Protocol of the Session on November 10, 2005

Meine Damen und Herren! Ich eröffne die 102. Sitzung des 13. Landtags von Baden-Württemberg und begrüße Sie.

Urlaub für heute habe ich den Herren Abg. Rudolf Hausmann, Kleinmann und Boris Palmer erteilt.

Dienstlich verhindert sind Herr Ministerpräsident Oettinger, Herr Minister Pfister und Herr Staatssekretär Hillebrand.

Meine Damen und Herren, auf Ihren Tischen finden Sie einen Vorschlag der Fraktion der SPD für eine Umbesetzung im Ausschuss nach Artikel 62 der Verfassung (Notparla- ment) (Anlage). – Ich stelle fest, dass Sie der vorgeschlagenen Umbesetzung zustimmen. Kein Widerspruch. Es ist so beschlossen.

Wir treten in die Tagesordnung ein.

Ich rufe Punkt 1 der Tagesordnung auf:

Aktuelle Debatte – Neue Chancen für die Föderalismusreform – beantragt von der Fraktion der CDU

Es gelten die üblichen Redezeiten: jeweils fünf Minuten für die einleitenden Erklärungen der Fraktionen und fünf Minuten für die Redner in der zweiten Runde.

Das Wort erteile ich Herrn Abg. Dr. Schüle.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Die Aktuelle Debatte gibt uns heute Morgen die Chance, die Ergebnisse der Arbeitsgruppe „Föderalismusreform“ zu bewerten. Es geht um das erste Ergebnis der sich anbahnenden großen Koalition. Wir können aber hier gleich feststellen, dass dieses Ergebnis noch nicht in trockenen Tüchern ist. Wie wir den Debatten in einigen Bundestagsfraktionen entnehmen können, ist die Zweidrittelmehrheit, die dafür notwendig ist, noch nicht gesichert. Deshalb ist diese Debatte heute Morgen nicht nur deshalb wichtig, weil die Föderalismusreform in allererster Linie die Länder und die Landtage betrifft, sondern auch deshalb, weil wir die Kräfte bündeln müssen, damit die Ergebnisse des ersten Teils der Föderalismusreform wirklich umgesetzt werden.

Meine Damen und Herren, wir haben zuletzt am 10. November 2004, also genau vor einem Jahr, über dieses Thema diskutiert. Wir standen damals kurz vor einem Ergebnis. Eine Einigung ist an der Frage der Hochschulpolitik gescheitert.

Die Ergebnisse, die jetzt erzielt worden sind, stimmen in hohem Maße mit den Ergebnissen des Jahres 2004 überein.

An den Ergebnissen des Jahres 2004 hat eine Persönlichkeit dieses Hauses in ganz besonderer Weise mitgewirkt.

(Abg. Brigitte Lösch GRÜNE: Oh, der Erwin!)

Das ist unser langjähriger Ministerpräsident Erwin Teufel, dem ich an dieser Stelle noch einmal ganz herzlich für seine Basisarbeit danken möchte.

(Beifall bei der CDU sowie der Abg. Drexler SPD, Dr. Noll FDP/DVP und Kretschmann GRÜNE)

Ich sage es gleich vorweg: Die CDU-Fraktion bewertet den ersten Teil dieser Föderalismusreform positiv; allerdings muss der zweite Teil, das Thema „Finanzbeziehungen zwischen Bund und Kommunen“, der echte Wettbewerbsföderalismus auch im steuerlichen Bereich, natürlich umgehend folgen. Dies gehört, politisch gesehen, zum Paket dazu.

Zwei entscheidende Punkte möchte ich nennen.

Erstens: die Grundarchitektur. Die Grundarchitektur ist richtig. Unser bisheriges Problem war ja, dass durch die Beteiligung der Länder an der Bundesverwaltung ein Großteil der Gesetze im Bundesrat zustimmungspflichtig waren. In den Artikeln 84 und 85 des Grundgesetzes ist das geändert worden. Ferner ist neu hinzugekommen: Wenn zukünftig die Länder mit Gesetzen belastet werden sollen, die eine erhebliche Kostenfolge – so ist die Formulierung – mit sich bringen, dann tritt eine Zustimmungspflicht des Bundesrats ein. Diese Architektur führt dazu, dass wir von einer Zustimmungsquote im Bundesrat von ca. 60 % auf eine Zustimmungsquote von 40 oder 35 % kommen. Dies zeigt schon, dass dieser Teil der Reform richtig und wichtig ist.

