag der Fraktion der SPD und Stellungnahme des Wirtschaftsministeriums – Strukturpolitische Begleitung des Rückbaus des Kernkraftwerks Obrigheim – Drucksache 13/1647
Zusätzlich rufe ich hierzu den Änderungsantrag der Fraktion der CDU und der Fraktion der FDP/DVP – Ein Ausstieg ohne Einstieg – Wo bleibt das Konversionsprogramm des Bundes? –, Drucksache 13/2756, auf.
Das Präsidium hat folgende Redezeiten festgelegt: fünf Minuten für die Begründung des Antrags Drucksache 13/1647 und fünf Minuten für die Aussprache, wobei gestaffelte Redezeiten gelten.
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Auch wenn die Vorlage annähernd ein Jahr alt ist, kann sie nicht aktueller sein, als sie jetzt wirklich ist. In der Vorlage zeigt sich – Minister Palmer ist hinausgegangen –
Alles, was die Landesregierung in ihrer Stellungnahme zu unserem Antrag schreibt, ist klar gegliedert: Die EU macht nichts. Der Bund macht nichts. Die Region ist gefordert, Konzepte aufzuzeigen. Erst dann kann die Landesregierung reagieren. Das ist zunächst einmal „Thema verfehlt“, und es ist auch ein völlig falscher Ansatz. Wir wollten mit diesem Antrag eigentlich in Erfahrung bringen, was die Landesregierung tun kann, tun soll und tut, um den Rückbau des Kernkraftwerks Obrigheim strukturpolitisch zu begleiten.
(Abg. Fleischer CDU: Sie brauchen sich nicht zu entschuldigen! – Abg. Hofer FDP/DVP: Kollege Fleischer ist der gleichen Meinung!)
Sie argumentieren mit Programmen zur Förderung von Sozialwohnungen. Meine Damen und Herren, wir wollen keine Sozialwohnungen in der Nähe des Standorts Obrigheim haben, sondern wir wollen an diesem Standort qualifizierte Arbeitsplätze für die dort vorhandenen qualifizierten Mitarbeiter haben. Ich sage Ihnen: Ich gehe davon aus, dass keiner der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Kernkraftwerks Obrigheim eine Sozialwohnung braucht.
Dazu kann man nur sagen: Thema verfehlt. Das ist eigentlich eine Selbstverständlichkeit. Wenn Sie im Land moderne Krankenhäuser wollen, dann ist es eine Selbstverständlichkeit, dass auch das Krankenhaus in Mosbach modernisiert wird. Das hat aber nichts mit der Konversion von Obrigheim zu tun.
Sie argumentieren, meine Damen und Herren – da kann man noch einen gewissen Spaß, einen gewissen Witz finden –, mit Tourismusinfrastrukturprogrammen. Wenn Sie meinen, aus Obrigheim ein Freilichtmuseum machen zu sollen und dort aufzeigen zu sollen, welche Erfolge die rot-grüne Bundesregierung mit dem Ausstieg aus dem Atomprogramm gezeitigt hat, dann kann man durchaus in die Richtung Tourismus gehen. Denn ich könnte mir vorstellen, ein solches Freilichtmuseum würde aus der ganzen Bundesrepublik angefahren und über Jahre hinweg unsere Erfolge in Berlin aufzeigen.
Der große Vorteil für Obrigheim ist allerdings, dass der Rückbau nicht so schnell geht, dass er eine gewisse Zeit dauert, sodass noch bis über das Jahr 2030 hinaus im Mittel etwa 200 Arbeitskräfte am Standort Obrigheim bleiben werden. Das heißt, Obrigheim hat das Glück, dass es langsamer geht.
Wenn Obrigheim auf die Landesregierung angewiesen wäre, dann wäre Obrigheim verlassen, Kollege Wieser.
Sie müssen einfach einmal akzeptieren, dass der Atomkonsens von den Energieversorgungsunternehmen und der Bundesregierung unterschrieben wurde. Es ist also kein Druck ausgeübt worden, wie Sie es immer darstellen,