Nun noch ein paar Sätze zur Frühverrentung, die Sie auch angesprochen haben. Ich möchte nicht in aller Ausführlichkeit darüber reden, weil mein Kollege Franz Wieser heute Mittag zu den Themen Arbeitsmarkt und Arbeitsmarktpolitik ausführlich Stellung nehmen wird. Der Landesseniorentag und auch unser Landtagspräsident Peter Straub sowie Arbeitgeberpräsident Hundt haben gesagt, dass es ein Fehler war, die Frühverrentung in den Neunzigerjahren einzuführen. Ich sage dies auch, und zwar aus verschiedenen Gründen. Damals hat man gemeint, man müsse Solidarität erreichen, indem Ältere aus dem Arbeitsmarkt ausscheiden und Jüngere in diesen Arbeitsmarkt eintreten. So ist das natürlich nicht gekommen. Diese Plätze wurden vielmehr weitestgehend durch Rationalisierung oder durch Maschinen ersetzt. Deshalb ist diese Solidaritätszusage von damals nicht aufgegangen.
Aber die Frühverrentung ist seither relativ geräuschlos über die Runden gegangen. Warum? Weil sich die betroffenen Mitbürgerinnen und Mitbürger tatsächlich durch verschiedene Interessen betroffen fühlen. Sie sind enttäuscht über die schnell wechselnden Arbeitsbedingungen, sie resignieren, haben Zukunftsängste und müssen Druck durch Wettbewerb aushalten. Und ich sage sehr eindeutig: Was ist die Folge, wenn wir meinen, dass die Mitbürgerinnen und Mitbürger durch Streikmaßnahmen höhere Löhne bekommen müssen? Die Folge ist, dass man in den Betrieben entweder rationalisieren oder mehr Druck auf die Arbeitnehmer ausüben muss oder dass man ins Ausland geht. Dies ist in der Tat kein guter Weg.
Nun stellen wir heute fest die Statistik stammt von 1998, denn zu diesem Thema gibt es keine neuere : Von den über 60-Jährigen sind bei den Männern nur noch 27 % und bei den Frauen nur noch 11 % im Beruf. In der Schweiz dagegen sind es 72 %, in Norwegen 67 % und in Japan 63 %.
Nun möchte ich auf zwei Auswirkungen eingehen. Diese betreffen erstens die gesellschaftspolitische Seite. Deutschland leistet sich eine massive Verschwendung von Humankapital.
Jeder Betrieb, jede Behörde, jede Verwaltung braucht Erfahrung, braucht Kontinuität, braucht Gleichmäßigkeit. Diese gehen verloren, wenn wir ältere Mitbürgerinnen und Mitbürger wegschicken.
Nicht allein die Theorie, sondern die Praxis, die Erfahrung hat unsere Betriebe und unser Land stark und groß gemacht.
Und jetzt sage ich auch noch als Sozialpolitiker: In keiner Statistik kommt zum Ausdruck, welche menschlichen Schicksale durch Arbeitslosigkeit ausgelöst werden.
Arbeit, Betätigung und Bestätigung gehören für mich zur Würde des Menschen. Ich möchte dies auch einmal sagen.
Zweitens zur finanzpolitischen Seite: Wir können es uns auf Dauer einfach nicht leisten, immer später in den Beruf und immer früher in Rente zu gehen dies möchte ich auch nur als Schlagwort sagen , weil unsere ganzen Systeme Gesundheit, Pflege und Rente dann nicht mehr finanzierbar sind.
Aber noch etwas diese Punkte habe ich erst jetzt eingefügt, weil mich die vorausgegangene Debatte wirklich provoziert hat, denn sie ist in Wahlkampf ausgeartet : Warum sind wir denn heute in dieser misslichen Lage? Gerade heute steht in der Zeitung, Creditreform habe festgestellt, dass es noch nie so viele Pleiten wie in diesem Jahr gegeben habe. Dies sind die Rahmenbedingungen. Ich sage das nicht aus der Theorie heraus, sondern aus Erfahrung, aus der Erfahrung eines Älteren, der im Wirtschaftsleben steht und dies tagtäglich mitmacht. Ich sage, ob Sie das hören wollen oder nicht, noch einmal: Es geht um die Themen Teilzeitregelungen, Scheinselbstständigkeit, 630-DM-Gesetz, Abschreibungsregelungen, Betriebsverfassungsgesetz und die Steuergesetze allgemein.
(Abg. Ruth Weckenmann SPD: Und deswegen sind die Älteren in der Arbeitslosigkeit! Also, Herr Schuhmacher!)
Ich weiß, dass Sie das nicht gerne hören. Darum habe ich es jetzt gesagt. Wären diese Töne nicht von Ihnen gekommen, wäre ich auch nicht provoziert worden.
Die Investitionsneigung vielleicht können Sie es daran sehen oder die Investitionsrate ist seit zehn Jahren noch nie so gering wie derzeit gewesen.
