Protocol of the Session on December 10, 2003

Ich glaube, es ist müßig, diesen ganzen Katalog aufzuzählen. Er ist allgemein bekannt. Interessant ist, dass er in den letzten Monaten auch von Vertretern der Bundesregierung akzeptiert wird.

Wenn wir die wirtschaftspolitische Diskussion in Medien und Fachkreisen zum Maßstab nehmen, dann müssen wir feststellen: Fast alle Fachleute sind sich darüber einig, was zu geschehen hätte. Wir haben in Deutschland also kein Erkenntnisproblem, glaube ich, sondern ein Durchsetzungsproblem, ein Umsetzungsproblem.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP)

Es hat viel zu lange gedauert, bis die Bundesregierung endlich Reformvorschläge zur Verbesserung der Bedingungen auf dem Arbeitsmarkt und zur Gesundung der sozialen Sicherungssysteme vorgelegt hat. Vorausgegangen ist leider eine Zeit von über vier Jahren, die geprägt war von Untätigkeit oder sogar genau vom Gegenteil, zum Beispiel davon, dass man die Verkrustungen auf dem Arbeitsmarkt noch weiter verstärkt hat.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU und der FDP/ DVP)

Das Umdenken der Bundesregierung – ich möchte das anerkennend sagen – hat schließlich doch eingesetzt, und zwar aus drei Gründen: Einmal war es der schiere Zwang der Verhältnisse, zum anderen der wachsende Unwillen der Bevölkerung über die Untätigkeit und vor allem natürlich auch der Druck der Opposition im Bundestag und der Mehrheit im Bundesrat.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU und der FDP/ DVP – Abg. Capezzuto SPD: Das ist eure Über- schätzung!)

Deutschland braucht dringend eine grundlegende Umorientierung in zentralen Bereichen der Politik. Der Komplex

„Arbeitsmarkt und soziale Sicherungssysteme“ kann nicht losgelöst von Steuern und Finanzen betrachtet werden.

Meine Damen und Herren, manchmal wird behauptet, Fragen des Arbeitsmarkts und Fragen der Steuererhebung und des Vorziehens der Steuerreform, wie sie derzeit im Vermittlungsausschuss miteinander verknüpft werden, hätten nichts miteinander zu tun. Ich bin da ganz anderer Meinung. Ich bin der Überzeugung, dass diese zwei Themen sehr wohl miteinander zu tun haben. Denn eine Steuersenkung kann höchstens die Nachfrageseite stimulieren. Für ein langfristiges Wachstum ist es aber notwendig, die Verkrustungen auf dem Arbeitsmarkt zu beseitigen und die Angebotsbedingungen zu verbessern. Deswegen ist eine Steuersenkung innerlich und vom Sachzusammenhang her unbedingt zusammen mit Veränderungen auf dem Arbeitsmarkt zu sehen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU und der Abg. Beate Fauser FDP/DVP)

Wir sind für Steuersenkungen, meine Damen und Herren, aber sie dürfen nicht unabhängig von der kritischen Lage der öffentlichen Haushalte durchgeführt werden. Steuersenkungen müssen in eine Gesamtstrategie eingebettet sein. Nur so kann Finanzpolitik auf die Dauer verlässlich sein. Nur so können sich die Menschen darauf verlassen, dass nicht schon zeitgleich mit Steuersenkungen wieder über weitere Steuererhöhungen nachgedacht wird. Hohe und zunehmende Haushaltsdefizite dürfen darüber hinaus nicht zur Regel werden, denn die Schulden von heute sind die Steuern von morgen.

(Abg. Kretschmann GRÜNE: Wem sagen Sie das? – Zuruf der Abg. Brigitte Lösch GRÜNE)

Mit der Verletzung des Europäischen Stabilitäts- und Wachstumspakts hat die Bundesregierung aktiv dazu beigetragen, die Verschuldung zu verharmlosen. Ich glaube deswegen: Es war ein schlimmer Pyrrhussieg, dass das Aussetzen des Defizitverfahrens gegen Deutschland und Frankreich erreicht wurde.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP – Abg. Drexler SPD: Das ist ja schlimm!)

Der Europäische Stabilitäts- und Wachstumspakt lässt genügend Raum und Flexibilität für konjunkturstabilisierende Maßnahmen. Er ist, gerade im Interesse eines stabilen Wachstums, auf das Ziel mittelfristig ausgeglichener Haushalte ausgerichtet. Deswegen, meine Damen und Herren, muss nicht etwa der Pakt revidiert werden, sondern muss die Politik der Bundesregierung revidiert werden

(Abg. Theurer FDP/DVP: Unbedingt!)

in Richtung auf mehr Nachhaltigkeit und in Richtung auf eine stärkere Verantwortung gegenüber der Zukunft.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP – Abg. Theurer FDP/DVP: Sehr richtig!)

Eine der größten Herausforderungen, deren Folgen wir bereits heute spüren, die aber in Zukunft noch viel stärker auf uns zukommen werden, ist der demographische Wandel mit seinen Auswirkungen auf die Finanzpolitik. Was wir zurzeit

(Minister Stratthaus)

erleben, meine Damen und Herren, ist erst ein kleiner Vorgeschmack auf die Probleme, die sich in Zukunft stellen werden.

