Protocol of the Session on March 7, 2002

Wenn Sie die Regierungserklärung mit ihrem Titel sehen, merken Sie, dass es hierbei in erster Linie um die gelungene Integration in Baden-Württemberg geht. Davon gehe ich jedenfalls aus. Dabei mag das Thema Zuwanderung am Rande eine Rolle spielen. Das will ich gar nicht ausschließen. Ich weiß nicht, was die Regierung nachher in der Regierungserklärung zur Sprache bringen wird. Nur, eines ist klar: Das Thema „Zustimmung zum Zuwanderungsgesetz“ ist deshalb dringlich, weil die Bundesratsabstimmung bevorsteht. Sie haben in der Vergangenheit bewusst Wert darauf gelegt, dies auch getrennt zu beurteilen.

(Abg. Birzele SPD: Was? Das ist unwahr!)

Wir sehen deshalb keinen Anlass, jetzt diesen Tagesordnungspunkt vorzuziehen.

(Beifall bei der CDU Abg. Döpper CDU: So ist es!)

Meine Damen und Herren, ich lasse über den Antrag der Fraktion der SPD abstimmen, die Behandlung des Tagesordnungspunkts 5 mit der des Tagesordnungspunkts 1 zu verbinden. Wer für diesen Antrag ist, den bitte ich um das Handzeichen. Gegenstimmen? Enthaltungen? Der Antrag ist mehrheitlich abgelehnt.

Ich rufe dann Punkt 1 der Tagesordnung auf:

Regierungserklärung Integration in Baden-Württemberg und Aussprache

Das Wort zur Regierungserklärung erteile ich Herrn Innenminister Dr. Schäuble.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Die Integration von Ausländern und Spätaussiedlern in Baden-Württemberg und auch in der Bundesrepublik Deutschland gehört zu den Schwerpunkten unserer Regierungsarbeit in Baden-Württemberg und ist darüber hinaus eine nationale Herausforderung.

Lassen Sie mich die Ausgangslage skizzieren: In Deutschland leben ca. 7,3 Millionen ausländische Mitbürgerinnen und Mitbürger, in Baden-Württemberg rund 1,25 Millionen. Dies entspricht einem Ausländeranteil von 8,9 % bundesweit und von ca. 12 % für Baden-Württemberg. Viele von ihnen, nämlich rund 49 %, halten sich schon seit zehn Jahren oder länger hier auf, rund 30 % im Bund bzw. 33 % in Baden-Württemberg sogar 20 Jahre und länger.

Mitte der Fünfzigerjahre hatten wir in Baden-Württemberg noch einen Ausländeranteil von unter einem Prozent. Die Veränderung bis zum heutigen Stand verlief nicht kontinuierlich, sondern in Wellen. Zu nennen sind hier insbeson

(Minister Dr. Schäuble)

dere die so genannten Gastarbeiterzuzüge, vor allem aus Italien, Griechenland und dem früheren Jugoslawien.

Seit Mitte der Sechzigerjahre setzte der Zuzug türkischer Staatsangehöriger ein, der bis in die Neunzigerjahre anhielt. Seit 1978 sind die Türken von allen fast 200 in Baden-Württemberg vertretenen Nationalitäten die größte Ausländergruppe. Ihr Anteil liegt heute bei 27 %, gefolgt von den italienischen Staatsangehörigen mit 15 % und den Staatsangehörigen des ehemaligen Jugoslawien mit 11 %.

Interessant ist in diesem Zusammenhang: Obwohl 1973 der Anwerbestopp erfolgte, stieg die Zahl der türkischen Mitbürgerinnen und Mitbürger auch nach dem Anwerbestopp weiter an. Dies ist auf die zahlreichen Familiennachzüge und die relativ hohe Kinderzahl zurückzuführen.

Viele der Ausländer sind völlig problemlos in unsere Gesellschaft integriert. Sie leisten einen erheblichen Beitrag zu unserer wirtschaftlichen Entwicklung und nehmen am bürgerschaftlichen Leben teil. Dafür sind wir dankbar.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP)

Bei vielen anderen gibt es aber auch Anlass zur Sorge. Zahlreiche, gerade auch junge Ausländer verfügen nur über mangelnde Sprachkenntnisse. Sie haben keine Perspektive am Arbeitsmarkt. Entsprechend überproportional hoch ist die Zahl von Sozialhilfeempfängern: in Baden-Württemberg als Beispiel 1,67 % Deutsche als Sozialhilfeempfänger und 4,3 % Ausländer. Dies zeigt übrigens auch, dass die ausländischen Arbeitslosen am Arbeitsmarkt genauso wenig bereit sind wie Deutsche, unattraktive Tätigkeiten, die angeboten werden, anzunehmen.

