Meine Damen und Herren! Ich eröffne die 35. Sitzung des 13. Landtags von Baden-Württemberg und darf Sie begrüßen.
Meine Damen und Herren, eine Zusammenstellung der E i n g ä n g e liegt Ihnen vervielfältigt vor. – Sie nehmen davon Kenntnis und stimmen den Überweisungsvorschlägen zu. Es ist so beschlossen.
1. Mitteilung des Finanzministeriums vom 13. November 2002 – Vierteljährliche Unterrichtung über Steuereingänge und Staatsausgaben (Beschlüsse des Landtags vom 15. März 1973, Druck- sache 6/1993, und vom 20. Dezember 1973, Drucksache 6/3910 Ziffer II Nr. 6); Haushaltsjahr 2002 (Januar bis September) – Drucksache 13/1492
2. Mitteilung der Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten der Bundesrepublik Deutschland (ARD) vom 27. November 2002 – Information der Landesparlamente über die wirtschaftliche und finanzielle Lage der Landesrundfunkanstalten der ARD – Drucksache 13/1568
3. Mitteilung des Zweiten Deutschen Fernsehens (ZDF) vom 29. November 2002 – Information der Landesparlamente über die wirtschaftliche Lage des ZDF – Drucksache 13/1579
4. Mitteilung des Landesbeauftragten für den Datenschutz vom 2. Dezember 2002 – Dreiundzwanzigster Tätigkeitsbericht des Landesbeauftragten für den Datenschutz in Baden-Württemberg – Drucksache 13/1500
5. Mitteilung des Deutschlandradios vom 5. Dezember 2002 – Information der Landesparlamente über die wirtschaftliche Lage des Deutschlandradios – Drucksache 13/1593
Dann treten wir in die Tagesordnung ein, nachdem das heutige Geburtstagskind, Herr Minister Müller, im Moment nicht anwesend ist.
Antrag der Fraktion GRÜNE und Stellungnahme des Ministeriums für Umwelt und Verkehr – Auswirkungen des neuen Preissystems der Deutschen Bahn auf den Schienenpersonennahverkehr in Baden-Württemberg – Drucksache 13/1467
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Minister Müller, aus Anlass Ihres heutigen Geburtstags beginne ich meine Rede mit einem Lob für Sie. Ich will den Ausführungen, die Sie in der Stellungnahme zu unserem Antrag gemacht haben, insofern ausdrücklich zustimmen, als Sie feststellen, dass für den Fernverkehr auf der Schiene der Bund und die DB AG zuständig sind und nicht das Land Baden-Württemberg.
Es trifft auch Ihr Hinweis zu, dass seit der Bahnreform der Fernverkehr eigenwirtschaftlich betrieben werden soll und dass die wirtschaftliche Beurteilung eines neuen Preisgefüges insoweit Sache der DB AG und nicht des Bundes oder des Landes ist. Insoweit können wir uns hier gegenseitige Schuldzuweisungen ersparen.
Es ist auch richtig, dass das Land keine Genehmigung dieses neuen Fernverkehrstarifs erteilen konnte und dass es auch nicht anderweitig gefordert war.
In der Tat: Wären wir in Hessen und nicht in Baden-Württemberg, so könnten wir uns die heutige Diskussion ersparen, denn in Hessen gibt es zwei große Verkehrsverbünde. Dort galt die Bahncard in der Vergangenheit ohnehin nicht. Die Veränderung, die das neue Preissystem mit sich bringt, wirkt dort im Nahverkehr überhaupt nicht. In großen Verkehrsverbünden ist der Preis für Fahrten über mittlere Distanzen im Nahverkehr ohnehin bereits so weit rabattiert, dass er so günstig ist wie mit 50 % Rabatt durch die Bahncard.
Dass wir heute dennoch über dieses Thema reden müssen, ist einem Sonderproblem Süd geschuldet. Was ist damit gemeint? Werfen wir einen Blick auf das neue Preissystem.
Ich möchte hier ausdrücklich erwähnen, dass ich insgesamt viele Vorteile dieses Systems sehe. Ich halte auch nichts davon, es von vornherein schlechtzureden. Die Chancen, die zum Beispiel für Familien, für Gruppenreisende und für Gelegenheitsreisende in diesem System stecken, sind groß, und wir sollten sie hervorheben. Viele Menschen können mit dem neuen System der Bahn sparen, und zwar wesentlich mehr als in der Vergangenheit.
