Protocol of the Session on November 14, 2002

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Dieses Land wird konservativ regiert.

(Demonstrativer Beifall bei der CDU – Zurufe von der CDU: Das ist gut so! – Abg. Braun SPD: Das ist aber auch nichts Neues!)

Allerdings hatte ich bei der Lektüre des vorliegenden Gesetzentwurfs manchmal den Eindruck, Sie hätten sich das alte Sponti-Motto „Du hast keine Chance, also nutze sie“ zu Eigen gemacht. Die Kollegin Schmidt-Kühner hat erklärt, dass wegen der EU-Richtlinie und des Bundesgesetzes hier eigentlich nur die Umsetzung von übergeordneten Rechtsnormen anstehe und insofern eigentlich gar kein Spielraum für uns bestehe,

(Abg. Regina Schmidt-Kühner SPD: Relativ gering! Ja!)

selbst im Sinne der Umwelt oder gegen die Umwelt tätig zu werden. Tatsächlich ist es auch so, dass die Länder nur einen kleinen Spielraum besitzen, dass nämlich zunächst der Bund vorgibt, was UVP-pflichtig ist, und dann mit einem „L“ kennzeichnet – deshalb teilen wir Ihre Rechtsauffassung nicht, Herr Kollege Schebesta –, wo die Länder selbst bestimmen dürfen, wann UVP-Pflichtigkeit oder aber im Rahmen eines so genannten Screening-Verfahrens lediglich eine allgemeine Vorprüfung oder eine standortbezogene Vorprüfung vorgesehen sein soll. Das ist der Regelungsspielraum der Länder.

Nun will ich Ihnen drei Beispiele dafür nennen, wie Sie diesen minimalen Spielraum maximal ausgenutzt, ja fast schon überreizt haben, um die Umwelt zu schädigen.

Der erste Fall ist der Torfabbau. Wir besitzen in BadenWürttemberg gerade noch 613 Hektar wertvolle Hochmoore. Der Großteil davon ist kleiner als zehn Hektar. Nach Ihrem Vorschlag soll unterhalb des Schwellenwerts von zehn Hektar keine UVP-Pflicht mehr vorgesehen sein. Wir sind der Auffassung, dass diese Schwelle viel zu hoch liegt. Unserer Ansicht nach gibt es auch kein öffentliches Interesse mehr, die wenigen Hochmoore überhaupt zu schädigen und dort Torf abzubauen. Aus diesem Grund sind wir der Ansicht, dass jeder Eingriff in ein Hochmoor zwingend einem Umweltverträglichkeitsprüfungsverfahren unterzogen werden soll.

Zweitens: Beim Landes- und Kreisstraßenbau haben Sie die Pflicht zur Umweltverträglichkeitsprüfung lediglich beim Neubau einer vierstreifigen Straße von mehr als 5 Kilome

tern Länge oder einer zweistreifigen Straße von mehr als 10 Kilometern Länge vorgesehen. Meine Damen und Herren, Sie wissen doch selbst, dass solche Straßen – Landesstraßen, wohlgemerkt – überhaupt nicht mehr gebaut werden. Das heißt, Sie stellen praktisch den Landesstraßenbau von der Umweltverträglichkeitsprüfungspflicht frei.

(Zuruf des Abg. Dr. Noll FDP/DVP)

Das ist übrigens aus drei weiteren Gründen ziemlich frech, nicht nur deshalb, weil es solche Landesstraßen praktisch nicht mehr gibt. Es ist auch deswegen frech, weil bei Bundesstraßen in dieser Größenordnung eine Pflicht zur Umweltverträglichkeitsprüfung vorgesehen ist, weil das bei Bundesschienenwegen der Fall ist – auch dort muss geprüft werden – und weil solche Eingriffe natürlich immer umweltverträglichkeitsprüfungsrelevant sind. Sie können nicht davon ausgehen, dass eine Straße von 9 Kilometern Länge keinen Eingriff in die Umwelt bedeuten würde. Drittens ist es frech, weil es dazu führt, dass Sie hinter den Standard des derzeit geltenden Landesumweltverträglichkeitsprüfungsgesetzes zurückfallen. Deswegen haben wir den Antrag Drucksache 13/1484 eingebracht, der eine erhebliche Absenkung der Schwellenwerte für die Pflicht zur Umweltverträglichkeitsprüfung vorsieht.