Die demographische Entwicklung ist das Ergebnis anhaltender Geburtenarmut und steigender Lebenserwartung. Das führt zu einer drastischen Alterung unserer Bevölkerung. Zum ersten Mal haben im Jahr 2000 in Baden-Württemberg mehr Menschen über 60 Jahre gelebt als Menschen unter 20 Jahren. Heute kommen auf 100 Personen im erwerbsfähigen Alter 40 Personen in einem Alter, in dem sie nicht mehr erwerbsfähig sind. Im Jahr 2050 wird sich dieses Verhältnis ganz gewaltig verschlechtert haben: Auf 100 Arbeitnehmer werden dann 72 Personen kommen, die nicht mehr im erwerbsfähigen Alter sind. Was dies für die sozialen Sicherungssysteme bedeutet, kann sich jeder ausrechnen.

Wir brauchen eine Neugestaltung und Stabilisierung der sozialen Sicherungssysteme und vor allem auch eine nachhaltige Finanzpolitik. Wir müssen die Defizite in der Finanzpolitik und in den Haushalten unbedingt zurückführen, denn die Belastung der Zukunft durch unsere sozialen Sicherungssysteme können wir kurz- und mittelfristig kaum oder nur in einem geringen Maße beeinflussen.

Wir benötigen die Sicherung staatlicher Einnahmen durch ausreichendes Wachstum. Wir müssen ferner die Ausgaben beschränken, indem wir die Staatstätigkeit begrenzen, wo immer dies möglich ist.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU und der FDP/ DVP)

Meine Damen und Herren, es sind zwei besondere Ausgabenblöcke, die in unserem Haushalt wie in allen anderen Landeshaushalten besonders große Haushaltsrisiken darstellen, nämlich zum einen die Versorgungsausgaben und zum anderen die Zinsen. Das sind zwei große Blöcke, die wir auch nur langfristig beeinflussen können.

Die Versorgungsausgaben und die Zinsen haben inzwischen eine Dynamik entwickelt, die wir alle bereits in diesem Haushalt und noch mehr in der mittelfristigen Finanzplanung spüren werden. Im Jahre 2004 haben wir für Pensionen und für Beihilfen an Pensionäre rund 2,9 Milliarden € veranschlagt. Das sind 9,4 % der bereinigten Gesamtausgaben. Man muss also bedenken: Bereits 9,4 % der Ausgaben unterliegen kaum noch unserem Einfluss. Dazu kommen noch die Zinsen, für die wir knapp 2 Milliarden € ausgeben, was 6,5 % des Gesamtetats entspricht. Die Pensionsausgaben und die Zinsen machen also insgesamt ungefähr 16 % des Haushalts aus.

Die Pensionsausgaben werden weiter wachsen – und die Zinsen wahrscheinlich auch. 1990 hatten wir noch knapp 59 000 Versorgungsempfänger. Anfang 2003 waren es 76 000, 2004 werden es 80 000 sein. Das wird so weitergehen, und zwar mit zunehmender Geschwindigkeit. Allein die Pensionszahlungen werden sich bis ca. 2015 – das ist bereits in zwölf Jahren – verdoppeln. Bis zum Jahr 2030 werden sie ungefähr dreimal so hoch sein wie heute.

Die Hauptursachen liegen darin, dass man insbesondere in den Sechziger- und Siebzigerjahren vor allem für Bildung und für innere Sicherheit die Personalhaushalte ganz be

trächtlich gesteigert hat. In der Universität Freiburg wird zurzeit eine Untersuchung hierzu durchgeführt. BadenWürttemberg hat seinen Personalhaushalt in diesem Bereich etwas weniger gesteigert als andere Länder, aber selbstverständlich haben alle Länder in der ersten Hälfte der Siebzigerjahre eine ganz gewaltige Steigerung der Zahl der Bediensteten in der Verwaltung und insbesondere bei den Lehrern vorgenommen.

Die Zinsausgaben werden durch die Höhe der Kredite und durch den Zinssatz bestimmt. Da, meine Damen und Herren, lauert auch eine Gefahr für uns, denn wir wissen alle, dass die Zinssätze zurzeit auf einem historischen Tief sind. Wenn wir die ganze Nachkriegszeit betrachten, lagen sie für zehnjährige Darlehen im Durchschnitt bei 7,5 %; zurzeit zahlen wir durchschnittlich 5,2 %. Man muss bedenken, dass uns allein der Anstieg des Zinsniveaus um einen Prozentpunkt bereits 360 Millionen € kosten würde. Wir müssen davon ausgehen, dass, wenn die Konjunktur anspringen sollte – wir haben auf dem Kapitalmarkt bereits die Vorboten –, die Zinsen in den nächsten Jahren wohl eher wieder steigen werden.

