Protocol of the Session on November 27, 2003

Meine Damen und Herren! Ich eröffne die 55. Sitzung des 13. Landtags von Baden-Württemberg und begrüße Sie.

Krank gemeldet sind für heute Frau Abg. Rudolf und Herr Abg. Zeller.

Dienstlich verhindert sind die Herren Minister Dr. Palmer, Stratthaus, Stächele, Köberle und – vormittags – Dr. Frankenberg sowie Herr Staatssekretär Rau.

(Abg. Hauk CDU: Ist noch jemand da?)

Wir treten in die Tagesordnung ein.

Ich rufe Punkt 1 der Tagesordnung auf:

Aktuelle Debatte – Lehrstellenabgabe – ein falsches Instrument für mehr Ausbildungsplätze in Baden-Württemberg – beantragt von der Fraktion der FDP/DVP

Es gelten die üblichen Redezeiten: jeweils fünf Minuten für die einleitenden Erklärungen und jeweils fünf Minuten für die Redner in der zweiten Runde.

Das Wort erteile ich Herrn Abg. Hofer.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben uns in den zurückliegenden Plenarsitzungen mehrfach mit der Ausbildungssituation befasst und dabei festgestellt, dass der befürchtete Ausbildungsnotstand in Baden-Württemberg erfreulicherweise aufgrund vereinter Anstrengungen der Ausbildungsbetriebe, der Verbände, der Kammern, der Arbeitsverwaltung, des Wirtschaftsministeriums und vieler anderer ausgeblieben ist, dass es sogar einige unbesetzte Ausbildungsplätze mehr als zu vermittelnde Bewerber gibt.

Bei allem Vorbehalt gegen solche Durchschnittsstatistiken kann man feststellen, dass damit Baden-Württemberg unter den Bundesländern wahrscheinlich ziemlich an der Spitze liegt. Wäre es überall so, würde sich kein Mensch über eine Ausbildungsplatzabgabe unterhalten. Das tut man aber in Berlin. Man hat das Thema aufgegriffen. Sie wissen, dass die Parteispitze der SPD auf dem Parteitag in Bochum diese Lieblingsidee der Gewerkschaften – die, wie man hört, übrigens selber sehr unzureichend ausbilden und wahrscheinlich die Ersten wären, die eine Ausbildungsplatzabgabe zahlen müssten –

(Abg. Schmiedel SPD: Das ist wie bei der Kirche!)

aufgegriffen hat und dass sich nun auch die SPD-Bundestagsfraktion für eine solche Strafabgabe ausgesprochen hat, um damit zusätzliche Ausbildungsplätze zu finanzieren.

(Abg. Schmiedel SPD: Wie viel bildet die FDP aus?)

Es gibt natürlich auch Beobachter – dazu gehören sicherlich auch einige bei der SPD selber –, die sagen: „Alles halb so schlimm; das wird wie so vieles andere nicht umgesetzt. Das ist etwas, was mehr für den Parteitag gedacht war.“

Ich selbst möchte an dieser Stelle doch lieber mit etwas Sorge hinschauen und keine Entwarnung geben. Denn die Ausbildungsplatzabgabe soll ja auch ein Teil jener groß angelegten Gerechtigkeitsdebatte sein, die die Sozialdemokraten in den kommenden Monaten führen wollen. Das ist in Deutschland immer gefährlich; denn wir wissen, dass bei solchen Debatten meist sehr viel Blut aus dem Kopf abgezogen und dem Bauch zugeführt wird. Offenbar möchte man das Knurren an der Basis der Genossen und wohl auch der Grünen gegen die Agenda 2010 etwas dämpfen.

Die Ausbildungsplatzabgabe bedarf keiner Zustimmung des Bundesrats, und deshalb wollen wir mit dieser Aktuellen Debatte weniger die Landesregierung und unseren Wirtschaftsminister motivieren, diese weiter abzulehnen, sondern wollen wir schon ganz gern von den Landtagsfraktionen der SPD und der Grünen wissen, wie sie dazu stehen und – umso mehr – ob sie sich in Berlin in den eigenen Reihen dafür einsetzen wollen, dass ein solcher Unsinn unterbleibt.