Drittes Beispiel – auch dabei geht es fast ausschließlich um Straßenbau; das ist kennzeichnend für Ihre Politik –: die so genannte Liste UVP-freier Vorhaben. Das ist in der Tat ein bundesweit einmaliger Vorgang. Kein anderes Bundesland ist auf den Gedanken gekommen, von vornherein eine große Gruppe von Maßnahmen von jeder Umweltverträglichkeitsprüfung freizustellen, und zwar auch von der Vorprüfung. Dabei handelt es sich um so völlig harmlose Eingriffe wie eine Fahrbahnverbreiterung auf einer Länge von 5 Kilometern oder das Anlegen eines Überholstreifens von stattlichen 1,5 Kilometern Länge oder einen Parkplatz, der nur einen Hektar Fläche umfassen darf.

Meine Damen und Herren, zu behaupten, dass dies von vornherein nicht umweltrelevant wäre, das ist nun wirklich eine umweltpolitische Bankrotterklärung, und deswegen beantragen wir die Streichung dieser Liste UVP-freier Vorhaben, bei der wir im Übrigen auch bezweifeln, dass sie mit der EU-Richtlinie konform ist.

Nun kann man zusammenfassend sagen: Es ist vielleicht nicht sonderlich spannend, sich über Schwellenwerte zu streiten. Das sieht man ja auch der Besetzung des Plenums an. Aber dahinter steckt doch etwas mehr, Herr Minister Müller. Es geht hier ja auch um eine Denkstruktur, und dankenswerterweise hat Frau Kollegin Berroth in der ihr eigenen Offenheit auch klargelegt, was der Punkt ist: Für Sie ist Umweltschutz ein Kostenfaktor.

(Abg. Heiderose Berroth FDP/DVP: So wie es hier praktiziert wird, ja!)

Sie wollen zwar angeblich Wahlen dadurch gewinnen, dass Sie uns den Umweltschutz als Thema entreißen, aber Sie stellen sich immer noch an ein Podium und behaupten, Umweltschutz bedeute mehr Bürokratie und höhere Kosten,

(Zuruf der Abg. Heiderose Berroth FDP/DVP)

und begreifen gar nicht, welcher Wert in der Umwelt steckt. So werden Sie uns sicherlich keine Wählerinnen und Wähler abspenstig machen.

(Zuruf des Abg. Dr. Noll FDP/DVP)

Das Problem und das Erschütternde ist die Denkstruktur. Denn das spiegelt sich in allen umweltpolitischen Bereichen wider. Denken wir nur daran, dass Sie es in der letzten Legislaturperiode geschafft haben, die Bezirksstellen für Natur- und Landschaftsschutz unter einem einzigen Gesichtspunkt abzuschaffen: Sie waren Ihnen zu aufmüpfig, sie haben zu viele Vorhaben durch Krittelei behindert, und deswegen hat man sie zerschlagen und die Fachleute möglichst den Landräten unterstellt, damit sie nicht mehr so viel meckern können. Das ist Ihre Art von Umweltschutz. Ich halte das wirklich für erschütternd.

Ich habe Ihnen, Herr Minister, schon gelegentlich vorgehalten, Sie seien als Verkehrsminister dem Umweltminister wohl noch nie begegnet. Ich glaube, ich muss dieses Urteil revidieren. Wenn ich die heutige Vorlage als Maßstab nehme, dann ist es ganz einfach so – siehe UVP-freie Vorhaben, fast ausschließlich Straßenbauvorhaben –, dass der Verkehrsminister den Umweltminister morgens locker über den Tisch gezogen hat. Sie sollten als Umweltminister etwas Bodybuilding betreiben. Wir brauchen hier eine stärkere Lobby.

Vielen Dank.

(Beifall bei den Grünen)

Das Wort erhält der Minister für Umwelt und Verkehr, Herr Müller.

(Abg. Scheuermann CDU: Nimm die Hantel, Herr Minister!)

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich verweise zunächst auf die Rede zur Einbringung des Gesetzentwurfs vor einigen Wochen in Freiburg. Ich kann mich deswegen kurz fassen. Ich verweise auch auf die Beratung im Ausschuss für Umwelt und Verkehr, die ja nur eine Gegenstimme zu unserem Gesetzentwurf erbracht hat. Ich kann mich deswegen kurz halten, aber der Gesetzentwurf selber ist ja auch bewusst kurz gehalten.

