Protocol of the Session on November 15, 2001

Wir müssen in der Vereinigung der Regionen Europas mitarbeiten, und wir müssen natürlich auch, meine sehr verehrten Damen und Herren, länderübergreifend und grenzüberschreitend im Nahbereich zusammenarbeiten. Ich finde, dass dies das Staatsministerium gar nicht monopolisieren muss, sondern da leisten die Regierungspräsidien, der Oberrheinrat, die Oberrheinkonferenz und die grenzüberschreitenden Institutionen der Zusammenarbeit eine vorzügliche Arbeit.

Wenn wir, meine sehr verehrten Damen und Herren, bei den Zukunftsfeldern sind, dann möchte ich gern noch einmal auf den Konvent der EU zurückkommen. Mitte Dezember wird von den Staats- und Regierungschefs dieser Konvent in Laeken einberufen. Er soll bis 2004 eine umfassende Reform der Union vorbereiten. In diesem Konvent werden 62 Persönlichkeiten zusammenarbeiten. Es wird darauf ankommen, dass diese Persönlichkeiten unter Einschluss der Grundrechtecharta, die ja vorliegt und in

(Minister Dr. Christoph Palmer)

diesen neuen Verfassungsvertrag integriert werden muss, zügig und konsequent bis zum Jahr 2003 zu einem Ergebnis kommen.

Ich warne ein wenig vor dem Streit um Begrifflichkeiten. Ob dieses europäische Grundlagendokument am Ende „Verfassung“ heißen wird oder – aus Rücksicht auf die Engländer, die diese Terminologie nicht kennen, weil sie keine geschriebene Verfassung haben – „Grundlagenvertrag Europas“, das halte ich für zweitrangig. Wichtig ist, dass wir in diesem Vertrag neben der Grundrechtecharta – ich glaube, das wurde in der ersten Runde auch übereinstimmend vorgetragen – eine Kompetenzordnung hinbekommen, dass wir die Themenfelder voneinander abgrenzen.

Da wird es auch Themenfelder geben, Herr Kollege Salomon, die auf die Regionen rückübertragen werden müssen. Natürlich brauchen die Regionen etwa im Bereich der Strukturpolitik und der Agrarpolitik, auch im Bereich der Wirtschaftsförderung mehr Spielräume. Da finden wir es falsch, was alles in Brüssel geregelt wird. Es war doch eigentlich auch immer ein grüner Ansatz, dass man von unten nach oben vorgehen muss. Deshalb verstand ich Ihren Schlenker an der Stelle, wo Sie gesagt haben, wir dürften nicht integrationsfeindlich wirken, nicht. Wir sind nicht integrationsfeindlich mit der Auffassung, dass man Spielräume wieder in die Regionen und in die Länder zurückholen muss.

Man wird eine 25er-Gemeinschaft, eine 30er-Gemeinschaft nur bauen können, wenn sich das ganz strikt von unten nach oben vollzieht und wenn Europa sich auf die wirklich wichtigen Fragen der Zusammenarbeit konzentriert. In diesen Themenfeldern – da stimme ich mit Ihnen überein – brauchen wir sicher mehr europäische Zuständigkeiten. Im Bereich der Außen- und Sicherheitspolitik habe ich sie bereits angemahnt. Wir brauchen sie im Bereich der Umweltstandards, wir brauchen diese verbesserte europäische Zusammenarbeit aber auch im Themenfeld der inneren Sicherheit, bei einer gemeinsamen Polizei und in der Justizpolitik. Das werden die Themenfelder sein müssen, wo wir zusätzliche Kompetenzen auf die Union übertragen.

Die Osterweiterung ist das zweite Megathema des kommenden Jahres. Die Verhandlungen mit den fortgeschrittensten Kandidaten kommen in die heiße Phase. Der Fortschritt in den Beitrittsverhandlungen ist erfreulich. Kollege Theurer ist jetzt leider nicht mehr da.

(Zuruf des Abg. Oelmayer GRÜNE)

Ich fand seinen Hinweis auf die zwei Regionen, die wir in die Zusammenarbeit der „Vier Motoren“ mit aufnehmen sollen, ganz interessant. Allerdings muss man in diesem Zusammenhang sagen, dass wir als Bundesland BadenWürttemberg bereits gemischte Kommissionen mit Ungarn, mit Rumänien und mit Tschechien unterhalten. Ich weiß nicht – ich greife den Vorschlag gerne auf –, ob die anderen Partnerregionen der „Vier Motoren“ zu einer solchen Erweiterungsinitiative bereit sind, aber ich finde das zumindest einen nachdenkenswerten Vorschlag.

