Dritter Punkt: Mit Rechentricks versuchen Sie, den Eltern vorzugaukeln, dass Sie Tausende von neuen Lehrerstellen geschaffen hätten und in großem Umfang zusätzlicher Unterricht stattfinde.
Angesichts der gigantischen Zahlen über steigenden Unterrichtsausfall ist es wirklich unglaublich, was Sie zu Beginn dieses Schuljahres veranstaltet haben: Über alle Kanäle suggerieren Sie, die Unterrichtsversorgung sei besser als je zuvor, so zum Beispiel in einem Schreiben der Schulämter und Oberschulämter zu Beginn dieses Schuljahres an alle Elternbeiräte und Schulleitungen. 1 790 neue Lehrerstellen seien eingerichtet worden, und in diesem Umfang finde zusätzlicher Unterricht statt. Von wegen! Viele dieser so genannten neuen Lehrer sind gar nicht zusätzlich neu an die Schulen gekommen. Im Gegenteil, viele von ihnen waren bereits im letzten Jahr im Einsatz, zum Beispiel als Krankheitsvertretung. Wer im letzten Jahr schon an der Schule war und jetzt wieder da ist, der ist ganz sicher nicht neu an der Schule, Frau Schavan.
Viertens: Die Klassen werden immer größer. Die Schülerzahlen steigen weiter. An den Grundschulen hat Baden-Württemberg jetzt schon die schlechteste Schüler-Lehrer-Relation aller Bundesländer.
Im neuen Schuljahr sind die Klassen vielerorts zum Bersten voll. Vor Ort heißt es, dass es sich um einen Einzelfall handle. Tatsache ist aber: Die Klassen an den weiterführenden Schulen werden im Land durchschnittlich um 10 % größer. Auch an vielen Grundschulen verschärft sich die Situation, weil aufgrund einer völlig falschen Schul- und Personalpolitik nicht genügend Lehrkräfte vorhanden sind. Sie sehen, von Ihren vollmundigen Ankündigungen bleiben nur die Worthülsen übrig – wieder einmal!
Wenn Sie das nicht glauben wollen, hier noch ein Beispiel aus der Umgebung. Schüler des Albert-Schweitzer-Gymnasiums hier aus Gundelfingen im Breisgau schreiben an die SPD-Fraktion – ich zitiere wörtlich –:
Aus vier kleinen Klassen mit durchschnittlich 24 Schülern, in denen unsere Lehrer die neuen Lehrmethoden gut anwenden konnten, werden auf Anweisung des Oberschulamts drei Riesenklassen mit jeweils 32 Schülern.
Diese Zusammenlegung führt dazu, dass zum Teil in den Fachräumen der Schule nicht genügend Platz vorhanden ist. So haben im Chemiesaal nicht alle Schüler des naturwissenschaftlichen Profils Platz zum Sitzen.
Man stelle sich nur einmal vor, der Herr Ministerpräsident würde die Anzahl der Regierungsmitglieder so vergrößern, dass Sie dort drüben keinen Sitzplatz mehr hätten. Ich wäre gespannt, ob Sie es schaffen würden, auch das noch als einen Erfolg Ihrer Politik zu verkaufen.
Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren! In den letzten Monaten sind etliche Landtagsanfragen zur Situation der Unterrichtsversorgung in einzelnen Schulamtsbezirken bei der Landesregierung eingegangen. Wer sich diese Anfragen angeschaut hat, konnte feststellen, dass Sie, Frau Ministerin, in Ihren Stellungnahmen zu den konkreten Zahlen vor Ort immer eine Vorbemerkung gemacht haben, die jeweils so aussieht: Sie verweisen auf die hohe Zahl von über 6 000 zusätzlichen Lehrerstellen, die seit 1991 geschaffen worden sind. Dies sind in der Tat beeindruckende Zahlen. Dabei verschweigen Sie allerdings die Tatsache, dass in diesen Jahren seit 1991 auch eine gewaltige Zunahme bei den Schülerzahlen stattgefunden hat. Wir hatten jährlich bis zu 30 000 zusätzliche Schülerinnen und Schüler an unseren Schulen. Eine seriöse Darstellung der Situation an den Schulen, eine seriöse Vorbemerkung muss auch thematisieren, dass der Zuwachs an Lehrerstellen mit den zusätzlichen Zahlen an Schülerinnen und Schülern in Verbindung zu bringen ist.
