Protocol of the Session on December 11, 2002

Das heißt im Umkehrschluss: Ein nicht eigenwirtschaftlicher Verkehr kann auch in der Preisbildung vom Land beeinflusst werden. Im Übrigen ist es inhaltlich völlig absurd, das Beschleunigungsvermögen von Fahrzeugen, die Türbreite, die Türhöhe und die Häufigkeit der Toilettenreinigung über Verträge präzise zu regeln, aber den Punkt, der den Kunden am meisten interessiert, nämlich die Frage des Preises, völlig außen vor zu lassen.

(Beifall bei Abgeordneten der Grünen und des Abg. Kaufmann SPD – Abg. Kaufmann SPD: Da hat er Recht! Das stimmt!)

Das Land hat im Übrigen einen Hebel in der Hand. Ich will Ihnen das sagen, weil Sie jetzt sicherlich fragen werden: Wie sollen wir das erreichen? Sie verhandeln soeben über einen langfristigen Verkehrsvertrag mit der DB über zehn Jahre. Dort könnten Sie ein Tarifkapitel einbauen. Der neue Verkehrsvertrag braucht ein Tarifkapitel, damit in Zukunft das Bahnfahren im Nahverkehr nicht teurer wird.

Wir haben noch ein Jahr Zeit. Die Verhandlungen für den Nahverkehrsvertrag laufen jetzt. Wir haben noch ein Jahr Zeit, um zu einem vernünftigen Ergebnis zu kommen. Wer

nämlich jetzt eine alte Bahncard kauft – ich rate das vielen Kunden der Bahn –, hat noch ein Jahr lang 50 % Rabatt. Erst danach wird es für ihn teurer. Innerhalb dieses Jahres müssen Sie eine Lösung finden.

An dieser Stelle muss man auch an die DB appellieren. An die Bahn appelliere ich, dauerhaft beide Arten der Bahncard anzubieten. Der Kunde soll entscheiden, ob er lieber 50 % Rabatt ohne Sperenzchen oder 25 % Rabatt und alle anderen Rabatte haben möchte.

Meine Damen und Herren, es geht hier um mehr als nur um einen kleinlichen Streit um Prozente. Es geht hier darum, dass nicht die treuesten Kunden der Bahn im Nahverkehr vergrault werden. Das sind die Kommunikatoren, die andere informieren, wie sie das neue Preissystem bewerten. Die Bahn hat diese Problematik bisher weit unterschätzt. Leider, muss man sagen, ist bei der Landesregierung ebenfalls kein Problembewusstsein vorhanden. Wir können uns aber ein Scheitern des neuen Preissystems nicht leisten. Wenn dieses neue Preissystem bei den Kunden scheitert, dann gibt es ein Problem für den Schienenverkehr im Land insgesamt. Das sollten wir nicht zulassen.

Uns Grünen ist die Bahn so wichtig, dass wir in den Koalitionsverhandlungen gefordert und auch erreicht haben, dass Bahnfahren ab dem Jahr 2005 auch im Fernverkehr dadurch, dass dafür die Mehrwertsteuer abgesenkt wird, um 10 % billiger wird. Das wird im Übrigen durch eine Verteuerung des Fliegens gegenfinanziert. Dort wird die Mehrwertsteuer erhöht. Das ist die Politik, die wir für richtig halten: Wettbewerbsbedingungen für die Bahn zu schaffen, die sie erfolgreich machen.

Wir haben die Regionalisierungsmittel – anders, als Sie es wahrheitswidrig immer wieder behaupten – deutlich erhöht und für die nächsten fünf Jahre gesichert. Damit haben wir auch einen Spielraum zur Finanzierung eines Landestarifs geschaffen. Denn im Jahr 2001 haben Sie 631 Millionen € an Bundesmitteln für den Nahverkehr ausgegeben, aber 703 Millionen € erhalten. 70 Millionen € waren übrig. Wir fordern Sie nur auf, 5 Millionen € in einen solchen Landestarif zu investieren. Wir glauben, das Geld wäre gut angelegt.

Gestern haben Sie verkündet, Sie würden 102 Millionen € in Stellwerke und Strecken investieren. Nur 5 Millionen € würde es kosten, allen Nahverkehrskunden in Baden-Württemberg ein erheblich attraktiveres Angebot zu machen. Das Einzige, was dem entgegensteht, ist doch, dass die Idee von den Grünen kommt. Schieben Sie es zwei Monate auf. Lehnen Sie jetzt alles von uns ab, und präsentieren Sie es dann als eigene Idee – so, wie Sie es mit guten Ideen von uns immer machen. Sie bekommen auch dann Beifall von uns.

