Protocol of the Session on December 13, 2001

Meine Damen und Herren! Ich eröffne die 15. Sitzung des 13. Landtags von Baden-Württemberg und begrüße Sie.

Urlaub für heute habe ich Herrn Abg. Dr. Puchta erteilt.

Krank gemeldet sind Frau Abg. Brunnemer und Herr Abg. Wintruff.

Dienstlich verhindert ist ab 12 Uhr Herr Finanzminister Stratthaus.

Meine Damen und Herren, wir müssen die Tagesordnung ergänzen und die Beschlussempfehlung des Ständigen Ausschusses zu dem Antrag der Landesregierung „Zugehörigkeit von Mitgliedern der Landesregierung zu Organen wirtschaftlicher Unternehmen“ aufnehmen; Drucksachen 13/552 und 13/563. Ich schlage vor, diese Beschlussempfehlung des Ständigen Ausschusses von gestern als neuen Punkt 11 der Tagesordnung einzufügen; die bisherigen Punkte 11 und 12 verschieben sich entsprechend. – Dagegen erhebt sich kein Widerspruch. Dann ist es so beschlossen.

Wir treten nun in die Tagesordnung ein.

Ich rufe Punkt 1 der Tagesordnung auf:

Aktuelle Debatte – Die Rolle baden-württembergischer Justiz- und Finanzorgane in der FlowTex-Affäre – beantragt von der Fraktion der SPD

Das Präsidium hat die üblichen Redezeiten festgelegt: 40 Minuten Gesamtdauer ohne Anrechnung der Redezeit der Regierung, fünf Minuten für die Redner in der ersten Runde und fünf Minuten für die Redner in der zweiten Runde.

Ich erteile zunächst Herrn Abg. Maurer das Wort.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Aktuelle Debatte hat aus unserer Sicht einen Anlass und eine Ursache. Anlass war die Berichterstattung über eine Fahrt des Herrn Schmider mit Besuch eines Feinschmeckerrestaurants und der Möglichkeit – so ist es geäußert worden – zu unbehinderten Telefonaten. Das ist ein bemerkenswerter Vorgang, wenn man weiß, dass ein Großteil des Geldes, um das da geschädigt worden ist, nach wie vor irgendwo im Finsteren ruht. Es gibt wilde Spekulationen, ob es denn in Südamerika oder sonst wo abgeblieben ist.

Wenn vor einem solchen Hintergrund öffentlich die Vermutung erhoben wird, dass der Hauptbeschuldigte jede Menge Gelegenheit habe, Kontakte zu knüpfen oder weiter zu pflegen, ist das natürlich ein schwerwiegender Vorgang, Herr Justizminister.

Ich darf Sie im Übrigen darauf hinweisen, dass wir es bei der vermuteten Tat mit einem außerordentlich hohen Strafrahmen – bis zu 15 Jahren – zu tun haben. Die Anklage hat entsprechend eine sehr hohe Strafe beantragt. Da müssen Sie es schon irgendwann einmal zur Kenntnis nehmen, dass der rechtstreue Bürger einigermaßen staunend vor der Tatsache steht, wie andere Leute bei einem ähnlich kriminellen Unrechtsgehalt behandelt werden. Wir bewegen uns hier in einem Strafrahmen von schwerem Raub mit Körperverletzung. „Otto Normalverbraucher“ – ich auch – fragt sich da, ob vergleichbarer krimineller Delikte beschuldigte Untersuchungshäftlinge auch in Feinschmeckerrestaurants zum Telefonieren einkehren können.

Ich sage Ihnen, das ist einer der Vorgänge, die geeignet sind, die Rechtstreue unserer Bevölkerung allein über den Anschein, der hier pausenlos gesetzt wird, zu untergraben, und das hat dann schwerwiegende Folgen.

