Protocol of the Session on November 30, 2005

Herr Abg. Zeller, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abg. Röhm?

Bitte, Herr Abg. Röhm.

Herr Kollege Zeller, Sie sprachen soeben davon, dass die Stofffülle nicht reduziert worden sei. Wenn zwei Drittel Kerncurriculum, vorgeschriebene Stoffmenge sind und ein Drittel Schulcurriculum, das im Hinblick auf die Abiturprüfung nicht prüfungsrelevant ist, würden Sie das dann als eine Reduzierung des Prüfungsstoffs betrachten oder nicht?

Zwei Drittel plus ein Drittel gibt drei Drittel, gibt ein Ganzes. So einfach ist das.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Zurufe von der CDU)

Dass Sie im Rechnen möglicherweise immer schon schwach waren, haben Sie gerade bestätigt, meine Damen und Herren.

Ich will noch einen Punkt hinzufügen. Entscheidend ist auch, dass das G 8 faktisch eine Ganztagsschule ist. Deshalb haben einige Gymnasien die Chance genutzt, die sie über das IZBB bekommen haben. Lange Zeit hat die Landesregierung hier gemauert. Notwendig ist, dass wir die Ganztagsschulen auch im Bereich der Gymnasien drastisch ausbauen und zusätzliches Personal zur Verfügung stellen. Es wäre nicht gut, wenn wir nach wie vor die Situation hätten, dass Eltern Nachhilfelehrer sind oder dass sie, wenn sie dazu keine Zeit haben, aber über das notwendige Geld verfügen, Nachhilfeunterricht finanzieren müssen. Das wird übrigens dazu führen, dass diejenigen, die sich dies nicht leisten können, automatisch benachteiligt sind. Die Ergebnisse in Baden-Württemberg sehen wir. Die Schere zwischen Akademikerfamilien und den immer stärker sozial benachteiligten Arbeiterfamilien geht weiter auseinander. All dies können wir nicht wollen.

Deswegen sage ich Ihnen nochmals: Nehmen Sie eine Korrektur beim G 8 vor, und verhindern Sie damit Fehlentwicklungen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD)

Das Wort erteile ich Frau Abg. Rastätter.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! In einem beispiellosen Schulterschluss haben die Landtagsopposition – die Fraktion GRÜNE und die Fraktion der SPD –, der Landeselternbeirat, der Landesschülerbeirat, der Philologenverband, die GEW und weitere Verbände vor Einführung des achtjährigen Gymnasiums gewarnt, dass mit Ihrem Konzept des achtjährigen Gymnasiums faktisch die Ganztagsschule durch die Hintertür eingeführt und die Orientierungsstufe abgeschafft werde und es damit zu einer großen Belastung für die Schülerinnen und Schüler in der Unterstufe kommen werde.

Meine Damen und Herren, alle diese Befürchtungen haben sich in vollem Umfang bewahrheitet. In diesem Jahr hat die Verkürzung und Verdichtung des Unterrichts in der Unterstufe mit voller Wucht die Schülerinnen und Schüler der sechsten Klasse getroffen. Im nächsten Jahr werden davon bereits die Fünftklässler betroffen sein.

Meine Damen und Herren, es sind vor allem die bildungsorientierten Eltern, die Eltern mit akademischem Hintergrund, die jetzt auf die Barrikaden gehen, und zwar flächendeckend in ganz Baden-Württemberg.

(Abg. Alfred Haas CDU: So ein Quatsch!)

Es sind vor allem der Landeselternbeirat und seine Vorsitzende, Frau Staab, die betont, dass jetzt in der Unterstufe für neun- bis elfjährige Kinder eine 45-Stunden-Woche eingeführt wurde.

(Abg. Alfred Haas CDU: So ein Blödsinn!)

Wir erhalten jeden Tag Briefe und E-Mails mit diesem Inhalt. Wir erhalten keine einzige andere Aussage von Eltern in diesem Land. Da können Sie jetzt noch so sehr toben.

