Protocol of the Session on July 16, 2003

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP)

Europa ist für mich vor allem eine Friedensgemeinschaft. Dafür müssen wir uns einsetzen.

Im ständigen Gespräch mit der Bundesregierung, mit dem Bundeskanzler und dem Bundesaußenminister haben die deutschen Länder seit drei Jahren einvernehmlich – alle 16 Ministerpräsidenten – gesagt: Wir möchten eine klare Kompetenzordnung in Europa; wir nehmen das so nicht länger hin; wir erwarten von der Bundesregierung, dass sie eine Regierungskonferenz durchsetzt; sonst stimmen wir den bevorstehenden Beschlüssen von Nizza nicht zu.

Die Bundesregierung hat erklärt, dass sie unsere Zielsetzung verstehe, auch bereit sei, sie zu unterstützen, dass sie

sie aber nicht in Nizza durchsetzen könne, dass wir den Vertrag von Nizza aber trotzdem nicht ablehnen könnten, weil der Vertrag von Nizza auch den Beitritt der zehn osteuropäischen Länder beinhalte.

Wir haben dann von der Bundesregierung die Zusage bekommen, dass sie nach Nizza eine Regierungskonferenz für eine neue Kompetenzordnung durchsetzt. Schon in Nizza und danach in Laeken ist dann beschlossen worden, dass es nicht nur zu einer neuen Regierungskonferenz kommt, sondern dass ein Konvent zur Ausarbeitung einer europäischen Verfassung einberufen wird.

Ohne die Erfahrung von Nizza wäre es nicht zu diesem Auftrag gekommen. Nizza war der längste Gipfel – fünf Tage – und der Gipfel mit dem geringsten Ertrag. Die vorherige Methode, die über Jahre hinweg für sechs und für zehn Mitgliedsstaaten durchaus funktioniert hat, ist an ihre Grenzen gestoßen. Wir haben erkannt, dass nicht nur die Beitrittsländer beitrittsfähig werden müssen, sondern dass auch die Gemeinschaft der 15 beitrittsfähig werden muss.

Sie wissen, dass mich der deutsche Bundesrat als Mitglied in diesen Konvent gewählt hat. Ich habe versucht, die Grundanliegen, die die Anliegen unserer Verfassung und die die Anliegen dieses Hauses, des Landtags von BadenWürttemberg, sind und die in mehreren Debatten Beratungsgegenstand waren, so weit wie möglich durchzusetzen.

Was muss in einer europäischen Verfassung stehen? All das, was in einer demokratischen Verfassung stehen muss. Also zunächst einmal die Grund- und die Menschenrechte. Hierbei hatten wir es verhältnismäßig einfach. Wir konnten auf einem Verfassungskonvent aufbauen, den der frühere deutsche Bundespräsident Roman Herzog geleitet hat und der einen umfassenden Katalog von Rechten der Bürger, von Grund- und Menschenrechten aufgestellt hat. Das Ergebnis dieses Konvents war bisher nicht europäisches Recht. Wir übernehmen in Teil II der neuen europäischen Verfassung ohne jede Veränderung und ohne jeden Abstrich das Ergebnis des Grundrechtekonvents. Ich glaube, das ist außerordentlich wichtig. Das war auch ein Anliegen der deutschen Länder.

Was muss außerdem in einer Verfassung stehen? Eine klare Kompetenzordnung, schlicht formuliert die Antwort auf die Frage: Wer tut was, wer ist wofür zuständig und trägt dann für sein Handeln oder Unterlassen auch die Verantwortung? Das muss jeder europäische Bürger übersehen, damit er bei seiner Stimmabgabe bei einer europäischen Wahl auch Zustimmung oder Missfallen an der richtigen Stelle zum Ausdruck bringen kann. Diese Kompetenzordnung war das Grundanliegen des Bundesrats und der deutschen Länder.

Was habe ich in den ersten Wochen des Konvents, als ich mich dafür schon in der allerersten Sitzung eingesetzt habe, da alles gelesen! Was ist mir dabei alles an Argumenten begegnet!

Europa ist ein dynamischer Prozess. Man kann doch nicht an einem Tag die Aufgaben festschreiben. Beispielsweise hätte noch vor zehn Jahren niemand ohne die Erfahrungen des 11. September 2001 die Terrorismusbekämpfung als Aufgabe in eine europäische Verfassung hineingeschrieben.