(Beifall bei den Grünen)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bitte um Nachsicht: Ich habe vorhin Herrn Minister Müller übersehen.

(Zurufe von der SPD – Abg. Brigitte Lösch GRÜ- NE: Oh, oh, oh!)

(Präsident Straub)

Ich möchte Ihnen, Herr Kollege Müller, zu Ihrem heutigen Geburtstag herzlich gratulieren und Ihnen alles Gute wünschen.

(Beifall bei allen Fraktionen)

Nun rufe ich noch den Änderungsantrag der Fraktion der SPD, Drucksache 13/1603, zur Aussprache auf.

Das Wort erteile ich Herrn Abg. Schebesta.

(Abg. Seimetz CDU: Jetzt gehts los!)

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Herr Kollege Palmer hat in seinen Eingangsworten darauf hingewiesen, dass der Fernverkehr mit der Bahnreform eigenwirtschaftlich der Deutschen Bahn AG übertragen worden ist. Die DB AG hat deshalb aus wirtschaftlichen Überlegungen ihrerseits ein neues Preissystem auf den Weg gebracht. Sie verspricht, dass es für den Großteil der Kunden einfacher und billiger, also attraktiver sei und dass es zu mehr Einnahmen sowie zu einer höheren Auslastung führe. Für 90 % der Kunden seien die Auswirkungen des Preissystems positiv, für 10 % negativ.

Nun kann man über dieses Preissystem diskutieren und an Einzelpunkten Kritik üben. Schlussendlich wird der Kunde über das Preissystem entscheiden. Ich kann die Zahlen, die die Bahn vorlegt, nicht bewerten. Daher weiß ich nicht, ob es ein Ausdruck dafür ist, dass dieses System gut ankommt, wenn bis zum 9. Dezember 70 000 neue Bahncards und eine Million Reisen im neuen System verkauft worden sind. Ich kann das, wie gesagt, nicht beurteilen. Aber insofern ist schon ein Absatz am Markt erzielt worden.

Meine Damen und Herren, die CDU-Landtagsfraktion hat dieses Preissystem nicht zu verantworten. Wir alle wollen aber mehr Verkehr auf der Schiene. Deshalb sollten wir uns davor hüten, den ÖPNV mit der Bahn madig zu machen. Dass ich das einem Grünen sagen muss, Herr Palmer,

(Abg. Heiderose Berroth FDP/DVP: Das ist rich- tig! – Beifall der Abg. Heiderose Berroth FDP/ DVP)

hätte ich eigentlich nicht erwartet.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU und der FDP/ DVP)

Aber bei dem, was Sie hier am Rednerpult vorgetragen haben, was Sie in der Begründung Ihres Antrags schreiben und was Sie der Presse gegenüber äußern, ist das halt notwendig. Wenn Sie von einer Verteuerung um volle 50 % sprechen, dann ist das dazu geeignet, den ÖPNV mit der Bahn madig zu machen. Man kann nicht jahrelang davon sprechen, dass die Bahncard zu teuer sei und für diejenigen, die selten fahren und spontan fahren wollen, kein attraktives Angebot darstelle, und dann, wenn eine Änderung kommt, diese Änderung unsauber kritisieren. Das machen Sie, wenn Sie nur davon sprechen, welche Auswirkungen die Rabattierung hat, aber nicht davon sprechen, dass gleichzeitig der Preis für die Bahncard deutlich gesenkt worden ist.

(Abg. Boris Palmer GRÜNE: Das habe ich gesagt, Herr Kollege! Ich habe das gesagt!)

Hier. Sie sagen es aber nicht immer. – Der Preis für die Bahncard ist von 140 € auf 60 € gesenkt worden. Sie kritisieren auch unsauber, wenn Sie nicht sagen, dass der Partner eines Bahncardbesitzers eine verbilligte Bahncard und seine Kinder bis 17 Jahren eine Bahncard für 5 € erhalten können, und wenn Sie zudem Änderungen, die nichts mit der Bahncard zu tun haben, nämlich Änderungen im Interregioverkehr, mit dem neuen Preissystem vermischen.

Noch einmal: Die CDU-Fraktion hat dieses Preissystem nicht zu verantworten; aber jeder von uns hat zu verantworten, wie er darüber redet und wie er die Auswirkungen beschreibt, die das Preissystem haben kann, wie er im Inhalt und in der Öffentlichkeitsarbeit Einfluss auf das Ansehen des ÖPNV mit der Bahn nimmt.

