Protocol of the Session on November 14, 2002

Nur eine Schienenverbindung. Da gäbe es meines Erachtens ungeheuer viel zu tun. Europa wird nur funktionieren, wenn wir den Enthusiasmus zwischen Deutschland und Frankreich, den wir einmal gehabt haben, wieder entdecken und wieder beleben können.

(Zuruf des Abg. Dr. Reinhart CDU)

Es gibt eine grenzüberschreitende Region, die Saar–Lor– Lux heißt. Sie ist Ihnen sicher bekannt. Das ist ein sehr entwickeltes europäisches Projekt mit hohem Profit für die Beteiligten. Baden-Württemberg und Alsace kommen da nicht vor. Da können Sie noch eine ganze Menge lernen und auch ein vergleichbares Projekt auflegen. Das würden wir uns wünschen. Europa wird nur werden im Kern des alten Europa mit der deutsch-französischen Freundschaft. Da aber könnte Baden-Württemberg nun wirklich eine Vorreiterrolle übernehmen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD)

Das Wort erhält Herr Abg. Theurer.

(Abg. Hofer FDP/DVP: Machs kürzer!)

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Maurer hat sich auf Punkte konzentriert, die im Grunde genommen vor allem mit deutscher Wirtschafts- und Finanzpolitik, aber eben nicht mit europäischer Politik zu tun haben. Denn das, was Sie erwähnt haben, kann alles im nationalen Rahmen in Deutschland gelöst werden, meine Damen und Herren. Der Blick in andere europäische Nachbarstaaten zeigt, dass die Niederlande, Schweden und auch andere Länder wesentlich besser mit den weltwirtschaftlichen Herausforderungen zurechtkommen als wir in der Bundesrepublik Deutschland, meine Damen und Herren. Deshalb brauchen wir – ich habe es heute Morgen schon gesagt – eine Politik der marktwirtschaftlichen Erneuerung. Denn wer in die Geschichte Europas nach dem Zweiten Weltkrieg hineinschaut, der stellt fest, dass wir in den Fünfzigerjahren als Bundesrepublik Deutschland unschlagbar waren, was das Wirtschaftswachstum und den Aufholprozess anging. Keiner konnte uns aufhalten.

(Zuruf des Abg. Haller SPD)

Während in anderen europäischen Nachbarstaaten zu jener Zeit eine Politik der Verstaatlichung und der staatlichen Regulierung betrieben wurde, hat die Bundesrepublik nach dem Krieg eine Politik der sozialen Marktwirtschaft betrieben und war dadurch wirtschaftlich erfolgreich.

Heute, meine Damen und Herren, ist unser System wirtschaftspolitisch erstarrt. Das ist unser Problem. Jetzt kommen Anhänger auch Ihrer Partei vor allem auf Bundesebene auf die Idee, man müsse den anderen Ländern die Sozialstandards und auch andere Standards der Bundesrepublik überstülpen und das Ganze harmonisieren und damit den Wettbewerb der Systeme einschränken. Genau das wollen wir als FDP/DVP nicht. Wir wollen den Wettbewerb der Systeme, und wir müssen bei der aktuellen Diskussion über die europäische Verfassung aufpassen, dass diese Dinge hier eben nicht vergemeinschaftet werden. Wir brauchen die Möglichkeit, dass Länder und Regionen mit gesetzgeberischer Kompetenz, aber auch die Mitgliedsstaaten in einem Wettbewerb der Systeme selbstständig und mit eigenen Vorschlägen unterschiedlich auf die weltwirtschaftlichen Herausforderungen reagieren können.

Herr Maurer, ich hätte mir gewünscht, dass Sie auch einmal die Verantwortung anderer Beteiligter für die Arbeitsmarktpolitik und für den Abbau der Arbeitslosigkeit hier beim Namen genannt hätten. Ich darf Ihnen noch einmal Walter Eucken zitieren, der Folgendes gesagt hat:

gemeint sind die Gewerkschaften –

mit Mitteln der Macht eine Erhöhung der Löhne über die Wettbewerbslöhne hinaus erzwingen, dann führt das zu Arbeitslosigkeit.

So einfach ist das, meine Damen und Herren. Dieses Kartell auf den Arbeitsmärkten dann auch noch über eine europäische Gesetzgebung verfestigen zu wollen ist mit Sicherheit ein Rückschritt und kein Schritt zur dringend erforderlichen Überwindung der Arbeitslosigkeit.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU)

Europa bedeutet aus der Sicht der Bürger, wie man in vielen Gesprächen hört, dass die Entscheidungen in Brüssel zu weit weg sind. Europa wird oft als bürgerfern empfunden. Wir spüren eine große Distanz. Dieses Gefühl wird dadurch verstärkt, dass Politiker auch in Deutschland manchmal dazu neigen, die Verantwortung für bestimmte Entscheidungen nach Brüssel abzuschieben, und damit verschweigen, dass bestimmte Strukturanpassungen an veränderte Rahmenbedingungen schlicht und ergreifend erforderlich sind, egal, ob sie in Europa, in Berlin oder hier in Stuttgart getroffen werden müssen.

