Das Theater, das wir im März im Bundesrat erlebt haben, war leider ein außerordentlich schlechtes politisches Theater. Ich denke, der Abstimmungsstreit, der da inszeniert wurde, wird wohl als trauriges Schauspiel in die Geschichte Deutschlands eingehen. Das schlechte politische Theater das ist ja inzwischen bekannt war bis ins Detail geplant. Die Empörung, die wir alle live im Fernsehen mitverfolgen konnten, war eingeübt und verabredet. Das hat ja Ministerpräsident Müller aus dem Saarland auch öffentlich zugegeben. Das Geschrei über den Verfassungsbruch und die offenen Drohungen, die an den Bundespräsidenten ausgesprochen wurden, alles das war politisch inszeniert.
Das wirklich Bedauerliche an dieser Inszenierung das richtet sich vor allem an die CDU-regierten Länder und auch an die CDU, die das heute wieder verteidigt hat ist, dass sie auf Kosten der demokratischen Institutionen geht. Ich möchte an dieser Stelle Herrn Rau zitieren. In seiner Kritik an dem Verfahren im Bundesrat hat er geäußert, als er das Gesetz zur Zuwanderung unterzeichnet hat:
Die Bilder aus der Bundesratssitzung waren nicht gerade appetitanregend für Leute, die Demokratieförderung wollen.
Das, meine lieben Damen und Herren, ist keineswegs an Herrn Wowereit gerichtet, sondern diese Bilder das konnte man wirklich nachverfolgen wurden von den CDU-regierten Ländern inszeniert.
Die Entscheidung des Bundespräsidenten Rau in der Sache ist zu begrüßen. Wir Grünen haben uns sehr darüber gefreut, zum einen, weil damit der Weg für das Inkrafttreten des Zuwanderungsgesetzes freigemacht wurde es ist ein gutes Gesetz, und es wird gebraucht , zum Zweiten davor haben wir großen Respekt auch wegen der Art und Weise, wie Bundespräsident Rau erläutert hat, wie er zu seiner Entscheidung gekommen ist, und wie er sie gegenüber der Öffentlichkeit begründet hat. Ich meine, mit diesem Auftreten hat Herr Rau einen wichtigen Beitrag dazu geleistet, Polemik und Aufgeregtheit aus der Debatte herauszunehmen. Leider flammen sie heute im Rahmen dieser Wahlkampfinszenierung wieder auf.
Bundespräsident Rau hören Sie gut zu! hat plausibel und überzeugend argumentiert, dass er selbst in der Sache zu der Entscheidung gekommen ist, dass das Verfahren im Bundesrat verfassungskonform ist. Er hat aber zugestanden, dass man mit guten Gründen zu unterschiedlichen Rechtsauffassungen kommen kann. Seine persönliche Auffassung ist, dass das Verfahren verfassungskonform gewesen ist. Er respektiert, dass es eine verfassungsrechtliche Zweifelsfrage ist, und hat damit den Weg zur Klage freigegeben. Ich glaube, in diesem Tonfall könnten wir auch weiter über die Angelegenheit sprechen.
Aber unabhängig davon, welches Ergebnis eine Verfassungsklage zeitigen wird, und unabhängig von der Frage, ob das Stimmergebnis für gültig erklärt wird oder nicht, von der Sache her ist dieser Aufstand, der inszeniert wurde, nicht zu rechtfertigen. Wir diskutieren seit Jahren über das Zuwanderungsgesetz. Es hat sich ein breiter gesellschaftlicher Konsens über alle gesellschaftlichen Gruppen hinweg abgezeichnet. Auch mit der CDU hat sich dieser Konsens angedeutet, und zwar bis zur Mitte der Legislaturperiode. Ich erinnere an die Süssmuth-Kommission, von prominenten Mitgliedern der CDU ja mitbesetzt, ich erinnere an die CDU-Kommission zum Thema, die weitestgehende Übereinstimmung zum jetzt vorliegenden Zuwanderungsgesetz zeitigte. Der Konsens in der Sache steht in keinem Verhältnis zu dem, wie am Ende die Differenzen inszeniert wurden.