Beim zweiten Punkt, dem Deutsch-Polnischen-Jugendwerk, muss ich ihn ein wenig enttäuschen. Ein solches

existiert bereits seit drei Jahren. Deshalb können wir auch keine Bundesratsinitiative ergreifen, um ein solches neu zu schaffen.

Herr Kollege Salomon, Sie haben im Zusammenhang mit der Osterweiterung von einer Veränderung der Position der Landesregierung gegenüber ihrer Einschätzung vor zwei Jahren gesprochen. Ich glaube, diese Veränderung hat nicht stattgefunden. Wir haben als erste deutsche Landesregierung bereits im Jahr 1999 ein uneingeschränkt positives Memorandum zur Osterweiterung verabschiedet. Wir haben das jetzt mit unseren neuen Positionen ausgefeilt, aber wir sind in der Spur geblieben.

Was die Freizügigkeit betrifft, die Sie angesprochen haben, haben wir doch die Situation, dass die Bundesregierung offensichtlich auch Probleme sieht. Sonst hätten der Kanzler und der Außenminister in den Verhandlungen nicht so energisch auf die Akzeptanz einer siebenjährigen Übergangsfrist im Bereich der Arbeitnehmerfreizügigkeit Wert gelegt. Diese Übergangsfrist in Europa ist auch weitergekommen, und wir stehen voll hinter dieser Position. Wenn Sie da keine Schwierigkeiten sähen, hätten Sie es auch nicht auf die europäische Agenda gesetzt.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Position, die jetzt mit den Beitrittskandidaten ausverhandelt wird, ist eine vernünftige: 2002 Entscheidung nach individuellem Fortschritt über die Beitrittsreife der Kandidaten, 2004 Vollzug der ersten Beitritte mit Übergangsbestimmungen für sieben Jahre, sodass ca. im Jahr 2011 der volle Integrationsstand zwischen den Beitrittskandidaten und der Union erreicht werden kann.

Ich möchte abschließend, nachdem hier Hegel, Konrad Adenauer und auch noch ein afrikanisches Sprichwort von den Ochsen zitiert wurde, jemanden zitieren

(Abg. Dr. Salomon GRÜNE: Jetzt kommt Hesse!)

nein, nicht Hesse –,

(Abg. Blenke CDU: Hesse ist immer gut zu zitie- ren!)

der in dieser Woche besonders aktuell ist, weil sein 100. Geburtstag gefeiert wird, und der erster Präsident der Kommission der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft war, nämlich Walter Hallstein. Er hat ja auch seine letzten zehn Lebensjahre in Stuttgart verbracht und ist hier in Stuttgart begraben. Hallstein hat klar gesehen, dass die europäische Einigung immer wieder Kampf ist zwischen widerstrebenden nationalen Interessen mit der Gefahr des Stillstands, dass Krisen unvermeidlich sind, dass es aber am Ziel der europäischen Integration festzuhalten gilt.

Als Quintessenz hat Hallstein festgehalten:

Furcht vor einer Krise ist niemals eine Entschuldigung dafür, etwas nicht zu tun, was sachlich geboten ist.

In diesem Geist sollten wir Integration, Osterweiterung und Reform der europäischen Politiken gemeinsam vorantrei

(Minister Dr. Christoph Palmer)

ben – drei Zentralaufgaben, die vor der Tür stehen und die wir nur mit gemeinsamer Anstrengung werden bewältigen können.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU)

Meine Damen und Herren, es liegen keine weiteren Wortmeldungen vor. Wir kommen zur geschäftsordnungsmäßigen Behandlung der beiden aufgerufenen Mitteilungen.

Der Ständige Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung Drucksache 13/399, von der Mitteilung der Landesregierung vom 26. Juni 2001, Drucksache 13/39, sowie von der Mitteilung des Ministeriums für Wissenschaft, Forschung und Kunst vom 12. Oktober 2001, Drucksache 13/323, zustimmend Kenntnis zu nehmen. – Sie stimmen dieser Beschlussempfehlung zu.

