Protocol of the Session on October 29, 2003

Zweites Beispiel: Soziokultur. Hier werden für 53 Zentren die Zuschüsse um 10 % gekürzt. Von Augenmaß und Ver

träglichkeit, wie Sie es angekündigt haben, Herr Minister, kann leider keine Rede sein. Besonders ärgerlich ist, dass das Ergebnis der Arbeitsgruppe Überlebensstrategie, die vom Ministerium eingesetzt worden ist, jetzt vorliegt und gleichzeitig die Zuschüsse um 10 % gekürzt werden.

Fazit für die erste Runde: Um die Vielfalt der kulturellen Angebote in Baden-Württemberg aufrechtzuerhalten, kommen wir mit Rasenmäherprinzipien nicht weiter, sondern wir brauchen eine breite kulturpolitische Debatte und strukturelle Reformen.

(Beifall bei den Grünen)

Das Wort erhält Herr Abg. Dr. Vetter.

Verehrte Frau Präsidentin, meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Das Thema ist wichtig. Es wurde bisher nicht diskutiert. Warum? Weil die Kultur in unserem Lande fest etabliert ist und es ihr keineswegs an Freiraum und Freiheit mangelt, sondern wir alle wissen, dass Baden-Württemberg auch in Sachen Kultur ein Land ist, auf das wir stolz sein können. Dieses Land hat, meine Damen und Herren, in der Vergangenheit, unter allen Kunstministern der Vergangenheit, bis auf den heutigen Tag Spitzenleistungen in der Kunst produziert. Wir brauchen unser Licht nicht unter den Scheffel zu stellen.

(Beifall des Abg. Pfisterer CDU)

Nicht der Freiraum der Kunst ist das Problem, sondern der Freiraum des Landes. Der Freiraum des Landes ist das eigentliche Problem. Dieses Problem, meine Damen und Herren, besteht in dem, was wir heute Morgen gehört haben. Schauen Sie die öffentlichen Haushalte an. Welches Land kann denn noch einen verfassungsgemäßen Haushalt darbieten? Wie sieht es beim Bund aus? Der Bundeshaushalt stöhnt unter den Belastungen. Und, meine Damen und Herren, Kommunalhaushalte sind flächendeckend in ganz Deutschland in der Nähe des Endes angelangt.

Deswegen sage ich nur: Der Titel „Streichkonzert in BadenWürttemberg“ ist ein falscher Titel. Ich habe mir einmal die Mühe gemacht, mir vom Bühnenverein die Liste der Städte in Deutschland geben zu lassen, die in den Haushaltsjahren 2003 und 2004 Streichaktionen gemacht haben, die sich gewaschen haben.

Meine Damen und Herren, deswegen ist diese Debatte umsonst, omsonst,

(Beifall bei Abgeordneten der CDU – Abg. Pfiste- rer CDU: „Omsonst“!)

wenn wir daraus nur ein parteipolitisches Spiel machen. Sie ist nur dann richtig, wenn wir sagen, was ist, und die richtigen Konsequenzen daraus ziehen. Sagen, was ist, meine Damen und Herren, bedeutet, dass wir ganz unbestreitbar sagen können, dass in diesem Landeshaushalt 2004 gespart werden muss. Ich will das gar nicht weiter ausführen. Das ist eine Selbstverständlichkeit. 2004 müssen wir erhebliche Einsparungen vornehmen, um gerade mit Müh und Not noch die Verfassungsmäßigkeit des Haushalts zu erreichen.

Das bedeutet, meine Damen und Herren, dass die Einsparauflage des Ministeriums für Wissenschaft und Kunst 91 Millionen € beträgt, dass die Kunst dabei bei einem Haushaltsanteil von 10 % mit 6 Millionen € eingesetzt wird und dass damit der Wunsch erfüllt ist, den ich immer vorgetragen habe, dass die Kunst nicht überproportional, sondern nur unterproportional am Streichkonzert teilnimmt. Die Kunst muss daran teilnehmen, aber sie wird unterproportional teilnehmen. Sie wird also statt 9 Millionen € – das entspräche 10 % des Haushalts des Ministeriums für Wissenschaft und Kunst – nur 6 Millionen € einsparen müssen. Dafür möchte ich dem Ministerium ein herzliches Dankeschön sagen. Das Ministerium hat verantwortlich gehandelt.

Was wird weiter angegriffen, meine Damen und Herren? Angegriffen wird das System der Kürzung mit dem Rasenmäher. Ich muss zugeben, auch ich war zunächst erschrocken über die Tragweite dessen, was da in den Haushaltsplanentwürfen steht. Ich habe mir auch ausgerechnet, was dies für die verschiedenen Einrichtungen von Kunst und Kultur im Lande Baden-Württemberg ausmacht. Ich muss Ihnen aber sagen: Nach den Gesprächen mit den Betroffenen komme ich zu keinem anderen Ergebnis, als dass die Betroffenen sagen: Das ist brutal, aber gerecht. Das Rasenmäherprinzip ist brutal, aber gerecht.