Meine Damen und Herren, der zweite Punkt: Im Gegenzug für diese Verluste der Länder an Zustimmungsmöglichkeiten haben wir jedoch in einigen Bereichen Kompetenzen gewonnen. Ich nenne den öffentlichen Dienst. Dort bleibt der Status quo auf Bundesebene, aber die Länder erhalten die Möglichkeit, insbesondere die Besoldung und andere Dinge autonom zu regeln. Ganz besonders hervorzuheben ist der Hochschulbereich. Hier haben sich die Länder durchgesetzt. Wir haben jetzt, meine Damen und Herren, eine konkurrierende Gesetzgebung des Bundes – kompliziert formuliert – im Kern noch für Hochschulzulassung und Hochschulabschlüsse,

(Abg. Drexler SPD: Abschlüsse!)

aber davon können die Länder komplett abweichen. Die Forschungsförderung wird teilweise noch gemeinsam gere

gelt. Aber es ist unbestritten, dass das bisher schon sinnvoll war. Das heißt im Ergebnis: Das Land Baden-Württemberg, die Länder können das Hochschulrecht zukünftig vollständig autonom regeln. Das war unser Ziel. Deswegen begrüßen wir dieses Ergebnis in besonderem Maße.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU sowie der Abg. Drexler SPD, Dr. Noll FDP/DVP und Kretschmann GRÜNE)

Meine Damen und Herren, ich sage aber an dieser Stelle Folgendes – jetzt kommt eine gewisse politische Bewertung, vor der wir im Augenblick auch ganz konkret stehen –: Dieses Ergebnis der Arbeitsgruppe „Föderalismusreform“ kam nach einem zähen Ringen zustande – nicht nur bis zuletzt in dem konkreten Bereich der Hochschulpolitik, sondern insgesamt, um alle Themen am Ende unter einen Hut zu bekommen. Der Bund hat sich durchgesetzt bei der grundsätzlichen neuen Architektur der Artikel 84 und 85 des Grundgesetzes. Er hat zusätzliche Kompetenzen im Bereich der Terrorismusbekämpfung bekommen: BKA. Es erfolgte eine Kompetenzaufteilung. So sind künftig die Länder beispielsweise für den Ladenschluss zuständig, während ausschließlich der Bund im Bereich der Kernenergie und des Waffen- und Sprengstoffrechts zuständig sein wird, um nur einige Beispiele zu nennen. Der Bund, dies ist auch ein gutes Ergebnis, darf aufgrund der Artikel 84 und 85 künftig keiner Kommune mehr eine Aufgabe übertragen, die mit Kosten verbunden ist. Damit sind die Kommunen auch eindeutig Gewinner dieser Föderalismusreform.

Aber gerade nachdem wir nach diesem zähen Ringen zu einem ordentlichen Ergebnis gekommen sind, darf es doch nicht wahr sein, dass jetzt in einigen Bundestagsfraktionen gegen diese Föderalismusreform polemisiert wird, dass ausdrücklich gesagt wird: Wir wollen die Zweidrittelmehrheit wegen der Regelungen in der Hochschulpolitik kippen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich darf den bildungspolitischen Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Herrn Tauss, zitieren – Herr Drexler, nach einem Gespräch gestern sind wir uns aber in dieser Frage einig –, der sagt, er werde dafür kämpfen, dass die für die Verfassungsänderung notwendige Zweidrittelmehrheit nicht zustande kommt.

Frau Bulmahn sagt im „Handelsblatt“ – das muss man sich einmal anhören! –, durch die Reform würde der Vorsprung von Bayern und Baden-Württemberg im Hochschulbereich zementiert.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, an diesem Punkt zeigt sich doch eindeutig: Wir haben bei diesem Thema – auch bei der Bildungspolitik, der Schulpolitik, Stichwort PISA – nicht das Problem, dass wir national zu gut oder zu schlecht wären. Vielmehr zeigt sich, dass einige Bundesländer ihre Aufgaben sehr gut und andere nicht so gut machen. Deswegen brauchen wir gerade diesen wichtigen Wettbewerbsföderalismus, damit diejenigen, die im Bildungsbereich gute Arbeit leisten, auch die Früchte ernten können. Die Bundesländer, die noch keine gute Arbeit leisten, müssen sich anstrengen, um dann auch diese Früchte ernten zu können.

(Abg. Fleischer CDU: So wird ein Schuh draus!)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, natürlich – das möchte ich abschließend sagen – hätte die CDU-Fraktion, hätten wir uns im Land Baden-Württemberg stärkere Änderungen gewünscht im Bereich der Mischfinanzierung – hier sind wir auf halbem Wege stehen geblieben –, im Bereich der Finanzbeziehungen Bund/Länder, damit zusammenhängend im Bereich Länderfinanzausgleich – dies gehört zwar nicht direkt, aber natürlich indirekt auch dazu –, im Bereich des nationalen Stabilitätspaktes, bei dem der Bund 65 % trägt, während die Länder 35 % tragen, und zwar auch die Länder, die ihren Haushalt im Griff haben und die 3 % einhalten.

(Abg. Kretschmann GRÜNE: Welches Land hat den Haushalt im Griff?)