Dazu kommt, dass trotz dieser zusätzlichen Lehrerinnen und Lehrer die Unterrichtsversorgung in Baden-Württemberg in den letzten zehn Jahren schlechter geworden ist. Die Klassen sind größer geworden, insbesondere an den Realschulen und an den Gymnasien. Der Stütz- und Förderbereich wurde zurückgefahren, und der Ergänzungsbereich – was die Arbeitsgemeinschaften anbelangt – an den Schulen ist ebenfalls geringer geworden.
Frau Ministerin, meine Damen und Herren, Arbeitsgemeinschaften an den Schulen, Stütz- und Förderkurse an den Schulen sind kein Sahnehäubchen, das man in guten Zeiten gewährt und in schlechten Zeiten abschafft, sondern sie sind ein unverzichtbares Angebot, führen zur Chancengleichheit und stärken das pädagogische Profil der Schulen.
Meine Damen und Herren, die Landesregierung hat angekündigt, in dieser Legislaturperiode 5 500 zusätzliche Lehrerstellen zu schaffen. Es zeichnet sich ab, dass diese zusätzlichen 5 500 Lehrerstellen nicht ausreichen werden, um eine Verschlechterung der Unterrichtsversorgung in dieser Legislaturperiode zu verhindern. Ich möchte dies anhand einiger Zahlen klar machen: 1 600 zusätzliche Stellen brauchen wir für die Einführung des Englischunterrichts an den Grundschulen, 1 100 Deputate entfallen wegen des Vorgriffsstundenmodells, weil die Stunde jetzt entfällt und die Karenzphase eintritt. Sie wollen in dieser Legislaturperiode außerdem 1 250 Krankenvertreter aus dem Bestand ausweisen. Diese Lehrerstellen stehen dann ebenfalls nicht für die Grundversorgung an den Schulen zur Verfügung. Das heißt, Sie brauchen allein fast 4 000 Lehrerstellen für Bereiche, die den Schülerzuwachs gar nicht auffangen werden. Insofern können wir jetzt schon sehen, dass Sie mit den 5 500 zusätzlichen Lehrerstellen in allergrößte Schwierigkeiten geraten werden, wenn Sie eine Verschlechterung verhindern wollen.
Eine neue Aufgabe ist eine große Herausforderung in unserem Bundesland: zusätzliche Ganztagsschulen. Diese sind ebenfalls nicht mitberechnet. Insofern ist es hervorragend, dass der Bund hier einspringt und durch die Vier-Milliarden-Offensive auch für Baden-Württemberg eine Leistung erbringt, die wir dringend benötigen.
Thema Unterrichtsausfall: Wir sind in Baden-Württemberg – das zeigen diese Erhebungen – meilenweit von einer Unterrichtsgarantie entfernt. Die letzten Daten Ihrer Stichprobe zeigen, dass im Gymnasium der Unterrichtsausfall 6 % beträgt, an den beruflichen Schulen fast 5 %. Das bedeutet bei den Gymnasien in der Woche fast zwei Stunden.
Frau Ministerin, man kann ja darüber streiten, ob die Anzahl der Unterrichtsstunden wirklich ausschlaggebend ist für die Leistungen, die die Schule erbringt, auch für die Leistungen, die die Schülerinnen und Schüler erreichen. Aber wenn wir an den Schulen wirklich eine Qualitätsentwicklung brauchen, dann ist für diese Qualitätsoffensive zunächst einmal Voraussetzung, dass der Unterricht im Sockelbereich – nämlich das, was Sie an Unterrichtsstunden vorgeben – auch tatsächlich erteilt wird. Auch dies ist eine Herausforderung.
Deshalb sage ich: Wir können uns mit diesem Unterrichtsausfall nicht zufrieden geben. Wenn Sie konstatieren, dass sich nach drei Jahren ein bestimmter Trend abgezeichnet habe und dass es nicht notwendig sei, weitere Erhebungen vorzunehmen, dann sage ich: Das ist nicht zu akzeptieren; denn wir brauchen auch weitere öffentliche Darstellungen, damit Maßnahmen weiterentwickelt werden, mit denen Unterrichtsausfälle schulorganisatorisch und durch den ge
schickten Einsatz von Vertretungsstunden abgebaut werden können. Wir wollen, dass bei uns in Baden-Württemberg die Unterrichtsgarantie ein Qualitätsmerkmal wird.
