Protocol of the Session on December 11, 2002

Nicht in Biberach, sondern in der ganzen Bundesrepublik.

Ich will diese ganzen Einnahmebetrachtungen des Finanzministers nicht mehr wiederholen, sondern möchte zur Ausgabenseite kommen. Der Pflichtleistungsbereich der Kommunen ist so stark belastet, dass die Gemeinden mittlerweile regelrecht zu staatlichen Auftragsverwaltungen degenerieren. Wir sind heute beim Ausgabenniveau der Kommunen in der Gesamtheit in Deutschland unter dem Niveau des Jahres 1993 angelangt. Das muss man sich vorstellen. Es ist ein permanenter Rückgang, und zwar jetzt auf 50 % dessen, was wir einmal hatten. Dazu müssen Sie wissen, dass die öffentlichen Investitionen zu zwei Dritteln von den Kommunen getätigt werden. Dann merken Sie, wie katastrophal die Lage auch für die Konjunktur in Deutschland mittlerweile ist.

(Abg. Wieser CDU: Die erdrosseln das Wirt- schaftswachstum! – Beifall bei Abgeordneten der CDU)

Der Hauptanteil der Ausgaben entfällt auf den sozialen Bereich. Die Sozialhilfe ist auf Rekordniveau. Die Jugendhilfeausgaben galoppieren uns regelrecht davon. Wenn Sie die gegenwärtige Situation in den Landkreisen sehen – wir stellen ja gerade die Haushaltspläne auf –, stellen Sie fest, dass wir Kreisumlagesteigerungen haben wie noch nie in der Geschichte von Baden-Württemberg. Das können Sie doch nicht negieren. Schauen Sie dazu noch die Verschuldung an. Wir haben beides: Wir haben weggaloppierende Kreisumlagen und exorbitante Schuldenaufnahmen.

(Abg. Brigitte Lösch GRÜNE: Dafür kann doch der Bund überhaupt nichts!)

Das ist unser Problem.

(Abg. Capezzuto SPD: Wo rührt denn die Ver- schuldung her? Wie hoch war die Verschuldung vor vier Jahren? Das weiß er nicht mehr!)

Das Zweite ist die Landeswohlfahrtsverbandsumlage. Es ist ein Elend, wie die sich entwickelt. Der Zustand unserer Landeswohlfahrtsverbände ist weitgehend durch bundesgesetzliche Maßnahmen hervorgerufen.

Jetzt möchte ich auch noch kurz zu dieser Sparliste kommen, verehrte Frau Dederer. Wenn Sie die Sparliste zitieren, dürfen Sie nicht verkennen, dass die Sparliste nicht aus Jux und Tollerei des Landes Baden-Württemberg entstanden ist, sondern eine zwangsläufige Folge als Reaktion auf diese katastrophalen Steuerausfälle ist, die vom Bund herunter auf das Land zukommen.

(Zurufe von der CDU: So ist es! – Beifall bei der CDU)

Wenn gekürzt worden ist, dann geschah dies nicht bei originären Landesaufgaben – noch nicht –, sondern bei Freiwilligkeitsaufgaben, die in der Tat natürlich auch auf der kommunalen Ebene wehtun. Das werden wir uns sicher auch noch ansehen müssen.

Ich möchte auch noch ganz kurz auf die Wege aus dieser Finanzkrise kommen und möchte noch einmal betonen: Das A und O ist, dass wir wieder Wirtschaftswachstum bekommen. Sie müssen endlich den rot-grünen Würgegriff der

Wirtschaft gegenüber beenden. Das ist das Größte, was wir für die Kommunen überhaupt leisten können.

(Beifall bei der CDU)

Sie müssen zu einer Einnahmeverbesserung kommen.

(Abg. Capezzuto SPD: Glauben Sie eigentlich an alles, was Sie sagen?)

Wenn Sie im Bereich der Gemeindefinanzreform jetzt wieder auf die x-te Kommission abheben, dann muss ich Ihnen sagen: Sie haben 1998 eine Kommission einsetzen wollen. Vier Jahre lang ist nichts passiert, überhaupt nichts.

(Abg. Kübler CDU: Gar nichts!)

Jetzt kommen Sie und sagen, unter Vorsitz von Eichel und Riester – ich weiß gar nicht, ob der noch mit dabei ist – soll es jetzt plötzlich losgehen.

(Abg. Dr. Reinhart CDU: Das haben die verges- sen!)

Den Schwerpunkt möchte ich auf die Ausgabenentlastungen gelegt sehen, vor allem im Pflichtbereich. Sie kommen an einer Ausgabenentlastung im Sozialbereich nicht mehr vorbei; das müssen Sie klipp und klar sehen. Man kann in einem Staat nur das verteilen, was erarbeitet worden ist. Das müssen wir wieder in aller Deutlichkeit sagen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU)

Deshalb ist für uns das Erste und Wichtigste im kommunalen Bereich: Die Grundsicherung muss weg.

