Protocol of the Session on November 14, 2002

Ich darf hier einfach einen der Väter unserer sozialen Marktwirtschaft zitieren.

(Zuruf des Abg. Oelmayer GRÜNE)

Er hat gesagt:

Alle Lösungen, die auf Verstaatlichung des Eigentums und zentrale Lenkung hinzielen, vermindern die Leistungsanreize,

(Abg. Schmiedel SPD: Was ist denn das für eine Gespensterdebatte?)

verschlechtern die Kostenrechnungen und machen eine Bürokratisierung der Wirtschaftsverwaltung unvermeidlich. Verminderung der Produktivität,

(Abg. Schmid SPD: Sie haben doch die BW-Bank verstaatlicht!)

Verschlechterung der Versorgung und Freiheitsbeschränkungen sind die Preise, die für jedes Entfernen von der Wettbewerbswirtschaft zu zahlen sind, und zwar ohne dass eine gerechtere Verteilung des Sozialprodukts erwartet werden könnte.

Dies hat Walter Eucken in seinen „Grundsätzen der Wirtschaftspolitik“ gesagt, und zwar 1952, meine Damen und Herren.

(Abg. Capezzuto SPD: Jesses!)

Was tun wir? Wir haben immer mehr Leistungsgesetze, die vor allem die Kommunen belasten, die Landkreise, Städte und Gemeinden. Die FDP/DVP-Fraktion im Landtag von Baden-Württemberg macht sich große Sorgen um die Finanzsituation unserer Städte und Gemeinden, meine Damen und Herren. Die Zahl der Städte und Gemeinden in Baden-Württemberg, die ihren Verwaltungshaushalt im Jahr 2002 nicht mehr ausgleichen können, steigt dramatisch an.

Wir wissen auch nicht, wie das in der Zukunft weitergeht. Die Landkreise müssen ihre Kreisumlagen erhöhen, weil die Umlagen der Wohlfahrtsverbände steigen, weil die Kostendeckelung im Gesundheitswesen dazu führt, dass Basisdienstleistungen wie die Versorgung der Bevölkerung mit Krankenhäusern nur noch so finanziert werden können, weil Steuergelder der Städte und Gemeinden über die Kreisumlage zur Finanzierung der Kreiskrankenhäuser eingesetzt werden müssen,

(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der CDU)

weil hierfür die Versicherungsbeiträge und die Erstattungen der Kassen nicht mehr ausreichen. Hier sind wir wirklich an den Grundlagen der Grundsicherung angekommen.

Meine Damen und Herren, die FDP/DVP fordert eine Rückkehr zur marktwirtschaftlichen Politik. Wir fordern eine Politik, die auch bereit ist,

(Abg. Walter GRÜNE: So wie bis 1998, oder was?)

den Bürgerinnen und Bürgern zu sagen, dass der Staat an seine Leistungsgrenzen stößt, dass Leistungen gekürzt werden müssen, dass wir auch Dinge hinnehmen und aktiv betreiben müssen, die wehtun, dass wir zum Beispiel auch im Bereich der Sozialhilfe, im Bereich der Langzeitarbeitslosen an die Leistungen gehen müssen, damit es Anreize gibt, Arbeit anzunehmen, dass wir die Arbeitsmärkte endlich wieder zu Märkten machen, dass wir die Regulierungen wegnehmen, dass wir Wachstumspolitik betreiben, dass wir marktwirtschaftliche Politik betreiben, damit derjenige in diesem Land wieder mehr gilt, der eine Idee hat, ein Unternehmen aufmacht, und dass wir nicht dauernd darüber reden, was der Staat noch alles leisten muss.

(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der CDU – Abg. Brigitte Lösch GRÜNE: Wer macht denn das?)

Wir haben nämlich ein mentales Problem. Meine Damen und Herren, Sie glauben, der Staat könne Arbeitsplätze schaffen. Das wird er aber nicht können.

(Abg. Dr. Birk CDU: Es lebe die Revolution!)

60 % der Bürgerinnen und Bürger in diesem Land glauben diesen Unsinn auch noch. Deshalb sagen wir Ihnen: Wirtschaft muss in der Wirtschaft gemacht werden. Deshalb muss die Wirtschaft entlastet werden. Meine Damen und Herren, das ist der richtige Weg.

(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der CDU)

Deshalb ist die FDP/DVP dazu bereit. Diese Politik der marktwirtschaftlichen Erneuerung werden wir auch im Bundesrat mit unterstützen. Wir erwarten von Ihnen endlich einen Kurswechsel zur marktwirtschaftlichen Politik, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der CDU – Abg. Walter GRÜNE: Herr Theurer weiß nicht, dass die deutsche Sprache Punkt und Kom- ma kennt! – Unruhe – Glocke des Präsidenten)

Das Wort erteile ich Herrn Abg. Kretschmann.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Wenn die Zeitungen unisono titeln: „Staat in Not, 31 Milliarden € fehlen“ und alle Redner hier im Prinzip bestätigen, dass wir in einer ganz dramatischen Situation der Wirtschaft, der Konjunktur und der Staatsfinanzen sind, kann man, glaube ich, einer solchen Debatte, bei der in fünf Minuten die größten Probleme angesprochen und gelöst werden sollen, nur einen Sinn geben, wenn alle zeigen, dass sie diese Situation ernst nehmen und nicht nur aufeinander einschlagen, sondern versuchen, das Signal zu setzen: In einer so schwierigen Situation muss man zusammenarbeiten und die Probleme lösen.

