Protocol of the Session on February 1, 2006

Bitte schön, Frau Utzt.

Herr Dr. Noll, wie interpretieren Sie dann den Brief des Innenministers an die Oberbürgermeisterin der Stadt Heidelberg, in dem steht, dass dieser Fragebogen – dieser Katalog – anzuwenden sei, und wie verstehen Sie die Pressemitteilung des Innenministeriums vom 14. Dezember, in der ausdrücklich darauf hingewiesen wird, dass sich dieser Fragebogen an die Einbürgerungswilligen aus den islamischen Staaten und an diejenigen richtet, die islamischen Glaubens sind plus diejenigen, bei denen Zweifel an ihrer Verfassungstreue bestehen?

Liebe Frau Utzt, wenn Sie zugehört haben, haben Sie bemerkt, dass gerade die Tatsache, dass immer wieder verschiedenste Pressemitteilungen zitiert worden sind, natürlich schädlich ist.

(Abg. Kretschmann GRÜNE: Wer wird befragt, Herr Kollege Noll? – Zuruf des Abg. Braun SPD)

Nehmen Sie doch einmal zur Kenntnis, dass bei allen Einbürgerungswilligen grundsätzlich geprüft werden soll, ob

sie integrationswillig sind. Was kann man dagegen haben, und was kann man da als verfassungswidrig benennen?

(Beifall bei der FDP/DVP und der CDU – Abg. Braun SPD: Das ist doch nicht die Frage!)

Dass in Wahlkampfzeiten manche Debatten hitzig geführt werden, hat übrigens in einer Debatte, in der es auch um Werte ging, Werte eines Familienbilds,

(Abg. Kretschmann GRÜNE: Wann bestehen Zweifel?)

leider zu personellen Konsequenzen geführt. Es ist schon bezeichnend, dass gerade in Wahlkampfzeiten alles, was mit Zuwanderung zu tun hat, häufig auf allen Seiten Hochkonjunktur hat.

(Abg. Fischer SPD: Wieso? Wer hat denn angefan- gen? Das ist doch nicht von uns!)

Ich warne davor, zu glauben, dass man daraus Honig saugen könnte.

(Beifall des Abg. Kleinmann FDP/DVP – Abg. Walter GRÜNE: Ihr habt doch den Fragebogen eingeführt!)

Allerdings halte ich es auch für legitim, sich vor solchen Fragen nicht zu drücken, nicht nur die positiven Beispiele zu sehen, sondern auch die Probleme zu thematisieren.

(Abg. Kleinmann FDP/DVP: Sehr richtig!)

Wir diskutieren jetzt darüber, wie wir künftig mit denen umgehen, die zu uns kommen. Wir sollten aber schon noch einmal einen Blick zurückwerfen und fragen: Wo sind die gescheiterten Integrationsbeispiele, und worin haben sie ihre Ursachen?

Auf der einen Seite hat man jahre- und jahrzehntelang unversöhnlich ignoriert, dass wir de facto ein Zuwanderungsland sind, und deswegen keiner Steuerung zugestimmt,

(Beifall bei der FDP/DVP – Abg. Kleinmann FDP/ DVP: Sehr richtig!)

und auf der anderen Seite hat man nach wie vor das Bild gepflegt: Lasst alle zu uns kommen, das wird sich schon alles von alleine regeln.

(Abg. Fischer SPD: Das ist doch ein Blödsinn!)

Gott sei Dank haben wir das überwunden. Aber daraus, dass wir zu lange gebraucht haben, um uns zu einigen, entstehen die Probleme der zweiten und der dritten Generation.

(Abg. Hofer FDP/DVP: Sehr richtig!)

Da geht es gar nicht um die Einbürgerung derer, die jetzt zu uns kommen wollen, sondern derer, die schon bei uns sind.

(Glocke des Präsidenten)

Herr Abg. Dr. Noll, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abg. Birzele?

Bitte schön.

Herr Abg. Dr. Noll, können Sie mir sagen, wer von der SPD je die Meinung vertreten hat: „Lasst alle zu uns kommen“?

Sie nicht. Das weiß ich, weil ich vorhin gehört habe, dass Sie im Prinzip – –

(Abg. Zeller SPD: Wer? – Abg. Braun SPD: Reden Sie nicht darum herum! – Abg. Zeller SPD: Jetzt sagen Sie es!)

Ich habe im Gegensatz zu Ihnen keine Zitatensammlung. Aber ich bin sicher, dass man das finden könnte.

(Unruhe bei der SPD – Abg. Birzele SPD: Das ist ja unglaublich! – Abg. Zeller SPD: Sie müssen es konkretisieren!)

Lassen Sie mich im Übrigen daran erinnern, dass Integration in Baden-Württemberg eine lange Tradition hat. Lassen Sie mich an die Zeit erinnern, als die Flüchtlinge aus den Ostgebieten zu uns kamen. Auch da war am Anfang nicht alles Friede, Freude, Eierkuchen.