Gleichwohl hat dieses System Nachteile. Ich möchte insbesondere kritisieren, dass eine Einschränkung der Flexibilität des Systems Bahn vorgenommen wird. Mich persönlich ärgert der pädagogische Habitus dieses Systems, indem extreme Strafgebühren verhängt werden, ungefähr nach dem Motto Gorbatschows: Wer zu spät kommt, den bestraft die Bahn.
Es gibt auch einen Nachteil, der ausschließlich im Nahverkehr greift, nämlich dass die Rabattierung durch die Bahncard von bisher 50 % auf 25 % absinkt und dafür kein Ausgleich geboten wird. Denn während im Fernverkehr durch die Frühbucherrabatte und durch die Degression, die Verbilligung auf langen Strecken, erhebliche Vergünstigungen als Ausgleich gewährt werden, gibt es diese Vergünstigungen im Nahverkehr nicht. Im Gegenteil, auf kurzen Strecken erhöht die Bahn sogar den Preis.
Ein konkretes Beispiel hierfür: Auf der Strecke Tübingen– Stuttgart kostet bis dato die einfache Fahrt mit der Bahncard 4,50 €, also die Hälfte des Normalpreises von 9 €. Ab 15. Dezember kostet diese Fahrt 6,75 € – eine Verteuerung um 50 %. Verschärfend kommt hinzu, dass durch die Umstellung von bisherigen Interregiozügen auf Intercityzüge zum Beispiel auf der Relation Karlsruhe–Stuttgart der Preis für Bahncardkunden um 96 % ansteigt und auf der Relation Mühlacker–Karlsruhe ein Spitzenzuwachs, eine Verteuerung um 200 % von 4 € auf über 12 € stattfindet.
Leider hat die Landesregierung für diese Verteuerungen keinerlei Problembewusstsein, wie sich aus der Stellungnahme zu unserem Antrag ergibt. Dort wird die gewagte These formuliert, es sei bei aller hier gebotenen Zurückhaltung nicht ausgeschlossen – lassen Sie es sich auf der Zunge zergehen: nicht ausgeschlossen –, dass die Auswirkungen eher gering ausfallen würden. Herr Minister Müller, jetzt ist Schluss mit den Glückwünschen zum Geburtstag. Sie sind hier im bahnpolitischen Blindflug unterwegs. Ganz offensichtlich sehen Sie sich außerstande, die gravierenden Konsequenzen des neuen Preissystems für den Nahverkehr einzuschätzen.
Ich zitiere aus der Stellungnahme der Landesregierung: Es ist ausschließlich Sache der DB AG, was die Preisgestaltung im Fernverkehr angeht.
Herr Minister Müller, Sie sagen, selbst wenn ich Recht hätte mit den Einschätzungen der negativen Auswirkungen auf den Nahverkehr, so könne das Land doch überhaupt nichts
dafür. Sie haben per Pressemitteilung verkünden lassen, dass Sie nicht bereit seien, den Lückenbüßer für die Bahn zu spielen. Da möchte ich anmerken, dass das logisch nicht schlüssig ist. Sie behaupten doch, es gebe wahrscheinlich gar keine Auswirkungen. Wenn es gar keine Lücke gibt, dann kann auch niemand den Lückenbüßer spielen.
Im Übrigen gibt es eine spezifische Verantwortung dieser Landesregierung für dieses Sonderproblem Süd, nämlich die gewollte Kleinstaaterei bei den Verkehrsverbünden. Sie nennen das euphemistisch den dezentralen Ansatz, dass wir in Baden-Württemberg 21 Zwergverbünde haben, die so klein sind, dass schon bei der Fahrt von Tübingen nach Stuttgart nur der Bahncardtarif Vergünstigungen gewährt, kein Verbundtarif. Wären Tübingen und Stuttgart in Hessen, dann hätten wir hier einen einheitlichen Verkehrsverbund, in unserem Fall vielleicht den Verkehrsverbund Württemberg und bräuchten uns nicht über ein Problem zu streiten.
(Zuruf des Abg. Theurer FDP/DVP – Abg. Hauk CDU: Vor allen Dingen in der Rhön, wo es keine Schiene mehr gibt! Das wäre besonders interes- sant!)
