Sechstens ist für mich die Einbeziehung aller Gruppen erstrebenswert, die direkt oder auch indirekt mit Bildung und Ausbildung unserer Kinder zu tun haben. Dazu gehören für mich die Ministerien, die Schulverwaltung, die Schulen, die Lehrer, die Schüler, die Eltern, die Erzieherinnen in den Kindergärten und die Wirtschaftsverbände ebenso selbstverständlich wie die Gewerkschaften.
Lassen Sie mich zum Schluss einige ganz konkrete Punkte aus der Sicht der CDU-Fraktion ansprechen. Meine Damen und Herren, wir brauchen eine neue Bildungsoffensive an unseren Schulen, der keine gleichmacherische Schulpolitik zugrunde liegen darf,
Dem fraglos vorhandenen Leistungswillen unserer Kinder muss durch eine sinnvolle Leistungsdifferenzierung ohne Wenn und Aber entsprochen werden. Dazu gehört unter anderem auch die von Frau Ministerin Schavan bereits initiierte Entrümpelung und Verschlankung der Lehrpläne in den laufenden Lehrplanreformen.
Ein weiterer Punkt: Kinder nicht deutscher Herkunft müssen in erster Linie in Deutsch und erst in zweiter Linie in ihrer Muttersprache unterrichtet werden, wie dies in Finnland in ganz konsequenter Weise geschieht, und dies dort bei nur 1 % Ausländeranteil an der Gesamtbevölkerung. Deswegen sind wir und unsere Kollegen in Berlin heute auch für die Herabsetzung des Nachzugsalters.
Mit der Bildungsoffensive an unseren Schulen – Sie, Herr Kollege Pfister, haben das ja schon angesprochen – muss natürlich auch eine Erziehungsoffensive im Elternhaus einhergehen. Das heißt unter anderem – das sind klare Forderungen –, dass sich Eltern zukünftig stärker um die Schulangelegenheiten ihrer Kinder kümmern müssen.
Unseren Kindern müssen wir zudem wieder mehr zutrauen und auch mehr zumuten. Diesen Weg sind wir in BadenWürttemberg schon lange vor der Veröffentlichung der PISA-Studie richtungweisend angegangen, etwa mit der Oberstufenreform, der Einführung des Grundschulenglisch und den laufenden Lehrplanreformen. Auf diesem Weg wollen und werden wir konsequent weitergehen in hoffentlich gutem Einvernehmen mit all denen, denen es nicht um ideologisch motiviertes Gefeilsche geht, sondern um die Zukunft der jungen Menschen in unserem Land.
Herr Präsident, meine Damen, meine Herren! Wir haben jetzt zwei Reden gehört. In beiden kam das Wort „Ideologie“ vor.
(Abg. Pfister FDP/DVP: Ich habe es nicht benutzt! Das schwöre ich! – Heiterkeit – Abg. Pfister FDP/ DVP: Ich habe das Wort längst aus meinem Wort- schatz gestrichen!)
(Abg. Pfister FDP/DVP: Oh nein, Frau Kollegin! Denken Sie an die letzte Debatte: Bitte keine Vor- würfe, die Sie nicht belegen können! – Unruhe)
Wenn Sie mich den Satz zu Ende sprechen lassen, dann werden Sie merken, dass Sie durchaus damit gemeint sein können.
Alle sprechen davon, eine offene Debatte zu führen, die Scheuklappen herunterzunehmen und – das haben Sie dann tatsächlich und wirklich gesagt; ich habe es aufgeschrieben – mit der Betrachtung der Wirklichkeit anzufangen.
Zu Beginn der Debatte über PISA muss man einfach konstatieren, dass wir die meisten Ergebnisse, die wir jetzt durch PISA erhalten haben, zumindest in Baden-Württemberg eigentlich schon längst hätten wissen können. Die Jugendenquetekommission, die in der letzten Legislaturperiode in diesem Landtag eine große Rolle gespielt hat, hat zum Beispiel zum Ergebnis gehabt, dass 20 % unserer Jugendlichen auch hier in Baden-Württemberg Probleme haben werden, nach ihrem Schulabschluss in eine Ausbildung oder in einen Beruf zu kommen. Grundlage dieser Aussagen in der Abschlussberichterstattung war, dass wir bei Besuchen von Ausbildungsbetrieben – ich nenne hier Bosch in Schwieberdingen oder Daimler-Benz in Sindelfingen – in den Ausbildungswerkstätten diese mangelnden Ergebnisse der Schule immer wieder vor Augen geführt bekommen haben. Es waren Grundsatzkompetenzen, die da angezweifelt wurden. Dazu gehörte die Teamfähigkeit – das ist jetzt etwas, was in der PISA-Studie nicht direkt abgefragt wurde –, aber das waren natürlich auch Kompetenzen im Erfassen von Informationen, und es waren grundlegende Kompetenzen in Naturwissenschaften und Mathematik.
Wenn wir dies konstatieren – ich bin froh, dass wir diese Debatte jetzt endlich führen –, müssen wir natürlich fragen: Welche Aufgaben müssen wir angehen?
Ich habe schon gesagt: 20 % unserer Jugendlichen haben Probleme mit elementaren Fähigkeiten. Wir haben in Baden-Württemberg und sicher auch in der Bundesrepublik wenig Spitzenleute in der Schule. Wir haben eine ungeheuer breite Streuung der Leistungsgrade, und wir haben – das ist für mich besonders bedauerlich, und es fällt mir schwer, das auszusprechen – in der Schule keine Integrationsleistung.
