Protocol of the Session on March 6, 2002

hemmender Föderalismus bringt sich selber und das ganze Land nach und nach um Lebenskraft und politische Kreativität.

(Lebhafter Beifall)

Aber gesetzt den Fall, man folgte diesem Gedanken: Wo bliebe dann die Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse? Die Antwort ist einfach, vielleicht in dieser elementaren Form zunächst auch zu einfach: Wenn der Wettbewerb wirklich funktioniert, stellt sich die Einheitlichkeit nach und nach und vielleicht sogar schneller als anders schon von selber ein, nämlich durch die Überzeugungskraft der besseren Lösung von der Bildungspolitik bis zur Wirtschaftspolitik.

(Lebhafter Beifall)

Wenn der Wettbewerb funktioniert, dann kann es sich der zunächst Unterlegene nämlich gar nicht leisten, an der Ursache seiner Unterlegenheit bockig festzuhalten. Das kann er nämlich nur, wenn er andere zum Zahlmeister seiner verfehlten Lösungsansätze machen kann.

(Lebhafter Beifall)

Aber man muss sich schon entscheiden, welchen Weg zum selben Ziel und das ist doch der Punkt man gehen will: Den scheinbar schwierigeren, unbequemeren Weg des ländervergleichenden Wettbewerbs, übrigens auch der staatlichen Selbstständigkeit und des inneren Selbstbewusstseins der Länder, oder den scheinbar einfacheren, bequemeren Weg der von oben administrierten Vereinheitlichung und der wettbewerbsverhindernden Ausgleichssysteme.

Der Beifall hat ja schon gezeigt, meine Damen und Herren, dass es natürlich leichter ist, über den Länderfinanzausgleich auf dem Boden eines Geberlandes zu räsonieren. Aber es kann doch nicht sinnvoll sein, diesen Ausgleich trotz des jüngsten Judizes aus Karlsruhe immer noch so zu organisieren, dass er weder den Geberländern noch den Nehmerländern aus sich heraus einen starken Anreiz gibt, nach besseren Lösungen zu suchen.

(Lebhafter Beifall)

Denn die Logik des Systems arbeitet doch so, dass den Gebern wie den Nehmern der eventuelle Ertrag, zumindest der allergrößte Anteil des Ertrags ihrer Anstrengungen „weggesteuert“ würde. Für die einen, die Geberländer, würden in einem solchen Fall nur die Zahlungsverpflichtungen wachsen, und für die Nehmerländer würden sich einfach nur die Ansprüche auf Zuschüsse verringern. Wenn wir schon im privaten Leben merken, dass es eine leistungshemmende Besteuerung gibt es gibt aber auch Leistungen, die unterbleiben, nicht wegen der Besteuerung, sondern weil der Kerl einfach nichts kann , dann gibt es die offenbar auch im staatlichen Bereich. Beides kann nicht sinnvoll sein.

Apropos Länderneugliederung: Wer weiß denn überhaupt, ob auf diesem Gebiet wirklich alles beim Alten bleiben müsste, wenn es ein Ende damit hätte, dass sich im Grunde alle Länder gerade dank der wettbewerbsneutralisierenden Ausgleichssysteme jedem neuen Zuschnitt verweigern können? Wenn die wirtschaftlichen Folgen einer solchen Verweigerung die jeweiligen Länder träfen, sähe es bei uns im Norden schon ein bisschen anders aus. Wettbewerbsfähige

Länder, meine Damen und Herren, bekommt man eben nur durch Wettbewerb.

Die Aufgabe des Wettbewerbs ist es ja nicht, die Vorsprünge der gegenwärtig Bessergestellten zu verewigen, sondern eben den anderen auch eine Chance zu geben. Ebenso wie der Wettbewerb in der Wirtschaft die Vormacht einzelner Marktteilnehmer gefährden und eigentlich aufheben soll das hat man hier im Land in der Freiburger Schule nun hinreichend konzipiert , kann der Wettstreit der Lösungsansätze auch in der Politik dazu dienen, Vorsprünge und Machtunterschiede einzuebnen, jedenfalls schneller als jedes nacheilende Ausgleichs- und Verteilungssystem.

Dass der Wettbewerb in diesem Sinne, also der Übergang aus einem Verteilungsföderalismus in einen Wettbewerbsföderalismus, freilich fairer gestaltet werden müsste, versteht sich von selber, muss aber ausdrücklich betont werden. Und wo wirklich historisch bedingte strukturelle Unterschiede klaffen, muss natürlich eine Form von Starthilfe, Ausgleich geleistet werden, aber eben nur auf eine Art und Weise, die dazu stimuliert, diese Differenzen kraft eigener Leistung überwinden zu können, nicht aber in einer Form, die es geradezu reizvoll macht, diese Strukturunterschiede müde zu verlängern.