Wenn es im Fernverkehr billiger werden soll, die Einnahmen aber nicht sinken sollen, muss das Geld irgendwo herkommen. Es wird jedenfalls zu Beginn nicht alles durch mehr Fahrgäste und mehr Verkehr erreicht werden können. Die Auswirkungen im Nahverkehr können wir bedauern, aber sie sind Ausdruck einer bewussten Geschäftspolitik.

Von welcher Gruppe reden Sie, wenn Sie behaupten, die treuesten Kunden würden vergrault? 80 % der Pendler, die Sie wohl auch im Auge haben, nutzen die Schiene mit Streckenzeitkarten. 60 % der Fahrten im Nahverkehr entfallen auf Verkehrsverbünde. Darüber hinaus reden wir von denen, die den Nahverkehr gelegentlich nutzen, kurze Strecken mit der DB fahren und dafür die Bahncard in Anspruch nehmen. Für diese Gruppe läuft jetzt ein politisches Spiel ab, das wir hier schon kennen und das Sie bei vielen anderen Punkten auch schon gespielt haben, nämlich: Die Deutsche Bahn betreibt eine Geschäftspolitik, der Bund nimmt darauf keinen Einfluss, obwohl er über den Aufsichtsrat Einfluss nehmen könnte, die Auswirkungen werden kritisiert, und das Land soll Auswirkungen auffangen. So geht es nicht. So ging es nicht bei vergangenen Debatten, und so geht es auch nicht heute, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der CDU – Abg. Boris Palmer GRÜ- NE: Die Ursache sind Sie!)

Es wäre zu offensichtlich, wenn Sie jetzt nur sagen würden, das Land müsse etwas auffangen. Deshalb benützen Sie eine Krücke, indem Sie einen von Ihnen so beschriebenen Flickenteppich der Verbünde im Land kritisieren und hierfür das Wort „Kleinstaaterei“ verwenden.

Meine Damen und Herren, es ist etwas Unterschiedliches, ob man ÖPNV in Stuttgart oder in Karlsruhe macht, ob man ÖPNV im Umland von Freiburg gestaltet, wo viele Verkehrsströme zwischen dem Umland und der Stadt fließen, oder ob man ÖPNV im ländlichen Raum anbietet. Das ist etwas völlig Unterschiedliches. Wer das nicht beachtet und von Kleinstaaterei spricht, wenn wir dafür unterschiedliche Antworten vor Ort finden, der wird die Verbünde unattraktiv machen oder dafür sorgen, dass ein Fass ohne Boden entsteht.

Die CDU-Fraktion teilt die Auffassung der Landesregierung, dass Verkehrsverbünde durch die Vereinbarung der beteiligten Unternehmen und der örtlichen Gremien aufgestellt werden und dass es besser ist, wenn vor Ort entschieden wird, wo, in welcher Größenordnung und wie Verkehrsverbünde und Tarifverbünde gestaltet werden, meine Damen und Herren. Deshalb lehnen wir den Änderungsantrag der SPD-Fraktion ab. Wir halten es für richtig, wenn vor Ort entschieden wird, und eine solche Entscheidung vor Ort kann auch über die Anerkennung der Bahncard im Nahverkehr getroffen werden. Vielleicht und hoffentlich führen die reduzierten Rabatte dazu, dass die Bahncard im Nahverkehr besser ankommt. Auf die Frage, ob in den Verhandlungen zwischen Verbünden und der DB schon Ergebnisse eingetreten sind, kann die Landesregierung über das hinaus, was schon in der Stellungnahme steht, eingehen. Wir halten die Tarifbildung vor Ort in diesem Bereich für richtig, und wir lassen uns nicht zum Ausputzer für Entscheidungen machen, die wir nicht zu verantworten haben.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU und des Abg. Pfister FDP/ DVP)

Das Wort erteile ich Herrn Abg. Kaufmann.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Zunächst auch von dieser Stelle herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag an den Minister auch von unserer Seite.

Meine Damen und Herren, um auf das eigentliche Thema zurückzukommen, darf ich Sie daran erinnern, dass wir gestern in den überregionalen Tageszeitungen große Anzeigen der DB AG gesehen haben. An dieser Stelle fällt mir das Sprichwort von den getroffenen Hunden ein, die in diesem Falle auch bellen. Ich sage dazu: Eine vernünftige Verkehrspolitik und eine vernünftige Preisgestaltung brauchen eigentlich nicht diese Begleitmusik in den Anzeigen.