Wir haben noch einmal Glück gehabt. Wir haben in diesem Jahr – ich darf dies lobend sagen, weil meine Mitarbeiter dies getan haben – außergewöhnlich vorausschauend gehandelt. Wir haben nämlich zu Beginn des Jahres Kredite zu 3,6 % Zinsen aufgenommen, obwohl wir die Kredite zu diesem Zeitpunkt gar nicht gebraucht hätten. Wir haben diese Mittel eine Zeit lang als Festgeld angelegt, um uns diesen Zinssatz von 3,6 % für zehn Jahre zu sichern. In der Zwischenzeit müssen wir für neue Kredite bereits 4,5 % Zinsen zahlen. Sie können sich vorstellen, wie das weitergehen könnte.

Für die Pensionsausgaben gilt noch Folgendes: Wir wollen uns bemühen, die Personalausgabenquote in den nächsten Jahren konstant zu halten, das heißt die gesamten Personalausgaben, die für die aktiv Beschäftigten wie für die Pensionäre. Deswegen glauben wir, dass wir bei den Kosten für die aktiv Beschäftigten eine entsprechende Senkung dadurch vornehmen müssen, dass wir Personal abbauen, um möglichst alles, was zwangsläufig bei den höheren Pensionen und bei den Beihilfen für die Pensionäre auf uns zukommt, auffangen zu können. Wir müssen auch in Zukunft Stellenabbau betreiben; davon bin ich fest überzeugt. Ich bin auch davon überzeugt – das kann allerdings nicht allein das Land Baden-Württemberg bestimmen –: Wir müssen in Zukunft auch wieder die Lebensarbeitszeit erhöhen.

Auch wird niemand – ich möchte das auch einmal ansprechen – auf die Dauer und für alle Zeiten das heutige Pensionsniveau garantieren können. Das ist auch keine Angelegenheit, die das Land Baden-Württemberg allein entscheidet. Auch der öffentliche Dienst und die Beamten werden sich nach meiner Meinung von den Gesamtentwicklungen in der Rentenversicherung nicht abkoppeln können.

Meine Damen und Herren, in diesem Zusammenhang darf ich mit einer gewissen Genugtuung einiges zu dem Thema „Altersteilzeit für Beamte“ sagen. Es ist interessant, wie schnell sich die Ansichten ändern.

(Beifall der Abg. Beate Fauser FDP/DVP)

(Minister Stratthaus)

Zurzeit überbietet man sich in Berlin. Jeder will eine noch höhere Zahl nennen, wie lange in der Woche gearbeitet werden muss und wie lange im Leben gearbeitet werden muss.

(Zuruf des Abg. Teßmer SPD)

Noch am 13. Dezember 2000, also vor drei Jahren, hat ein Abgeordneter der Opposition hier im Landtag gesagt:

Springen Sie doch über diesen Schatten und führen Sie die Altersteilzeit insgesamt ein, wie es Länder, die auch von der CDU regiert werden, vormachen. Dann sind wir auf dem richtigen Weg.

(Abg. Drexler SPD: Ja!)

Wir sind diesem Vorschlag Gott sei Dank nicht gefolgt, und wir sind dennoch auf dem richtigen Weg. Denn, meine Damen und Herren, in der Zwischenzeit sind fast alle Länder und auch der Bund dabei, die Altersteilzeit wieder abzuschaffen oder ganz beträchtlich zu reduzieren. Zum Beispiel sind Bayern, aber auch Nordrhein-Westfalen, Schleswig-Holstein, Niedersachsen und Hessen dabei, die Altersteilzeit zurückzuschrauben oder nach Möglichkeit wieder ganz abzuschaffen.

Nun noch einige Anmerkungen zu den Zinsen. Wir haben keinen Einfluss auf die Entwicklung der Zinssätze. Es kommt deshalb darauf an, dass wir uns geschickt am Markt verhalten. Der Schlüssel, was die Gesamtsumme der Zinsen betrifft, liegt also einzig und allein bei der Vermeidung neuer Schulden.

Wir werden in diesem Jahr – so sieht es der Haushaltsentwurf vor; es kann möglicherweise noch mehr werden – 1,8 Milliarden € neue Schulden aufnehmen. Allerdings zahlen wir im Jahr 2004 auch rund 2 Milliarden € an Zinsen. Die Behauptung, durch die Aufnahme von Krediten würde man Spielräume für Investitionen gewinnen, stimmt seit einigen Jahren nicht mehr.

(Abg. Pfister FDP/DVP: Wir zahlen Zinsen!)

Bei anderen Ländern und beim Bund stimmt sie noch viel weniger. In Wirklichkeit zahlen wir Zinsen für die Schulden aus der vergangenen Zeit.

(Zuruf des Abg. Teßmer SPD)

Übrigens gilt das nicht nur für das Jahr 2004. Eine ganz interessante Zahl ist noch folgende: Seit das Land BadenWürttemberg besteht, haben wir bis Ende 2002 33,6 Milliarden € an Zinsen gezahlt. Wir hatten Ende 2002 einen Schuldenstand von 33,3 Milliarden €.

(Abg. Pfister FDP/DVP: Fast!)