Er ist deswegen kurz gehalten, weil wir das Problem, das von Frau Kollegin Berroth angesprochen worden ist, schon ernst nehmen müssen, dass wir im Zuge der Europäisierung des Rechts und der Rückwirkung des europäischen Rechts auf unser Recht aufpassen müssen, dass wir nicht Schicht auf Schicht an Verfahrensschritten, an Verfahrensregelungen drauflegen. Um das einmal ganz konkret zu sagen: Das UVP-Recht ist sozusagen eine Erfindung von Europa, aus dem angelsächsischen Recht kommend, und es hat dort seinen Sinn, wo es beispielsweise im Unterschied zu Deutschland kein Raumordnungsverfahren, keine Planfeststellung und keine ausgefeilte und ausgefuchste Verwaltungsrechtsprechung gibt. Bei uns, wo es das alles gibt, ist UVP additiv, da kommt das einfach noch obendrauf. Deswegen ist ein Gesetz, das dazu führt, dass sich die Zahl der Projekte erhöht, die in Zukunft einer Umweltverträglichkeitsprüfung

unterzogen werden sollen, schon auf die Frage hin zu untersuchen, inwieweit das in unser Verwaltungssystem passt.

Dieses Gesetz bedeutet ja, dass aus bisher 10 UVP-pflichtigen Projekten in Zukunft 28 werden mit 51 verschiedenen Varianten. Das heißt, das Maß an UVP-Pflicht wird kräftig ausgeweitet. Wir vollziehen das; aber wir haben uns erlaubt, dafür an anderen Stellen, weil wir die Probleme, die damit verbunden sind, kennen, Erleichterungen zu schaffen, soweit es das europäische Recht zulässt.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP/DVP – Abg. Bo- ris Palmer GRÜNE: Sie bestätigen meine Rede!)

Wir machen von Entlastungsmöglichkeiten Gebrauch, beispielsweise durch die Einführung von Schwellenwerten als Bagatellwerten, bei der Bestimmung von UVP-freien Bagatellvorhaben im Straßenbau.

(Abg. Boris Palmer GRÜNE: Ein Hektar Parkplatz!)

Herr Kollege Palmer, wenn Sie sagen, der Landesstraßenbau sei in Zukunft von der UVP-Pflicht freigestellt, dann muss ich sagen: Daran ist null Komma nichts wahr. Es ist sogar so, dass wir bei einzelnen Landesstraßenbaumaßnahmen, je nachdem, um was es geht, ein schärferes Recht haben, als es beim Bundesfernstraßenbau der Fall ist. Wir werden auch Vereinfachungen und Entlastungen vorsehen – in diesem Gesetzentwurf haben wir das getan – bezüglich der Differenzierung zwischen allgemeiner, eingeschränkter und standortbezogener Vorprüfung, also der Art der Vorprüfung.

Wenn Sie vonseiten der Grünen sagen, dass wir damit irgendwelche Vorgaben, seien sie bundesrechtlicher oder europarechtlicher Art, verletzen würden, dann will ich nur darauf verweisen: Das Europarecht hat genau das erlaubt, es hat so etwas vorgesehen. Die UVP-Änderungsrichtlinie lässt durch Größen- und Leistungswerte für eine Vielzahl von Vorhaben solche Einschränkungen zu. Der Europäische Gerichtshof hat das in mehreren Urteilen bestätigt, und wir machen davon ganz simpel Gebrauch in dem Dilemma zwischen einer Ausweitung der UVP-Pflicht und einer Strangulierung von Investitions- und auch Verwaltungstätigkeiten, gemessen daran, dass wir in Deutschland ja zusätzlich noch andere Instrumente haben.

Was die Frage der Schwellenwerte anbelangt, große und kleine, kann man sich das im Prinzip folgendermaßen vorstellen: Wir haben bisher für diese wenigen Projekte – ich sagte 10, in Zukunft 28 – bestimmte Schwellenwerte, bei denen es eine UVP-Pflicht gibt, das heißt ab bestimmten Größenordnungen die Umweltverträglichkeitsprüfung zwingend eingeführt werden muss. Jetzt gehen wir mit diesen Größenordnungen herunter, sagen aber bei dieser Gelegenheit zu gleicher Zeit, dass es sich hierbei nur um eine Vorprüfung handelt.

