Protocol of the Session on January 31, 2002

Bedeutung zukommt. Jürgen Baumert, der Direktor des Max-Planck-Instituts in Berlin und der Leiter der deutschen PISA-Studie, sagt ganz klar: Wir differenzieren früh in unterschiedliche Bildungsgänge, aber wir gehen mit den Folgen nicht intelligent um. Das heißt, wer früh selektiert, muss im vorschulischen Bereich und in der Grundschule mehr investieren. Von den frühen Angeboten profitieren insbesondere die Kinder, die herkunftsbedingte Nachteile haben. Das sind ausländische Kinder, das sind Kinder aus sozial benachteiligten Familien, das sind aber auch sehr leistungsfähige Kinder, die nicht genügend „Futter“ im vorschulischen und im Grundschulbereich bekommen. Deshalb sagen wir Grünen, und wir sagen es nicht zum ersten Mal: Die Grundschule braucht mehr Zeit und mehr Ressourcen. Wir müssen jetzt Nägel mit Köpfen machen und in Baden-Württemberg endlich eine echte Halbtagsgrundschule von fünf Zeitstunden mit einer Öffnungszeit von fünfeinhalb Stunden für alle Kinder einrichten.

(Beifall bei den Grünen Abg. Dr. Lasotta CDU: Das haben wir doch quasi!)

Nein. Dieses Modell, bei dem für einen Teil des Vormittags die Betreuung an die Kommunen abgegeben wird, die keine Kompetenz und keine Zuständigkeit für Lernen und Unterricht haben,

(Abg. Dr. Lasotta CDU: Die haben auch Kompe- tenz! Das hängt doch davon ab, wen sie einstel- len!)

ist ein Sackgassenweg. Das ist eine Sackgasse, und Sie wissen auch genau, dass Kinder, die diese Förderung am intensivsten brauchen, zum Beispiel die ausländischen Kinder, häufig daran überhaupt nicht teilnehmen, weil dafür Gebühren verlangt werden.

(Abg. Dr. Lasotta CDU: Die Träger der Jugend- hilfe sind hier gemeint!)

Es ist aber eine Betreuung und kein qualifiziertes pädagogisches Angebot.

Wir Grünen begrüßen die Einführung der Fremdsprachen ab der ersten Grundschulklasse; wir haben das von Anfang an mitgetragen. Wir sehen auch das Projekt „Schulanfang auf neuen Wegen“ als richtige Antwort

(Beifall bei Abgeordneten der CDU)

auf die späte Einschulung.

Wir bedauern allerdings, dass dieses Herzstück der Reform der Grundschule nicht richtig in die Gänge kommt. Nur ganz wenige Klassen in den 2 500 Grundschulen haben zum Beispiel bereits jahrgangsübergreifende Eingangsstufen.

Die echte Halbtagsgrundschule wird einen Reformschub bewirken, und dadurch wird auch das Projekt „Schulanfang auf neuen Wegen“ wieder neue Impulse bekommen.

(Beifall bei den Grünen)

Selbstverständlich brauchen wir auch Ganztagsangebote an Grundschulen. Nur vier der 2 500 Grundschulen in BadenWürttemberg sind Ganztagsgrundschulen; aber wir brau

(Renate Raststätter)

chen Ganztagsangebote an allen Schularten. Die SPD hat sich bei diesem Haushalt auf Ganztagsschulen spezialisiert. Wir wollen möglichst schnell innerhalb weniger Jahre an allen Schulen Ganztagsangebote mit einem guten pädagogischen Konzept aus einem Guss.

(Abg. Dr. Lasotta CDU: Und wenn die Eltern oder die Schüler das nicht wollen?)

Wir wollen, dass für das pädagogische Konzept nicht die Kommunen, sondern die Schulen zuständig sind, weil dort die pädagogische Professionalität vorhanden ist. Wir wollen Lehrbeauftragte einbinden. Dazu haben wir bereits eine Initiative gestartet.

Nebenbei erwähnt, Frau Ministerin: Die ersten Schulen haben sich schon bei mir gemeldet und gesagt: Wir bedanken uns für diese Initiative; es ist ganz schlecht, dass Lehrbeauftragte nur als ehrenamtlich Tätige entschädigt werden können. Wir brauchen, um gute Angebote zu machen, auch Geld statt Lehrerstunden, damit wir Musikschulen und Jugendkunstschulen einbinden können und damit ein besseres musisches und musikalisches Angebot für alle Kinder an den Schulen machen können.

(Beifall bei den Grünen)

Selbstverständlich muss darüber werden wir noch viel sprechen auch die vorschulische Bildung und Erziehung intensiviert werden. Sie, Frau Schavan, müssen wirklich immer wieder daran erinnert werden, dass die Reform der Erzieherinnenausbildung bereits seit 1990 verschleppt wird und die Qualität der Erzieherinnenausbildung endlich verbessert werden muss.