(Beifall bei der SPD)

Aber das war nur der Anlass; denn mittlerweile überschlagen sich die Meldungen. Ich denke, lieber Herr Stratthaus, Herr Goll: Wir haben jetzt zur Kenntnis zu nehmen, dass offenkundig seit 1996, spätestens seit Anfang 1997 alle Fakten, die nun, Jahre später, zu einer Anklage geführt haben, auf dem Tisch des Hauses, jedenfalls der Ermittlungsbehörden und der Staatsanwaltschaften, gelegen haben.

Da stellt sich für den staunenden Betrachter schon die Frage, wie es eigentlich möglich ist, dass bei einer solchen Sachlage über Jahre hinweg offensichtlich auch nicht das geringste Aufklärungsinteresse bestanden hat. Man fragt sich natürlich, welche wunderbaren Zusammenhänge so etwas bewirken könnten. Ich will da gar keine Vermutungen äußern. Das wird ohnehin herauskommen. Es wird mit allen Möglichkeiten, die uns zur Verfügung stehen, ermittelt werden, und Gott sei Dank haben wir auch noch eine kritische Öffentlichkeit.

Nur: Ihr Verhalten, Herr Stratthaus und Herr Goll, ist in diesem Zusammenhang schon sehr merkwürdig. Herr Stratthaus, Sie haben laut einer dpa-Meldung noch vor nicht langer Zeit erklärt:

Letztlich sei es allein der Initiative der Finanzbeamten zu verdanken, dass der derzeit vor dem Landgericht

Mannheim verhandelte „größte Betrugsfall der Wirtschaftsgeschichte“ aufgedeckt... worden sei, betonte Stratthaus.

Vielmehr habe seine Behörde schon frühzeitig herausgestellt, dass die Betriebsprüfer im Rahmen ihrer Befugnisse alles unternommen hätten, um den Fall aufzuklären.

Wenn Sie das einmal im Lichte der heutigen Berichterstattung überdenken, müssen Sie schon anfangen, sich in diesem Kontext zu erklären.

Wir lesen im „Spiegel“, dass mittlerweile sogar der Vorwurf der Aktenmanipulation im Raum steht, Herr Justizminister. Auch das wird zu klären sein. Ich sage Ihnen: Ich habe den unsäglichen Eindruck, dass jetzt hinter den Kulissen ein Spiel tobt nach dem Motto: Wer hat es denn gemacht? Hat es die Staatsanwaltschaft Karlsruhe gemacht, hat es die Staatsanwaltschaft Mannheim gemacht? Haben es am Ende die Finanzbehörden gemacht? Dieser Vorwurf ist unaufgeklärt. Haben Sie Druck auf die Behörden des Landes Thüringen ausgeübt, nicht tätig zu werden – ja oder nein? Und, und, und.

Das alles behandeln Sie nach dem Motto: Nur nicht hingucken, nur nicht aufklären. Sie drücken das ab. Die Staatsanwälte sollen sich jetzt selbst vernehmen; das tun sie wohl auch schon.

(Lachen bei Abgeordneten der SPD und der Grü- nen)

Da gibt es ja auch interessante Fragen. Die Finanzbehörden klären das auf unterster Ebene ab. Die verantwortlichen Chefs des Ganzen, der Herr Finanzminister, der Herr Justizminister, verhalten sich wiederum nach dem Motto: Stand-by,

(Lachen bei Abgeordneten der SPD)

schauen wir einmal, was kommt, nur nicht so früh hineingezogen werden. Ich sage Ihnen: In einem funktionierenden Rechtsstaat ist es Ihre Pflicht, Herr Finanzminister, und Ihre Pflicht, Herr Justizminister, die Frage aufzuklären, warum es möglich war, dass man diese Dinge über Jahre hinweg hat laufen lassen. Man hätte den größten Schaden vermeiden können, wenn man sich wie im Normalfall verhalten hätte.