Die Gettobildung in den Städten nimmt zu. Es gibt viele Gruppen, die sich abschotten, unsere Gesellschaft und ihre Normen ablehnen und sich ausschließlich an den kulturellen und religiösen Werten ihrer Herkunftsgesellschaft orientieren.

Interessant ist auch noch ein Blick auf die Entwicklung der Zahlen der Ausländer einerseits und der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten andererseits. Die Zahl der Ausländer in Deutschland ich spreche jetzt von Deutschland; aber entsprechend verhält es sich in Baden-Württemberg hat sich in den letzten 30 Jahren verdoppelt. Die Zahl der sozialversicherungspflichtig beschäftigten Ausländer hingegen ist zurückgegangen. Wir hatten 1973 eine Arbeitslosenquote von 1,2 % und 4 Millionen Ausländer, davon rund 2,5 Millionen sozialversicherungspflichtig beschäftigt. Heute haben wir eine Arbeitslosenquote von 9 % und 7,3 Millionen Ausländer, davon nur noch rund 2 Millionen sozialversicherungspflichtig beschäftigt. Das heißt, die Zahl der Ausländer ist insgesamt um 85 % angestiegen, der Anteil der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten dagegen um 19 % gesunken. Das sollte man wissen.

(Abg. Boris Palmer GRÜNE: Das ist doch klar: Familiennachzug!)

Bei dem Thema Integration, Herr Kollege Palmer, dürfen wir den Blick aber nicht nur auf die Ausländer richten, sondern müssen wir auch die heute kommenden Spätaussiedler im Auge haben. Auch hier ist wahr: Die Eingliederung der

Vertriebenen und Aussiedler ist in den letzten Jahrzehnten nach einem gemeinsamen Kraftakt in hervorragender Weise gelungen. Sie sind eine große Bereicherung für unser Land. Wir sind froh, dass so tüchtige Landsleute zu uns gekommen sind.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU)

Genauso ist aber auch wahr, dass die Integration der heute kommenden Spätaussiedler und ihrer Familienmitglieder ungleich schwieriger ist als früher. Sie wird nicht selten von persönlichen Problemen und sozialen Konfliktsituationen begleitet. Die Folgen liegen auf der Hand und sind unübersehbar.

Dies alles, meine Damen und Herren, verursacht sozialen und politischen Sprengstoff. Wir müssen gegensteuern und Fehlentwicklungen stoppen; sonst werden sie uns überrollen. Statt Parallelgesellschaften brauchen wir ein gedeihliches Miteinander. Wir wollen keine Assimilation; wir müssen aber aufeinander zugehen.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP)

Sosehr daher gegenseitiges Verständnis und Toleranz notwendig sind, ist aber auch unverzichtbar, dass unsere Rechtsordnung und unsere Werte akzeptiert werden.

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der FDP/ DVP)

Das sind die Grundvoraussetzungen für ein gedeihliches und friedliches Zusammenleben, und dazu müssen alle Beteiligten ihre Anstrengungen verstärken. Nicht nur der Staat und die Gesellschaft, sondern auch die Ausländer und Spätaussiedler sind gefordert. Es ist wirklich eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, und nur mit einer Bündelung aller dafür erforderlichen Kräfte können wir diese gewaltige Herausforderung bestehen.

Bevor wir noch mehr Menschen nach Deutschland kommen lassen, sollten wir erst diejenigen, die schon hier sind, besser integrieren.

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der FDP/ DVP)

Ich will die bereits laufenden Integrationsmaßnahmen darstellen. Wir fangen bei diesem Thema nicht bei null an. Schon in der Vergangenheit wurden zahlreiche Integrationshilfen angeboten, die es vielen erleichtert haben, sich in unserer Gesellschaft zurechtzufinden. Nur als Beispiel ist auf die vielfältigen Integrationshilfen in den Schulen hinzuweisen. Auch die Kommunen des Landes, die Kirchen, die Wohlfahrtsverbände und viele private Einrichtungen und Personen leisten wesentliche und vielfältige Beiträge. Wir haben allen Grund, dafür von Herzen dankbar zu sein.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP)

Auch das Land Baden-Württemberg unternimmt mit erheblichem finanziellem Aufwand zahlreiche Integrationsmaßnahmen. Dabei arbeiten wir vor allem zielgruppen- und problemorientiert.

