Protocol of the Session on November 26, 2003

(Abg. Wieser CDU: Sie sind doch immer für auto- nome Schulen! Dann sollen es doch die autonomen Schulen machen!)

Diese Träger brauchen Verlässlichkeit, denn ohne Verlässlichkeit, ohne abgesichert zu sein, was auch eine gewisse Finanzierung anbelangt, können sie dieses Angebot nicht erbringen.

Wir Grünen haben deshalb in unserem Konzept, das auf große Zustimmung gestoßen ist, Landesmittel für Lehrbeauftragte eingefordert. Die Kooperationspartner müssen mit Lehrbeauftragtenmitteln finanziert werden. Wir haben Ma

nagementmittel beantragt. Die Schulen müssen natürlich auch ein Zeitvolumen haben, um ein pädagogisches Konzept zu erstellen, das hohen Ansprüchen genügt. Dieses Konzept muss ständig fortentwickelt werden. Wir haben zur Ausgestaltung dieser offenen Ganztagsschule auch in begrenztem Umfang Lehrerstellen beantragt.

Grundsätzlich aber, Herr Kleinmann, ist dies kein Widerspruch dazu, dass wir auch gebundene Ganztagsschulen wollen. Allerdings muss die Entscheidung, wie es auch hier stattfindet, vor Ort getroffen werden.

(Abg. Kleinmann FDP/DVP: Das ist wichtig! Das ist genau der Punkt! Darauf lege ich Wert!)

Auch in die gebundenen Ganztagsschulen sollen selbstverständlich außerschulische Kooperationspartner einbezogen werden.

Wir fordern Sie, Frau Kultusministerin, auf, Ihre Blockadepolitik in puncto Lehrbeauftragtenmittel und Deputatsstunden für Managementaufgaben an Schulen aufzugeben. Wir fordern Sie auf, Ihre Beschränkung auf Ganztagsschulen in Form von „Benachteiligtenschulen“ aufzugeben, gezielt diese Entwicklung zu begleiten und zu fördern, Rahmenvereinbarungen abzuschließen und die großen Chancen, die innovativen Möglichkeiten, die in der Ganztagsschule liegen, als Kultusministerin aktiv zu fördern. Wir Grünen werden jedenfalls auch weiterhin dazu unseren Beitrag leisten.

Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD sowie des Abg. Kleinmann FDP/DVP)

Das Wort erteile ich Herrn Abg. Wacker.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Nachdem wir uns in der Definition, was eine Ganztagsschule ist, in weiten Bereichen einig sind, möchte ich mir dennoch erlauben, einige Thesen in den Raum zu stellen, die die Bedeutung der Ganztagsschule noch etwas differenzierter darlegen sollen.

Im Frühjahr des Jahres 2002 hatte die Bundesregierung – damals mit dem Ziel, eine eingehende Analyse der PISAStudie vorzunehmen – einen Wissenschaftlichen Beirat für Familienfragen eingesetzt, der die Aufgabe hatte, die Rolle der Familie im Bildungsprozess zu untersuchen. Ich nenne thesenartig nur zwei der wichtigen Ergebnisse.

Ein Ergebnis dieses 20-köpfigen Beirats war, dass es keinen Beleg dafür gibt, dass längere Lernzeiten automatisch zur Verbesserung der Bildung führen.

(Abg. Kleinmann FDP/DVP: Das ist richtig!)

Des Weiteren hat die Kommission festgestellt, dass eine Ganztagsschule durchaus am Problem vorbeiführen kann und die Gefahr besteht, dass Eltern aus dem Bildungsprozess verdrängt werden. Ich zitiere nur aus dieser Studie. Die Frau Bundesbildungsministerin hat diese Studie sehr schnell in einer ihrer Schubladen verschwinden lassen. Heute hört man nichts davon.

Jetzt möchte ich eine zweite These in den Raum stellen. In einer aktuellen Studie des Deutschen Instituts für Internationale Pädagogische Forschung wurde die Wirkung ganztägiger Schulorganisation untersucht. Die Autoren Professor Klieme und Diplompädagoge Radisch aus Frankfurt haben folgende Überschrift für die Ergebnisse ausgewählt: „Eine Ganztagsschule ist stark und schwach zugleich“. Sie ist deswegen stark, weil sie positiv auf soziale Integration wirkt. Sie kann das Schulklima unter den Beteiligten am Schulprozess verbessern. Sie bindet schwächere Schüler besser in einen Lernprozess ein und kann – Stichwort Gewaltprävention – aggressives Verhalten von Kindern und Jugendlichen mindern. Und sie ist natürlich auch ein Beitrag für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Ich glaube, darin waren wir uns bisher auch völlig einig. Dies haben auch alle Redner vor mir betont. Schwach hingegen ist die Ganztagsschule nach Definition der Autoren deshalb, weil leistungssteigernde Effekte nicht nachweisbar sind und elterliche Unterstützung am Nachmittag wegfällt.