(Beifall des Abg. Seltenreich SPD)

Sie wissen und jeder hier im Haus weiß es, dass die Bundesregierung die Reformen, die diese Lage dringend erfordert, überhaupt nur machen kann, wenn die unionsregierten Länder im Bundesrat mitziehen. Wenn sie das nicht tun, wird ein großer Teil der Reformen blockiert. Wir sind also in dieser Situation absolut auf die Zusammenarbeit mit ihnen angewiesen.

(Abg. Dr. Birk CDU: Ihr seid nicht einmal fähig, die Reformen in Gang zu bringen!)

Deswegen wollen wir für eine Politik werben, bei der wir aufeinander zugehen und diese Probleme lösen.

(Beifall bei den Grünen – Abg. Dr. Birk CDU: Wo sind denn die Reformen?)

Ich kann Ihnen jedenfalls zusichern, Herr Kollege Oettinger: Eine Oppositionspolitik, wie Sie sie in Berlin machen – lesen Sie die Reden zur Rente und zum Gesundheitswesen, wo nur draufgehauen wird und alle konstruktiven Beiträge fehlen –, werden wir jedenfalls nicht machen, und wir haben noch nie eine solche gemacht, seit Hasenclever die Grünen hier im Landtag geführt hat.

(Abg. Alfred Haas CDU: Sie haben eine Lügenpoli- tik gemacht!)

Noch niemals sind wir hier in eine Haushaltsberatung gegangen, ohne Deckungsvorschläge für unsere Anträge zu machen. Wenn auch vielleicht einmal die eine oder andere kleine Luftbuchung dabei war, war das doch im Großen und Ganzen immerhin seriös und an einer konstruktiven Oppositionspolitik orientiert. Das muss man in einer solchen Situation auch von Ihnen erwarten.

(Beifall bei den Grünen)

Wenn Frau Merkel auf dem Parteitag der CDU Kommissionen einsetzen muss, wenn Ihre „Politik der Überschriften“, wie die „Süddeutsche Zeitung“ Ihre Politik bezeichnet hat, einmal auf konkrete Vorschläge heruntergebrochen werden soll, dann sieht man auch bei der Union Defizite. Auch ihr müsst Kommissionen einsetzen, wie es Frau Merkel auf dem Parteitag für die Renten- und die Gesundheitspolitik gemacht hat, weil ihr vier Jahre lang in der Opposition gedacht habt, es gehe einmal wieder vorüber mit Rot-Grün und man brauchte sich nicht darum zu kümmern, und weil ihr keine Politik der konstruktiven Opposition gemacht und keine kräftigen Vorschläge eingebracht habt.

(Beifall bei den Grünen und der SPD – Unruhe bei der CDU und der FDP/DVP)

Wissen Sie, es ist ja nett, wenn Sie uns einerseits für die Vorschläge loben, die wir jetzt zur Rentenpolitik und zur Gesundheitspolitik gemacht haben, uns aber andererseits zugleich als Umfaller hinstellen. Wir sind gegen die Erhöhung der Beiträge zur Rentenversicherung – das haben wir gesagt –, und wir haben Vorschläge dazu gemacht,

(Abg. Dr. Noll FDP/DVP: Wir doch auch!)

zum Beispiel die Rentenerhöhung um ein halbes Jahr zu verschieben. Wo war da Ihr Beifall, wo waren da Ihre Vorschläge, wo war da Ihre Unterstützung? Bei dem, was auch ande

ren wehtut, hat man Sie genauso wenig gesehen wie andere. Das muss man hier einmal festhalten.

(Beifall bei den Grünen)

Der Handlungsspielraum des Staates ist dramatisch eingeschränkt. Das weiß jeder.

(Abg. Alfred Haas CDU: Das hätten Sie vor der Bundestagswahl sagen müssen!)

Das hat drei wichtige Gründe. Der erste Grund ist die konjunkturelle Schwäche. Diese Schwäche haben wir weltweit, und es ist doch vermessen, so zu tun – was hier getan wird –, als hätte irgendeine nationale Volkswirtschaft die Möglichkeit, die Weltkonjunktur einfach zu steuern, wie man will. Das ist doch absurd und lächerlich. Das glaubt doch von Ihnen selber niemand.

(Abg. Pfister FDP/DVP: Warum haben die Amerika- ner dann ein Wirtschaftswachstum von 3 bis 5 %?)

Jetzt komme ich einmal zur Körperschaftsteuer. Die Körperschaftsteuer ist gesenkt worden, und zwar deshalb, weil damals alle geschrien haben, anderenfalls gehe der Standort Deutschland baden. Wir haben diese Steuer gesenkt, und jetzt sind aufgrund von Ausschüttungen von Steuerguthaben, die die Körperschaften in großem Umfang machen – das ist aber auf eine Regelung zurückzuführen, die noch von der Kohl-Regierung stammt –, Einbrüche aufgetreten.

(Beifall der Abg. Heike Dederer GRÜNE – Abg. Theurer FDP/DVP: Gelbe Seiten! Sie hätten jeman- den fragen sollen, der sich damit auskennt!)

Wenn Sie aber einen Schritt weiter denken würden, dann müssten Sie zugeben, dass da ein mächtiges antizyklisches Steuersenkungsprogramm gemacht worden ist.

(Abg. Hauk CDU: Das geht in die falsche Rich- tung!)

Das ist sogar sehr radikal geworden, so radikal, wie wir es selbst gar nicht wollten. Das heißt, die Körperschaften haben das bekommen, was Sie alle wollen, nämlich Steuersenkungen auf breiter Front. Und was ist das Ergebnis? Leider nicht das, was Sie uns hier immer erzählen wollen, was alles an positiven wirtschaftlichen Effekten eintritt, wenn man Steuern senkt.