Baden-Württemberg ist nicht erst seit gestern Zuwanderungsland. Wir sprechen über Kinder und Jugendliche, die schon hier sind, und nicht über solche, die vielleicht noch kommen mögen. Für diese Jugendlichen haben wir kein ausreichendes Angebot.
Meine Damen und Herren, was glauben Sie denn, was die Jugendlichen, wenn sie selber Kinder haben werden, ihren eigenen Kindern über die Schule vermitteln werden? Da haben wir doch schon über Generationen einen Zirkelschluss. PISA belegt ja auch, dass in der zweiten und dritten Generation ebenfalls schlechte Leistungen erzielt werden. Deswegen müssen wir konstatieren: Auch badenwürttembergische Schulen haben keine ausreichende Integrationsleistung.
Kommen wir zu der Frage: Was ist zu tun? Sicher wäre es falsch, gleich wieder mit Rezepten anzufangen, die schon immer auf dem Tisch gelegen haben. Da ein ausdrückliches Wort an Sie, Frau Schavan: Eine Note zu erteilen ist keine individuelle Förderung. Der Ansatz, jetzt wieder Leistung in der Grundschule einzufordern und zu sagen, dass hier Kinder unterfordert sind, springt, glaube ich, zu kurz.
Individuelle Förderung in der Schule heißt, sich mit jedem einzelnen Kind auseinander zu setzen und dann für jedes einzelne Kind Zielvorgaben zu erarbeiten, statt ihm durch eine Note einen Stempel aufzudrücken. Denn sagen Sie mir bitte, wie Sie einem Kind, das ab drei bis vier aufwärts Schulleistungen erzielt, Motivation vermitteln wollen.
Natürlich stellt sich immer wieder die Frage, wie die Kinderbetreuung in Baden-Württemberg aussieht. Die Zahlen sind bekannt; wir stehen im Kanon der Bundesländer am allerschlechtesten da. Hier geht es ganz bestimmt nicht um Ideologie,
sondern wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass es bei allen Forderungen an die Eltern, sich in die Schule und in die Leistungen ihrer Kinder einzumischen, Bereiche gibt, wo dies nicht stattfindet. Entweder laufen wir sehenden Auges gesellschaftlich ins Unglück, oder wir sind bereit, hier Geld zu investieren. Das bedeutet Ganztagsschulen, und das bedeutet Kinderbetreuung auch schon bei den sehr Kleinen, um Defizite, die es in der Familie gibt, aufzufangen, weil den Kindern und Jugendlichen allein mit ewigen Appellen nicht geholfen ist.
Eines hat mir in der Berichterstattung besonders gut gefallen – es stammt aus der „Zeit“ von der letzten Woche –, und das werde ich jetzt zum Schluss zitieren.
(Abg. Birzele SPD: Und zwar mit Freude zu lesen! – Abg. Dr. Noll FDP/DVP: Aber zuerst sollte man das Original lesen! – Zuruf von der SPD: Wenn man lesen kann! – Weitere Zurufe von der SPD und der CDU)
In diesen Ländern war der Bildungsboom gewollt. Man riskierte es, Angst aus dem System zu nehmen, investierte Vertrauen und glaubt daran, dass Menschen lernen wollen. Aus deutscher Sicht inflationär anmutende Abschlussquoten sieht man dort nicht als Bedrohung an.
Lassen wir uns also von Schweden anstoßen, auch hier alte und überkommene Denkvorstellungen über Bord zu werfen, zu fragen, ob das dreigliedrige Schulsystem soziale Grenzen aufbaut und nicht niederreißt, und zu fragen, wann unsere Grundschule eigentlich aufhören muss und die Selektierung anfangen darf.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Die Ergebnisse der PISA-Studie sind in der Tat Grund zur Sorge und Anlass zum Handeln. Nicht hilfreich ist es allerdings, in Panik und Angst zu verfallen, wie das jetzt bei vielen der Fall ist. Zum Beispiel fordert der CDU-Politiker Rüttgers jetzt einen Sprachtest für alle Dreijährigen. Oder ich nenne die Aussage des Rektors eines Gymnasiums in Nordbaden, der jetzt fordert: Wir brauchen mehr Pauken von Faktenwissen statt Orientierungswissen. Oder es gibt die Äußerung von Ministerpräsident Stoiber, der seine politische Forderung nach einem Einwanderungsstopp jetzt mit den schlechten Schulleistungen von ausländischen Kindern begründet. Das, meine Damen und Herren, betrachte ich als eine infame Instrumentalisierung
Diese Äußerung wird auch wider besseres Wissen gemacht. Denn wenn die PISA-Studie eines gezeigt hat, dann dies, dass es in der Bundesrepublik Deutschland nicht gelingt, gerade ausländische Schüler in den vorschulischen Einrichtungen und in der Grundschule ausreichend zu fördern, sodass sie in unserem System bessere Bildungschancen haben.
Auch Sie, Frau Ministerin Schavan, wissen sofort, worin die Ursachen der Misere liegen. Sie zählen wieder alle Rezepte auf, alle Ihre Reformprojekte: frühere Einschulung, achtjähriges Gymnasium, reformierte Oberstufe, Englisch an Grundschulen, Neuorientierung des Unterrichts. Gleichzeitig pflegen Sie die altbekannten Vorurteile: Gesamtschulen seien schlecht, „Kuschelecken“ ersetzten nicht das nachhaltige Lernen.