Fazit: Aus empirischer Sicht sind die pädagogische Wirkung und die Leistungswirkung einer Ganztagsschule nicht nachgewiesen. Sie können nicht ergründet werden.

Jetzt nenne ich ein drittes Beispiel: Auch die Autoren und Experten des PISA-Konsortiums haben immer wieder darauf hingewiesen – gerade zuletzt Professor Baumert bei seinen Vorträgen in Stuttgart –, dass längere Lernzeiten nicht automatisch zur Verbesserung der Bildung führen, dass es zwar besser ist, mehr Unterricht zu erteilen, aber dass die Verbesserung zunächst einmal nicht von der Art der Schulform abhängig ist.

(Abg. Kleinmann FDP/DVP: Richtig! Kein The- ma!)

Das kann in einer Halbtagsschule geschehen, das kann bei einer Erweiterung geschehen, beispielsweise in das Wochenende oder in die Ferien hinein. So weit Professor Baumert.

(Abg. Kleinmann FDP/DVP: Völlig richtig!)

Deswegen, meine Damen und Herren, plädieren wir für ein sehr differenziertes Bild der Ganztagsschule. Die Ganztagsschule ist kein Allheilmittel.

(Abg. Kleinmann FDP/DVP: Nein!)

Leider wird das von der Frau Bundesbildungsministerin nicht so dargestellt. Man hat eher den Eindruck, dass die Bundesregierung versucht, durch dieses 4-Milliarden-Programm über die eklatanten Schwächen von rot-grün regierten Ländern, die sich bei den PISA-Vergleichen zeigen, hinwegzutäuschen.

(Widerspruch bei der SPD – Zuruf von der SPD: Ach was! – Zuruf des Abg. Wintruff SPD – Abg. Seimetz CDU: So ist es schon!)

Meine Damen und Herren, für Baden-Württemberg sind die Erkenntnisse, die ich zitiert habe, nicht neu. Wir haben durchaus langjährige Erfahrung mit Ganztagsschulen. Es war ein wichtiger Ansatz der Landesregierung, Ganztags

schulen zunächst in Brennpunkten zu bewilligen und auszubauen, weil sich dort im Besonderen die Klientel befindet, die einer besonderen Förderung bedarf.

(Abg. Kleinmann FDP/DVP: Da geht es ja nicht um Stigmatisierung, sondern um Hilfe!)

Erst vor wenigen Tagen war ich als Gast auf dem Bundeskongress der Musikschulen in Trossingen, wo man sich gerade über Kooperationsmodelle zwischen Musikschulen und Ganztagsschulen in allen Bundesländern unterhalten hat. Ich konnte mir persönlich einen guten Eindruck darüber verschaffen, wie weit die Fortschritte in anderen Bundesländern gediehen sind. Meine Damen und Herren, was Kooperationsformen zwischen Schulen und außerschulischen Partnern betrifft, haben wir in Baden-Württemberg gegenüber fast allen Bundesländern einen großen Vorsprung. Auf diese Erfahrungswerte gilt es zu bauen.

Ich halte es schon für merkwürdig, Herr Bayer, wenn Sie von einer Aufbewahrungsschule sprechen, wenn man auch Laien oder Ehrenamtliche der Sportverbände in die Nachmittagsbetreuung einbindet, was ja auch das Ziel einer Konzeption sein muss, gerade in Baden-Württemberg.

(Abg. Kleinmann FDP/DVP: Richtig!)

Man täte den Partnern in Baden-Württemberg unrecht, wenn man eine solche Form der Ganztagsschule durch diesen Begriff stigmatisierte. Dagegen möchte ich mich wehren.

(Beifall des Abg. Seimetz CDU)

Nun zu einigen Fakten. Baden-Württemberg hat durch die Genehmigungspraxis des Kultusministeriums mittlerweile einen Anteil von 10 % an Ganztagsschulen erreicht. Damit liegen wir im Bundesvergleich sehr gut.

(Abg. Seimetz CDU: So ist es!)