Ein Weiteres ich zitiere jetzt den Vizepräsidenten der Steuergewerkschaft, Herrn Hans Günter Senger, der gesagt hat:
So sei in den Jahren 2000 und 2001 das Einkommensteuergesetz als wichtigstes Steuergesetz 20-mal geändert worden.
Steuergesetze werden immer öfter zu Wegwerfgesetzen, sagte Senger. Bevor die letzte Fassung ordnungsgemäß im Bundesgesetzblatt verkündet wurde, werden die Gesetze schon wieder geändert.
Aber es ist nicht allein die Wirtschaftspolitik, sondern es ist die bürokratisierte Arbeitsmarktpolitik. Dies möchte ich nur durch zwei oder drei Punkte aus den Aussagen des Sachverständigenrats darstellen. Deswegen zitiere ich:
Das ganze Ausmaß der katastrophalen Lage auf dem Arbeitsmarkt wird jedoch erst dann deutlich, wenn auch die verdeckte Arbeitslosigkeit in die Betrachtung einbezogen wird. 1,73 Millionen Personen hatten keine reguläre Beschäftigung und wurden von der Statistik nicht als Arbeitslose erfasst, da sie an Maßnahmen der aktiven Arbeitsmarktpolitik teilnahmen, Kurzarbeit leisteten oder in den arbeitsmarktbedingten Vorruhestand getreten sind.
Nun stellt sich die Aufgabe für die Tarifpartner. Ich sage dies an beide Adressen: Wir brauchen nicht nur externe Lehrgänge, sondern wir brauchen Qualifizierung und Weiterbildung im Betrieb.
Es gibt ausgezeichnete Modelle. Ich möchte hier nur das Beispiel Tuttlingen erwähnen. Dort besteht ein ausgezeichnetes Modell. Ferner gibt es das Einstiegsgeld des Landes und andere Programme, die Herr Hofer bereits angesprochen hat.
Ich möchte auch sagen: Bei der technologischen Entwicklung, die sich immer schneller vollzieht, müssen wir die Mitbürger mitnehmen. Ich weiß, wovon ich rede, weil uns dies tagtäglich betrifft.
Flexibilisierung ist deswegen eines unserer Stichworte. Mehr Flexibilität nutzt auch oder gerade dem Personenkreis, der es auf dem Arbeitsmarkt etwas schwerer hat. Bei diesem Satz möchte ich es bewenden lassen.
Ein Weiteres: Wir müssen uns auch Gedanken über einen Arbeitsmarkt für Seniorenexperten machen. Es gibt eine ganze Reihe von Themen, bei denen wir ältere Mitbürgerinnen und Mitbürger brauchen, gerade bei der Beratung von Betriebsnachfolgern, bei der Übernahmebegleitung von Unternehmen, aber auch bei Lebensplanungsberatung, Schuldenberatung usw.
(Beifall des Abg. Wieser CDU Abg. Wieser CDU: Sehr gut! Abg. Rudolf Hausmann SPD: Ihr macht bloß nichts, ihr schwätzt bloß! Das ist das Schlimme daran!)
Ein Drittes, Frau Staatssekretärin das würde mich noch interessieren, wenn der Bericht dann vorliegt : In der Stellungnahme zu Ziffer 4 Buchst. b des Antrags der FDP/ DVP der Antrag wurde übrigens sehr gut und sehr ausführlich beantwortet heißt es:
Eine Bestandsaufnahme über die Auswirkung von arbeits- und tarifrechtlichen Senioritätsprinzipien auf die Beschäftigung älterer Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer liegt bisher nicht vor.
Diese Studie wurde in Auftrag gegeben. Es würde mich noch interessieren, zu welchen Ergebnissen die Studie geführt hat.
Schlusssatz: Die Voraussetzung für eine gute Sozialpolitik auch für ältere Arbeitnehmer ist eine funktionierende Wirtschaftspolitik. Auch deshalb diesen Satz sage ich heute auch; ich hätte ihn nicht nach dem vorausgegangenen Tagesordnungspunkt gesagt braucht unser Land dringend einen Wechsel am 22. September.
(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der FDP/ DVP Abg. Pfister FDP/DVP: Das war der beste Satz! Zurufe von der SPD, u. a. Abg. Ruth We- ckenmann: Das hat sich bis 1998 gezeigt!)
Wir alle wünschen, dass Deutschland so gut regiert wird wie Baden-Württemberg. Die Menschen haben es verdient.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Herrn Schuhmacher hier am Podium in der Rolle des Provokateurs zu erleben, ist auch eine Seltenheit. Ich habe ihn normalerweise immer als sachlichen Menschen erlebt.
Aber wenn Sie so an der Realität vorbeigehen, wenn Sie, Herr Schuhmacher, ignorieren, dass sich ausgerechnet auch die Erwerbsquote bei 50- bis 65-Jährigen in Baden-Württemberg und in ganz Deutschland nach zehn Jahren zum ersten Mal wieder positiv entwickelt, wenn Sie daran vorbeigehen, dass wir bei 50- bis 65-Jährigen einen Abbau der Arbeitslosigkeit um einen zweistelligen Prozentbereich haben in Baden-Württemberg und bundesweit ,