Wenn man die Kürzungen weiter untersucht, dann kommt die Frage auf: Wo sind denn eigentlich die Alternativen? Die Alternativen wären Individualkürzungen. Meine Damen und Herren, da wünsche ich viel Vergnügen. Zu wessen Lasten gingen die? Das muss immer gesagt werden.

Mir wird übrigens berichtet, dass Herr Kollege Kretschmann bei der Kulturnacht in Stuttgart eine Diskussion darüber aufgebracht hat – aber das kann er ja selbst bestätigen oder dementieren –, ob man, wenn man etwas einsparen will, nicht ein Staatstheater einsparen solle. Er hat gesagt, da das Staatstheater Stuttgart so gut sei, bleibe für die Einsparung nur das Staatstheater Karlsruhe übrig.

(Zuruf des Abg. Sieber CDU)

Meine Damen und Herren, das war bei der Kulturnacht. Zu diesem umnachteten Gedanken aus einem Mund, der im Übrigen sonst ganz Vernünftiges spricht, kann ich nur viel Vergnügen wünschen.

(Abg. Kretschmann GRÜNE: Das war nur eine Frage!)

Meine Damen und Herren, wo sind die Alternativen? Rasenmäher? Nein. Es gibt ja auch individuelle Komponenten. Die individuellen Komponenten sind ja eingebracht worden. Die Staatstheater nehmen mit der globalen Minderausgabe an den Einsparungen teil, die Kommunaltheater mit 5 %, die Landesbühnen mit 1 % und die sonstigen Zuwendungsempfänger mit 10 %. Also geht es um ein Rasenmäherprinzip mit individueller Komponente.

Meine Damen und Herren, sicher ist auch, dass diese Kürzungshaushalte nicht ewig weitergeführt werden können und dass irgendwann einmal strukturelle Maßnahmen ergriffen werden müssen. Aber auch dies darf bitte nicht unverhältnismäßig geschehen, sondern wenn Strukturmaßnah

men erfolgen, dann in allen Bereichen des Haushalts und nicht nur zulasten der Kunst.

In den weiteren Beratungen werden wir unser Augenmerk auf das Wichtigste richten: Wo tritt nicht nur eine verbale, sondern eine echte Existenzgefährdung ein? Das wird unser Problem sein. Da müssen wir dann unser Augenmerk auch auf die soziokulturellen Einrichtungen und auf vieles andere mehr richten. Das wird zu untersuchen sein. Aber das muss real gemacht werden. Das kann nicht als eine allgemeine Feststellung gemacht werden.

Wichtig, meine Damen und Herren, ist mir – das möchte ich zum Schluss betonen –, dass wir in diesem Bereich das Miteinander der Finanzierung von Kultureinrichtungen durch Land und Kommunen nicht zerbrechen. Das ist eine ganz wichtige Sache. Kunst und Kultur leben von diesem Instrument. Kunst und Kultur wären verloren, wenn wir dies auseinander brechen würden. In anderen Bereichen kann man gegen Mischfinanzierungen sein. In diesem Bereich sind sie aber substanz- und existenzerhaltend.

Deswegen werde ich sehr sorgfältig darauf achten, was jetzt mit diesen Kürzungen im Haushalt geschieht. Überall, wo es Kofinanzierungen gibt, gibt es eine Kürzung auf der einen Seite und eine Kürzung auf der anderen Seite. Da muss man aufpassen. Das wird der Gegenstand der nächsten Beratung sein.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der FDP/ DVP)

Das Wort erhält Frau Abg. Utzt.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! „Die Kraft der Kultur stärken heißt die Kraft der Gesellschaft bessern“, so Daniel Barenboim. Was geschieht aber derzeit in diesem Land? Wir haben jetzt schon mehrfach vom Rasenmäher gehört. Er geht im Augenblick über eine reiche Kulturlandschaft hinweg. Die Brandbriefe aus Stuttgart haben den Institutionen verkündet, dass sie mit 1 %, 5 % oder 10 % Kürzung zu rechnen haben.

Herr Dr. Vetter hat mit Recht schon angesprochen, dass dann bei kofinanzierten Institutionen auch Kürzungen im Kommunalhaushalt stattfinden werden. Wir erleben ja gerade jetzt, dass auch bei den Kommunen die Haushaltsberatungen anfangen. Die Kommunen werden sich mit Sicherheit nicht zu Ausfallbürgen des Landes machen lassen und werden gerne diesen Strohhalm aus Stuttgart ergreifen, auch ihre Mittel in dem Bereich zurückzufahren.