Ein Blick zurück zeigt: Die europäische Integration, die Einigung Europas ist eine Erfolgsgeschichte. Wir haben eine Zone des Friedens und der Stabilität geschaffen. Es waren junge Menschen, die nach dem Krieg die Schlagbäume weggerissen und den Traum eines vereinten Europas aufgestellt und gelebt haben. Ich denke, wir müssen uns diesen Traum immer wieder vor Augen halten. Wir sehen ja auch, wenn wir in unsere Nachbarländer reisen, dass wir hier schon sehr weit gekommen sind.

Ein Stichwort ist der Binnenmarkt. Ein Stichwort ist auch die gemeinsame Währung, für die sich auch liberale europäische Visionäre wie Hans-Dietrich Genscher, aber auch der langjährige EU-Kommissar Martin Bangemann, ein BadenWürttemberger, an namhafter Stelle eingesetzt haben.

(Abg. Kretschmann GRÜNE: Oh Jesses! Den hätte ich jetzt nicht angegeben! – Abg. Dr. Inge Gräßle CDU: Ich bin allergisch gegen Weihrauch!)

Meine Damen und Herren, Baden-Württemberg profitiert von dieser europäischen Einigung. Wir stehen heute an der Schwelle zu einer neuen Phase der europäischen Integration. Die Frage dreht sich im Spannungsfeld um den Kern „Erweiterung und Vertiefung“ oder „Erweiterung oder Vertiefung“. Wir sind als FDP/DVP-Landtagsfraktion der Auffassung, dass wir beides brauchen. Die Erweiterung um die mittel- und osteuropäischen Staaten bringt eine erhöhte Stabilität in Europa. Es wäre nicht auszudenken, wenn die Überwindung der kommunistischen Systeme in Osteuropa zu Gewaltausbrüchen geführt hätte.

(Beifall der Abg. Dr. Inge Gräßle CDU)

Der Verlust an Wohlstand, der Verlust an Frieden wäre viel größer gewesen als die Hilfe, die wir für den Aufbau der mittel- und osteuropäischen Länder jetzt gewähren müssen, meine Damen und Herren.

(Zuruf des Abg. Dr. Reinhart CDU)

Dies sollten wir auch offensiv nach außen hin transportieren und den Bürgerinnen und Bürgern sagen: Wir brauchen die Erweiterung nach Osteuropa. Das sollte uns auch ein paar Euro wert sein; denn wir stabilisieren damit Freiheit und Frieden in Europa.

Meine Damen und Herren, die Vertiefung wird gerade im Zuge der europäischen Verfassung derzeit diskutiert. Ich denke, wir müssen hier einräumen, dass das deutsche Modell nicht einfach auf Europa übertragbar ist. Jeder Mitgliedsstaat versucht ja, sein Regierungsmodell in Europa durchzusetzen. Wir haben gemerkt, dass das deutsche Mo

dell des Föderalismus eben auch Schwächen zeigt, die heute in wirtschaftlich schwierigen Zeiten viel deutlicher zutage treten als in der Vergangenheit. Eine Reform der Verwaltung und unseres Föderalismus ist erforderlich. Herr Kollege Maurer, ich plädiere für eine Länderneugliederung. Ich bin sogar der Meinung, dass durch eine Kürzung bzw. Streichung der Bundesergänzungszuweisungen der Druck vonseiten der Bundesregierung auf Länderneugliederungen noch erhöht werden könnte und müsste.

(Abg. Dr. Reinhart CDU: Erhöht werden muss!)

Erhöht werden muss, Herr Kollege Reinhart.

Die FDP/DVP fordert, Kompetenzvermischungen auf europäischer Ebene auf ein Minimum zu reduzieren. Wir wollen Verantwortung von oben nach unten delegieren. Wir wollen die nationalen Parlamente stärken. Wir denken, dass die Berücksichtigung des Bundesrats, also unserer Länderkammer, als zweites nationales Parlament tatsächlich die Minimalforderung ist. Darüber hinaus wollen wir die Kompetenzen der Bundesländer als Regionen mit gesetzgeberischer Kompetenz dadurch stärken, dass es Verteidigungsrechte gibt, die auch durch Klagerechte sichergestellt werden. Dafür setzen wir uns bei den derzeitigen Beratungen über die europäische Verfassung ein. Wir wollen klare Verantwortlichkeiten.

