Protocol of the Session on December 11, 2002

Dann kommt eine Geschichte dazu, die der Kollege Scheuermann vorhin vorsichtig angesprochen hat. Ich möchte sie einmal etwas pointierter ausdrücken: Ehrlichkeit in der Fernstraßenpolitik. Es ist schon bemerkenswert, dass in den letzten drei bis sechs Wochen vor der Bundestagswahl Vertreter dieser Bundesregierung in Baden-Württemberg unterwegs waren und zusätzliche Bundesfernstraßen im Wert von 100 Millionen € versprochen haben – Baubeginn alsbald, konkret im Jahr 2003 –, und davon nichts, aber auch gar nichts im nächsten Jahr Realität wird, weil wir nämlich keinen müden Cent dazubekommen.

Jetzt vergleichen Sie es einmal nach dem Motto „Versprochen – gebrochen“. Das ist das große Thema, das man an diesem Beispiel deutlich machen kann. Ich kann Ihnen die Projekte auch ganz genau aufzählen. Ich habe sie alle im Kopf. Vor mir sitzt der Kollege Gundolf Fleischer. Ich denke an Umkirch, an die B 31. Drei Tage vor der Wahl sagt man: Die B 31 kommt in Umkirch. Nichts ist, gar nichts. Herr Bodewig stellt sich hin und sagt: Die B 28 bei Ergen

(Minister Müller)

zingen kommt. Wegen des Zusammenhangs mit der L 1361 hat er mitbekommen, dass er vielleicht etwas dazu sagen sollte. Nichts kommt.

(Abg. Heiderose Berroth FDP/DVP: 1461!)

Wir haben beim Bundesverkehrsministerium angefragt, ob wir dafür Geld bekommen – natürlich nicht. Grünmettstetten, Laufenburg, Nollinger Bergtunnel, alles wurde in diesen Wochen versprochen.

(Abg. Knapp SPD: Ihr müsst das halt einmal priori- sieren!)

Jetzt fangen Sie mir bloß nicht mit der Priorisierung an. Ich weise Ihnen gerade die bewussten Lügen nach, Herr Knapp.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP – Zuruf von der CDU: Skandalös!)

Das muss man wirklich einmal sagen. Dieses große Thema „Versprochen – gebrochen“ ist das Thema dieser Regierung, und es holt sie gnadenlos ein.

(Beifall des Abg. Dr. Lasotta CDU – Abg. Alfred Winkler SPD: Sie haben doch jahrelang Verspre- chungen gemacht mit weniger Geld! Sie haben Versprechungen gemacht mit weniger Geld! – Abg. Dr. Caroli SPD: Das ist keine Geburtstagsrede!)

Herr Winkler, jetzt will ich Ihnen einmal etwas sagen. Vor dieser Bundestagswahl hat kein einziger CDU-Bundestagsabgeordneter oder -kandidat, auch nicht der Landesverkehrsminister, irgendeine Straße in Baden-Württemberg nach dem Motto versprochen: Wenn die CDU drankommt, wird sie die entsprechenden Straßen bauen.

(Zuruf des Abg. Alfred Winkler SPD – Unruhe)

Aber die Sozialdemokraten haben es gemacht. Das macht Sie nervös.

(Beifall bei der CDU – Lebhafte Zurufe von der SPD, u. a. Abg. Alfred Winkler: Jahrelang ist die A 98 versprochen worden! Da bin ich Zeitzeuge für Sie! – Gegenruf des Abg. Fleischer CDU: Ein an- deres Beispiel! Das ist in diesem Bereich das trau- rigste! – Unruhe)

Herr Winkler, wer wollte denn die A 98 überhaupt? Die SPD oder die CDU? Können Sie mir das einmal sagen? Sie wollten sie doch gar nicht.