(Abg. Kleinmann FDP/DVP: Ist schon klar!)

Um es einmal am Beispiel der Grundwasserentnahme deutlich zu machen: Wir hatten bisher eine zwingende UVPPflicht bei der Entnahme von mehr als 5 Millionen Kubikmetern Wasser. In Zukunft tritt die mögliche UVP-Pflicht bereits bei 100 000 Kubikmetern Wasser ein. Die Vorprü

(Minister Müller)

fung kann dann im Einzelfall dazu führen, dass eine UVP durchzuführen ist. Das heißt also, wir werden flexibler in doppelter Hinsicht: Wir fangen schon tiefer an, aber wir enden nicht zwingend bei einer sozusagen großen UVP, sondern es kommt zunächst einmal zu einer Vorprüfung. Zu dem Beispiel mit dem Torfabbau, das Sie genannt haben, ist übrigens zu sagen: Es gibt im Torfabbau keinen Fall, in dem keine Vorprüfung zu machen wäre.

Insofern auch da derselbe Gedanke: Wir senken die Schwellenwerte, aber den Bereich, in dem in einem vorläufigen Verfahren zu prüfen ist, ob eine UVP durchzuführen ist, weiten wir aus. Wir versuchen damit, beiden Gesichtspunkten – einerseits die Umweltverträglichkeitsprüfung zu installieren und andererseits uns nicht selbst zu strangulieren – in einem ausgewogenen Verhältnis gerecht zu werden.

Ich kann nur hoffen, dass dieses Gesetz einen Beitrag dazu leistet, verwaltungsinterne Unsicherheiten abzubauen und Auslegungs- oder Anwendungshinweise für den Vollzug zu geben. Der Verwaltung wird damit auch Verantwortung und Entscheidungskompetenz übertragen.

(Glocke des Präsidenten)

Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abg. Palmer?

Sofort, ja. – Sie soll sich auf das Wesentliche beschränken. Sie soll damit keine Doppelarbeit und keine Verfahrensverzögerungen auslösen, sondern im Gegenteil durch modernes Verwaltungsmanagement zügig handeln.

Vor allem geht es uns darum – Herr Palmer, Sie können Ihre Frage sofort stellen –, dass die Vorprüfung nicht auch wieder quasi zu einer UVP wird. Wir werden darauf zu achten haben, dass die Vorprüfung eine solche bleibt und nicht durch einen gleichen Umfang an Gutachten und Expertisen dazu führt, dass quasi bereits eine UVP durchgeführt würde.

Herr Palmer.

Herr Minister, wie erklärt sich angesichts Ihrer Ausführungen, es gehe im Wesentlichen um die Vermeidung von Bürokratie, die Tatsache, dass sich die Liste der UVP-freien Vorhaben ausschließlich auf Änderungs- und Erweiterungsvorhaben im Straßenbau bezieht, während hier insgesamt doch sehr viel mehr Bereiche betroffen sind?

Es handelt sich in diesem Bereich um Maßnahmen, die es von ihrer Bedeutung, von ihrer Größenordnung her vertragen, UVP-frei gestellt zu werden – allerdings gegebenenfalls auch mit einer entsprechenden Vorprüfung. Wir haben es gerade beim Straßenbau mit Fällen zu tun, bei denen es – jetzt sage ich es einmal ganz praktisch und einfach – zum Beispiel um die Verbreiterung um einen Fahrstreifen oder um einen Parkstreifen geht. Das muss ja ohnehin geplant werden. Muss ich denn dazu auch noch eine Umweltverträglichkeitsprüfung machen, wenn ich eine Straße um 1,5 Meter verbreitern will? Irgendwo hört es da bei mir auf. Es tut mir schrecklich Leid.

(Beifall bei der CDU und der Abg. Heiderose Ber- roth FDP/DVP – Abg. Boris Palmer GRÜNE: Warum geht das nur bei Straßen und nicht bei allen ande- ren Projekten? – Zuruf der Abg. Regina Schmidt- Kühner SPD – Zurufe von der CDU)

Wenn Sie Vorschläge machen wollen, dass wir woanders genauso verfahren sollen, bin ich einverstanden.

(Abg. Boris Palmer GRÜNE: Das wäre nach Ihrer Logik jedenfalls konsequent!)