Die Tarifgestaltung der Bahn, soweit sie den Fernverkehr betrifft, ist unter Marktgesichtspunkten vernünftig und richtig. Die Bahn macht nämlich genau das, was jedes Unternehmen machen kann: Sie betreibt eine Preisdifferenzierung. Mit dieser Preisdifferenzierung kann sie neues Kundenpotenzial gewinnen. Das zahlt sich wirtschaftlich auch aus. Dagegen ist nichts einzuwenden. Schnäppchenjäger können dann Fahrkarten zu einem auf bis zu 20 % des Normalpreises ermäßigten Preis ergattern. Das ist alles im Prinzip vernünftig. Nur: Im Nahverkehr gelten diese Vorteile nur äußerst eingeschränkt, und für den Nahverkehr ist dieses Tarifkonzept auch nicht gedacht. Kein Mensch zwingt uns, dieses Tarifsystem der DB im Nahverkehr zu übernehmen. Für den schienengebundenen Personennahverkehr hat das Land eine originäre Verantwortung. Diese Verantwortung muss das Land wahrnehmen.

(Beifall bei der SPD und des Abg. Boris Palmer GRÜNE – Abg. Boris Palmer GRÜNE: Sehr rich- tig!)

Ich stimme mit dem überein, was vorhin gesagt wurde: Sowohl aus der Stellungnahme zu dem Antrag der Grünen als

auch aus dem, was soeben der Kollege Schebesta gesagt hat, wird nicht deutlich, dass das Land seine Zuständigkeit erkennt. Der DB-Tarif gilt in Baden-Württemberg ja nur deshalb, weil wir für die die Verkehrsverbünde überschreitenden Verkehre keinen eigenen Tarif und keine eigenen Regelungen haben.

(Zuruf der Abg. Heiderose Berroth FDP/DVP)

Nur deshalb wird dieser Tarif der DB bei uns angewandt. Wir müssen ihn ja auch anwenden, weil wir keinen eigenen Landestarif haben. Ich darf darauf hinweisen: Das Land Schleswig-Holstein wird zum 15. Dezember einen eigenen Landestarif einführen. Kein Mensch hätte uns verboten, in Baden-Württemberg ebenfalls so etwas zu machen.

(Abg. Schebesta CDU: Wollen Sie einen einheitli- chen Tarif für das ganze Land? – Zuruf des Abg. Hauk CDU)

Ich bin für einen einheitlichen Landestarif. Das wäre eine vernünftige Lösung. Über die Höhe des Tarifs kann man sich unterhalten und auch darüber, wie die Kosten verteilt werden.

(Zurufe der Abg. Hauk und Schebesta CDU)

Wir zahlen ja jetzt schon Zuschüsse für Harmonisierungs-, Durchtarifierungsverluste und Ähnliches. Das heißt: Wir sind bei der Preisgestaltung eh schon finanziell dabei. Ein einheitlicher Tarif mit einem einheitlichen Rabatt auf Landesebene wäre eine vernünftige Lösung. Dies würde dazu beitragen, dass wir den Verkehr, den wir auf die Schiene bringen wollen, auch tatsächlich auf die Schiene bringen. Im Moment wird ein Großteil der Kunden, welche die Bahn so flexibel wie das Auto nutzen wollen, vergrault. Bei diesem Kundenkreis ist die Preissensibilität sehr hoch. Durch die Halbierung des Rabattes, die bei uns automatisch entsteht, aber nicht entstehen müsste – Herr Palmer hat schon darauf hingewiesen –, leidet das Land unter dieser Tarifreform. Wenn wir größere Verkehrsverbünde hätten, könnten wir ganz andere Tarife anbieten. Die Tarifstruktur liegt daher auch in unserer eigenen Verantwortung.

Deshalb meinen wir, dass es vernünftig ist, hier entsprechend zu reagieren. Wir haben im Unterschied zu den Grünen vorgeschlagen, zu versuchen, die Zahl der Verkehrsverbünde entsprechend zu reduzieren, darauf hinzuwirken, dass Verkehrsverbünde sich zusammenschließen, mit dem Ziel, mit wenigen großen Verkehrsverbünden den Kunden des öffentlichen Personennahverkehrs ein einfaches und übersichtliches Angebot machen zu können. In der Tat bereitet uns der Flickenteppich an Verkehrsverbünden im Land diese Probleme. Als Aufgabenträger für den schienengebundenen Personennahverkehr müssen wir darauf hinwirken, dass der Übergang zwischen diesen Verkehrsverbünden zumindest durch günstige Tarife erleichtert wird, damit unsere Kunden nicht bestraft werden.