Wir hätten diese Reform auch in einigen Punkten infrage stellen können. Aber jetzt kommt es darauf an, das erste Paket, den ersten Teil unter Dach und Fach zu bringen. Ich hoffe und bin davon überzeugt, dass alle Fraktionen in diesem Hause hier mithelfen werden.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der FDP/ DVP)

Das Wort erteile ich Herrn Abg. Drexler.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Im Grunde genommen hat die große Koalition in Berlin jetzt recht schnell das verabschiedet, was die große Föderalismuskommission vorbereitet hatte. Es gab zum Schluss fünf Punkte, die umstritten waren. Alles andere war ja geregelt. Umstritten waren zum Schluss das Hochschulrecht und die Bildungsplanung, das Umweltrahmenrecht, die innere Sicherheit, bei der der Bund Kompetenzen für die Terrorbekämpfung wollte, die Mitwirkung der Länder in Europafragen und die EU-Haftung. Das waren die Felder, bei denen man sich in der Kommission zum Schluss nicht mehr einigen konnte. Herr Teufel war ja damals Ministerpräsident und hat das Land Baden-Württemberg vertreten, Herr Kretschmann die Grünenfraktionen der Landtage und ich die SPD-Fraktionen. Über die genannten Punkte gab es – zum Schluss für uns alle überraschend – keine Einigung.

Jetzt hat man auf der Basis der Einigung über die große Koalition gesagt: Jetzt bekommen wir diese fünf Punkte hin. Man hat sie offensichtlich hinbekommen. Man hat das Hochschulrahmenrecht und die Bildungsplanung so gestaltet, dass es eine Einigung gibt, und man hat im Umweltrahmenrecht jetzt doch erreicht, dass der Bund ein einheitliches Umweltrecht kreieren kann. Bei der inneren Sicherheit hat der Bund die Zuständigkeit für die Terrorbekämpfung erhalten. Bei der Mitwirkung der Länder in Europafragen ist alles gleich geblieben. Im Bereich der Bildung und der Kultur vertreten die Länder in Europa die Länderinteressen und damit auch die der Bundesrepublik Deutschland. Bei der EU-Haftung hat man einen Vergleich vorgenommen: Wenn man von der EU zur Zahlung einer Strafe aufgefordert wird, zahlt der Bund 65 %, während die Länder 35 % zahlen – entsprechend den Einwohnerzahlen und nach dem Verschuldensprinzip. Dabei muss ich ehrlich sagen: Mir

wäre es lieber gewesen, man hätte bei den Ländern ausschließlich den Grad der Mitschuld herangezogen und nicht die Einwohnerzahlen.

(Zuruf des Abg. Rückert CDU)

Das betrifft die großen Bundesländer, im Verhältnis gesehen, massiv. Aber da war wohl nichts anderes möglich.

Insgesamt muss ich sagen: In den drei Bereichen, um die es in der Föderalismuskommission gegangen ist, ist für die Länder ein recht gutes Ergebnis erzielt worden.

Zum Ersten: Im Bildungssektor bleibt das Grundprinzip des Föderalismus bei den Ländern bestehen. Dieser Sektor ist ausgebaut worden. Wir sind jetzt eigentlich Bildungsstaaten.

Das Zweite: Von der Kindheit bis zum Hochschulabschluss, muss man sagen, ist künftig fast alles in der Hand der Länder – das ist richtig –, außer der Frage des Jugendhilferechts, die aber schon in dem früheren Kompromiss nicht enthalten war. Es wäre im Übrigen logisch gewesen, wenn man auch diese Zuständigkeit den Ländern gegeben hätte.

Das Dritte: Wir sind – abgesehen von einer Rahmengesetzgebung – vollständig für diejenigen zuständig, die wir anstellen und beschäftigen. Auch dies ist ganz wichtig.

Ein vierter Bereich: Wir werden für eine Menge an regionalen Zuständigkeiten künftig allein die Regelungskompetenz besitzen: für das Versammlungsrecht, den Strafvollzug, das Notariatswesen, das Heimrecht, das Ladenschlussrecht, das Gaststättenrecht, Spielhallen/Schaustellung von Personen. – Was, Schaustellung von Personen? – Ja, doch, klar.

(Heiterkeit)

„Schaustellung von Personen“ steht hier. Dafür sind wir jetzt auch zuständig. Das ist für Fraktionsvorsitzende, Herr Mappus, natürlich ein großer Zuständigkeitsbereich.

(Heiterkeit – Zurufe der Abg. Dr. Schüle CDU und Heiderose Berroth FDP/DVP)

Weiter nenne ich: Messen, Ausstellungen, Märkte, landwirtschaftlicher Grundstücksverkehr, landwirtschaftliches Pachtwesen, Flurbereinigung, Siedlungs- und Heimstättenwesen, Sport- und Freizeitlärm sowie die allgemeinen Rechtsverhältnisse der Presse. Dafür sind wir im Landtag künftig auch zuständig.

(Beifall des Abg. Stickelberger SPD)