Protocol of the Session on February 1, 2006

Wir haben noch über Abschnitt II der Beschlussempfehlung Drucksache 13/5082 abzustimmen. – Sie stimmen zu.

Damit ist Punkt 13 der Tagesordnung erledigt.

Ich rufe Punkt 14 der Tagesordnung auf:

Erste Beratung des Gesetzentwurfs der Fraktion GRÜNE – Gesetz zur Änderung des Schulgesetzes für Baden-Württemberg – Drucksache 13/5083

Das Präsidium hat folgende Redezeiten festgelegt: für die Begründung des Gesetzentwurfs fünf Minuten, für die Aussprache fünf Minuten je Fraktion.

Meine Damen und Herren, ich erteile Frau Abg. Rastätter das Wort.

(Abg. Seimetz CDU: Kurz vor halb neun Uhr!)

Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit unserem heutigen Gesetzentwurf wollen wir Grünen die strukturelle Weiterentwicklung der Schulen in Baden-Württemberg ermöglichen. Unser Ziel ist dabei die Überwindung der frühen Selektion und Sortierung unserer Schülerinnen und Schüler nach nur vier gemeinsamen Schuljahren zugunsten einer neunjährigen Basisschule nach skandinavischem Vorbild. Ich sage ausdrücklich „nach skandinavischem Vorbild“, weil wir nicht die deutsche Gesamtschule meinen, die ja nicht die Lösung des Problems darstellt, sondern ein Teil des selektiven Schulsystems ist.

Wir Grünen streben ein gerechtes und leistungsstarkes Schulwesen an, das die individuelle Förderung aller Schülerinnen und Schüler zum Ziel hat. Wir wollen an den Stärken jedes Kindes ansetzen, jedem Kind Lernerfolg vermitteln und alle Begabungspotenziale in unserem Bundesland optimal fördern.

(Unruhe)

Das, meine Damen und Herren, erfordert eine ganz neue Lernkultur, bei der positiv mit der Unterschiedlichkeit, mit der Heterogenität von Kindern und Jugendlichen umgegangen wird.

Unser Gesetzentwurf beinhaltet drei wichtige Änderungen des Schulgesetzes.

(Anhaltende Unruhe)

Erstens: Wir wollen die Basisschule als neue Schulart gesetzlich verankern.

Zweitens: Jede Schule – also auch jede Hauptschule, jede Realschule und jedes Gymnasium – soll die Möglichkeit erhalten, alle Schüler und Schülerinnen, egal, welche Leistungsfähigkeit sie haben, individuell zu fördern, und jede Schule soll sich zu einer Basisschule weiterentwickeln können.

Schließlich drittens: Wir wollen die aus wissenschaftlicher Sicht falsche Behauptung, dass es sich beim gegliederten Schulsystem um ein begabungsgerechtes Bildungssystem handle, aus dem Schulgesetz streichen.

Meine Damen und Herren, eines ist natürlich richtig: Kinder sind unterschiedlich begabt. Aber das ist noch lange kein Grund, sie in unterschiedliche Schularten zu sortieren. Es gibt keine drei Begabungstypen. Deshalb ist Ihre Aussage, Herr Kultusminister Rau, wie Sie sie jetzt bei der Hauptschulmesse erneut vorgetragen haben, dass unser gegliedertes Bildungssystem begabungsgerecht sei, aus wissenschaftlicher Sicht schlichtweg falsch. Vielmehr ist unser dreigliedriges Schulsystem ein Relikt aus dem Ständestaat des vorletzten Jahrhunderts, wie das beispielsweise Rita Süssmuth

(Abg. Scheuermann CDU: Wer ist das?)

erst vor wenigen Monaten in einem „taz“-Interview zutreffend festgestellt hat. Sie hat deshalb auch gefordert, unser Schulsystem endlich nach skandinavischem Vorbild weiterzuentwickeln.

Meine Damen und Herren, derzeitige Realität in BadenWürttemberg ist der große Einfluss der sozialen Herkunft der Kinder auf ihre Bildungslaufbahn und ihren Bildungserfolg. Die Sortierung der Schüler nach der Grundschulzeit erweist sich als eine soziale Auslese. Meine Damen und Herren, ein solch ungerechtes Bildungssystem, das keinerlei Akzeptanz mehr hat,

(Widerspruch bei der CDU)

können wir uns in einer Wissensgesellschaft, in der wir auf die Förderung aller Begabungen angewiesen sind, in der wir alle Begabungspotenziale erschließen müssen, schlichtweg nicht mehr leisten.

(Beifall der Abg. Brigitte Lösch und Edith Sitz- mann GRÜNE)

Mit unserer Grünen-Forderung nach einer Basisschule stehen wir schon längst nicht mehr alleine da. Denn zunehmend kommt Druck von unten. Ich möchte erwähnen, dass auch die Hauptschullehrkräfte sehen, dass aufgrund der Verschärfung der sozialen Auslese die benachteiligten Kinder, die Kinder mit Migrationshintergrund immer mehr unter sich bleiben. Es fehlen die positiven Vorbilder. Es fehlen die Motoren. Es fehlen die Kinder, die zu Hause auch Bücher haben, die also auch ein Anregungsmilieu für die Entwicklung der anderen Kinder bieten.

