Populistische Forderungen nach einer Verschärfung des Jugendstrafrechts und der Ruf nach härteren Urteilen entsprechen zwar vielfach Alltagstheorien; sie stehen aber in Widerspruch zu sämtlichen wissenschaftlichen Befunden und praktischen Erfahrungen. Sie sind kontraproduktiv und werden Probleme lediglich verschärfen.
Vor diesem Hintergrund steht die Debatte zumindest in der Gefahr, leider auf das zusammenzuschnurren, was sie eigentlich nicht sein dürfte, nämlich ein Spielen, ein Geplänkel am rechten kriminalpolitischen Rand. Das Thema hat anderes verdient.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Frau Ministerin, ich hatte mir natürlich für Ihr Entrée hier im Landtag von Baden-Württemberg erhofft, dass Sie vielleicht eine gewisse Revision einführen würden, was die jugendkriminalpolitischen Aussagen Ihres Vorgängers angeht. Aber Sie haben offensichtlich bei diesen Fragestellungen doch im Wesentlichen rechtspolitisch – wie Sie das nennen – auf Strafverschärfungen abgehoben.
Bei allem, was ich vorhin ausgeführt habe und was die Landesregierung zutreffend, richtig eingeleitet hat, worauf ich auch Bezug genommen habe, war meine Bezugsgröße, mein Bezugsjahr, Kollege Reinhart, nicht das Jahr 1991. Dort haben Sie die Statistik des LKA usw. Meine Bezugsgröße war vielmehr die Debatte des Jahres 1997. Damals bestand hier in diesem Haus Konsens darüber, dass das Strafrecht überall dort, wo es wirklich als Sanktionsmechanismus eingreifen muss, auch schnell eingreifen soll. Es bestand aber auch Konsens darüber, dass bezüglich der Erziehungsdefizite, der Defizite in den gesellschaftlichen Entwicklungen, vom Elternhaus über die Schule etc., zunächst einmal die Hilfestellungen für die Jugendlichen und nicht die strafrechtliche Keule im Vordergrund stehen sollen.
Herr Kollege Reinhart und Frau Ministerin, das war meine Aussage –, dann dürfen wir jetzt nicht über die Frage von Strafverschärfungen diskutieren. Über zweifelhafte Wirkungen dieser Strafverschärfungen brauchen wir im Detail gar nicht mehr zu diskutieren. Dazu gibt es wirklich, wie Kollege Bebber eingangs gesagt hat, aus der Fachwelt nahezu ausschließlich die Meinung,
dass die Strafverschärfungen insbesondere bei Kindern und Jugendlichen nichts bringen. Lassen Sie uns doch, wenn Konsens darüber besteht, dass wir präventiv und erzieherisch tätig werden wollen, die Programme vom „Haus des Jugendrechts“
bis hin zu „Jugendliche Intensivtäter“ gemeinsam durchführen und darüber diskutieren, was sie in der Vergangenheit gebracht haben und in Zukunft noch bringen werden.
Dann können wir eine Debatte darüber führen, ob wir Strafrechtsverschärfungen brauchen oder nicht. An dieser Stelle sind wir meines Erachtens noch lange nicht angelangt.
Kollege Reinhart, ich fordere Sie auf, den Konsens, den wir im Jahr 1997 hatten, an dieser Stelle nicht zu verlassen.
Herr Kollege Oelmayer, sind Sie dann auch bereit, die entsprechenden Vorhaben der rot-grünen Bundesregierung, die in Richtung einer Bagatellisierung von Kriminalität zielen, gemeinsam mit uns zu verhindern?
Herr Kollege Theurer, ich kenne das nicht, das müssten Sie präzisieren. Es geht nie um Bagatellisierung, sondern es geht vielleicht um Justizentlastung und ähnliche Begrifflichkeiten.
Wir von Rot-Grün waren diejenigen, die zum Beispiel Gewalt in der Familie im Bürgerlichen Gesetzbuch erst zur Ächtung gebracht haben. Das hatten Sie über Jahrzehnte hinweg versäumt. Das ist aber eine wesentliche Ursache für Jugendkriminalität, Kollege Theurer.