(Abg. Fleischer CDU zur SPD: Ihr wolltet sie doch gar nicht! Ihr habt sie bekämpft, oder nicht? – Abg. Alfred Winkler SPD: Sie haben sie versprochen, die ganze Zeit! – Abg. Fleischer CDU: Die SPD vor Ort hat sie bekämpft! – Gegenruf des Abg. Al- fred Winkler SPD: Und Sie haben sie versprochen! – Zuruf des Abg. Teßmer SPD – Unruhe)

Ja, aber in unserer Zeit ist auch an der A 98 etwas gebaut worden. Das ist der Unterschied.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU – Lebhafte Un- ruhe)

Meine Damen und Herren, ich möchte Sie bitten, mehr Ruhe zu bewahren und vor allem am Geburtstag des Herrn Ministers die Diskussion – –

(Heiterkeit und Beifall – Abg. Ursula Haußmann SPD: Endlich ist die Präsidentin aufgewacht! – Abg. Alfred Winkler SPD: Aber Sie müssen schon bei der Wahrheit bleiben!)

Jetzt will ich nur noch eine Bemerkung dazu machen. Herr Kollege Göschel, Sie haben ja freundlicherweise die Kurve gekriegt, als Sie darauf verwiesen haben, dass die Istmittel etwas geringer sind – in den Vorjahren waren sie zum Teil deutlich geringer –

(Abg. Göschel SPD: Dramatisch geringer! – Zuruf des Abg. Knapp SPD)

als die Mittel, die im Haushalt ausgewiesen waren, also als das Soll.

(Abg. Göschel SPD: Von niedrigem Sockel!)

Es gibt immer wieder globale Minderausgaben beim Bund und beim Land. Sehen Sie einen Unterschied zwischen einer Haushaltsbewirtschaftungsmaßnahme, die wir dem Bund noch nie als Lüge nachgewiesen haben – wir bedauern zwar, dass wir weniger Geld haben, aber wir haben nicht gesagt, dass da ein Versprechen gebrochen worden wäre –, und dem Versuch, dass örtliche Akteure drei Wochen vor einer Wahl ganz konkrete Straßen versprechen, von denen sie wissen, dass sie diese Versprechen gar nicht einlösen können? Gibt es da nicht einen Unterschied? Ich glaube schon. Darüber brauchen wir nicht zu reden.

(Beifall bei der CDU – Abg. Göschel SPD: Das müssen wir auch einmal untersuchen, wer da wann was versprochen hat! – Weitere Zu- und Gegenrufe von der SPD und der CDU)

Jetzt werden wir also die schöne Aufgabe haben, im Jahr 2003 nicht alle Baustellen so fortführen zu können. Diese Aufgabe aber überlässt man uns.

Meine Damen und Herren, jetzt will ich zum zweiten Komplex, zu den strukturellen Dingen kommen. Es gab zwei Bemerkungen, die zwischen Rot und Grün strittig waren, die aber zwischen uns und der SPD nicht strittig waren. Das betraf erstens die Verlängerung von Planfeststellungsverfahren. Sie ist an den Grünen gescheitert. Die SPD wollte das machen, der Bundesrat wollte das machen. Das war eine Initiative von uns.

Zweitens betraf dies – das ist ja Gegenstand eines der vier Anträge, und der Kollege Scheuermann hat davon gesprochen – das Umswitchen von nicht verbrauchten Bahnmitteln. Die SPD wäre dazu bereit. Das ist übrigens ein Thema, das nicht nur im November 2001 aktuell war, sondern das jetzt wieder ganz genauso aktuell ist. Und es klappt wieder nicht.

Da muss man schon sagen: Wenn solche Selbstverständlichkeiten nicht funktionieren, ist das doch eigentlich sehr bedauerlich. Man kann ja über vieles reden. Das wären aber zwei Dinge, die eigentlich ganz normal sein sollten.