(Zuruf des Abg. Drexler SPD)

Der Druck kommt vom Handwerkstag. Der Handwerkstag fordert ebenfalls eine Überwindung des selektiven Schulsystems zugunsten einer Basisschule.

(Unruhe)

Schließlich liegen die ersten Anträge von Bürgermeistern aus kleinen Orten vor, die fordern, dass sich ihre Hauptschulen zu solchen integrativen Schulen weiterentwickeln können. Die Zahl dieser Anträge wird zunehmen. Denn wenn jetzt die demografische Entwicklung ihre Folgen zeigt, wer

den kleine Schulstandorte mit Hauptschulen, die heute nur noch 60 Schüler haben, nicht mehr gehalten werden können. Deshalb brauchen wir diesen Anreiz und diese strukturelle Öffnung des Schulsystems, damit in jedem Ort attraktive Bildungsangebote erhalten bleiben können.

Herr Kultusminister Rau, wenn Sie sagen, dass bei solch integrativen Angeboten 600 Schulstandorte geschlossen werden müssten, ist das geradezu absurd; denn das Gegenteil ist der Fall.

(Abg. Drexler SPD: Was soll denn das jetzt?)

Nur mit solchen neuen attraktiven Standorten und mit anspruchsvollen integrativen Bildungsangeboten können Schulen in den einzelnen Orten erhalten bleiben.

Meine Damen und Herren, die Voraussetzung dafür, dass sich die Schulen strukturell weiterentwickeln können, ist natürlich, dass alle Verordnungen, die heute die Schulen knebeln, wie etwa die Versetzungsordnung, die verpflichtende Grundschulempfehlung und die Klassenarbeitenverordnung, abgeschafft werden. Dann gibt man den Schulen wirklich die Freiheit, sich zu Basisschulen weiterzuentwickeln.

(Abg. Drexler SPD: Waldorfschulen!)

Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluss. Wir brauchen ein gerechtes und leistungsfähiges Bildungswesen. Das schaffen wir nur, wenn wir den Schulen die Freiheit geben, sich strukturell weiterzuentwickeln. Der Druck ist da. Lassen Sie es zu, dass die Entwicklung vor Ort so weit in die Wege geleitet wird, dass ein Prozess beginnt, der uns den Anschluss an erfolgreiche Bildungsländer in Europa ermöglicht.

Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei den Grünen)

Ich erteile Herrn Abg. Kiefl das Wort.

(Abg. Capezzuto SPD: Noi! – Abg. Teßmer SPD: Oh, der Bildungspolitiker kommt! – Abg. Drexler SPD: Aber nicht so lange!)

Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Wegen der Kürze der Zeit bringe ich die Hauptbotschaft gleich vorweg.

Liebe Kollegin Rastätter, wir können den von Ihnen mit diesem Änderungsgesetz vorgeschlagenen Weg nicht mitgehen.

(Abg. Drexler SPD: Okay! Setzen!)

Trotz einiger Überlegungen, die zweifellos nachvollziehbar sind, handelt es sich doch wieder um die Themen, die wir bereits diskutiert haben. Ich möchte sagen: alter Wein in neuen Schläuchen.

(Abg. Scheuermann CDU: Sprudel, kein Wein!)

Ich möchte daher feststellen: Wir verlassen unser badenwürttembergisches dreigliedriges Schulsystem nicht zu

gunsten einer Basisschule, Regionalschule oder wie immer sie heißen mag. Im Endeffekt geht der Weg auf jeden Fall in Richtung Einheitsschule. Das heißt, wir schaffen die Hauptschule nicht ab, wir schaffen die Realschule und logischerweise auch das Gymnasium nicht ab. Wenn man die Menschen fragt, stellt man fest, dass auch sie unserer Auffassung sind.

(Widerspruch bei der SPD)

Wir schaffen unser bewährtes System nicht zugunsten einer Basisschule ab. Ich möchte dafür drei Gründe nennen; es gibt mehrere Gründe, aber alles wurde schon x-mal diskutiert.

Erstens: Das gute Abschneiden Baden-Württembergs in Schulleistungsstudien ist bekannt. Sowohl die nationalen als auch die internationalen Studien belegen, dass die Leistungsfähigkeit unseres dreigliedrigen Schulsystems stimmt und besser als in Ländern mit Einheitsschulen ist.

(Abg. Drexler SPD: 20 % können kein Deutsch!)

Unser System macht begabungsgerechte – Frau Rastätter, wir bleiben bei diesem Begriff – Angebote und sichert damit die Zukunftschancen für die jungen Menschen.