Protocol of the Session on October 29, 2003

In dieser Richtung müssen wir weiterarbeiten. Jammern hat noch niemandem geholfen.

(Beifall bei der FDP/DVP und des Abg. Dr. Vetter CDU)

Das Wort erhält Frau Abg. Sitzmann.

Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Heute Morgen hat der Ministerpräsident gesagt, die Zeit des Durchwurschtelns sei vorbei. Das gilt auch für die Kulturpolitik. „Die Zeit des Durchwurschtelns ist vorbei“ heißt auch, Herr Kollege Vetter, dass wir mit Lobliedern und Gesundreden nicht mehr weiterkommen, sondern andere Ansatzpunkte brauchen, um die Vielfalt der Kultur, die Sie ja auch alle lobend erwähnt haben, wirklich zu erhalten.

Da stellt sich doch als Erstes die Frage: Nach welchen Kriterien, nach welchen Leitlinien werden denn staatlicherseits Kunst und Kultur gefördert? Der erste Punkt ist, die kulturelle Grundversorgung zu sichern. Das heißt, es gilt, im Parlament darüber zu diskutieren: Welchen Bestand an kulturellen Einrichtungen brauchen wir? Welche Angebote und Leistungen sind sinnvoll und notwendig? Wie können wir erreichen, dass die Offenheit und Vielfalt erhalten bleibt, dass es weiterhin Freiräume gibt, gerade auch Freiräume für die Kultur, die es schwer hat, die sich nicht auf einem Markt behaupten kann, weil sie innovativ, irritierend oder experimentell ist? Hierfür muss es weiter Spielraum geben.

Schließlich müssen wir natürlich auch das kulturelle Erbe – keine Frage – und den offenen und chancengleichen Zugang zu den Kulturangeboten und -einrichtungen bewahren. Die Kürzung bei den Musikschulen stellt uns vor die große Frage, ob mit der Mindestförderung von 10 % der offene Zugang und die Chancengleichheit für Kinder und Jugendliche tatsächlich noch gewahrt bleiben.

(Beifall bei den Grünen)

Die Kollegin Utzt hat die Transparenz bzw. Information vonseiten der Landesregierung angesprochen. Ich möchte ihre Ausführungen nachdrücklich unterstützen. Die Stellungnahmen zu unseren Anträgen sind nichtssagend. Man muss das schon können, zwei Seiten zu schreiben, in denen so wenig drinsteht.

(Abg. Boris Palmer GRÜNE: Das können sie!)

Diese Information kann nicht ausreichen, um tatsächlich öffentliche Debatten führen zu können. Diese brauchen wir, weil wir sicherlich die Ausgaben im Kulturbereich auf den Prüfstand stellen müssen. Es ist vollkommen legitim, darüber zu diskutieren, ob alle Zuschüsse in alle Ewigkeit so vergeben werden sollen, wie sie bislang vergeben worden sind, oder ob man nicht den einen oder anderen Schwerpunkt setzen muss.

(Zuruf von der CDU: Welchen? – Abg. Heiderose Berroth FDP/DVP: Vorschläge!)

Schließlich komme ich zu dem ganz entscheidenden Punkt, Herr Kollege Vetter: Die Strukturreformen mahnen wir in

allen Politikbereichen an, auch im Bereich der Kulturpolitik. Da stellen sich einige Fragen, die es zu diskutieren gilt. Wir haben gehofft, dass es da vonseiten des Wissenschaftsministeriums Vorschläge gibt, zum Beispiel, wie vorhandene Ressourcen effizienter eingesetzt werden können und wie gleichzeitig ein hoher künstlerischer Standard gewahrt werden kann. Da gibt es eine ganze Menge Vorschläge – die müssen auf den Tisch –, wie wir es schaffen, dass Kultureinrichtungen mehr Freiraum und Eigenverantwortung beim Mitteleinsatz bekommen und gleichzeitig Planungssicherheit erhalten.

Das Badische Landesmuseum in Karlsruhe hat ja einen Globalhaushalt. Darüber ist noch keine Auswertung erfolgt. Das wäre ein erster wichtiger Schritt.

Die zweite Frage ist, ob die Fusionsdebatten, die seit 1998, seit der Kulturstrukturkommission, durch den Raum geistern, wirklich hilfreich und zielführend sind oder ob es nicht besser wäre – was wir vorschlagen –, statt Fusionen von oben zu verordnen, Rahmenbedingungen und Freiräume zu schaffen, bei denen die Einrichtungen auf freiwilliger Basis kooperieren können. Dafür gibt es als Beispiele die Tanztheater in Heidelberg und Freiburg.

Die dritte Frage ist, ob das sächsische Kulturraumgesetz von 2002 Vorbild für Baden-Württemberg sein kann. Könnte die Einrichtung von Kulturregionen nicht auch hier einen wichtigen Beitrag dazu leisten, dass die kulturellen Einrichtungen und Maßnahmen Bestand haben können?

(Beifall bei den Grünen)

Schließlich müssen wir fragen, ob wir uns 50 Jahre nach der Gründung Baden-Württembergs die vielen Doppelstrukturen, die wir haben, noch leisten können und wollen.

(Zuruf von der CDU: Aha!)

Kollege Kretschmann hat einen Diskussionsbeitrag dazu geleistet. Diese Diskussion sollten wir tatsächlich führen.

(Zuruf von der CDU: Sehr gut!)

