Protocol of the Session on November 30, 2005

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen!

(Abg. Drexler SPD: Lauter!)

Ich glaube, es ist nicht angemessen, wie insbesondere die CDU-Fraktion mit den Sorgen und Ängsten vieler Eltern in diesem Land umgeht.

(Abg. Blenke CDU: Die von Ihnen geschürt wer- den! – Abg. Hillebrand CDU: Wer schürt denn die Sorgen?)

Ich will mit einem Zitat beginnen, auf dessen Inhalt wir uns sicher verständigen können, und dann die Probleme beschreiben, die wir sehen.

Ein Land, das sich als Kinderland versteht, gibt Kindern und Jugendlichen den Raum und die Unterstützung, die sie für eine gute Entwicklung und einen erfolgreichen Start ins Leben brauchen.

So der Ministerpräsident in seiner Regierungserklärung. Da sind wir uns alle einig.

(Abg. Seimetz CDU: Gut!)

Die Frage, die sich stellt, ist, ob wir den Kindern im G 8 tatsächlich den Freiraum geben, den sie für eine gute Entwicklung brauchen, und ob wir ihnen die Unterstützung geben, die sie brauchen, um erfolgreich die Schullaufbahn zu bewältigen.

(Abg. Seimetz CDU: Wir haben doch gerade ge- hört, wie das geht!)

Herr Kultusminister, es sind doch nicht wir, die als Bedenkenträger agieren, sondern es sind die Eltern, die Sorgen haben und die Sie ernst nehmen sollten.

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der Grü- nen)

Sie sind, wie es zuletzt Ulbricht getan hat, jemand, der glaubt, wenn er in einen Plan oder in eine Konzeption schaut, schaue er in die Realität.

Ich habe von sieben Gymnasien die Eltern der Schüler der Klassen 5 und 6 eingeladen. Jeder von uns macht bildungspolitische Veranstaltungen, und jeder von uns weiß, wie viele da normalerweise in etwa kommen. Wenn auf eine solche Einladung 150 Eltern kommen,

(Abg. Capezzuto SPD: Jetzet!)

wenn sie sich vor laufenden Fernsehkameras offenbaren, zeigen, dass sie nicht mehr wissen, wie sie das beherrschen sollen, zeigen, dass ihre Kinder – nicht die Schwächeren; gerade die, die sehr gute und gute Leistungen bringen – unter dem Tempo leiden, wenn sie darauf aufmerksam machen, dass es gar nicht geht, ohne dass Eltern bei den Hausaufgaben und bei den Vorbereitungen dabeisitzen, und das nicht nur am Abend, sondern auch am Wochenende, dann sollten Sie das ernst nehmen!

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der Grünen – Abg. Carla Bregenzer SPD: Ja!)

Wir als Abgeordnete haben doch einen Auftrag. Deshalb mache ich Ihnen einen Vorschlag. Machen Sie es doch so wie Ihr Kollege Scheffold, der bei dem Kollegen Capezzuto angerufen und gesagt hat: Sie machen doch eine Veranstaltung mit den Eltern; kann ich da auch kommen? Natürlich kann er kommen. Er ist willkommen. Er kann auch mitreden. Er soll doch selber erleben, welche Stimmung bei vielen Eltern herrscht und welche Sorgen sie umtreiben. Dann haben wir doch bis zur nächsten Sitzung des Schulausschusses eine Chance, wirklich einmal darauf einzugehen.

Sie behaupten, es sei eine Minderheit, die diese Sorgen hat. Wir sagen: Es ist eine große Zahl, die wir nicht ignorieren dürfen. Sich nur herauszureden und zu sagen: „Wir haben einen Plan, der ist prima“, ist zu billig. Sie tragen natürlich auch die Verantwortung dafür, dass die Rahmenbedingungen stimmen, damit dieser Plan sinnvoll erfüllt werden kann.

(Beifall bei der SPD und den Grünen)

Das ist in vielen Fällen eben nicht der Fall.

Deshalb unsere herzliche Bitte: Ignorieren Sie das nicht, was die Eltern vorbringen. Reden Sie die Lage nicht schön. Nehmen Sie sie ernst, und sorgen Sie mit uns in der Sitzung des Schulausschusses dafür, dass es wirklich Weichenstellungen für eine bessere Gestaltung des G 8 gibt.

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der Grü- nen)

Das Wort erteile ich Herrn Abg. Kretschmann.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich trete an und für sich dafür ein, in Schulfragen mehr nach Konsens zu suchen. Aber das geht nur, wenn man die Tatsachen zur Kenntnis nimmt. Nehmen Sie deshalb jetzt einmal die Tatsache zur Kenntnis, dass es in der Elternschaft Empörung über dieses G 8 gibt.

(Abg. Drexler SPD: Massiv! Leider!)

Tun Sie nicht so, als ob wir die Empörung schürten.

(Abg. Drexler SPD: So ist es!)