Da brauchen wir nicht darüber zu diskutieren, was wir gemacht und was wir nicht gemacht haben. Kehren Sie vor Ihrem eigenen Haus, das ist sinnvoller.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Herr Kollege Bebber, Herr Kollege Oelmayer, ich darf einfach einmal fragen: Haben Sie die Kabinettsvorlage, die wir vor kurzem verabschiedet haben, gelesen?
(Abg. Dr. Reinhart CDU: Nein, hat er nicht! Haus- aufgaben hat er schon früher nicht gemacht! – Abg. Oelmayer GRÜNE: Aber wir haben der Presse ent- nommen, dass Sie auf 100 000 Tatverdächtige kommen!)
Ich stelle sie Ihnen gerne zur Verfügung. Ich darf Ihnen das Exemplar vielleicht nachher persönlich überreichen. Wenn Sie das lesen, werden Sie zunächst einmal feststellen, weil das in dieser Kabinettsvorlage geradezu enzyklopädisch aufgeführt ist, was die vorhin genannten Ressorts Sozialministerium, Kultusministerium, Justizministerium und Innenministerium in den letzten Jahren im präventiven Bereich getan haben.
Wir brauchen hier – und das kann ich mit Dankbarkeit, aber auch mit einem gewissen Selbstbewusstsein sagen – den bundesweiten Vergleich nicht zu scheuen.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU und der FDP/ DVP – Abg. Bebber SPD: Er hat ja auch nicht ge- sagt, dass es im Bund und in den anderen Ländern besser wäre!)
Es sind auch, Herr Kollege Bebber, keine Einzelprojekte, sondern es gibt, etwa im Rahmen der kommunalen Kriminalprävention, von der wir fraktionsübergreifend überzeugt sind, allein 300 Projekte gegenüber der Jugend- und Kinderkriminalität. Das sind also keine Einzelprojekte, sondern das gibt es flächendeckend im Land.
Jetzt kommt der Gesichtspunkt, auf den ich aufmerksam machen muss, den auch Kollege Reinhart in seinem zweiten Redebeitrag in dieser Debatte kurz gestreift hat. Das Schlimme ist, dass wir trotz dieser jahrelang erfolgenden und erfolgten Maßnahmen im präventiven Bereich bei der Jugendkriminalität – Herr Bayer, ich wäre ja dankbar, wenn es so wäre, wie Sie gesagt haben – in dieses schwere Fahrwasser geraten sind.
Nun kann ich Sie auch gleich beruhigen. Wir haben nicht vor, diese Maßnahmen im präventiven Bereich gegenüber der Jugendkriminalität zurückzufahren, obwohl das – das wissen Sie alle – angesichts der finanziellen Lage nicht leichter, sondern immer noch schwerer wird. Wir müssen auch Folgendes bedenken, Herr Kollege Bebber:
Die Polizei, die in diesem Bereich zu Recht immer wieder lobend erwähnt wird, ist inzwischen präventiv so stark engagiert, dass dies nicht mehr steigerbar ist, auch aus Gründen der Ressourcen, die wir haben.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU und des Abg. Dr. Noll FDP/DVP – Abg. Oelmayer GRÜNE: Es ist die Frage, ob das teurer kommt!)
Frau Kollegin Werwigk-Hertneck hat diese Arbeitsgruppe angesprochen. Aber die Arbeitsgruppe wird nicht in der Lage sein, noch stärkere finanzielle Ressourcen für diesen Bereich anzufordern, weil wir jetzt einfach das Ende des Möglichen erreicht haben. Aber ich wiederhole: Wir werden alles daransetzen, dass die Maßnahmen im kommunalen kriminalpräventiven Bereich auch mit Blick auf die Jugendkriminalität so weitergefahren werden. Wir haben allen Grund, den vielen Ehrenamtlichen, die gerade im Bereich der kommunalen Kriminalprävention tätig sind, zu danken. Da geschieht landauf, landab wirklich Bemerkenswertes. Das Schlimme ist, dass die Situation trotzdem so ist, wie sie ist.