Protocol of the Session on December 12, 2001

Es ist keine Frage: Das sind Belastungen, meine Damen und Herren, die für alle Industrieländer in Europa zutreffen. Bedenklich ist aber, dass die Bundesrepublik Deutschland unter den 15 europäischen Ländern der EU beim Wirtschaftswachstum inzwischen an letzter Stelle steht.

(Zuruf von der CDU: Hört, hört!)

Das kann man nicht mehr allein auf die Weltkonjunktur zurückführen. Die Bundesrepublik ist das Land, das seit eini

(Minister Stratthaus)

gen Jahren das geringste Wirtschaftswachstum hat. Die Bundesrepublik steht hinter Spanien, Griechenland und Italien. Wir sind nicht mehr die Lokomotive, sondern wir tragen die rote Laterne.

(Abg. Oettinger CDU: Leider wahr!)

Das ist äußerst bedenklich.

(Abg. Alfred Haas CDU: Schröder im Schlafwa- gen! – Zuruf des Abg. Dr. Reinhart CDU)

Der Hinweis auf die USA und auf die Exportabhängigkeit Deutschlands taugt nicht als Argument, sondern kann nur eine Ausrede sein. Denn von allen Faktoren, die die Nachfrage bestimmen, ist nur noch ein einziger positiv, nämlich der Export. Vor allen Dingen der inländische Konsum, die inländischen Investitionen, auch die inländischen Staatsinvestitionen sind zurückgegangen. Die Ausfuhren sind noch das Einzige, was unsere Konjunktur stabilisiert. Das hat nichts mit den internationalen Bedingungen zu tun.

(Abg. Moser SPD: Ach so!)

Daran sehen Sie, dass unsere Bundesregierung trotz ihrer schlechten Leistungen noch Glück hat, dass Länder wie Baden-Württemberg eine starke Exportwirtschaft haben.

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der FDP/ DVP)

Wenn immer die USA genannt werden, dann dürfen wir doch auch einmal festhalten, dass der deutsche Sachverständigenrat festgestellt hat, dass trotz des starken Rückgangs auch des amerikanischen Wachstums das Wachstum der USA im Jahr 2001 immer noch doppelt so hoch sein wird wie in der Bundesrepublik Deutschland.

Die Bundesregierung hat einmal ein Projekt aus der Taufe gehoben – Sie kennen es –, das „Bündnis für Arbeit und Wettbewerbsfähigkeit“. Dieses Bündnis für Arbeit hat eine so genannte Benchmarking-Gruppe berufen, bestehend aus namhaften Professoren und Wissenschaftlern aller Fakultäten in Deutschland. Diese Benchmarking-Gruppe erhielt vom Bundeskanzler folgenden Auftrag:

Erstens: Eine ungeschminkte Analyse der Lage in Deutschland zu erstellen.

Zweitens: Vor unbequemen Wahrheiten nicht zurückzuschrecken.

(Abg. Moser SPD: Sehr gut!)

Drittens: Zum Arbeitsmarkt und zur Beschäftigung in Deutschland vor allem im internationalen Vergleich Stellung zu nehmen.

Diese Benchmarking-Gruppe hat vor wenigen Tagen ihr Ergebnis vorgelegt. Das war die Gruppe, die vom Bundeskanzler aufgefordert worden ist, ungeschminkte Ergebnisse abzuliefern, und sie hat es gemacht. Das Ergebnis lässt sich in vier Punkten zusammenfassen:

Erstens: Unternehmen und Arbeitnehmer in Deutschland sind mit besonders hohen Steuern und Abgaben belastet.

Zweitens: Vor allem kleine und mittlere Unternehmen stellen aus Angst vor Arbeitsgerichtsverfahren kaum noch neue Mitarbeiter ein.

Drittens: Die öffentlichen Investitionen in Deutschland gehen stärker zurück als in anderen Industrieländern.

Und viertens: Die Auflagen in Deutschland für Zeitarbeit und Arbeitnehmerüberlassung sind höher als in allen anderen Ländern.

Das Fazit, in einem Satz zusammengefasst – auch nicht von mir, sondern von dieser Benchmarking-Gruppe, die der Herr Bundeskanzler eingesetzt hat –: In kaum einem anderen Land der Welt stehen Aufwand und Ertrag für den Arbeitsmarkt in einem so schlechten Verhältnis zueinander wie in der Bundesrepublik Deutschland.

(Abg. Boris Palmer GRÜNE: Das nach 16 Jahren Kohl! – Lachen bei der CDU)

Nein. Wir haben in acht Tagen Zeit, darüber zu diskutieren. Aber ich muss Ihnen doch zu diesem Zwischenruf einiges sagen.

Die letzte Bundesregierung hat mit Reformen begonnen beim Arbeitsmarkt, in der Sozialpolitik, in der Krankenversicherung.

(Abg. Herrmann CDU: Und Lafontaine hat alles blockiert! Der war schuld!)

Und was haben Sie und Herr Lafontaine gemacht? Sie haben diese Ansätze der Reform totgetreten. Wenn die Reformen damals gekommen wären, hätten wir heute einige Hunderttausend Arbeitslose weniger.

(Lebhafter Beifall bei der CDU und der FDP/DVP)

Sie sind schuld, dass die Verhältnisse so sind, Sie und Ihre Regierung in Berlin.

(Abg. Drexler SPD: Sie machen Ihre Brille kaputt, wenn Sie so weitermachen!)

Meine Damen und Herren, das ist das Ergebnis der Analyse, die der Bundeskanzler von den Experten, die er selbst berufen hat, erhielt. Regen Sie sich nicht auf! Das ist eben eine Tatsache.

Die Wachstumsschwäche Deutschlands hat inzwischen eine geradezu internationale Dimension angenommen, denn Deutschland ist natürlich vom Gewicht her ein besonders wichtiges Land nicht nur in der EU, sondern in der gesamten Volkswirtschaft.

(Abg. Drexler SPD: Aha!)

Nicht „Aha!“. Das liegt allein an den 83 Millionen Einwohnern, die wir haben. Die Bundesrepublik ist halt etwas größer als Luxemburg oder die Schweiz. Deswegen mahnen nicht nur die Landesregierung von Baden-Württemberg oder die Opposition auf Bundesebene,

(Abg. Drexler SPD: Wer ist das?)

(Minister Stratthaus)

sondern auch Wirtschaft und Wissenschaft wie der Sachverständigenrat Reformen an. Zunehmend tun das auch internationale Organisationen, zum Beispiel die EU-Kommission oder der Internationale Währungsfonds. Sie alle fordern uns auf: Leitet endlich strukturelle Reformen ein.

Der Bundeskanzler hat von der „ruhigen Hand“ gesprochen. Ich habe das Gefühl, dass ihm inzwischen der Arm eingeschlafen ist. Das ist der wahre Grund.

(Beifall bei der CDU – Abg. Drexler SPD: Ihr lin- ker Arm ist auch dauernd in der Tasche und schläft!)

Bundeskanzler Schröder hat sich zu Anfang der Legislaturperiode des jetzigen Bundestages als Kanzler des Aufschwungs bezeichnet. Er hat verkündet, dass er die Arbeitslosigkeit in Deutschland auf unter 3,5 Millionen zurückführen würde. Er wollte Kanzler des Aufschwungs sein. Er hat viel gewagt, als er das gesagt hat. Eines ist sicher: Er ist in der Zwischenzeit der Kanzler des Abschwungs.

(Beifall bei der CDU)

Jetzt rächen sich die Versäumnisse der Vergangenheit. Die Bundesregierung hat sich im Glanz der weltweiten Hochkonjunktur gesonnt und es unterlassen, für schlechte Zeiten Vorsorge zu treffen. Sie hat alle Mahnungen von allen Seiten, endlich Reformen einzuleiten, in den Wind geschlagen. Der Sachverständigenrat geht in der Zwischenzeit davon aus, dass wir im Jahr 2002 eine Zunahme auf ungefähr 4 Millionen registrierte Arbeitslose haben werden.

Wo Deregulierung erforderlich gewesen wäre, geschah das Gegenteil. Es ist bekannt, dass es sehr viele Beispiele in der Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik gibt. Man könnte sie im Einzelnen aufzählen, ich will das jetzt aber nicht tun.

(Abg. Drexler SPD: Teilzeit wollen Sie nicht!)

Wir haben in acht Tagen Zeit, darüber zu diskutieren.

Die Bundesregierung hört einfach nicht auf den Rat der Experten, sondern nur auf den Rat von Interessenvertretern. Eine Umorientierung in der Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik bedeutet eben nicht soziale Kälte, sondern sie würde ganz im Gegenteil Arbeitsplätze schaffen, und das ist genau das Gegenteil von sozialer Kälte. Reformen sind notwendig, vor allem bei der Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik. Eine Fortführung der derzeitigen Politik führt in eine Sackgasse. Solange in Deutschland dringend notwendige Strukturreformen ausbleiben und ein mittelstandsfeindliches Klima herrscht, wird sich kein tragfähiges Wirtschaftswachstum entwickeln. Das bedeutet natürlich Eiszeit für den Arbeitsmarkt und schlechte Zeiten für unsere Haushalte.

Vor dem Hintergrund versäumter Reformen treffen konjunkturbedingte Steuerausfälle natürlich die Haushalte besonders hart. Nach den Ergebnissen der Steuerschätzung vom November müssen allein gegenüber der Steuerschätzung vom Mai, also nach einem halben Jahr, in Deutschland 6,6 Milliarden Euro als Ausfall verkraftet werden, davon 3,1 Milliarden Euro von den Ländern, und 1,3 Milliarden Euro fallen auf die Gemeinden. Für 2002 summieren sich diese Ausfälle auf insgesamt 9,8 Milliarden Euro, wie

der 3,8 Milliarden Euro für die Länder und 3,8 Milliarden Euro für die Gemeinden.

Einnahmeausfälle in der Größenordnung von insgesamt fast 10 Milliarden Euro für alle Gebietskörperschaften bzw. fast 4 Milliarden Euro allein für die Länder und 3 Milliarden Euro für die Gemeinden müssen zunächst auch für das Jahr 2003 verkraftet werden. Nur eine rasche und nachhaltige konjunkturelle Erholung im Jahr 2003 könnte solche Einnahmeausfälle ausgleichen. Ohne tief reichende Strukturreformen ist damit jedoch, meine Damen und Herren, nicht zu rechnen.