(Minister Müller)

Ich habe übrigens mein erstes Gespräch mit dem Bundesverkehrsminister in einer Runde geführt, zu der alle 16 Verkehrsminister der Länder eingeladen waren. Ich bin gern bereit, neue Signale aus dem Bundesverkehrsministerium aufzugreifen. Eines der neuen Signale war für mich bemerkenswert, nämlich dass der Bundesverkehrsminister gesagt hat, die Maut müsse eigentlich zusätzlich kommen. „Zusätzlich kommen“! Wenn das wirklich wahr ist, à la bonne heure! Das muss dann natürlich in dem richtigen Umfang erfolgen, nämlich in dem Umfang, in dem sie erhoben worden ist. Ich bin jetzt einmal gespannt. Er hat in dieser Runde davon gesprochen, wenn man dem Bürger eine Maut abnehme, sei es eine Frage der Glaubwürdigkeit, dass die Einnahmen auch in den Verkehr zurückflössen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU und der Abg. Heiderose Berroth FDP/DVP – Abg. Dr. Lasotta CDU: Aber 100 %! – Zuruf der Abg. Heiderose Berroth FDP/DVP)

Zusätzlich, einverstanden. Ich hoffe darauf.

Ich hoffe auch auf mehr Kooperation. Es wäre mir recht, wenn wir zu einem besseren Vertrauensverhältnis kommen könnten. Lassen Sie mich noch einmal sagen: Wir erwarten vom Bund, dass die Sondersituation Baden-Württembergs, die sich aus der Geschichte heraus – auch aus der jüngeren Geschichte der Neunzigerjahre heraus – ergibt, die sich aber auch aufgrund von objektiven Tatbeständen ergibt, für die niemand etwas kann, berücksichtigt wird. Das betrifft auch den Nachholbedarf, der sicher auch damit zusammenhängt, dass in den Achtzigerjahren oder den Neunzigerjahren nicht genügend gemacht worden ist. Das will ich überhaupt nicht bestreiten. Das haben wir schon damals kritisiert. Das kritisieren wir auch heute.

(Abg. Göschel SPD: Aber damals nicht so heftig! – Abg. Knapp SPD: Da wird immer sehr leise ge- sprochen!)

Das betrifft auch den hohen Anteil an Transitverkehr und die Verkehrsbelastung. Diese Zahlen sind ja ein Ausdruck dessen, was wir beispielsweise an Wirtschaftskraft haben. Das betrifft auch die Ost-West-Verkehre, die es auch bei uns gibt, die aber nicht in irgendein Projekt Deutsche Einheit eingehen, zum Beispiel die A 6. Das betrifft auch die Topographie. Wenn man all das zusammennimmt, ist es nicht mehr als recht und billig, wenn das Land Baden-Württemberg sagt: Gebt uns wenigstens so viel Geld, wie wir Anfang der Neunzigerjahre hatten, nämlich 300 Millionen €, für Neubaumaßnahmen. Meine Damen und Herren, wenn wir uns in diesem Hause einig wären, dass es ein angemessener, ein legitimer, kein überzogener Wunsch wäre, dass das Land Baden-Württemberg 300 Millionen € für den Neubau im Bundesfernstraßenbereich bekäme, und wenn dann jeder an seiner Stelle kämpfte, also wir hier und meine Wenigkeit bei der Verkehrsministerkonferenz und Sie in Berlin, wenn wir uns einmal über diese Größenordnung verständigen könnten, würde ich sagen: „Das ist eigentlich immer noch zu wenig, aber man muss ja Realist sein und anständig bleiben“, dann wäre das ein Ertrag dieser Debatte, und Sie würden mir direkt ein Geburtstagsgeschenk machen.

(Abg. Boris Palmer GRÜNE: Das können wir lei- der nicht! – Abg. Heiderose Berroth FDP/DVP: Und Weihnachtsgeschenk dazu!)

Und Weihnachtsgeschenk dazu.

Übrigens, die Beurteilung der Frage, ob wir früher mehr oder weniger bekommen haben, hängt wirklich davon ab, wie man die Dinge betrachtet. Ich sage Ihnen bloß ein Beispiel. Ein Mehr wird es im Zusammenhang mit dem Antistauprogramm geben, also mit der Maut. Wenn es keine Maut gibt, kann man das Geld auch nicht ausgeben. Jetzt haben Sie vier Jahre regiert, und wir haben die Maut immer noch nicht, und wir werden sie auch im fünften Jahr noch nicht haben. Dass man dann, wenn es die Maut gibt, mehr Geld zur Verfügung hat, ist richtig. Ich kann nur hoffen, dass die Einnahmen aus der Maut dann wirklich ausschließlich und zusätzlich in den Verkehr gehen.