Meine Damen und Herren, ich denke, es reicht aus, wenn wir den Vorrang des Gemeinschaftsrechts auf die Bereiche Geld und Währung, Außenwirtschaft sowie europäische Wettbewerbspolitik begrenzen. Vielleicht brauchen wir noch parallele Gesetzgebungen in den Bereichen Asyl und Einwanderung, grenzüberschreitender Umweltschutz, Außen- und Sicherheitspolitik sowie Verbrechens- und Terrorbekämpfung. Die FDP/DVP tritt aber entschieden dafür ein, dass in allen anderen Bereichen die Kompetenzen entflochten werden,

(Beifall des Abg. Hofer FDP/DVP)

dass hier nach unten auf die nationalen Parlamente delegiert wird und damit auch unsere Kompetenz als Landtag von Baden-Württemberg gesichert und sogar wieder angereichert wird.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP/DVP)

Meine Damen und Herren, die FDP/DVP lehnt eine Steuerharmonisierung ab. Vor allem muss eine Steuerharmonisierung verhindert werden, die Niedrigsteuerstandorte diskriminiert. Das kann nicht der richtige Weg sein.

(Abg. Kretschmann GRÜNE: Was ist jetzt das?)

Wir brauchen einen Wettbewerb der Systeme, bei dem sich ein Land dazu entschließen kann, niedrigere Steuersätze zu erheben, und dadurch dann eben auch Wirtschaft anzieht, Unternehmen anzieht, Arbeitsplätze anzieht.

(Abg. Kretschmann GRÜNE: Wollen Sie allen Erns- tes für das Weiterbestehen von Steueroasen eintre- ten? Das ist ja grotesk! Nicht zu fassen!)

Meine Damen und Herren, Subsidiarität und Verhältnismäßigkeit müssen über ein Klagerecht sichergestellt werden.

Wir wollen auch, dass in der europäischen Verfassung ein Austrittsrecht für Staaten festgeschrieben wird, weil wir verhindern wollen, dass uns etwas passiert, was in der amerikanischen Geschichte zu einem blutigen Bürgerkrieg geführt hat, dass nämlich dann Bundesrecht mit Waffengewalt gegen einen Mitgliedsstaat durchgesetzt werden muss, der das nicht will. Daher treten wir als FDP/DVP für dieses Austrittsrecht ein, meine Damen und Herren.

(Beifall der Abg. Beate Fauser FDP/DVP)

Ich persönlich könnte mir vorstellen, dass wir unseren Bürgerinnen und Bürgern die europäische Verfassung in einer Volksabstimmung zur Entscheidung vorlegen, denn wir sind für ein Europa der Bürger. Wir sind der Meinung, dass wir die Bürgerinnen und Bürger viel stärker mit diesen europäischen Fragen konfrontieren müssen und sie dabei auch direkt selbst entscheiden lassen müssen, meine Damen und Herren.

(Beifall der Abg. Beate Fauser und Kleinmann FDP/ DVP)

Abschließend möchte ich mich bei unserem Ministerpräsidenten für die Vertretung unserer Interessen im Konvent sehr herzlich bedanken.

(Abg. Rüeck CDU: Guter Mann, gell!)

Wir möchten die Landesregierung ermutigen, das Konzept der „Vier Motoren für Europa“ voranzutreiben und vor allem auf Osteuropa zu erweitern. Herr Minister Palmer, Sie kennen meinen Vorschlag. Ich möchte ihn an dieser Stelle wiederholen: Wir sollten auch ein Konzept der „Motoren für Osteuropa“ auflegen. Ich bin fest davon überzeugt, dass Baden-Württemberg von dieser Osterweiterung profitieren wird.

Vielen Dank, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der FDP/DVP sowie des Abg. Dr. Rein- hart CDU – Abg. Dr. Reinhart CDU: Sehr gut, sehr gut! Ein echter Europäer!)

Das Wort erhält Herr Abg. Kretschmann.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Der europäische Einigungsprozess ist eine doppelte Herausforderung. Eine Vielzahl von ehemals nationalstaatlich regulierten Politikfeldern kann in einem Europa des freien Personen-, Waren-, Kapital- und Dienstleistungsverkehrs immer weniger auf einzelstaatlicher Ebene und schon gar nicht auf regionaler Ebene angemessen bearbeitet werden: von der Umweltpolitik über die Sozial-, die Wirtschafts- und die Finanzpolitik bis hin zur Sicherheits- und Außenpolitik. Gewiss muss Europa auch an allererster Stelle verhindern, dass weiter Steueroasen existieren, die jeden rationalen Finanzrahmen unterlaufen.