Es hat ja in jüngster Zeit da und dort schon der eine oder andere Landespolitiker davor gewarnt und geradezu gemault, wenn bestimmte Parteien in bestimmten Ländern Ostdeutschlands allzu rot-rot gefärbte Koalitionen bildeten, dann werde man diese verfehlte Politik nicht auch noch durch den Solidarpakt mitfinanzieren, sozusagen mit seinem eigenen Schweiß und Blut. Über die psychologische und politische Weisheit solcher Warnungen will ich jetzt gar nicht spekulieren, zumal wenn sie aus früheren Nehmerländern kommen.

(Heiterkeit und Beifall)

Aber ein Föderalismus, in dem solche Drohungen überhaupt denkbar sind, also ein Föderalismus, in dem bestimmte Länder auf ewig Kostgänger der anderen bleiben, der hat seine Aufgabe gründlich verfehlt.

(Lebhafter Beifall)

Bei diesem föderativen Wettbewerb um die besten Ideen und Lösungen geht es natürlich keineswegs das wissen wir hier im Lande erst recht nur ums Geld obschon man darauf seinen Blick halten sollte , sondern um die Zukunftsfähigkeit der Republik insgesamt. Hätten zum Beispiel alle deutschen Hochschulen das Recht, sich ihre Studenten über Eingangsprüfungen selber auszuwählen und zwar übrigens vielleicht sogar ohne starre Rücksicht auf vorgelegte Abiturzeugnisse, die zwar eine zentrale Bedeutung, aber keinen zentral gesicherten gleichen Wert haben , dann könnten doch die Länder in einen echten Wettbewerb um die besten Schulen untereinander eintreten. Doch so, wie die Dinge nach dem Hochschulrahmengesetz liegen, bekommt, soweit die Studienplätze über die ZVS verteilt werden, jedes Land eben die Zahl von Studienplätzen zugewiesen, die seiner Kinderzahl und seinem Abiturientenanteil entspricht, und zwar, wie es im Gesetz ganz unverhüllt heißt, solange die Abiturzeugnisse bundesweit nicht vergleichbar sind. Und wenn das so ist, dann muss man sie auch gar nicht vergleichbar machen.

(Professor Robert Leicht)

Dies ist, jetzt wieder einmal rein ökonomisch betrachtet, nicht nur eine Suspendierung des Wettbewerbs kraft Gesetzes, sondern überdies eine grandiose Fehlsteuerung, weil dies ja, wenn man es auf die Spitze treibt, ein einzelnes Land geradezu in Versuchung führen könnte, die Zahl seiner Abiturienten durch die Senkung der Ansprüche zu steigern. Ich wundere mich jedenfalls nicht mehr darüber, dass ich in meiner Bekanntschaft auf immer mehr Lehrer stoße, die von den Schülern und Eltern sowie zunehmend auch von ihren Kollegen schief angesehen werden, weil sie noch Ansprüche stellen und seriös zensieren.

(Lebhafter Beifall)

Genug der Beispiele! Das Prinzip ist, wie ich hoffe, deutlich geworden. Unser System des Föderalismus braucht einen Anstoß zu neuer Vitalität, gerade dann, wenn unsere ganze liebe Republik im europäischen, ja im weltweiten Wettbewerb bestehen und darin gute Beispiele geben soll. Aber unser hergebrachter, gewachsener und leider auch zugewachsener Föderalismus hat eben immer mehr leistungshemmende Züge angenommen.

Das System hat zudem die unmittelbare Verantwortlichkeit für politisches Handeln ausgehöhlt, und es hat die politische Kultur in den Ländern dort geschwächt, wo die originären Zuständigkeiten der Länder eigentlich liegen müssten. Dort aber, wo sich die Länder kompensatorisch über die ursprünglich am Reißbrett entworfenen Maße hinaus in die Bundes-, die Europa- und die Außenpolitik einschalten ich warte ja noch auf die Zeit, in der Militäreinsätze auch von den Landtagen genehmigt werden müssen , hat es zu einem Überhang an Exekutivföderalismus geführt. Kann das übrigens, nebenbei gefragt, einem Landtag im 50. Jahr seines Bestehens recht sein?

Die Angelsachsen würden nun fragen: How do we get from here to there? Wie kommen wir jetzt von hier nach dort? Das ist nun wahrlich keine einfache Frage, wenn man sieht, wie verwachsen die Dinge sind. Aber wir müssen sie heute auch gar nicht beantworten. Wir müssen allerdings eines deutlich sehen: Dieser Weg m u s s eines Tages begangen werden, wenn eben nicht die politische Substanz der Länder immer weiter ausgehöhlt werden soll und damit die im weitesten Sinne kulturelle Leistungsfähigkeit unseres ganzen Landes, seines politischen wie wirtschaftlichen und eben ja vor allem seines sozialen Systems.