Das betrifft auch Archive und Bibliotheken. Das hat der Ministerpräsident heute Morgen angesprochen. Wenn unter rein verwaltungstechnischen Aspekten eine Umstrukturierung vorgenommen wird, dann kommt die kulturpolitische Bedeutung zu kurz.

Da wir gerade bei den Doppelstrukturen sind, sage ich dazu: Es geht auf keinen Fall um eine Zentralisierung mit dem Ziel, dass in Zukunft alles in Stuttgart sein soll,

(Zuruf von der CDU: Auf keinen Fall!)

sondern es geht um das Prinzip der Dezentralisierung, der Qualität und der Bedeutung, die die jeweiligen Einrichtungen in ihrem Umfeld haben.

(Beifall der Abg. Heike Dederer GRÜNE)

Es gibt also viel zu diskutieren. Strukturelle Reformen sind auch nicht von heute auf morgen umsetzbar. Deshalb wird es höchste Zeit, dass wir anfangen.

Ich möchte mit einem Satz von Karl Valentin schließen. Er hat gesagt:

Kunst ist schön, macht aber viel Arbeit.

Kulturpolitik auch. Wir sollten endlich anfangen.

(Beifall bei den Grünen und der SPD)

Das Wort erteile ich Frau Abg. Inge Utzt.

Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bin Frau Kollegin Sitzmann sehr dankbar, dass sie eine neue Strukturdebatte und neue Formen der Arbeit eingefordert hat. Daher kann ich meinen Redebeitrag relativ kurz halten.

Ich möchte an einem Beispiel demonstrieren, wie sich die Kürzungen auswirken und was das für die einzelnen Häuser bedeutet. In diesem Fall geht es um das nicht von allen hier im Hause geliebte Kulturhaus Osterfeld.

(Abg. Pfisterer CDU: Das kennen wir gar nicht!)

Das denke ich mir. – Das Kulturhaus ging 1994 mit 17 Festangestellten in Betrieb. Im Laufe der Jahre kam es zu immer stärkeren Kürzungen der Finanzen. Das Kulturhaus hat reagiert, neue Verträge wurden geschlossen. In diesem Jahr hat es nur noch 8,25 Angestellte. Ein Drittel der Jobs wurde mit ehrenamtlichen Kräften besetzt, und Künstlerverträge wurden aufgelöst bzw. nachverhandelt. Vor wenigen Monaten wurden neue Räume eingeweiht, die zwar zur Einnahmeverbesserung beitragen, deren Vermarktung sich aber bei den Verwaltungskosten bemerkbar machen dürfte.

Aus den bisher vom Land nicht gezahlten Mitteln und der neuen Sparrunde ergibt sich die stolze Summe von jährlich minus 150 000 €, die dem Kulturhaus natürlich fehlen. Durch die ergriffenen Maßnahmen konnte das Haus rund ein Drittel auffangen, sodass ein Minus von rund 100 000 € pro Jahr bleibt. Kann mir jemand sagen, wie das Kulturhaus Osterfeld diese Summe auffangen oder gar erwirtschaften soll? Mir kommt in diesem Zusammenhang der Spruch von Karl Kraus in den Kopf:

Jeder Staat führt den Krieg gegen die eigene Kultur. Anstatt Krieg gegen die eigene Unkultur zu führen.

(Beifall bei der SPD)

Das Wort erhält Herr Minister Professor Dr. Frankenberg.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Worum geht es eigentlich in der heutigen Debatte? Es geht darum, dass es einen Entwurf eines Haushalts gibt. Dieser Haushalt, Frau Utzt, wird natürlich noch vom Parlament diskutiert und im Parlament beschlossen werden. Die Institutionen – gerade der Kunst – hatten uns aber nach den Erfahrungen mit dem letzten Haushalt gebeten,

(Abg. Pfister FDP/DVP: Völlig richtig!)

nicht erst nach Verabschiedung des Haushalts irgendwann im Februar oder März mitgeteilt zu bekommen, was ihnen

möglicherweise an Haushaltsansätzen zukommt oder nicht mehr zukommt, sondern möglichst frühzeitig informiert zu werden, und sei es – wie wir es auch gemacht haben – mit dem Hinweis darauf, dass diese Informationen nicht endgültig, sondern vorläufig sind und dass natürlich abgewartet werden muss, welche Haushaltsansätze endgültig beschlossen werden.

Jetzt machen Sie uns zum Vorwurf, dass wir die Institutionen vorher informieren, damit sie besser planen können, auch wenn diese Informationen noch abgewandelt werden könnten.

(Abg. Regina Schmidt-Kühner SPD: Man kann doch wenigstens parallel informiert werden! – Abg. Carla Bregenzer SPD: Sie verdrehen den Vorwurf! – Abg. Dr. Birk CDU zur SPD: Man kann euch nichts recht machen! – Abg. Pfisterer CDU: Das ist schon paradox! – Weitere Zurufe)

Die Institutionen sind jedenfalls froh, dass sie jetzt über diese Nachrichten verfügen. Wenn wir die Information gleichzeitig mit den Parlamentsberatungen machen würden, käme sie eben später.

(Abg. Inge Utzt SPD: Das Parlament kann doch in- formiert werden, während Sie die Institution infor- mieren!)

Wenn Sie in diesem Zusammenhang in Ihrem Antrag von einem „Streichkonzert“ sprechen, Frau Sitzmann, dann ist das ein pfiffiger Begriff.

(Abg. Wichmann SPD: Ein Pfeifkonzert!)

Aber Sie wissen auch, dass unsere Orchester auf einem Niveau streichen, das in Deutschland seinesgleichen sucht und seinesgleichen suchen wird.