Es zeigt, dass Sie sich von dem Weg verabschiedet haben, hier gemeinsam ein wichtiges Reformwerk auf den Weg zu
bringen. Sie haben es vorgezogen, zu verhindern und zu blockieren und das Gesetzgebungsverfahren für Wahlkampfzwecke und eigene Profilierung zu instrumentalisieren.
Jetzt zu der Frage, welchen Sinn es eigentlich hat, dass Baden-Württemberg der Normenkontrollklage beitritt. Nachdem schon fünf Länder die Klage erhoben haben, ist es ja in der Sache nicht unbedingt nötig, dass ein sechstes Land mitmacht.
Herr Teufel hatte angekündigt, es werde am 2. Juli eine Kabinettsentscheidung zu dem Thema geben. Es kam dann nicht dazu, sondern Herr Teufel hat sich entschieden, seine Richtlinienkompetenz anzuwenden, und die FDP/DVP hat sich damit einverstanden erklärt. Es wurde gesagt, auf dieses Verfahren habe man sich geeinigt. Das hat die FDP/ DVP offensichtlich getan, um zu verhindern, dass sie eine Abstimmungsniederlage hinnehmen muss. Das ist eine merkwürdige Logik. Bevor man überstimmt wird, entscheidet man sich lieber freiwillig dazu, gar nicht mehr gefragt zu werden.
Das scheint ja bei dieser Thematik System zu haben. Es gibt ja die bemerkenswerte Parallele zur Positionierung gegenüber dem Zuwanderungsgesetz insgesamt. Die FDP/ DVP hat sich immer lautstark für ein Zuwanderungsgesetz ausgesprochen und hat das Gesetz begrüßt. Anstatt sich in der Landesregierung durchzusetzen, hat sie darauf hingewirkt, am Ende eine laue Enthaltung im Bundesrat zu bewirken. In der Substanz, im Resultat ist dies dasselbe wie eine Neinstimme, weil es nichts an den Mehrheitsverhältnissen im Bundesrat geändert hat.
In dieser Landesregierung scheint die Arbeitsteilung zwischen FDP/DVP und CDU folgendes Muster zu haben: Die FDP/DVP ist für die flotten Sprüche zuständig; die harten Entscheidungen trifft dann die CDU. Wenn beides nicht übereinstimmt, guckt die FDP/DVP in die Röhre. Spaßig ist das wahrscheinlich nicht mehr, liebe FDP/DVP;
aber vielleicht haben Sie sich auch inzwischen mit dieser skurrilen Rollenverteilung einigermaßen angefreundet.
Den einzigen Sinn, den ich in dem Beitritt Baden-Württembergs zu der Klage erkennen kann, ist eine interne Machtdemonstration des Ministerpräsidenten Teufel gegenüber der FDP/DVP, indem er seine Richtlinienkompetenz anwendet, auf die er sich berufen kann.
Eine Bemerkung am Ende sei mir doch noch gestattet. Hätte Herr Stolpe diese Richtlinienkompetenz zu einem früheren Zeitpunkt angewendet, wäre uns sicher einiges von dem Spektakel, das wir jetzt erleben, erspart geblieben.
Erste Vorbemerkung: Die Argumentation des Kollegen Birzele hat sich mir nicht erschlossen. Der Sinn seiner Rede war dunkel.
Ich kann mir nur vorstellen, lieber Herr Kollege Birzele, dass das historische Ambiente hier im Sommerrefektorium dazu geführt hat, dass Sie einen historischen Exkurs gemacht haben. Der Zusammenhang von 1952 zu heute ist mir wirklich nicht klar.
Zweite Vorbemerkung: Wir reden heute hier nicht über die Zuwanderung. Da gibt es unterschiedliche Auffassungen im Haus. Das haben wir oftmals ausgetragen. Ich könnte jetzt vieles sagen, warum wir glauben, dass das keine echte Zuwanderungssteuerungsregelung ist, sondern ein Zuwanderungserweiterungsgesetz darstellt. Beispiele: Wir werden die Nachfluchtgründe massiv ausweiten. Wir werden in Deutschland mit diesem Gesetz faktisch einen Familiennachzug bis zum 18. Lebensjahr haben, den wir gestern bei PISA noch für falsch erklärt haben. Aber das ist heute nicht das Thema. Ich will damit nur sagen, dass wir über das Verfahren miteinander diskutieren sollten. Da sind einfach einige nüchterne Feststellungen angebracht.