Von wegen überproportionaler Begünstigung des Landes Baden-Württemberg: Herr Kollege Göschel, beim Antistauprogramm, wenn es denn kommt, stimmt es, aber in allen übrigen Bereichen nicht.

(Abg. Göschel SPD: Dann hat der Kollege Scheu- ermann vorhin Unrecht gehabt! Das hat Herr Scheuermann gesagt! Ich habe ihn nur bestätigt!)

Sie sagten: dreimal. Einmal von dreimal stimmt. Sie sagten: dreimal bevorzugt. Einmal stimmt es, aber zweimal stimmt es halt nicht.

Meine Damen und Herren, ich will zu dem Stichwort Albaufstieg etwas sagen. Beim Albaufstieg haben wir es mit dem Versuch zu tun, eingedenk der Finanzknappheit zu neuen Finanzierungswegen zu kommen. Ich warne immer ein bisschen vor diesen neuen Finanzierungswegen. Man sagt ja oft: In der Not frisst der Teufel Fliegen. Die ganze Diskussion, die wir auch anhand konkreter Projekte – ich denke beispielsweise an Schwäbisch Gmünd, aber auch an die B 312 hier in Stuttgart – bezüglich einer Vor- und einer Mitfinanzierung führen, können wir uns abschminken. Mittlerweile ist unstreitig, dass auch der Bund einsieht, dass eine Vor- und eine Mitfinanzierung nicht in Betracht kommen.

Wir sind uns auch darin einig, dass eine EngelbergtunnelFinanzierung, die unechte Privatfinanzierung, nicht mehr in Betracht kommt. Ich habe das ja neulich einmal so beschrieben: Es war kein Fehler, aber eine Sünde. Man kann einen Fehler vielleicht dreimal begehen, aber man sollte eine Sünde nicht mehr als dreimal begehen. Das ist ohne Frage ein Weg, den wir so nicht mehr gehen können.

Bleibt die echte Privatfinanzierung. Für sie haben wir uns eingesetzt. Es war für mich schon bemerkenswert, dass ich in dieser Frage für den Bund die Kohlen aus dem Feuer geholt habe, als diese Finanzierung nämlich höchst umstritten war. Mittlerweile sind sich die meisten darin einig, dass man diesen Weg gehen sollte. Die SPD des Landes war ursprünglich auch dagegen. Sie hat mittlerweile die Kurve gekriegt, nachdem sie gesehen hat, dass dieser Weg nicht ganz so unpopulär ist. Wir haben, glaube ich, auch die richtige Konzeption gewählt. Was wir beim Albaufstieg ma

(Minister Müller)

chen, wird uns in die Lage versetzen, in einem überschaubaren Zeitraum tatsächlich ein Schlüsselproblem zu lösen, und zwar mit der richtigen Konzeption, die wir dem Bund auch vorgeschlagen haben.

Ich kann übrigens nicht ausschließen, dass es beim Timing gewisse Verzögerungen gibt, je nachdem, wie das Planfeststellungsverfahren abläuft und ob es möglicherweise Klagen gibt. Ich kann auch nicht ausschließen, dass es teurer wird als geplant. Dann wird eben die Maut noch ein bisschen steigen müssen. Es ist der Vorteil dieser Lösung, dass wir mit der Maut praktisch die jeweiligen Kosten finanzieren können. Aber ich bin stolz, muss ich Ihnen wirklich sagen, in einem verminten Gelände – wenn es wirklich einmal an den Geldbeutel des Autofahrers geht, und zwar auch des Pkw-Fahrers, ist es ein vermintes Gelände – den Kopf hingehalten zu haben. Zum Schluss haben wir in dieser Frage einen Konsens erzielt, dass wir die Geschichte so machen sollten.