(Ministerpräsident Teufel)

Aber nach heutigem Stand muss die Terrorismusbekämpfung doch aufgenommen werden. Deswegen kann man keine feste Kompetenzordnung vornehmen. Vor allem Abgeordnete des Europäischen Parlaments haben parteiübergreifend gesagt, dass man keine saubere Abgrenzung vornehmen und festschreiben könne, weil es sich um einen dynamischen Prozess handle, der beachtet werden müsse.

Heute gibt es in dem Verfassungsentwurf, den wir verabschiedet haben, eine klare Kompetenzordnung. Es gibt zunächst einen Artikel über ausschließliche europäische Kompetenzen. Zweitens gibt es einen Artikel über geteilte Kompetenzen zwischen der Europäischen Union und den Mitgliedsstaaten. Drittens gibt es einen Artikel über ergänzende Kompetenzen. Es gibt sogar – das habe ich bereits in der allerersten Sitzung gewünscht, und das ist damals abgelehnt worden – einen Artikel über die nationale Identität, also darüber, worum sich Europa auf gar keinen Fall kümmern darf. Dabei geht es beispielsweise um die innere Ordnung eines Mitgliedslandes. Es geht die Europäische Union nichts an, wie die innere Verfassung eines Mitgliedsstaats aussieht. Gleiches gilt für das Staat-Kirche-Verhältnis

(Abg. Kleinmann FDP/DVP: Sehr richtig!)

und für die Anerkennung von kommunaler und regionaler Selbstverwaltung.

Was mindestens genauso wichtiger Bestandteil der Kompetenzordnung ist: Dort, wo die Europäische Union nach Teil I oder Teil III der Verfassung Kompetenzen hat, muss sie drei Prinzipien zwingend beachten:

Erstes Prinzip: Verhältnismäßigkeit. Jede europäische Maßnahme muss verhältnismäßig sein, und die Europäische Kommission muss in jedem Gesetzentwurf begründen, dass die Vorschriften verhältnismäßig sind.

Zweitens und ganz besonders zentral: Allgemeine Ziele, wie sie zuhauf in jedem europäischen Vertrag stehen, dürfen nicht kompetenzbegründend sein. Sonst gäbe es nämlich überhaupt kein Halten, weil sich die Europäische Union um alles kümmern könnte. Es gilt vielmehr das Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung. Im Einzelfall muss in der europäischen Verfassung eine Ermächtigung stehen, sonst kann die Europäische Union keine Kompetenz für sich in Anspruch nehmen.

Und das Dritte: Sie muss – wohlgemerkt bei der Ausübung eigener Zuständigkeiten; andere darf sie ohnehin nicht wahrnehmen – das Subsidiaritätsprinzip beachten. Nun steht das Subsidiaritätsprinzip schon in den Verträgen von Amsterdam und von Maastricht, aber geändert hat sich überhaupt nichts. Deswegen kam es darauf an, nicht nur eine allgemeine hehre Formulierung des Subsidiaritätsprinzips zu wählen, sondern tatsächlich auch ein Kontrollsystem aufzubauen, damit sich das Subsidiaritätsprinzip durchsetzen kann. Das ist der dritte Teil der Kompetenzordnung. Künftig wird die Europäische Kommission, die auch in Zukunft allein das Initiativrecht für Gesetze hat, erstens in jedem Gesetzentwurf darlegen müssen, dass sie das Subsidiaritätsprinzip und das Verhältnismäßigkeitsprinzip beachtet. Zweitens wird sie einen Gesetzentwurf zu dem Zeitpunkt,

zu dem sie ihn dem Rat zuleitet, auch jedem nationalen Parlament zuleiten müssen.

(Abg. Kleinmann FDP/DVP: Sehr gut!)

Dann kann jedes nationale Parlament, bei uns also der Bundestag und der Bundesrat, zu diesem Gesetzentwurf binnen sechs Wochen an die Kommission eine Stellungnahme abgeben, wenn es der Auffassung ist, dass der Gesichtspunkt der Subsidiarität nicht ausreichend beachtet wurde oder Zuständigkeiten nicht ausreichend beachtet wurden. Die Kommission muss dies berücksichtigen. Wenn eine größere Zahl von Parlamenten Kritik übt, muss sie ihre Vorschläge überprüfen. In der Regel ist sie nicht gebunden, eine Stellungnahme ernst zu nehmen. Sie wird es aber deshalb tun, weil am Ende des Gesetzgebungsverfahrens jedes nationale Parlament, also bei uns Bundestag und Bundesrat, beim Europäischen Gerichtshof klagen kann, und zwar nicht in der Hauptsache, sondern mit der Begründung, dass es das Subsidiaritätsprinzip für verletzt hält.