Ich will kurz zu drei Problembereichen Stellung nehmen, die mir im Zusammenhang mit der Unterrichtsversorgung besonders wichtig erscheinen.
Thema Grundschule: Aus der PISA-Studie wissen wir, dass wir in den Bereichen Vorschule und Grundschule zu wenig investieren und zu wenig tun, um Chancengleichheit für benachteiligte Kinder zu erreichen. Nun hätten Sie ja bei zurückgehenden Schülerzahlen in der Grundschule die große Chance, die Ressourcen dort zu belassen und dafür zu sorgen, dass kleine Klassen gebildet werden – wir Grünen haben das beantragt –, indem Sie den Klassenteiler auf 25 senken. Stattdessen antworten Sie auf unseren Antrag, Sie hätten für diese Legislaturperiode bereits eingeplant, die Ressourcen aus der Grundschule aufgrund zurückgehender Schülerzahlen abzuziehen. Dies halte ich für eine sträfliche Vernachlässigung der Grundschulen. Das ist geradezu katastrophal, wenn wir mit der Verbesserung von Chancen von Migranten und benachteiligten Kindern Ernst machen wollen. Hier müssen wir investieren. Wir brauchen in der Grundschule kleine Klassen für kleine Kinder.
Zweiter Punkt, Sonderschulen: Wir haben im Schnitt aller zehn Sonderschulen einen Abmangel von 3,6 %. Jetzt haben wir endlich eine genügende Zahl an ausgebildeten Sonderschullehrerinnen, aber sie werden nicht eingestellt.
Unser Antrag thematisiert, dass selbst junge Sonderschullehrkräfte mit hervorragenden Abschlüssen in der letzten Einstellungsrunde nicht zum Zuge gekommen sind. Wir brauchen diese Sonderschullehrkräfte, damit wir da auch zu einer Versorgung von 100 % kommen. Die Kinder an den Sonderschulen haben den gleichen Anspruch auf einen vollen Unterricht wie Kinder anderer Schularten. Wir brauchen aber auch die zusätzlichen Lehrkräfte, weil die Sonderschullehrkräfte über diagnostische Fähigkeiten verfügen und weil wir mehr Kooperationen mit allgemein bildenden Schulen brauchen. Wir brauchen diese Lehrkräfte auch deshalb, damit Kinder mit Förderbedarf an den allgemein bildenden Schulen gefördert werden können und damit wir Integrationsprojekte an allgemein bildenden Schulen durchführen können. Wir Grünen wollen dies erreichen und fordern Sie auf, endlich diese qualifizierten Sonderschullehrkräfte einzustellen und damit auch einen Beitrag zur Chancengleichheit aller Kinder zu leisten.
Der dritte Punkt betrifft die beruflichen Schulen: den Abmangel, das strukturelle Defizit von 6,8 %. Sie loben sich, dass dieser Abmangel von 7 % auf 6,8 % reduziert wurde. Für uns ist das noch keine Erfolgsstory, sondern es wird erst dann eine Erfolgsstory, wenn Sie endlich die vorgesehenen 13 Unterrichtsstunden im dualen System für alle Schüler ermöglichen. Inzwischen ist es nicht mehr so, dass
das Handwerk, dass die Betriebe weniger Unterrichtsstunden fordern, damit die Auszubildenden mehr Zeit im Betrieb verbringen. Junge Menschen brauchen eine gute Qualifikation als Erstausbildung in der beruflichen Bildung. Deshalb die Forderung: 13 Stunden für alle!
Wenn Sie schon die Latte so hoch hängen und sich loben, dass wir im Gegensatz zu anderen Bundesländern 13 Unterrichtsstunden haben, dann darf dies nicht nur ein Anspruch sein, dann müssen Sie über diese Latte auch springen.
Zum Schluss, meine Damen und Herren, möchte ich den bayerischen Wissenschaftsminister Zehetmair zitieren, der mit Blick auf die Ergebnisse der PISA-Studie gesagt hat, dass wir im Bildungsbereich keine Umschichtungspotenziale haben, sondern mehr Ressourcen brauchen. Wir brauchen mehr Ressourcen für die Bildung. Ich möchte das auch im Hinblick darauf sagen, dass der Fraktionsvorsitzende der FDP/DVP zu meinem Entsetzen
vor wenigen Tagen gesagt hat, die freien Schulen brauchten 12 Millionen € mehr und diese müssten im Kultusetat umgeschichtet werden.