Damit ist Tagesordnungspunkt 3 erledigt.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 4 auf:

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt und Verkehr – Unterrichtung des Landtags in EU-Angelegenheiten; hier: Weißbuch der Kommission „Die europäische Verkehrspolitik bis 2010: Weichenstellungen für die Zukunft“ (KOM[2001]370) – Drucksachen 13/285, 13/391

Berichterstatter: Abg. Göschel

Das Präsidium hat für die Aussprache über diesen Punkt eine Redezeit von fünf Minuten je Fraktion festgelegt, wobei gestaffelte Redezeiten gelten.

(Zuruf des Abg. Oelmayer GRÜNE)

Wem darf ich das Wort erteilen? – Herr Abg. Hillebrand, bitte schön.

Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Wir beschäftigen uns heute parallel zu den zuständigen Ausschüssen des Bundesrats mit dem Weißbuch der EU-Kommission „Die europäische Verkehrspolitik bis 2010: Weichenstellungen für die Zukunft“. Wer von uns, meine Damen und Herren, kennt nicht den Satz „panta rhei“ des griechischen Philosophen Heraklit, was so viel heißt wie „alles fließt, alles ist in Bewegung“?

(Zurufe von der CDU)

Keine Gültigkeit hat dieser Satz zumindest im Bereich des Verkehrs. Hier müsste es richtigerweise heißen: Überall in Europa sind Verkehrsstaus an der Tagesordnung bzw. aufgrund zum Teil kurzsichtiger Verkehrspolitiken vorprogrammiert.

(Unruhe)

Verkehrsstaus, meine sehr geehrten Damen und Herren, liebe Kollegen, kosten nicht nur Nerven, sondern auch Produktivität. So kommt es auf Europas Straßen täglich auf 7 500 Kilometern, also auf 10 % des Netzes, zu Staus, und

16 000 Kilometer des Eisenbahnnetzes, also sogar 20 % dieses Netzes, gelten als Engpässe.

Auch wenn es aufgrund der Ereignisse vom 11. September 2001 derzeit Einbrüche im Bereich des Luftverkehrs gibt, werden die Lufträume über Europa insgesamt doch immer enger. Auch auf die DB AG ist heute kein Verlass mehr, wie ich vor drei Tagen auf einer Fahrt Stuttgart – Köln und zurück gleich zweimal selbst erleben durfte.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU und der Abg. Heiderose Berroth FDP/DVP – Abg. Dr. Reinhart CDU: Da hat er Recht!)

Dieses Weißbuch der EU-Kommission enthält, wie ich meine, eine Vielzahl vernünftiger förmlicher Vorschläge für ein gemeinschaftliches Vorgehen im Verkehrsbereich und geht damit, lieber Herr Kollege Boris Palmer, weit über die so genannten Grünbücher hinaus, die ja – Analogien drängen sich da geradezu auf –

(Zurufe der Abg. Oelmayer und Brigitte Lösch GRÜNE)

lediglich eine Palette von Ideen präsentieren und zur öffentlichen Diskussion stellen.

Ein Papier von insgesamt 127 Seiten in der Kürze der vorgegebenen Redezeit auf den Punkt zu bringen gleicht der Quadratur des Kreises. Lassen Sie mich deshalb einige für meine Fraktion wichtige Punkte ansprechen.

Dieses Weißbuch stellt eine weithin gelungene Gratwanderung zwischen der in vielen Bereichen zweifellos notwendigen Politik der europäischen Harmonisierung und der Beachtung und der Respektierung des Subsidiaritätsprinzips dar. Inwieweit die im Papier zum Ausdruck gekommenen Analysen und Handlungsbedarfe schließlich auch in ein Aktionsprogramm einmünden, bleibt abzuwarten. Gerade auf dem Verkehrssektor auf größere finanzielle Unterstützung, sprich Beihilfen für Baden-Württemberg aus Brüssel, zu warten wäre indes falsch. Wir würden vergeblich warten. Wir in Baden-Württemberg, an der Spitze unser Umwelt- und Verkehrsminister Ulrich Müller,

(Abg. Schmiedel SPD: Nicht mehr lange!)

haben deshalb gerade in den Bereichen, zu denen die EU nichts oder zu wenig aussagt, beispielsweise zum Bereich des Straßenbaus, soweit wir selbst zuständig sind, das Gesetz des Handelns in die Hand genommen und das Nötige auf den Weg gebracht.