Dass Sie die Tatsachen zur Kenntnis nehmen, wäre einmal die erste Voraussetzung dafür, dass wir überhaupt weiterkommen. Ich kann Ihnen nur den Rat geben, Herr Kultusminister: Wir kommen hier im Land nur weiter, wenn Sie nicht nur immer in die Konzepte schauen, sondern auch die Schulwirklichkeit wahrnehmen. Da müssen Sie sich von Ihrer Vorgängerin lösen, die immer da oben herumschwebte und nicht zur Kenntnis genommen hat, was tatsächlich in den Schulen passiert.

(Beifall bei den Grünen und der SPD)

Jetzt komme ich genau zu Ihrer Kernthese. Ihre Kernthese heißt: In den Bildungsplänen ist der Stoff reduziert worden. Ich sage aber: Die Praxis an der Schule sieht anders aus. Warum? Es regieren die heimlichen Lehrpläne, und die heimlichen Lehrpläne sind die Prüfungen. Das ist das Abitur, und das sind die zentralen Klassenarbeiten sowie die Vergleichsarbeiten. Wenn Sie an den Prüfungen nichts ändern, nützt es überhaupt nichts, Curricula zu ändern. Dann werden sich Lehrer, Schüler und Eltern selbstverständlich nach den Prüfungen richten, denn diese Prüfungen verteilen bei uns Lebenschancen. Deswegen hat es gar keinen Sinn, immer nur in der Theorie herumzumachen, sondern man muss fragen: Wie erreichen die Schülerinnen und Schüler die Ziele, die dort gesetzt werden? Darum geht es.

(Beifall bei den Grünen und der SPD)

Offensichtlich erreichen sie das nur unter gewaltigem Stress, sodass einzelne Eltern schon sagen, dass das ihre Familien ankratzt und anbohrt und das Familienleben schädigt. Das ist die Realität. Ich bitte Sie: Nehmen Sie das einfach einmal ernst und für bare Münze, was Eltern da vorbringen.

(Abg. Schmiedel SPD: So ist es!)

Wie kann man das letztlich nur ändern? Das Konzept ist ganz klar und eindeutig: Sie müssen oben anfangen und nicht unten.

(Beifall bei den Grünen und der SPD)

Wenn Sie dazu nicht bereit sind, dann wird sich die zentrale Schwäche des baden-württembergischen Schulsystems weiter verschärfen, nämlich dass es eine erhebliche Gerechtigkeitslücke aufweist und es Schülern aus bildungsfernen Schichten immer schwerer macht, höhere Bildungsabschlüsse zu erlangen.

Wenn jetzt der Beginn der zweiten Fremdsprache auf Klasse 5 herunterverlagert wird, ist vollkommen klar, dass es

fast unmöglich wird, aus anderen Schulen überhaupt noch ins Gymnasium hineinzukommen. Das heißt: Wenn Sie das so weiterführen, werden Sie die soziale Auslese und die Vererbung der Bildung je nach Herkunft in unserem Schulsystem weiter verschärfen. Dagegen allerdings werden SPD und wir alles in Stellung bringen, was uns einfällt, um das zu verhindern.

(Beifall bei der SPD)

Schließlich, Herr Kultusminister, haben Sie genau gesagt, was geändert werden muss. Sie haben gesagt, wir brauchen ein rhythmisierendes Lernkonzept auch im Gymnasium. Das heißt, das G 8 kann nur funktionieren, wenn wir auf Dauer zu einer gebundenen Ganztagsschule kommen. Ein G-8-Gymnasium ist anders gar nicht zu realisieren, ohne dass daraus eminente soziale Nachteile entstehen.

(Zuruf des Abg. Drexler SPD)

Ich bitte Sie: Nehmen Sie die Klagen der Eltern endlich ernst; sie sind berechtigt.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei den Grünen und der SPD)

Das Worte erteile ich Herrn Minister Rau.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich will nur kurz auf den Kollegen Kretschmann eingehen. Sie machen es sich sehr einfach, Herr Kollege Kretschmann, indem Sie sagen: „Nehmen Sie endlich die Schulwirklichkeit wahr!“ Ich habe über die empirisch erhobene Schulwirklichkeit gesprochen.

(Abg. Röhm CDU: Richtig! – Zuruf des Abg. Gaß- mann SPD)

Ich bin dauernd in Schulen unterwegs. Ich habe Ihnen ein konkretes Beispiel zitiert, wie es gehen kann, ein schulisches Beispiel, kein in den Büros des Kultusministerium erfundenes. Das ist Schule konkret.

(Abg. Schmiedel SPD: Ein Beispiel ist aber nicht das ganze Land!)

Die vielen Vereinbarungen, die an den Schulen zwischen den Kollegien, in den Fachschaften, mit den Eltern getroffen werden, all das ist Schule konkret. Genau darauf baue ich auf. Bauen Sie hier keine Schimären auf. Es ist ein mühseliger Versuch, er wird nicht verfangen. Ich bin draußen, bei den Schulen, und die Schulen wissen, dass ich ihre Wirklichkeit kenne. Ich nehme diese Wirklichkeit wahr.