(Abg. Kübler CDU: Jawohl! So ist es!)

Sie können doch jetzt in dieser Phase nicht neue soziale Leistungen verteilen. Ihre Rechnung stimmt eben nicht.

(Abg. Ursula Haußmann SPD: Die Schwächsten in der Gesellschaft hetzen ist alles, was Sie können!)

Ich habe sie doch aufstellen müssen. Die Kommunen im Land Baden-Württemberg haben Ausgaben für die Grundsicherung in Höhe von 100 Millionen €.

(Abg. Kübler CDU: Sehr gut, Herr Landrat!)

Und der Bund erstattet exakt 32 Millionen €. Die Differenz von über 60 Millionen € muss jetzt per Kreisumlage aufgebracht werden. Da können Sie doch nicht mit der verschämten Altersarmut argumentieren. Das ist eine Argumentation,

(Abg. Brigitte Lösch GRÜNE: Womit argumentie- ren Sie denn?)

die sinngemäß wie folgt lautet: „Möglichst viele, die vorher nicht zum Sozialamt gelaufen sind, müssen jetzt hingehen. Das erreichen wir dadurch, dass wir die Unterhaltspflicht der Kinder praktisch wegnehmen, und dann marschieren sie wohl zum Sozialamt.“ Das ist Ihre Kalkulation, und das verstehen Sie unter verschämter Altersarmut.

(Zuruf der Abg. Brigitte Lösch GRÜNE)

Das ist nichts anderes als eine Mindestrente. Eine Mindestrente kann man aber gesellschaftspolitisch wie finanziell in einer solchen Situation überhaupt nicht fahren.

(Abg. Carla Bregenzer SPD: Immer auf dem Rü- cken der Schwachen machen Sie es!)

Machen Sie deshalb den Weg frei und schließen Sie sich Ihren kommunalen Praktikern an, und verhindern Sie diese Grundsicherung, weil sie unmöglich in die Zeit passt!

(Abg. Schmid SPD: Wir haben die zweite Lesung nachher!)

Wir müssen wahrscheinlich auch – das gehört auch zur Seriosität – –

(Zuruf von der SPD)

Wir stimmen dem Ausführungsgesetz zu – das wissen Sie doch auch –, aber nicht der Grundleistung.

(Abg. Schmid SPD: Also!)

Wir müssen die Leistungsgesetze der letzten Jahre auf den Prüfstand stellen.

(Abg. Schmid SPD: Sie haben die Schlacht schon verloren!)

Das ist wahrscheinlich die Wahrheit. Die ganzen Verbesserungen – ich nenne das Sozialgesetzbuch IX und das Sozialgesetzbuch XI – können die Landeswohlfahrtsverbände nicht mehr finanzieren. Deshalb sollten wir uns, auch wenn es wehtut,

(Abg. Carla Bregenzer SPD: Das tut wirklich weh, wie Sie auf dem Rücken der Schwachen Politik ma- chen!)

diese Sozialleistungen der letzten Jahre in aller Ruhe ansehen und abschichten, was wünschenswert, aber nicht mehr leistbar ist, und was letztendlich noch leistbar ist.

Ich möchte zwei, drei Bemerkungen zur Sozialhilfe insgesamt machen. Sie können das Sozialsystem meines Erachtens nicht mehr in der jetzigen Höhe finanzieren. Das geht schon vom System her nicht mehr: Wir haben ein Bedarfsdeckungsprinzip mit Individualanspruch. Sie kommen nicht mehr umhin, zur echten Pauschalierung überzugehen. Die Pauschalierungsmodelle, die wir heute haben, sind viel zu bürokratisch. Nach wie vor gilt das Bedarfsdeckungsprinzip. Das ist nicht mehr leistbar.

Sie kommen auch nicht mehr umhin, die Höhe sozialer Leistungen herunterzuschrauben. Dieser Ausgangssatz, nämlich die Teilhabe am Wohlstand durch Sozialleistungen, ist nicht mehr zu halten. Das ist wahrscheinlich die Wahrheit. Sie müssen sich mehr zur Existenzsicherung hinbewegen.

Ein Drittes: Sie müssen wieder konsequent den Nachrang in der Sozialhilfe herstellen. Eigenverantwortung und Vermögenseinsatz sind oft durchbrochen worden. Das muss wieder rückgängig gemacht werden.

Zu anderen ausgabenintensiven Gesetzen möchte ich nur so viel sagen: Herr Junginger, wenn Sie jetzt sagen, die Ganz

tagsbetreuung sei ein großes Angebot an die Kommunen, dann möchte ich Ihnen sagen: Zum Ersten hat der Bund überhaupt nicht das Geld, das zu finanzieren.

(Abg. Junginger SPD: Nehmen Sie es doch!)