Aus aktuellem Anlass und weil es der Kollege Mack auch angesprochen hat, noch einige Worte zum Thema „Aufnahme der Beitrittsverhandlungen mit der Türkei“. Es ist schon erstaunlich, mit welcher Beharrlichkeit die CDU, seit sie in Berlin nicht mehr mitregieren durfte, mit diesem Thema Angst und Schrecken verbreitet.
Noch ein Jahr vor dem Regierungswechsel 1997 wurde auf dem EU-Gipfel in Luxemburg mit Zustimmung des damaligen Bundeskanzlers und, ich glaube, ehemaligen Ehrenvorsitzenden der CDU, Helmut Kohl, festgestellt, dass die Türkei für eine Aufnahme in die EU infrage komme. Es wurde sogar eine Strategie ausgearbeitet, mit der es der Türkei
möglich wird, in die EU aufgenommen zu werden. Vorausgegangen waren 30 Jahre Verhandlungen mit Versprechungen, die jedes Mal mit Zustimmung der deutschen Bundesregierung abgegeben worden sind.
Fakt ist: Die Beitrittsverhandlungen werden aufgenommen. Sie werden einige Jahre dauern; man geht von einer Dauer von zehn bis 15 Jahren aus. Ziel ist eine Vollmitgliedschaft nach diesen Verhandlungen.
Die Verhandlungen werden aber ergebnisoffen geführt. Das heißt, wenn die Kriterien nicht erfüllt werden – und das sind harte Kriterien –, wird es keine Mitgliedschaft geben. Die Kriterien sind hart und werden für die Türkei nicht einfach zu erfüllen sein. Aber das ist auch gut so. Nur so erreichen wir eine Reformgeschwindigkeit in der Türkei, mit der es in diesem Land vorangeht auf dem Weg zu einer möglichen Aufnahme in die EU.
Wir dürfen auch nicht vergessen, welche Möglichkeiten sich ergeben, wenn die Türkei den Ansprüchen der Europäischen Union gerecht wird. Die Türkei wäre damit nicht nur einer der wenigen islamisch geprägten Staaten, in denen Demokratie funktioniert. Sie wäre damit auch ein Vorbild für alle Staaten im Nahen Osten, ein Beispiel, wie der Dialog zwischen unterschiedlichen Kulturen funktionieren kann. Bei der ganzen Diskussion um die Einzelheiten dürfen wir die Vorbildfunktion der Türkei in diesem Bereich nicht vergessen.
Sehr geehrter Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich finde es erfreulich, dass Europapolitik hier zu prominenter Zeit diskutiert wird und dass auch unser Ministerpräsident Günther Oettinger an weiten Teilen dieser Diskussion teilnehmen kann. Aber ich merke kritisch an, meine Damen und Herren
(Abg. Walter GRÜNE: Jetzt geht er gerade! – Abg. Ursula Haußmann SPD: Wo ist er denn? Er ist hi- nausgegangen wegen Ihnen! – Abg. Schmiedel SPD: Als Sie gekommen sind, ist er gegangen!)
wir wissen, dass der Regierungschef immer einiges zu erledigen hat –, dass ich mir wünschen würde, dass auch die anderen Ressorts bei der Diskussion des Europaberichts eine größere Anwesenheit zeigen würden.
Herr Minister Pfister ist im Moment mit einer Wirtschaftsdelegation auf dem Weg nach Litauen, meine Damen und Herren.
Wir haben konkrete Ergebnisse. Wir wissen aus der Rückmeldung der Unternehmen, dass gerade solche Reisen mit Unternehmerinnen und Unternehmern aus Baden-Württemberg zu Erfolgen bei Abschlüssen führen. Die Politik der Türöffnung der baden-württembergischen Landesregierung, des baden-württembergischen Wirtschaftsministers ist erfolgreich.
(Abg. Drexler SPD: Ihr habt auch noch einen Staats- sekretär! Der könnte auch da sein! – Gegen- ruf des Abg. Walter GRÜNE: Genau!)
Das ist ein aktiver Beitrag zur europäischen Wirtschaftspolitik. Deshalb bin ich der Meinung, dass er heute auch entschuldigt ist – um Ihre Frage zu beantworten.
(Abg. Walter GRÜNE: Der Staatssekretär ist auch dabei? – Abg. Drexler SPD: Und der Justizminister ist auch dabei! – Abg. Walter GRÜNE: Und auch die Frau Homburger, die Umweltexpertin!)
Meine Damen und Herren, 15 Jahre nach der Überwindung der deutschen Teilung und der europäischen Teilung stehen wir heute mehr denn je vor einer Neubestimmung der Europapolitik. Das ist doch der entscheidende Punkt, der die Welt verändert hat: Vor 15 Jahren stand man vor der Frage: Geht man den Weg, der im ehemaligen Jugoslawien leider gegangen wurde – mit bürgerkriegsähnlichen Zuständen, mit Bürgerkriegen, die dazu geführt haben, dass auch deutsche Soldaten dort unten in internationalen Kontingenten Dienst tun –, oder gelingt es, einen Alternativweg zu öffnen, sodass sich die Reformstaaten Mittel- und Osteuropas angleichen können, in das demokratisch verfasste Europa der Europäischen Union hineinkommen können? Genau diesen letztgenannten Weg ist man gegangen. Es ist ein großer Erfolg der deutschen Außenpolitik und der Europapolitik der Europäischen Union, dass die Erweiterung um die zehn mittel- und osteuropäischen Staaten gelungen ist, meine Damen und Herren.