(Beifall bei der SPD und den Grünen)

Wenn Ihre nachgeordneten Behörden versagen, müsste es Ihr äußerstes Interesse sein, zu klären, was da warum nicht funktioniert hat. Es ist eigentlich nicht die Aufgabe einer kritischen Öffentlichkeit oder der Opposition, die Ursachen des Versagens Ihrer Behörden zu klären. Das ist Ihre Aufgabe. Aber ich habe den Eindruck, Sie wollen das nicht. Damit eröffnet sich die interessante Frage, warum Sie das nicht wollen. Das werden wir in der zweiten Runde weiter vertiefen.

(Beifall bei der SPD und den Grünen)

Das Wort erteile ich Herrn Abg. Dr. Reinhart.

(Zurufe von der SPD und den Grünen, u. a. Abg. Birzele SPD: Er hat sogar die Zeitung gelesen!)

Herr Präsident, meine Damen, meine Herren! Lieber Herr Kollege Maurer, ich habe Verständnis dafür, dass die Opposition versucht, aus diesem Thema Erfolg zu ziehen, und damit eine Geschichte präsentiert, als gäbe es eine schützende Hand der Politik,

(Der Redner hat einen verbundenen Finger und breitet seine Arme sichtbar aus. – Zurufe von der SPD und den Grünen – Heiterkeit)

als würden wir in einer Bananenrepublik leben und als seien bei uns alle korrupt. Das klingt sehr gut,

(Abg. Birzele SPD: Aber man kann den Finger da- bei einklemmen!)

aber gerade Sie als Jurist, lieber Kollege Birzele, sollten zumindest gewisse Grundzüge eines Rechtsstaats beachten.

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der FDP/ DVP – Abg. Heike Dederer GRÜNE: Hört, hört! – Weitere Zurufe von der SPD und den Grünen)

Zum einen gehen Sie völlig undifferenziert an diese Geschichten heran.

(Abg. Hillebrand CDU: Wie immer!)

Sie vermitteln den Eindruck, als würde aus dem Knast heraus ungehindert telefoniert, mit wem immer man will. Sie vermitteln aber auch den Eindruck, als sei ein Telefonat unzulässig. Ich will Sie darauf hinweisen, obwohl Sie als Jurist genau wissen, dass in einer Demokratie jeder Gefangene mit seinem Verteidiger telefonieren darf. Das ist ein Gebot des Rechtsstaats. Aber das unterlassen Sie; dazu sagen Sie keinen Satz.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU und der FDP/ DVP – Zuruf des Abg. Maurer SPD – Abg. Heike Dederer GRÜNE: Sie wissen doch gar nicht, mit wem er telefoniert hat!)

Liebe Frau Kollegin Dederer, ich habe mit Interesse vernommen, dass Sie sich ebenfalls in den Reigen derer eingereiht haben, die einen Justizskandal in diesem Lande ausmachen. Allerdings haben Sie zumindest differenziert. Während die SPD schon einen Untersuchungsausschuss für notwendig erachtet,

(Abg. Döpper CDU: Für sie ist er schon abge- schlossen!)

wollen Sie wenigstens die Ermittlungen abwarten. „Gut so“, kann ich nur sagen. Denn manchmal ist es richtig, wenigstens die Ermittlungsergebnisse abzuwarten, bevor man Urteile fällt und Folgeschlüsse zieht.

(Abg. Dr. Salomon GRÜNE: Ach, Reinhart!)

Denn die Anwürfe gegen den Justizminister laufen unter dem Motto: semper aliquid haeret – es bleibt immer etwas hängen. Erst wirft man mit Dreck und dann sagt man: Du bist verschmutzt.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU und der FDP/ DVP – Abg. Döpper CDU: So ist es!)

Ich möchte erst einmal ein paar Fakten festhalten. Festgestellt und aufgedeckt wurde der Skandal zunächst durch das Finanzamt und die Betriebsprüfung. Dadurch wurde das Verfahren erst eingeleitet. Sonst hätten wir das Verfahren gar nicht bekommen. Punkt eins.

(Beifall des Abg. Zimmermann CDU)