Nebenbei bemerkt: Dass keiner der 20 Verkehrsverbünde in Baden-Württemberg die neue Bahncard anerkennt, obwohl anderes versprochen wurde, ist ebenfalls ein Versäumnis der Landesregierung, die den Verbünden überhaupt keine Anreize gibt, mit der Bahn zu einem vernünftigen Abschluss zu kommen. Es gibt eine Verantwortung der Landesregierung für die massive Verteuerung im Nahverkehr. Herr Minister Müller, S i e sind die Lücke.
Es gibt für das Problem zwei denkbare Lösungen. Die eine Lösung habe ich skizziert, nämlich flächendeckende Großverbünde wie in Hessen einzuführen. Diese Chance ist vor zehn Jahren verpasst worden, und wir werden diese Fehlentscheidung auch nicht so schnell korrigieren.
Der andere Vorschlag, den wir Ihnen hier konkret unterbreiten, ist der Landestarif, ein Landestarif Baden-Württemberg. Mit diesem Wappen an der Brust weise ich darauf hin, dass die Einführung eines Landestarifs auch eine patriotische Aufgabe sein könnte.
Dieser Landestarif Baden-Württemberg soll eine Absenkung des Grundpreises für alle Kunden im Nahverkehr um 25 % bewirken, 25 % Absenkung für alle, auch für Gelegenheitskunden. Bitte richten Sie Ihrer Pressestelle im Umwelt- und Verkehrsministerium aus, dass wir hier von den Nahverkehrszügen reden und deswegen die Antwort, für ICs sei die Bahn zuständig, völlig daneben greift. Um die ICs können wir uns in der Tat nicht kümmern. Es geht um Nahverkehrszüge.
Der Vorteil hat zwei Dimensionen. Zum einen: Für Gelegenheitskunden wird es attraktiver, die Bahn zum ersten Mal zu benutzen. Zum anderen: Für treue Bahncardnutzer wird die Verteuerung um volle 50 % vermieden. Für Bahn
cardkunden gibt es die 25 % Rabatt, die es für alle gibt, und zusätzlich auf den ermäßigten Preis 25 % Rabatt durch die neue Bahncard. Das ergibt in der Summe – Prozentrechnung – 44 % Rabatt. Das bedeutet also eine nur geringfügige Erhöhung, die durch die Reduktion des Einstandspreises – die Bahncard wird im Kauf ja wesentlich günstiger – ausgeglichen werden kann.
Wir schlagen überdies vor, zusätzlich Landesjahreskarten anzubieten. Die meisten der Kollegen hier im Raum wissen diese schon zu schätzen. Abgeordnete sind bisher die Einzigen, die solche Landesjahreskarten erwerben können, kostenlos, versteht sich. Der Nutzen dieser Karten – hohe Flexibilität – könnte allen Kunden im baden-württembergischen Nahverkehr zuteil werden. Wir schlagen hierfür einen Preis von 1 500 € pro Jahr für Erwachsene und 500 € pro Jahr für Jugendliche und Studierende, also Menschen in Ausbildung, vor.
Die Kosten dieses Landesnahverkehrstarifs sind bemerkenswert gering. Wir haben es kalkuliert: 5 Millionen € jährlich. Das ist nur ein Prozent der Summe, die das Land pro Jahr aufwendet, um bei der Bahn und anderen Schienenverkehrsunternehmen Schienenverkehrsleistungen zu bestellen. Es ist übrigens in etwa auch nur der Betrag, der sich aus den jährlichen Zinsen ergibt, die Sie aus den im Sparkässle angelegten Mitteln des Bundes einnehmen.
Die Landesregierung stellt sich hier wiederum auf den Standpunkt, Tarifbildung sei grundsätzlich eine unternehmerische Aufgabe. Das ist schon aus der eigenen Logik Ihrer Antwort nicht richtig, denn Sie sagten ja, aus der Eigenwirtschaftlichkeit folge die Verantwortung des Unternehmens für wirtschaftliche Entscheidungen, für die Preisbildung. Tatsache ist aber: Der Nahverkehr wird gerade nicht eigenwirtschaftlich, sondern mit hohen Zuschüssen des Landes betrieben.
Das heißt im Umkehrschluss: Ein nicht eigenwirtschaftlicher Verkehr kann auch in der Preisbildung vom Land beeinflusst werden. Im Übrigen ist es inhaltlich völlig absurd, das Beschleunigungsvermögen von Fahrzeugen, die Türbreite, die Türhöhe und die Häufigkeit der Toilettenreinigung über Verträge präzise zu regeln, aber den Punkt, der den Kunden am meisten interessiert, nämlich die Frage des Preises, völlig außen vor zu lassen.