(Minister Dr. Schäuble)

Die Fördermaßnahmen beginnen im vorschulischen Bereich, also im Kindergarten, und erstrecken sich über die Förderung von Schülern und Jugendlichen bis hin zu den Erwachsenen. Der Schwerpunkt liegt logischerweise bei der Sprachförderung.

Die wichtigsten Maßnahmen des Landes sind insoweit die folgenden: Das Sozialministerium fördert Maßnahmen der vor- und außerschulischen Hausaufgaben-, Sprach- und Lernhilfen für ausländische Kinder und Spätaussiedlerkinder bereits im Kindergarten und in der Vorschule, aber auch in der Schule. Eine umfangreiche Förderung erfolgt durch das Kultusministerium vorrangig an Grund- und Hauptschulen durch Vorbereitungs- bzw. Förderklassen, durch Förder- und Vorbereitungskurse, aber auch einzelfallbezogen an Schulen mit hohem Anteil ausländischer und spätausgesiedelter Schülerinnen und Schüler. Schulische Sprachförderung wird auch an Realschulen und Gymnasien angeboten.

Jugendliche, die nach Beendigung der allgemeinen Schule keinen Ausbildungsplatz haben und noch nicht volljährig sind, erfahren eine Förderung mit dem Schwerpunkt „Erwerb von Deutschkenntnissen“ durch das Kultusministerium im Berufsvorbereitungsjahr und in der Berufsschule.

Über den Spracherwerb hinaus gibt es weitere vielfältige Fördermaßnahmen. Zu nennen sind hier Projekte des Innen- und des Kultusministeriums zur beruflichen und sozialen Integration von jugendlichen Spätaussiedlern und Ausländern sowie arbeitsmarktpolitische Projekte des Sozialministeriums und des Wirtschaftsministeriums, beispielsweise die Existenzgründungsinitiative II, die gezielt auf ausländische Existenzgründerinnen und Existenzgründer ausgerichtet ist.

Einen wichtigen Integrationsbeitrag leisten ferner die Ausländersozialberatungsstellen bzw. die Sozialdienste, die von den Trägern der freien Wohlfahrtspflege eingerichtet wurden und von Land und Bund gefördert werden. Für die soziale Beratung und Betreuung von Spätaussiedlern werden ebenfalls Mittel zur Verfügung gestellt. Der finanzielle Aufwand des Landes allein für Maßnahmen, die sich ausschließlich an Ausländer und/oder Spätaussiedler richten, beläuft sich auf mehr als 11 Millionen €. Hinzu kommen rund 32 Millionen € für Maßnahmen im Schulbereich. Grundlage: das Jahr 2000/2001.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU Zuruf des Abg. Teßmer SPD)

Über diese speziellen Maßnahmen hinaus existieren

(Unruhe)

Auch hier, Herr Kollege Teßmer, ist der obligatorische Ländervergleich weiterführend.

(Unruhe)

Über diese speziellen Maßnahmen hinaus existieren weitere Förderinstrumente, an denen Spätaussiedler sowie Ausländer auch teilhaben können. Wir haben dies, meine Damen und Herren von der SPD-Fraktion, im Rahmen unserer Antwort auf eine Anfrage der Frau Kollegin Utzt noch

einmal näher in einer so genannten Bestandsaufnahme dargestellt. Ich darf an dieser Stelle für diese Arbeit, aber auch darüber hinaus für ihre hervorragende Arbeit und ihre außergewöhnlichen Leistungen meiner Abteilung im Innenministerium ganz herzlich danken mit dem Abteilungsleiter Hellstern an der Spitze sowie den Referatsleitern Enkler, Scheel und Uricher. Herzlichen Dank für ihr großes Engagement!

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP)

Die Landesregierung setzt aber ihre integrationspolitischen Bemühungen nicht nur fort, sondern wir steigern und verstärken sie auch. Neue Maßnahmen, überwiegend mit Mitteln der Landesstiftung Baden-Württemberg finanziert, sind in die Wege geleitet. Auch daraus ersieht man die segensreiche Wirkung dieser Landesstiftung.

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der FDP/ DVP)