Gegen die Verfahrenspraxis im Bundesrat seit 1950, gegen die ganz überwiegende Mehrheit der deutschen Staatsrechtslehre die geht von Isensee bis Herzog; es gibt überhaupt nur eine nennenswerte Minderheitsmeinung, die von Herrn Stern vertreten wird , gegen die ausdrückliche Empfehlung der eigenen Bundesratsverwaltung hat Präsident Wowereit die Abstimmung im Bundesrat so lange wiederholen lassen, bis das Ergebnis gestimmt hat. Das ist der eigentliche Skandal in dem Verfahren.
Das ist im Übrigen ein beispielloser Vorgang in der Sitzungsleitung jedes Gremiums, aber auch des Bundesrats. Das wurde Sie haben gesagt, Herr Birzele, dass fahrplanmäßig vorgegangen worden sei am Vorabend im Bundeskanzleramt zwischen den Beteiligten der SPD abgesprochen.
Dort wurde das Verfahren abgesprochen, wie Wowereit am nächsten Tag vorgehen sollte. Ich finde, man kann mit Verfahrens- und Verfassungsregeln so nicht umgehen, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Ein ganz unparteiischer Zeuge der war nun wirklich unparteiisch, auch in seiner Bewertung und Erklärung,
die er sehr durchdacht auf den Weg gebracht hat , nämlich der Bundespräsident, bewertet das Verhalten von Herrn Wowereit wie folgt ich zitiere aus der Erklärung vom 20. Juni :
In der Sitzung des Bundesrats am 22. März ist eine verfahrensrechtliche Verfahrensvorschrift in gewagter Weise ausgereizt... worden.
Kann eigentlich das Staatsoberhaupt deutlicher zur Sitzungsführungspraxis von Herrn Wowereit Stellung nehmen? Er kann es vermutlich kaum.
(Beifall bei der CDU Abg. Drexler SPD: Trotz- dem ist das Gesetz rechtsgültig! Abg. Fischer SPD: Er hat es aber zu den anderen gesagt!)
Wowereit selber sagt in einem verräterischen Interview, das er ein paar Tage später beim ZDF geführt hat: Ein anderer Sitzungspräsident hätte in dieser Situation anders entschieden. Meine sehr verehrten Damen und Herren, ist das eine Verfahrensordnung, die respektiert werden kann, die man akzeptieren kann, die man durchwinken kann, oder ist das nicht die Aufforderung zur Klage, die selbst in dieser Äußerung von Wowereit angelegt ist? Wir halten das für eine ganz klare Aufforderung zu dieser Klage.
Ich sage ganz ohne Zorn und Eifer: Die Demokratie lebt vom Respekt vor den Verfahrensregeln. Wir müssen uns wenigstens darüber verständigen können, dass Mehrheit und Minderheit in einem parlamentarischen Verfahrensgang sauber ermittelt werden.
Das ist ein Grundprinzip der Demokratie. Mehrheit und Minderheit müssen klar ermittelt werden. Das war in diesem Fall offensichtlich nicht möglich. Deshalb muss die Frage, wie mit der Bundesratsbestimmung umgegangen werden muss, auch aus staatspolitischen Gründen dringend in Karlsruhe geklärt werden.
Frau Bauer sagt, dass der Bundespräsident die Verfassungskonformität bestätigt habe. Frau Bauer, Sie haben da, wenn ich das so sagen darf, einfach eine falsche, irrige Meinung. Der Bundespräsident sagt in seiner Erklärung, dass er die Verfassungsbedenken nicht für so durchgreifend hält, dass er zwingend widersprechen muss. Aber in zwei Dritteln der Erklärung referiert er über Verfassungsbedenken. Deshalb hat er, der Praxis seiner Vorgänger Carstens und Herzog folgend, die er ausdrücklich erwähnt, die Entscheidung nach Karlsruhe weitergegeben. Aber mit keinem Wort und an keiner Stelle sagt der Bundespräsident, dass er die Verfassungskonformität des Zustandekommens dieses Gesetzes bestätige. Wir sollten, glaube
ich, wirklich bei den Fakten bleiben, weil diese Frage zu wichtig ist, als dass wir sie hier zerreden lassen dürfen.