(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der CDU)

Ich darf fünf Punkte aufzählen:

Erstens: Die Unternehmer werden durch eine Ausbildungsplatzabgabe nicht zur Bereitstellung von mehr Ausbildungsplätzen bewegt werden. Das haben sie bereits angekündigt. Übrigens glauben das 70 % der Bevölkerung mit Recht auch nicht. Im Gegenteil: Es ist zu befürchten, dass sich dann möglicherweise auch diejenigen, die das bewährte duale System gegenwärtig noch hochhalten, freikaufen. Manche werden einfach einmal zuwarten. Da gebe ich dem Bundeswirtschaftsminister Clement Recht, der das genau so sieht und – ich darf aus der FAZ vom 20. November zitieren – gesagt hat: Das Ganze sei „gut gemeint,“ – auch das bezweifle ich – „werde aber schrecklich scheitern.“ Recht hat er.

Zweitens: Die gesetzliche Ausbildungsplatzabgabe führt zu mehr Ungerechtigkeiten, als sie jemals überhaupt verhindern kann. Fakt ist, dass sich zwar viele Unternehmen aus der sozialen Verpflichtung, auszubilden, verabschiedet haben – und das ist zu brandmarken –, dass es aber auch viele gibt, die keine passenden Bewerber finden. Es gibt auch viele Unternehmen, die gar nicht ausbilden können. Denn es ist ein Unterschied, ob es sich um eine Bäckerei oder einen Maschinenbaubetrieb handelt.

Meiner Meinung nach bedeutet jede zusätzliche Belastung für die meisten der 40 000 Betriebe, die pro Jahr vor der Insolvenz stehen, vollends den Garaus. Ganz kurz gefasst: Wer keine Aufträge hat, tut sich schwer, auszubilden. Das ist ja wohl einleuchtend.

Drittens: Mit der Ausbildungsplatzabgabe wird eine ungeheuer große Bürokratie geschaffen. Denn es muss eine riesige Zahl von Ausnahmen gemacht werden. Da meine Redezeit noch bis zum fünften Punkt reichen muss, führe ich die im Einzelnen gar nicht auf: Ausnahmeregelungen für Kleinbetriebe, für Existenzgründer und, und, und – Tausende von Härtefällen. Es wird einen gigantischen Kontrollund Verwaltungsaufwand geben. Auslösungskriterien sollen Jahr für Jahr festgelegt werden, und für jeden einzelnen Betrieb in der Bundesrepublik soll exakt berechnet werden, wie hoch die Ausbildungslast ist. Ich kann nur sagen: Da steht ein gigantisches Bürokratiemonster an.

Viertens: Die Ausbildungsplatzabgabe ist meines Erachtens der Anfang vom Ende des dualen Systems. Denn sie wird zu einem staatlichen System der Ausbildung führen, wenn man nicht gar schon von Planwirtschaft reden will. Ausbildung im dualen System bedeutet nicht nur, dass man eine bestimmte Zahl von Ausbildungsplätzen bereitstellt, sondern dass das auch in qualitativer Hinsicht nur mit Eigenverantwortung, mit Freiwilligkeit, mit Engagement der Unternehmer selbst geht. Dies wird durch eine solche staatliche Reglementierung völlig aufgegeben. Ohne die Freiwilligkeit, ohne das Engagement der Unternehmer gibt es keine qualitativ gute Ausbildung.

(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der CDU)

Der letzte Punkt ist, dass sich die Ausbildungsplatzabgabe meines Erachtens verheerend auf das zarte Pflänzchen Konjunkturbelebung auswirken wird. Dieses zarte Pflänzchen hofft auf weniger Steuern, auf weniger Abgaben, auf weniger Bürokratie. Die realen Fakten sind noch gar nicht so gut, aber die Hoffnung, dass in Deutschland etwas passieren könnte, ist Gott sei Dank da.

(Abg. Schmiedel SPD: Nicht nur die Hoffnung!)

Wenn man etwa den Eindruck bekommen sollte, dass nur geschwätzt wird und auf der anderen Seite mit einer Ausbildungsplatzabgabe, einer Vermögensabgabe, einer höheren Erbschaftsteuer zusätzliche Belastungen kommen, dann ist Schluss mit der Konjunkturbelebung. Das kann ich an dieser Stelle nur sagen.

(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der CDU)

Wer für mehr Wachstum sorgt, der sorgt für mehr Lehrstellen. So einfach ist das. Die gesamte Ausbildungsplatzabgabe ist dagegen wirtschaftspolitischer Masochismus. Denn darüber sind sich alle Experten einig, vom Bundeswirtschaftsminister bis hin zum Sachverständigenbeirat der Bundesregierung.

Lassen Sie mich am Ende noch ein Zitat bringen. Der „Spiegel“ hat es drastisch ausgedrückt, als er zur sozialdemokratischen Wirtschaftspolitik formulierte:

Wenn die Genossen nicht mehr weiterwissen, erfinden sie neue Steuern und zusätzliche Behörden – teuer, ineffizient, aber wunderbar bürokratisch.