Staatliche Einrichtungen wie Staatstheater – wobei ich sagen muss, dass hier bereits durch eine in meinen Augen unsensible Personalpolitik ein großer Schaden angerichtet worden ist –, Archive, Musik- und Kunsthochschulen sowie die Museen haben die Order bekommen, innerhalb von fünf Jahren pro Jahr 1 % an Personalkosten einzusparen. Wie diese Institutionen, die ohnehin nicht mit den größten Mitteln ausgestattet worden sind, das verkraften sollen, ist mir schleierhaft. Außerdem habe ich den Eindruck, dass hier die auch heute Morgen so hochgehaltene Hochschulauto

nomie mit Füßen getreten wird. Diese Kürzungen müssen ausschließlich im technischen Bereich stattfinden und dürfen nicht beim Lehrpersonal angesetzt werden. Hier wird die Hochschulautonomie in meinen Augen mit Füßen getreten.

Bei den philharmonischen Orchestern und den Kammerorchestern soll entsprechend den Empfehlungen der Kulturstrukturkommission ein Eigenanteil von 25 % erwirtschaftet werden. Kaum ein Orchester hat es geschafft, die 20-%Marke zu erreichen. Auch hier wird mit dem Rasenmäher gekürzt.

Wie sich die angekündigten Kürzungen bei den Theatern auswirken, erfahren wir aus Gesprächen, die wir mit Institutionen führen. Ich möchte an dieser Stelle ein paar Theater und Institutionen nennen, die sehr dafür sorgen, dass die Kulturlandschaft wirklich so reich ist, wie wir sie schätzen. Ich denke da zum Beispiel an unsere Landestheater. Ich denke aber auch an die kommunalen Theater, die bereits jetzt mit ihren Einsparmaßnahmen an die Grenzen der Möglichkeiten gegangen sind.

Wir sind mit Recht stolz auf unsere reiche Kulturlandschaft; aber jede Einrichtung ist individuell zu betrachten. Kann die eine die avisierten Kürzungen gerade noch verkraften, bedeutet unter Umständen auch eine relativ geringe Summe für eine andere Institution das Aus. Was vordergründig gerecht wirkt, ist letztlich ein verantwortungsloses Handeln der Regierungspolitik.

(Beifall bei der SPD)

„Wenn alle sparen müssen, muss auch die Kultur ihren Beitrag leisten“, erklärte Staatssekretär Sieber in der Pressemitteilung vom 24. Oktober.

(Abg. Pfisterer CDU: Was ist daran falsch?)

Dem können wir auch zustimmen. Die Konsequenzen sehen wir jedoch anders. Warum scheut das Ministerium eine Einzelfallprüfung oder eine Evaluation? Auch mit geringer werdenden Mitteln ist eine verantwortungsvolle Steuerung möglich,

(Abg. Pfisterer CDU: Da muss man in Stuttgart ran! Da schreit die Abgeordnete aus Stuttgart auf!)

und die wäre ehrlicher als der ach so beliebte Rasenmäher.

„Wir brauchen eine Kulturpolitik, die wieder Perspektiven für die Gesellschaft entwickelt und nicht vorrangig den finanziellen Mangel verwaltet“, ist im Theatermanifest des Bundesverbands Deutscher Theater vom 3. Oktober zu lesen. Gerade in Zeiten knapper Kassen muss die Politik in der Lage und willens sein, diese Forderung umzusetzen. Ansonsten muss sie sich den Vorwurf gefallen lassen, lediglich Mangelverwalter zu sein.

(Beifall bei der SPD – Abg. Pfisterer CDU: Was macht Eichel gerade im Nachtragshaushalt? Er ver- waltet den Mangel!)

Ich komme nun zu dem, was mich als Parlamentarierin an dieser ganzen Angelegenheit fürchterlich ärgert: Wir erfah

ren von den geplanten Streichungen aus der Presse oder durch die Hilferufe der inzwischen angeschriebenen Institutionen. Es ist zwar vielleicht naiv, aber ich bin nach wie vor der Meinung, dass es zu den Aufgaben des Parlaments gehört, den Haushalt zu beschließen.

(Abg. Carla Bregenzer SPD: So ist es!)

In diesem Zusammenhang empfinde ich die Informationspolitik des Ministeriums als Affront gegenüber uns und den Bürgerinnen und Bürgern, die uns gewählt haben.

(Beifall bei der SPD – Zuruf des Abg. Pauli CDU)

Die Aussage, man wolle den Institutionen Planungssicherheit geben, zieht in meinen Augen nicht. Bei den Theatern ist die Spielzeit 2003/2004 bereits angelaufen. Die Theater stellen bereits die Spielpläne für das Jahr 2006 auf. Wie es dann aussieht, wissen wir nicht. Was es für die Theater und die Kulturlandschaft insgesamt bedeutet, bereits geschlossene Verträge kündigen zu müssen, können Sie sich selbst ausmalen.

(Abg. Pfisterer CDU: Das machen auch die Firmen, wenn das Geld wegbricht!)

Das Ministerium brüskiert das Parlament – wenigstens die Opposition; wie es bei Ihnen ist, weiß ich nicht. Wie die Informationen innerhalb der Regierungsfraktionen verlaufen, können Sie besser beurteilen.