Was glauben Sie, welche Schwierigkeit es gemacht hat, dieses Klagerecht durchzusetzen! Die 16 deutschen Länder haben vor Maastricht bei der damaligen Bundesregierung durchgesetzt, dass die Bundesregierung in den damaligen Vertragsverhandlungen vier Ziele verfolgt. Das erste Ziel: Das Subsidiaritätsprinzip muss verankert werden. Das ist damals in Maastricht erfolgt. Das zweite Ziel: Wenn in Deutschland eine Länderkompetenz gegeben ist, muss ein Landesminister und nicht ein Bundesminister am Ratstisch vertreten sein.

(Abg. Kleinmann FDP/DVP: Sehr gut!)

Das ist seither der Fall. Das dritte Ziel, nämlich dass ein Ausschuss der Regionen gebildet wird, wurde ebenfalls durchgesetzt. Aber das vierte Ziel, ein selbstständiges Klagerecht der Länder, wenn ihre eigenen Kompetenzen verletzt sind, ist bis heute nicht durchgesetzt.

Von Spanien ist dann beispielsweise vorgebracht worden: Wir lassen uns doch angesichts des Basken-Problems nicht auf Klagerechte unserer Regionen ein. Zweitens wurde von Ländern vorgebracht, es gebe bei ihnen keine Gesetzgebungskompetenzen der Regionen oder überhaupt keine Regionen. Es wurde angeführt, es sei doch ein Ding der Unmöglichkeit, dass ein Land, das keine Regionen habe, nur einmal klagen könne, ein anderes Land, das zwei Kammern habe, zweimal klagen könne und wir Deutschen wollten, dass zusätzlich 16 Länder klagen könnten.

Es ist durchgesetzt worden: Erstens: Jedes Mitgliedsland kann im Subsidiaritätskontrollverfahren klagen. Zweitens: Jede Regierung eines Mitgliedslands muss klagen, wenn eine Kammer des Parlaments, also bei uns Bundestag oder Bundesrat, dies von der Regierung verlangt. Eine entsprechende Zusage ist auch von der Bundesregierung gegeben worden. Nun können wir innerstaatlich sogar erreichen, dass es zu einem Klagerecht eines einzelnen Landes kommt. Wir wollen nämlich mit Zustimmung der Bundesregierung eine Vereinbarung unter den Ländern treffen, dass dann, wenn ein Land klagen will und dies im Bundesrat beantragt, die anderen Länder der Klage zustimmen.

(Ministerpräsident Teufel)

Es ist schon ein gewaltiger Erfolg, dass beide Kammern ein Klagerecht erhalten haben. Das ist nur erreicht worden, weil formal jedes Land nur durch seine Regierung klagen kann, alle Staaten also nur einmal klagen können, tatsächlich aber beide Kammern klagen können. Im Innenverhältnis sind wir dabei, eine Regelung aufzubauen, die das Klagerecht eines einzelnen Landes ermöglicht.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU und der FDP/ DVP sowie der Abg. Moser SPD und Kretschmann GRÜNE)

In diesem Zusammenhang möchte ich auch auf die Möglichkeiten eines Landesparlaments im Rahmen dieses Subsidiaritätskontrollverfahrens, dieses Frühwarnsystems, wie es auch heißt, eingehen. Erstens ist es die Kommission, die für Gesetzentwürfe zuständig ist. Künftig heißen europäische Normen übrigens ebenfalls „Gesetze“, wie das in jedem Mitgliedsland der Fall ist. Für die europäischen Normen werden die gleichen Begriffe übernommen.

Wenn die Kommission an einem Gesetzentwurf arbeitet, muss sie ein umfassendes Anhörungsverfahren durchführen. In dieser Phase kann sich jedermann – jeder Verband, jedes regionale Parlament, jeder Landtag – einschalten und eine Stellungnahme abgeben. Wenn offensichtlich auch Regionen betroffen sind, muss die Europäische Kommission im Rahmen dieses Anhörungsverfahrens auch Regionen anhören.

Der zweite Punkt: Wenn ein Gesetzentwurf jeder Kammer des nationalen Parlaments zugeleitet wird – bei uns also dem Bundestag und dem Bundesrat –, dann kann jede Kammer, also der Bundestag oder der Bundesrat, beschließen, dass eine förmliche Anhörung der Landesparlamente stattfindet.