(Beifall bei der FDP/DVP und der CDU)

Ich möchte Sie von Rot-Grün bitten, dafür zu sorgen, dass sich diese „Spiegel“-Formulierungen als Vorurteil entpuppen, indem Sie in Ihren Reihen in Berlin Einfluss darauf nehmen, sofern Sie einen haben, dass dieser Unsinn unterbleibt.

Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der FDP/DVP und der CDU – Abg. Schmiedel SPD: Na, na! – Abg. Boris Palmer GRÜNE: Was hat das alles mit dem Landtag zu tun? – Unruhe)

Das Wort erteile ich Herrn Abg. Dr. Birk.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Kollege Hofer hat zu Recht schon einiges angesprochen, was ganz klar gegen die Ausbildungsplatzabgabe spricht. Zunächst muss man in der jetzigen Situation darauf verweisen, dass wir es in Baden-Württemberg trotz erheblicher wirtschaftlicher Schwierigkeiten immerhin geschafft haben, in diesem Jahr über 74 000 Ausbildungsplätze zur Verfügung zu stellen. Damit bekommt zwar nicht jeder Jugendliche seinen Ausbildungsplatz, aber es gab im Wege der freiwilligen Vereinbarung zwischen Industrie- und Handelskammern, Handwerkskammern, den Verantwortlichen der freien und selbstständigen Berufe sowie unter Einbindung der Arbeitsämter auf Initiative der Landesregierung doch nochmals einen Schub für die Ausbildungsplätze.

(Abg. Schmiedel SPD: Da hat er wieder die Land- wirtschaft vergessen, typisch!)

Es ist richtig, dass wir den Weg der Freiwilligkeit und Eigenverantwortlichkeit gehen. Es liegt ja im Interesse der Ausbildungsbetriebe selbst, ihren Führungsnachwuchs, ihre qualifizierten Arbeitskräfte auszubilden, heranzuziehen und damit eine Perspektive innerhalb ihrer Branchen und Betriebe zu bieten. Insofern denke ich, dass die Ausbildungsplatzabgabe das völlig falsche Instrument ist. Im Übrigen muss man sich vergegenwärtigen: Wir haben jetzt drei Jahre lang ein Wirtschaftswachstum von unter einem Prozent.

(Abg. Schmiedel SPD: Baden-Württemberg null!)

Wir haben in diesem Jahr über 40 000 Unternehmensinsolvenzen; in Baden-Württemberg sind es nahezu 4 000 pro Jahr. Das schlägt sich natürlich unmittelbar und sofort auch

auf die Ausbildungsbereitschaft der Betriebe nieder. Hätten Sie von Rot-Grün die richtigen Rahmenbedingungen im Bereich der Steuer-, Finanz- und Wirtschaftspolitik geschaffen, dann wäre auch heute noch deutlich Luft da, um in Baden-Württemberg mehr auszubilden.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP)

Sie haben dies in den vergangenen Jahren sträflich unterlassen. Deshalb wollen Sie jetzt eine Ausbildungsplatzabgabe einführen.

Das führt mich zu einem zweiten Punkt. Die Ausbildungsplatzabgabe ist ein sehr bürokratisches Instrument. Die Bundesanstalt für Arbeit geht zwar davon aus, dass auf diesem Weg zusätzlich 800 Millionen € eingenommen werden könnten, aber – Kollege Hofer hat es bereits angesprochen –: Es müssen sehr viele Ausnahmeregelungen getroffen werden, es muss eine differenzierte Branchenbetrachtung angestellt werden, es müssen für die Fälle Lösungen gefunden werden, in denen ein Betrieb ausbildungsfähig und auch ausbildungsbereit ist, aber nicht die entsprechenden qualifizierten Bewerber findet.

(Abg. Schmiedel SPD: Genau! Wo ist Frau Scha- van?)

Das ist ja häufig der Fall. Deshalb meine ich: Diese Fälle müssten so gelöst werden, dass es eben nicht zu einer überbordenden Bürokratie kommt.

(Abg. Hofer FDP/DVP: So ist es!)

Zweites Beispiel: Was machen wir eigentlich mit den Unternehmen, die Praktikaplätze anbieten? Was machen wir mit den Unternehmen, die über den Weg der Berufsakademie Studien- und Ausbildungsplätze anbieten? All dies ist bislang nicht ausgegoren, nicht gelöst. Sie von der SPD haben bislang keine Antwort auf die Frage gegeben, wie Sie bei der Ausbildungsplatzabgabe mit solchen Betrieben verfahren wollen.

(Zuruf des Abg. Schmiedel SPD)