Man mag ja jetzt sagen, dazu bedürfe es eben wie bei der Gründung des Südweststaats eines neuerlichen historischen externen Schocks. Aber sagen Sie selbst: Wäre das nicht ein Armutszeugnis für unsere Republik und für Ihr Land? Im Wirtschaftsleben gibt es solche externen Schocks; sie stehen dann im Wirtschaftsteil der „Frankfurter Allgemeinen“; früher standen sie unter „Konkurse“ und „Vergleiche“, jetzt stehen sie unter „Insolvenzen“. Aber ich möchte eigentlich weder an das Ende der Geschichte noch an das Ende der politischen Gestaltungskraft auch des Föderalismus glauben müssen.

50 Jahre Baden-Württemberg, das ist offenkundig eine Erfolgsgeschichte, und zwar nicht nur für das Land allein, sondern für die ganze Republik. Denn woher nehmen, wenn nicht bei den Gebern?

(Heiterkeit und lebhafter Beifall)

Ihr Land ist erst vor 50 Jahren gegründet worden, doch heute steht es fest gegründet und ist von den Gründungsschmerzen gänzlich genesen. Doch eine alte Lebensweisheit sagt: Der Erfolg ist der Lehrmeister der Dummen. Über den Erfolg darf man immer zufrieden sein; selbstzufrieden sein darf man freilich nie.

(Lebhafter Beifall)

Gerade weil dieses schöne Land so kräftig ist, wünsche ich ihm für die nächsten 50 Jahre und darüber hinaus die Kraft, neue Herausforderungen anzunehmen, sie sich aber auch selber zu stellen und zu wählen: stets im Wettbewerb um die besten Lösungen für das Land und die Leute.

Ich danke Ihnen.

(Anhaltender starker Beifall)

Mitglieder des Landesjugendorchesters spielen das Duo für zwei Violinen D-Dur, op. 67, von Louis Spohr und die Etude-Caprice „Tempo di saltarella“, op. 18 Nr. 4, von Henri Wieniawski.

Schlusswort

Herr Professor Leicht, ich möchte Ihnen für Ihre interessanten und feinsinnigen Ausführungen danken. Sie haben uns im rückblickenden Teil mit uns selbst konfrontiert, wie ich es erwartet habe, aber auch im Übrigen interessante Dinge gesagt, die uns sicherlich zum Nachdenken veranlassen werden. Im Ausblick haben Sie auf wichtige Aspekte für die weitere Entwicklung des Föderalismus in der Bundesrepublik hingewiesen. Ich verrate Ihnen kein Geheimnis, dass Ihre Ausführungen zum Wettbewerbsföderalismus bei uns natürlich auf große Zustimmung gestoßen sind. Ganz herzlichen Dank für Ihren Festvortrag.

(Lebhafter Beifall)

Ein herzliches Wort des Dankes gilt auch den Musikerinnen und Musikern des Landesjugendorchesters BadenWürttemberg, die alle auch erste Preisträger beim Bundeswettbewerb „Jugend musiziert“ sind. Sie haben ausgezeichnet für die musikalische Umrahmung unserer Festsitzung gesorgt. Ganz herzlichen Dank.

(Lebhafter Beifall)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, für uns beginnt jetzt wieder der Ernst der Arbeit.

(Heiterkeit)

Wir sollten uns allerdings zuvor noch etwas stärken. Vor allem sollten wir die Gelegenheit wahrnehmen, mit unseren hochrangigen Gästen noch ins Gespräch zu kommen. Ich bin sicher, dass der Festvortrag von Professor Leicht viel Stoff dafür liefern wird. Deshalb lade ich Sie jetzt zu einem Stehempfang ein.

Ich unterbreche hiermit die Sitzung. Sie wird um 14:00 Uhr fortgesetzt.

(Unterbrechung der Sitzung: 12:21 Uhr)

(Wiederaufnahme der Sitzung: 14:03 Uhr)

Meine Damen und Herren, die unterbrochene Sitzung wird fortgesetzt.

Ich darf noch bekannt geben:

Urlaub für heute habe ich den Herren Abg. Gall und Mappus erteilt.

Krank gemeldet ist Herr Abg. Bebber.

Wir treten dann in die Tagesordnung ein.

Ich rufe den Zweiten Teil der Sitzung auf und hier Punkt 1 der Tagesordnung: