Protocol of the Session on November 15, 2001

haben deshalb gerade in den Bereichen, zu denen die EU nichts oder zu wenig aussagt, beispielsweise zum Bereich des Straßenbaus, soweit wir selbst zuständig sind, das Gesetz des Handelns in die Hand genommen und das Nötige auf den Weg gebracht.

(Beifall bei der CDU – Abg. Dr. Reinhart CDU: Wenigstens wir! – Abg. Boris Palmer GRÜNE: Wodurch finanziert?)

Nicht zuletzt durch ein 500-Millionen-DM-Sonderprogramm, lieber Herr Palmer, in dieser Legislaturperiode für den Landesstraßenbau.

(Beifall bei der CDU – Abg. Boris Palmer GRÜ- NE: Außerhalb des Haushalts!)

Passen Sie auf. – Gerade zur Verbesserung des Straßenbaus, lieber Herr Palmer, auf europäischer Ebene sagt die

ses Weißbuch nichts, zur Verbesserung des Straßenverkehrs relativ wenig, obwohl auf Seite 24 festgestellt wird, dass die Straße für den Güter- und Personenverkehr der bevorzugte Verkehrsträger ist. Fast die Hälfte des Güterverkehrs, nämlich 44 %, und über zwei Drittel des Personenverkehrs, nämlich 79 %, werden über die Straße abgewickelt.

(Zuruf von der SPD: Alles neue Erkenntnisse, oder was?)

Auch wenn wir von der CDU ein Ziel dieses Weißbuchs, nämlich eine nachhaltige Verlagerung des Güterverkehrs auf die Schiene, selbstverständlich unterstützen, muss jedem Realisten in diesem hohen Hause klar sein, dass eine Verdoppelung des Schienengüterverkehrs bis zum Jahr 2010 bei einer prognostizierten Steigerung beim Güterverkehr im gleichen Zeitraum um 50 % zu keiner nennenswerten Entlastung unserer europäischen Hauptmagistralen führen würde.

Im Übrigen sind auch die Schienennetze noch lange nicht gebaut. Wir haben es erlebt – und wir werden es auch in Zukunft erleben –, dass dieselbe Klientel, liebe Kolleginnen und Kollegen, die im Prinzip pro Bahn redet, bei durchzuführenden eisenbahnrechtlichen Raumordnungsund Planfeststellungsverfahren in Deutschland die Speerspitze der Bedenkenträger, Einwender und Kläger bildet.

(Beifall bei der CDU)

Schon vor diesem Hintergrund glaube ich nicht an eine in Jahren absehbare nennenswerte Verlagerung des Verkehrs von der Straße auf die Schiene.

Das Ziel der Erhöhung des Marktanteils von 6 auf 10 % beim Eisenbahnpersonenverkehr und von 8 auf 15 % beim Güterverkehr, also praktisch eine Verdoppelung des Marktanteils bis zum Jahr 2020, ist zwar hehr, dürfte aber vor dem Hintergrund nur unzureichender Investitionen durch den Bund bzw. die DB AG und der bereits genannten faktischen Restriktionen nur schwerlich erreichbar sein.

Aus baden-württembergischer Sicht positiv zu vermerken ist, dass die Eisenbahnstrecke Stuttgart – München zu den 14 transeuropäischen Netzen zählt und die EU offensichtlich beabsichtigt, ihren Teil an den Investitionskosten von 10 auf 20 % zu steigern.

(Abg. Boris Palmer GRÜNE: Jetzt haben Sie den badischen Teil vergessen!)

Leider geht aus diesem Weißbuch nicht hervor, aus welchen Quellen die EU dieses zu finanzieren gedenkt.

Ein weiterer präziser Vorschlag von den insgesamt 60 Vorschlägen, die wir nachdrücklich unterstützen, ist die bis zum Jahr 2004 beabsichtigte europaweite Einführung der Kerosinsteuer. Wir von der CDU, liebe Kolleginnen und Kollegen, haben immer gesagt, dass eine Flugbenzinsteuer vernünftigerweise nur europaweit, besser noch weltweit eingeführt werden kann. Ob allerdings vor dem Hintergrund der aktuellen Situation im zivilen Luftverkehr und der damit verbundenen Wettbewerbsproblematik der gegenwärtige Zeitpunkt gerade geschickt ist, möchte ich ein

mal dahingestellt sein lassen. Im Ergebnis halten wir an dem Vorschlag der europaweiten Einführung einer Kerosinsteuer fest.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, die weitaus meisten Kompetenzen zur Umsetzung dieses Weißbuchs bzw. der in diesem Weißbuch genannten Ziele liegen beim Bund.

(Zuruf von der SPD: Gott sei Dank!)

Insoweit gilt in Analogie der bekannte Satz...

Herr Abg. Hillebrand, darf ich Sie bitten, zum Ende zu kommen.

... – ich komme zum Schluss –: In Brüssel werden die Weißbücher gemacht, in Stuttgart auf jeden Fall gelesen und in Berlin hoffentlich umgesetzt. Wir harren auf jeden Fall gespannt der Dinge, die da kommen.

Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU)

Das Wort erteile ich Herrn Abg. Göschel.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Wir Sozialdemokraten stimmen den grundsätzlichen Aussagen der Leitlinien dieses Weißbuchs uneingeschränkt zu.

(Abg. Boris Palmer GRÜNE: Uneingeschränkt?)

Uneingeschränkt. Wir unterstützen den im Weißbuch formulierten dritten Ansatz, die Option auf Seite 12 – ich gehe davon aus, dass Sie alle die 127 Seiten gründlich durchgelesen haben, dann wissen Sie, wovon ich spreche –, der ein integrierter Ansatz ist, der a) über Tarifierung – ich füge hinzu: eine gerechte Tarifierung –, b) über die Revitalisierung anderer Verkehrsträger als des Straßenverkehrs, also Stärkung von Schiene und Wasserstraßen, und c) über Investitionen in das transeuropäische Netz TEN eine Entkoppelung von Wirtschaftswachstum und Verkehrszunahme erreichen will. Wir jedenfalls halten diese Entkoppelung für dringend erforderlich, weil ein weiterer überproportionaler Zuwachs im Verkehrsbereich, zumal er sich bislang fast ausschließlich auf der Straße abspielt, nicht tragbar ist, wir aber gleichzeitig weiteres Wirtschaftswachstum durch zunehmende Verkehrsprobleme nicht gefährden wollen und auch nicht den individuellen Mobilitätsanspruch unzumutbar einschränken wollen.

Die SPD-Fraktion begrüßt die 60 präzisen Vorschläge für Maßnahmen, von denen das Weißbuch spricht. Sie haben sie sicher alle gelesen. Auch wenn ich sie nicht präzise nachgezählt habe, habe ich doch keinen Vorschlag gefunden, dem ich widersprechen müsste oder den ich ablehnen könnte. Die individuelle Inanspruchnahme von Mobilität hat sich von 1970 bis 1989 mehr als verdoppelt: Von durchschnittlich 17 Kilometern pro Tag, die sich jeder Einzelne bewegt hat, ist sie im Schnitt auf 35 Kilometer pro Tag angewachsen.

Die wirtschaftliche Bedeutung des Verkehrssektors ist ungebrochen. Es geht um über 10 % des Bruttoinlandsprodukts. Deshalb ist die europäische Verkehrspolitik nach den Grundsätzen „Vermeiden, Verlagern, Optimieren“ der richtige Ansatz, wenn wir uns zuvor darauf verständigen können, dass Vermeiden nicht Verbieten heißt und dass Verlagern nicht Verlagerung auf nachrangige Straßen bedeutet, sondern Verlagern auf optimalere Verkehrssysteme. Ich glaube, darüber können wir uns schnell einig werden.

Insofern ist dieses Weißbuch ein wunderschönes Papier, ein regelrechtes Rosabuch, aber leider eben nur ein Papier, das hehre Ziele formuliert, über die man sich ohne große Probleme schnell einig werden kann...

(Unruhe – Glocke der Präsidentin)

Meine Damen und Herren, ich darf Sie um mehr Ruhe bitten.

... – vielen Dank, Frau Präsidentin –, das aber unverbindlich bleibt in der Aussage zur Umsetzung und zum konkreten Vollzug, das sich auch nur diffus äußert, wenn es um die Finanzierung geht. Das ist ein Manko, das auch Herr Kollege Hillebrand schon angesprochen hat.

Nachdem ich dieses Weißbuch nun gelobt habe, will ich doch auch noch auf einige Fußangeln, die sich aus der Umsetzung ergeben könnten, hinweisen.

Die EU-weite Öffnung der Verkehrsmärkte darf keine Einbahnstraße werden. Das heißt, Marktöffnung in Deutschland muss auf eine Marktöffnung in anderen europäischen Ländern stoßen; denn sonst haben wir da eine Einbahnstraße, die wir auf keinen Fall in unserem Land hinnehmen dürfen.

(Beifall bei der SPD und des Abg. Boris Palmer GRÜNE)

Der Wettbewerb muss unter fairen Rahmenbedingungen stattfinden, zwischen den verschiedenen Verkehrsträgern, aber auch national wie international, wobei „international“ heißt: zwischennational in den EU-Ländern.

In diesem Zusammenhang ist Harmonisierung dringend notwendig. Denn es ist ganz wichtig, dass wir bei den Sozialstandards und auch bei den Qualitätsstandards in der Bedienung im öffentlichen Verkehr eine Harmonisierung erreichen, um diesen fairen Wettbewerb zu sichern.

Selbstverständlich sind auch wir Sozialdemokraten für eine Kerosinsteuer. Unsere Forderung nach Besteuerung von Flugbenzin ist denjenigen, die schon länger Mitglied dieses Hauses sind, sicher noch gut in Erinnerung. Uns ist aber natürlich klar, wie schwierig ein nationaler Alleingang ist. Nur, eines will ich ganz deutlich sagen: Auf eine globale Einigung können und wollen wir nicht warten.

Die Weichen für die Zukunft sind in diesem Weißbuch richtig gestellt. Nun gilt es, diese Weichen auch zu befahren, und zwar europaweit, national und regional. Es genügt nicht, bei jeder Gelegenheit das Hohelied der Subsidiarität zu singen, aber dann, wenn es darauf ankommt, subsidiär zu handeln, weit hinter dem eigenen Anspruch zurückzu

bleiben. Der in großem Einvernehmen verabschiedete Generalverkehrsplan des Landes, der ja weitestgehend mit diesem Weißbuch kompatibel ist, formuliert zum Beispiel einige hehre Ziele. Dennoch ist Baden-Württemberg immer noch meilenweit von diesen im Generalverkehrsplan selbst gesteckten Zielen entfernt.

Bei der Umsetzung des intermodalen Betriebs, insbesondere im Güterverkehr – Stichwort kombinierter Verkehr –, bei der Qualitätsverbesserung im Schienenpersonennahverkehr, beim Controlling im Zuge der Bestellung und im Betrieb von SPNV-Leistungen – der Landesrechnungshof hat das ja zu Recht angemahnt –, bei der Förderung von alternativen Energien und Antrieben, bei der Nutzung von Flughafenkapazitäten – Stichwort Luftverkehrskonzept Baden-Württemberg –, um nur einige Beispiele zu nennen, gibt es noch einige subsidiäre Hausaufgaben für die Landesregierung und die sie tragenden Fraktionen zu erledigen.

Wir alle sollten dazu beitragen, dass der Strauß bunter Blumen, der uns in diesem Weißbuch verheißen wird, nicht zu einem Strauß bunter Luftballons wird, die schnell zerplatzen. Wir müssen also unverzüglich handeln, um unser Verkehrssystem weiterzuentwickeln zu einem modernen Verkehrssystem, das wirtschaftlich, ökologisch und sozial auf Dauer tragbar ist.

Wenn die Anstrengungen auf europäischer, auf nationaler und auf Landesebene nicht erheblich verstärkt werden, kommen wir dem allseits gepriesenen Prinzip der Nachhaltigkeit nicht nur nicht näher, sondern wir verspielen auch ein gutes Stück europäischer, aber auch deutscher Zukunft und Zukunft unseres Landes Baden-Württemberg. Deshalb fordern wir die Landesregierung und die sie tragenden Fraktionen auf, sich nicht auf die Kritik an anderen zu konzentrieren, sondern dort zu handeln und die eigenen Hausaufgaben zu machen, wo es eine Landeszuständigkeit gibt.

(Beifall bei der SPD und des Abg. Boris Palmer GRÜNE – Abg. Gustav-Adolf Haas SPD: Jawohl!)

Das Wort erteile ich Frau Abg. Berroth.

Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Bei dem vorgelegten Entwurf für ein Weißbuch der EU-Kommission zur europäischen Verkehrspolitik handelt es sich naturgemäß um ein vielschichtiges, aber auch erbauliches Werk. Es strotzt geradezu vor Power. Früher hätte man gesagt: Dieses Projekt kann vor Kraft kaum laufen. Ich würde allerdings empfehlen, dass es einmal ein Beauftragter auf Gender Mainstreaming durchgeht.

(Zuruf von der SPD: Was ist denn das?)

Unter anderem ist davon die Rede, dass man der Globalisierung des Verkehrs „Herr“ werden müsse, und die „Väter“ der Römischen Verträge werden angeführt. Selbst wenn es nur Männer waren, was zu jener Zeit möglich war, werden die Verträge dadurch nicht besser.

(Abg. Bebber SPD: Was sind denn das für kriti- sche Anmerkungen!)