(Abg. Kleinmann FDP/DVP: Ein Blick in den Pe- titionsausschuss, Herr Birzele!)

Wir haben es trotzdem verstanden, zu integrieren. Schauen Sie dann weiter auf die klassischen Gastarbeiter. Dazu gab es den schönen Satz: „Man hat Arbeitskräfte gerufen und gemerkt, dass Menschen kommen.“ Auch das verlief nicht von Anfang an völlig problemlos. Auch bei den Spätaussiedlern – wir schauen gegenwärtig immer nur in eine Richtung – haben wir massive Integrationsprobleme. Das muss man doch ganz klar sagen.

(Abg. Stickelberger SPD: Da hilft jetzt der Leitfa- den!)

Trotzdem muss man auch sagen: Das, wessen wir uns, demografisch gesehen, rühmen – das jüngste Bundesland zu sein; wir sind es –, hängt nicht zuletzt mit dieser Integrationsleistung zusammen, die wir in Baden-Württemberg de facto und nicht in ideologischen Debatten geschafft haben.

Von daher ist es, denke ich, wichtig, zu sagen: Die große Mehrheit der Zuwanderer ist gut integriert. Sie pflegen eine gute Nachbarschaft, und sie haben nicht nur wirtschaftlich, sondern auch kulturell zur Vielfalt in unserem Land und zur Offenheit in unserer Gesellschaft beigetragen.

(Abg. Walter GRÜNE: Jetzt wollen wir aber ein- mal etwas zum Thema hören!)

Deswegen wird zu Recht von allen der Anteil dieser Menschen an unserem Wohlstand, an unserem kulturellen und sozialen Leben gelobt. Dies gilt natürlich insbesondere denen, die in Vereinen, in Kommunen, in Verbänden, in Migrantenorganisationen und Ausländerbeiräten zu dieser positiven Entwicklung beigetragen haben.

(Abg. Braun SPD: Und was hat das jetzt mit dem Gesprächsleitfaden zu tun? – Abg. Walter GRÜ- NE: Diese Rede hätten Sie auch ein anderes Mal halten können! Wir wollen eine aktuelle Rede hö- ren!)

Man darf sich trotzdem nicht scheuen, Probleme tatsächlich zu nennen, die sich ergeben. Denn wenn man sie übertüncht, dann kocht da etwas im Untergrund. Man sollte sich deswegen hüten, Ressentiments zu schüren, um daraus politisches Kapital zu schlagen.

(Unruhe bei der SPD – Abg. Kretschmann GRÜ- NE: Solche Allgemeinplätze! – Abg. Walter GRÜ- NE: Kommen Sie zum Thema! Was hat der Minis- ter im Kabinett gesagt?)

Ich nenne noch einmal ein positives Beispiel. Wenn wir von Parallelgesellschaften reden, dann müssen wir auch sehen: In Frankreich ist gerade das Entstehen von Parallelgesellschaften die Ursache für die Unruhen gewesen. Allerdings sollte man auch nicht in Panik verfallen. Warum hätte die Landeshauptstadt Stuttgart sonst Integrationspreise erhalten? Zuletzt war das der Integrationspreis des Bundesinnenministeriums und der Bertelsmann-Stiftung.

(Abg. Birzele SPD: Aber nicht mit diesem Leitfa- den! Den wendet sie doch gar nicht an! – Abg. Walter GRÜNE: Die FDP in Stuttgart hat damit nichts zu tun!)

Jetzt komme ich wieder zu dem Thema, was wir von denen erwarten, die zu uns kommen. Da ist für mich durchaus klar, dass man einmal hinterfragen darf, ob nicht Chancen gerade für die junge Generation massiv behindert werden, wenn zum Beispiel die Eltern ihren Kindern verbieten, am Sport-, Schwimm- oder Biologieunterricht teilzunehmen. Es ist nicht akzeptabel, wenn Kinder nicht an Schulausflügen teilnehmen.

(Abg. Braun SPD: Und das ändert sich durch den Leitfaden, oder wie? – Abg. Kretschmann GRÜ- NE: Und das verhindern Sie mit dem Fragebogen? – Abg. Göschel SPD: Ein fürchterlicher Eiertanz!)

Ein solcher durch die Eltern verordneter Rückzug schadet der Integration der Kinder und führt zu deren Abschottung und Isolation.

(Beifall des Abg. Kleinmann FDP/DVP)

Die Integrationsdefizite und die schlimmen Fälle wie Zwangsehen, Terrorismus oder „Ehrenmorde“ sind die eine Seite, die wir selbstverständlich im Auge behalten müssen.

(Abg. Braun SPD: Das ändert sich auch durch den Leitfaden?)