(Beifall bei den Grünen Abg. Dr. Lasotta CDU: Was ist mit den Erziehern? Sie sprechen immer nur von Erzieherinnen!)

Im Zusammenhang mit einer besseren vorschulischen Förderung finden wir übrigens, dass es ein Armutszeugnis ist, dass Sie von der Regierungskoalition gestern unseren Antrag auf Mutter-Kind-Sprachkurse im vorschulischen Bereich abgelehnt haben. Gerade für die ausländischen Kinder und ihre Mütter ist das ein ganz schlechtes Signal.

(Beifall bei Abgeordneten der Grünen Zuruf des Abg. Teßmer SPD)

Ihnen liegen auch zwei Anträge zur Verbesserung der Qualität des Unterrichts und damit zur Verbesserung der Lernleistungen unserer Schüler und Schülerinnen vor. Frau Kultusministerin, in einem Interview des „Rheinischen Merkur“ mit Ihnen habe ich gelesen,

(Oh-Rufe bei der SPD)

dass der Unterricht ergebnisorientierter werden muss.

(Abg. Dr. Lasotta CDU: Eine gute Zeitung!)

Da sind wir natürlich völlig einer Meinung. Aber jetzt erheben Sie die fantasielose Forderung nach mehr Noten.

(Abg. Dr. Lasotta CDU: Oh! Abg. Drexler SPD: Ist das Ihre Ministerin? Abg. Ursula Haußmann SPD: Ihre Ministerin!)

Zum Beispiel sollen die Orthographie und der Ausdruck jetzt in allen Fächern benotet werden.

(Abg. Drexler SPD: Das ist Ihre Ministerin!)

Sie sagen auch: Die Scheu gegenüber den Noten muss überwunden werden. Aber, liebe Frau Schavan, gehen Sie einmal an die Schulen! Wenn die Lehrer dort eines nicht scheuen, dann sind es Noten.

Der Münchner Entwicklungspsychologe Professor Weinert, den Sie ja gut kennen und der inzwischen leider verstorben ist, hat festgestellt: In unserem Unterricht wird zu wenig gelernt und zu viel bewertet. Jede Stunde ist eine Prüfungsstunde. Herr Baumert sagt: „Noten und Geld korrumpieren. Langfristig wird jede intrinsische Motivation abgetötet.“ Dabei, Frau Schavan, müssen wir ja nicht einmal die Forschung bemühen. Leider ist Herr Stächele nicht da; er könnte das bestätigen. Es gibt eine alte Bauernweisheit,

(Heiterkeit)

die besagt: Die Sau wird vom Wiegen nicht schwerer.

(Beifall bei den Grünen Abg. Dr. Lasotta CDU: Wiederholen Sie das noch einmal! Ich habe es nicht gehört! Unruhe)

Die Sau wird vom Wiegen nicht schwerer,

(Unruhe Zurufe, u. a. der Abg. Ursula Hauß- mann SPD, Kleinmann FDP/DVP und Dr. Lasotta CDU)

sondern nur durch gutes Futter. Das heißt in diesem Falle, wenn wir dieses Beispiel auf die Schule übertragen: durch die Qualität des Unterrichts.

Frau Abg. Rastätter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abg. Zimmermann?

Herr Zimmermann.

Frau Abg. Stätter

(Lebhafte Unruhe Abg. Drexler SPD: Der ist ja fast so schlimm wie der Stoiber!)

Rastätter, Sie sind noch nicht ganz bei dem Punkt, den meine Frage konkretisiert. Aber im Rahmen der PISA-Studie ist das recht interessant. Dazu möchte ich Ihre Einstellung hören: Finden Sie es zum Beispiel für Schüler und Eltern motivierend und lernförderlich, wenn die ranghöchsten Politiker von Rot-Grün offiziell stolz verkünden, auch schon einmal durchgefallen und schlechte Schüler gewesen zu sein? Finden Sie so etwas förderlich? Und wie sollen Eltern darauf dann reagieren?

(Lebhafte Zurufe von der SPD Abg. Bebber SPD: Oh Mann, oh Mann! Abg. Schmid SPD: Was war Ihr Abi-Schnitt? Abg. Teßmer SPD: Wo waren Sie denn in der Schule? Abg. Schmid SPD: Schüler Zimmermann, aufstehen! Was war Ihr Abi-Schnitt? Anhaltende lebhafte Unruhe Glocke der Präsidentin)

Das Wort hat Frau Abg. Rastätter.

(Fortdauernde Unruhe Glocke der Präsidentin)

Ich darf um Ruhe bitten!

Ich gebe Ihnen gern eine Antwort darauf.

(Abg. Heike Dederer GRÜNE: Das fällt auf den Fragesteller zurück!)