(Zurufe der Abg. Alfred Haas und Zimmermann CDU)

Ein Beispiel: Eine Mutter schreibt, dass ihre Tochter trotz guter Noten

(Zurufe – Unruhe)

häufig weint, weil es ihr einfach zu viel ist.

(Abg. Alfred Haas CDU: Das muss sie dem Lehrer sagen, nicht Ihnen!)

Eine andere Mutter schreibt, dass sie sich absurderweise das erste Mal in ihrem Leben über ausgefallene Schulstunden freue, weil endlich einmal die Belastung ihres Sohnes reduziert werde.

(Abg. Alfred Haas CDU: So ein Blödsinn!)

Ein Vater, Kinderarzt, schreibt, dass es aus gutem Grund ein Jugendarbeitsschutzgesetz gebe, welches die zulässige Arbeitszeit für 16-Jährige regle, aber er fragt, wer unsere zehnjährigen Kinder vor dieser übermäßigen Belastung schütze.

(Beifall bei den Grünen und der SPD)

Meine Damen und Herren, die Eltern haben Recht: Der Sprung ins Gymnasium ist schwieriger geworden. In der Regel haben jetzt die Sechstklässler – ab dem nächsten Jahr die Fünftklässler – sieben bis neun Stunden mehr Unterrichtsstunden in der Woche, und das von einem Jahr zum nächsten. Sie haben vorgezogene Fächer wie Geschichte und die zweite Fremdsprache.

(Zuruf des Abg. Alfred Haas CDU)

Sie haben das Fachlehrerprinzip. Das heißt, Sie verschärfen dadurch die soziale Auslese in unserem Bundesland.

(Abg. Alfred Haas CDU: So ein Quatsch!)

Wie sollen Kinder mit Migrationshintergrund, die Sprachprobleme haben, künftig überhaupt noch eine realistische Chance haben, den Sprung ins Gymnasium zu schaffen?

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD)

Der Leiter eines Stuttgarter Gymnasiums empfiehlt den Eltern inzwischen ein Zeitmanagement für ihre Kinder von morgens um 7 bis abends um 20 Uhr, einen strukturierten Zeitplan für den ganzen Tag.

(Zuruf des Abg. Alfred Haas CDU)

Ich warne vor einer solchen Verplanung von Kindheit.

(Abg. Drexler SPD: Völlig irre! – Zuruf des Abg. Alfred Haas CDU)

Neun- bis elfjährige Kinder brauchen auch Freiräume.

(Zurufe von der CDU)

Sie brauchen Zeit für eigene Aktivitäten, sie brauchen Zeit zum Spielen, sie brauchen Zeit zum Träumen, sie brauchen auch ein kindgerechtes Leben.

(Beifall bei den Grünen und der SPD – Zurufe von der CDU – Unruhe bei der CDU)

Sie brauchen gar nicht so zu schreien und zu toben. Sie haben das achtjährige Gymnasium eingerichtet. Sie sind dafür verantwortlich.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD – Abg. Fleischer CDU: Sie schreien doch!)

Herr Kultusminister Rau, Sie wiederholen gebetsmühlenhaft den Satz Ihrer Amtsvorgängerin,

(Anhaltende Unruhe bei der CDU)

die immer gesagt hat: „Wir brauchen einen verantwortungsvollen Umgang mit der Lebenszeit junger Menschen.“ Das,

was Sie hier betreiben, ist ein verantwortungsloser Umgang mit der Lebenszeit von Kindern.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD – Abg. Alfred Haas CDU: Sie wollen doch die Ganztagsschule, oder? – Gegenruf der Abg. Ursula Haußmann SPD)

Herr Kultusminister Rau, Ihre Amtsvorgängerin war beratungsresistent. Aber Sie verleugnen die Realität.

(Zurufe von der CDU, u. a. des Abg. Alfred Haas – Gegenruf der Abg. Theresia Bauer GRÜNE)