Man kann das an dieser Stelle nicht oft genug erwähnen, weil wir selber im Moment gerade in Deutschland, in Baden-Württemberg die Diskussion haben: Können wir uns die Erweiterung noch leisten? War sie richtig?
Nimmt sie uns nicht Arbeitsplätze weg? Wird hier nicht durch Lohnkonkurrenz unser Wohlstand wegkonkurriert? Das sind die Fragen, die die Bürgerinnen und Bürger unseres Landes zu Recht, meine Damen und Herren, bewegen. Aber die Frage stellt sich natürlich vor dem Hintergrund: Welche Alternativen gab es damals, als das kommunistische System komplett zusammengebrochen ist?
Ich bin froh, dass in den Nachbarländern in Mittel- und Osteuropa stabile Demokratien entstanden sind, die jetzt auch gute Fortschritte bei der ökonomischen Stabilisierung machen. Ich bin sicher, dass es in den nächsten 10, 20 Jahren gelingen wird, das Niveau dieser Länder auf unser Niveau
Wir müssen den Bürgerinnen und Bürgern auch entsprechend vermitteln, wo die großen Vorteile der Europäischen Union liegen.
Heute steht in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ ein interessanter Beitrag von Esko Aho, dem ehemaligen Ministerpräsidenten Finnlands. Ich zitiere mit Erlaubnis des Präsidenten nur einen Satz. Herr Aho stellt fest:
Was der Europäischen Union in erster Linie fehlt, ist nicht eine Verfassung, sondern eine Vorstellung davon, mit welchen Mitteln wir in einem globalen Umfeld erfolgreich sein wollen.
Er spricht damit im Grunde genommen die Sorgen an, die dazu geführt haben, dass in den Referenden in Frankreich und den Niederlanden mit Nein gestimmt wurde. Haben wir wirklich eine gemeinsame Vorstellung von Europa? Wie wollen wir uns im Wettbewerb mit den USA, im Wettbewerb mit aufstrebenden Wirtschaftsnationen wie China und Indien positionieren?
Wenn wir sehen, dass es trotz Lissabon-Strategie nicht gelungen ist, in Europa mit den USA gleichzuziehen, zum Beispiel in Forschung und Entwicklung, wenn wir sehen, dass sich andere Regionen auf der Welt wesentlich dynamischer entwickeln als die Europäische Union, zum Beispiel China und Indien mit Wachstumsraten von jährlich 10 und 9 %, dann sehen wir auch die Größe der Aufgabe, die wir zu bewältigen haben. Wenn wir uns dann noch vor Augen halten, dass gerade Deutschland mittlerweile leider auf dem letzten Platz ist, was das Wachstum aller Volkswirtschaften in der Europäischen Union angeht,
dann müssen alle Alarmglocken schrillen. Deshalb können wir nur hoffen, dass die Dinge, die auf Bundesebene und in den Länderparlamenten viel diskutiert wurden, jetzt zu Handlungen führen.
Deshalb plädiere ich wie andere Redner der FDP/DVP-Fraktion in früheren Sitzungen noch einmal mit großer Vehemenz und Nachhaltigkeit für die Umsetzung der Reformen beim Steuerrecht, in der Wirtschaftspolitik, bei der Deregulierung des Arbeitsmarktes. Vor allem aber plädiere ich ganz klar für eine Föderalismusreform, meine Damen und Herren.
Wir diskutieren viel über die Vertiefung Europas, aber manche Dinge scheitern ja bei uns selber. Wir müssen doch schauen, dass das Verhältnis zwischen Bund und Ländern anders wird.
Dafür brauchen wir nicht Brüssel; das können wir selber lösen. Also lassen Sie uns auch hier noch einmal gemeinsam Überzeugungsarbeit bei den Entscheidungsträgern leisten, damit wir eine echte Föderalismusreform in Deutschland bekommen.
Die Finanzen: Viel zu wenig ist bekannt, dass die Europäische Union die einzige staatliche Einrichtung ist, die mit dem Geld, das sie im Haushaltsplan hat, auskommt, die sogar weniger ausgibt. Seit Jahren kann die Europäische Union Mittel an die nationalen Mitgliedsstaaten zurücküberweisen. Sie hat keine Möglichkeit zur Neuverschuldung. Das ist gut so, und wir wollen, dass es auch in Zukunft so bleibt.
Aber wir wissen doch auch, wir könnten uns in BadenWürttemberg, obwohl wir in Bezug auf die Finanzen das zweitbeste Bundesland sind, bei der Finanzpolitik glücklich schätzen, wenn wir eine der Europäischen Union vergleichbare Situation hätten – vom Bund und den anderen Bundesländern ganz zu schweigen. Auch das muss einmal gesagt werden.
(Abg. Drexler SPD: Sie haben doch die Schulden in Baden-Württemberg in den letzten sieben Jahren verdoppelt!)
Meine Damen und Herren, die Frage der Verfassung ist bereits angesprochen worden. Dass diese Verfassung nicht in Kraft getreten ist, ist bedauerlich, weil wir dringend eine Kompetenzabgrenzung brauchen. Heute haben wir ja die Situation, dass das Europäische Parlament jede Gelegenheit nutzt, um Kompetenzen an sich zu ziehen. Wir haben die Situation, dass die Europäische Kommission in vielen Politikbereichen, wo wir Entscheidungskompetenzen haben, wo der Bund Entscheidungskompetenzen hat, versucht, diese an sich zu ziehen. Das muss aufhören. Deshalb war es richtig, dass in dem vom Konvent vorgelegten Verfassungsentwurf, den die Regierungschefs zur Ratifikation freigegeben haben, eine klare Kompetenzabgrenzung drinsteht.