Zuletzt sind 47 Schulen neu bewilligt worden. Man kann davon ausgehen, dass neue Anträge eingehen. Ich bin sehr zuversichtlich, dass auch zum Beginn des neuen Schuljahrs weitere Anträge bewilligt werden.

Ich empfinde zunächst einmal Sympathie für eine Formulierung in Ihrem Antrag, Frau Kollegin Rastätter. Jetzt möchte ich Sie einmal loben; dann bitte ich auch um Ihre geschätzte Aufmerksamkeit.

(Abg. Renate Rastätter GRÜNE: Sie haben mich schon öfter gelobt!)

Sie betonen sehr, dass die Eltern die entscheidende Rolle dabei spielen sollen, ob die Kinder von dem Angebot einer Ganztagsschule Gebrauch machen oder nicht. Das unterstreicht die angeführte These.

Mir liegen andere Umfrageergebnisse vor, gerade des Allensbach- und des Forsa-Instituts, wonach lediglich 18 % der Bürger für mehr Ganztagsschulen sind und 16 % der befragten Eltern schulpflichtiger Kinder den Ausbau der Ganztagsschulen wollen. Daher ist für uns maßgebend, dass wir weiterhin mit Augenmaß den Ausbau von Ganztagsschulen fördern und gleichzeitig die außerschulischen Part

ner sehr engagiert und mit großer Zielstrebigkeit mit in das Boot holen.

(Abg. Kleinmann FDP/DVP: Jawohl, genau!)

Nun zu dem 4-Milliarden-Programm. Die Vorgehensweise war natürlich ein Eingriff in die Länderhoheit. Das hat Kollege Kleinmann auch gesagt, und wir haben das in früheren Reden, zuletzt im Februar dieses Jahres, vorgetragen. Dank der sehr konzentrierten und strengen Verhandlungen der BLänder ist es gelungen, den Ländern eine weitgehende Freiheit in der Bewilligungspraxis einzuräumen. Die Frau Bundesbildungsministerin hatte keine andere Wahl, sonst wäre sie an gesetzliche Grenzen gestoßen.

Jetzt zur Chronologie. Herr Bayer, hier sind Vorwürfe erhoben worden, die unrichtig waren. Wenn wir über das Thema „Ausbau der Ganztagsschulen“ diskutieren, dann können wir uns auf einer sachlichen Ebene sehr gut verständigen. Das zeigt auch die Debatte. Aber bitte bei den Fakten bleiben und mit der Wahrheit argumentieren, sonst können wir hinsichtlich der weiteren Vorgehensweise keinen Konsens erzielen.

Erst im Februar des Jahres 2003 lag der Entwurf einer Verwaltungsvereinbarung in Stuttgart vor. Bis dahin gab es lediglich Verlautbarungen der Bundesbildungsministerin über die Einführung eines solchen Programms. Aber ein Konzept lag bis zu diesem Zeitpunkt nicht vor. Nach der Vorlage des Vereinbarungsentwurfs hat der Ministerrat am 29. April dieses Jahres dieses Konzept gebilligt. Nur wenige Tage später kam es zur Unterzeichnung dieser Vereinbarung durch sämtliche Kultusminister in Deutschland. Wiederum wenige Tage später, am 21. Mai, wurden die Förderrichtlinien veröffentlicht und gleichzeitig die kommunalen Landesverbände in das Boot geholt. Damit war dieses Programm zum ersten Mal landesweit bekannt.

Meine Damen und Herren, das ist ein vorbildliches Beispiel der Umsetzung dieser Konzeption. Natürlich wären wir schlecht beraten, in dem Moment, in dem es Geld gibt, dieses Geld nicht anzunehmen.

(Abg. Kleinmann FDP/DVP: So ist es! Sehr rich- tig!)

Aber wenn gesagt wird, man sei hier sehr wankelmütig oder zaghaft vorgegangen, ist das schlicht und einfach unrichtig, meine Damen und Herren. Ich bitte, bei der Wahrheit zu bleiben.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU und des Abg. Kleinmann FDP/DVP)

Jetzt noch einige Aussagen. Kollege Kleinmann hat es gesagt: 103 Anträge lagen vor, 33 wurden bewilligt. In Baden-Württemberg wurden bereits 27 Millionen € bewilligt. Wir sind sehr zuversichtlich, dass die Mittel noch in diesem Jahr, zumindest die Tranche für dieses Jahr, abgeschöpft werden. Wir sind auch zuversichtlich, dass im nächsten Jahr durchaus weitere Anträge kommen werden