Wenn Sie dies alles nun zusammennehmen, werden Sie feststellen, dass, gemessen an den Erwartungen,

(Abg. Pfister FDP/DVP: Stimmt!)

nicht nur eine gute, sondern fast eine optimale Lösung in der Kompetenzordnung erreicht worden ist. Das sehen alle 16 deutschen Ministerpräsidenten so. Wir sind mit der Aufnahme dieses Kernanliegens in den Verfassungsentwurf sehr zufrieden.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP sowie der Abg. Theresia Bauer und Kretschmann GRÜNE)

Was muss in einer Verfassung noch geregelt werden? Natürlich die Institutionen, die Machtstrukturen und das Gesetzgebungsverfahren.

Die europäische Ebene hat im wesentlichen drei Institutionen – ich lasse den Rechnungshof und den Europäischen Gerichtshof, deren Aufgaben selbstverständlich ebenfalls in der Verfassung geregelt werden müssen, weg –: Es geht erstens um den Rat, den Ministerrat, zweitens um die Kommission und drittens um das Europäische Parlament.

Der große Gewinner unter diesen drei Institutionen ist nach diesem Konventsprozess das Europäische Parlament. Das ist auch gut so. Auch ich habe mich nachdrücklich dafür eingesetzt. Warum? Es ist doch ein Ding der Unmöglich

keit, dass der europäische Gesetzgeber bisher – vor dem Europäischen Parlament – in vielen Fällen, in der Mehrzahl der Fälle ausschließlich der Rat gewesen ist.

(Abg. Pfister FDP/DVP: Und das nichtöffentlich!)

Im Haushaltsrecht gab es für weit mehr als die Hälfte des europäischen Haushalts kein Beteiligungsrecht und kein Entscheidungsrecht des Europäischen Parlaments, sondern entschieden hat der Rat.

Wenn man aber die Bürger fragen würde – einfach die nächsten 100, die die Königstraße entlangkommen –: „Wer ist für die europäische Gesetzgebung zuständig?“, dann bin ich überzeugt, dass 98 von ihnen sagen würden: „Das Europäische Parlament, das wir seit 20 Jahren direkt wählen.“ Aber das Europäische Parlament war, wenn überhaupt, nur höchst unzulänglich in Gesetzgebung und Haushalt wirklich einbezogen.

Künftig wird es so sein, dass das Europäische Parlament im gleichen Umfang wie der Europäische Rat an der Gesetzgebung beteiligt ist. Dies gilt weitestgehend auch für die Haushaltsgesetzgebung. Das halte ich für sehr gut.

Das Europäische Parlament wählt künftig den Kommissionspräsidenten – zwar auf Vorschlag des Europäischen Rats, der Staats- und Regierungschefs, aber es ist eine Wahl durch das Europäische Parlament. Das stärkt die Stellung des Kommissionspräsidenten.

Damit möchte ich zur Kommission kommen. Der Kommissionspräsident ist gestärkt durch die Wahl durch das Parlament, und er wird dadurch gestärkt, dass er eine Art Richtlinienkompetenz, ein Weisungsrecht gegenüber den Kommissaren bekommt. Weiterhin wird er dadurch gestärkt, dass er aus den Dreierlisten mit Wahlvorschlägen für die Kommissare, die jedes Land einreicht, selbst auswählen kann, sich sein Kabinett, die Kommissare, also in beachtlichem Umfang selbst zusammenstellen kann.

Wir werden jetzt die Regelung haben, um die natürlich die kleinen und die neuen Länder gekämpft haben, dass jedes Land einen Kommissar stellt, dass es also ab dem Beitritt der zehn neuen Länder 25 Kommissare sind. Wir haben sehr lange über diese Frage diskutiert. Es ist ganz sicher nicht Platz für 25 Ressorts, mit Sicherheit nicht. Deswegen haben wir durchsetzen können: Ab dem Jahr 2009, also nach der übernächsten Wahl des Europäischen Parlaments, wird die Zahl der Kommissare auf 15 reduziert, und dann wird für jedes Land, das nicht zum Zug gekommen ist – es wird ein rollierendes System eingeführt –, ein beigeordneter Kommissar eingesetzt, der in der Kommission kein Stimmrecht hat.

(Abg. Fischer SPD schüttelt den Kopf.)