Herr Präsident, meine Damen und Herren! Sie von der CDU haben über viele Jahre hinweg behauptet, dass wir in Baden-Württemberg keine Ganztagsschule brauchen. Sie haben lediglich Ganztagsschulen an so genannten Brennpunkthauptschulen zugelassen. Nicht zuletzt das Bundesprogramm zum Ausbau der Ganztagsschule hat eindrucksvoll bewiesen, wie groß der tatsächliche Bedarf an Ganztagsschulen bei allen Schularten in Baden-Württemberg ist.
Ministerpräsident Oettinger hat dann als Erster von einem flächendeckenden Ausbau von Ganztagsschulen in BadenWürttemberg gesprochen. In seiner Regierungserklärung hat er allerdings eine entscheidende Einschränkung gemacht:
er hat von „Wahlfreiheit“ gesprochen, und er hat sich absolut gegen einen Zwang zum Besuch einer Ganztagsschule ausgesprochen.
Erstens: Was heißt denn Bedarf? Ich kann doch nicht erst dann Ganztagsschulen schaffen, wenn die Eltern an die Schultür klopfen und einen Ganztagsplatz brauchen.
Wenn ich bedarfsorientiert ausbaue, dann muss ich ein Angebot an Ganztagsschulen bereitstellen, damit sich Familien, damit sich junge Männer und Frauen überhaupt erst entscheiden, Kinder zu bekommen, und damit sie Beruf und Familie vereinbaren können.
Das ist die Voraussetzung, damit es uns überhaupt gelingt, wieder mehr Kinder in diesem Land zu haben, insbesondere auch von qualifizierten Frauen.
Zweitens: Sie sprechen von Wahlfreiheit; es soll kein Zwang ausgeübt werden. Hier wird doch der Anschein erweckt, als sei es eine Zumutung für Kinder, die Ganztagsschule zu besuchen, als sei es eine Strafe, in eine Ganztagsschule gehen zu müssen.
Wer so redet, hat keine bildungspolitische Vorstellung davon, was eine Ganztagsschule überhaupt bedeutet. Wir haben doch durch die flächendeckende Ganztagsschule die große Chance, endlich von dem verdichteten, verstressten Unterrichtsvormittag, von „Unterricht und nichts anderem“ wegzukommen. Wir haben die große Chance, endlich mehr Chancengerechtigkeit zu verwirklichen, indem alle Kinder, unabhängig von ihrer sozialen Herkunft, besser gefördert werden können. Wir haben die Chance, dass endlich mehr soziales Lernen an den Schulen stattfindet, dass an den Schulen auch persönlichkeitsbildende Angebote eingebracht werden können, dass alle Kinder ein Musikinstrument lernen können und ein tägliches Sportangebot gemacht werden kann. Und noch eines: Wir haben auch die Chance, dass Eltern endlich keine Nachhilfeinstitute mehr in Anspruch nehmen müssen. 2 Milliarden € werden bundesweit für Nachhilfe ausgegeben.
Deshalb: Ganztagsschulen sind gute Schulen für alle Kinder, und es ist gut für Kinder, wenn sie dieses Angebot auch in Anspruch nehmen.
Schließlich ist für mich eigentlich das Erschreckendste, dass Sie immer noch die Familien in Baden-Württemberg spalten,
(Abg. Kleinmann FDP/DVP: Wer sagt denn das? – Gegenruf des Abg. Drexler SPD: Das sagt ihr stän- dig!)
(Beifall bei den Grünen und der SPD – Wider- spruch bei der CDU – Abg. Capezzuto SPD: Das begreift der Haas nicht!)
Wenn Sie eine intakte Familie so definieren: „Einer bleibt zu Hause, das ist die Mutter; der Mann ist berufstätig“, stigmatisieren Sie alle Familien, die Beruf und Familie vereinbaren und die Ganztagsschulen für eine gute Schulart halten. Sie stellen sie in eine Ecke und tun so, als handle es sich um Rabeneltern. Nehmen Sie endlich zur Kenntnis, dass es in Baden-Württemberg sehr viele intakte Familien gibt,
die sich für eine Ganztagsschule entscheiden, die volle Verantwortung für die Erziehung ihrer Kinder übernehmen und auch eine gute Zusammenarbeit mit der Schule praktizieren.
Meine Damen und Herren, noch einmal zum Schreckgespenst des Zwangs. Wenn man sich die Realität des Ausbaus der Ganztagsschulen in Baden-Württemberg anschaut, muss man sagen, dass dieses Schreckgespenst des Zwangs geradezu absurd ist. Nur 1,5 % der Grundschulen sind Ganztagsschulen, an der Realschule sind es knapp 4 %, am Gymnasium 11 % – da sind allerdings die privaten Schulen sehr stark beteiligt. Bei den Hauptschulen sind es zumindest schon 17 %. Wer bei diesem Ausbaugrad von einem möglichen Zwang redet, der malt doch ein absurdes Schreckgespenst an die Wand.
Das Gegenteil ist der Fall. Wir haben einen extremen Handlungsbedarf in Bezug auf den Ausbau der Ganztagsschulen.
Wir liegen extrem weit unter dem realen Bedarf und müssen alles tun, damit wir diesen erschreckenden Zustand endlich einmal verändern.
Die größte Herausforderung haben wir an der Grundschule mit den nur 1,5 % Ganztagsschulen. Wir Grünen fordern, in den nächsten zwei Jahren 600 Grundschulen zu Ganztagsschulen auszubauen. Das sind 25 %. Auch dann, meine Damen und Herren von den Regierungsfraktionen, bleibt die Wahlfreiheit absolut bestehen, aber es kann ein flächendeckendes Angebot gemacht werden.
Wir Grünen lehnen die Einführung von Elterngebühren für Ganztagsschulen ab. Damit bin ich beim Thema der Finanzierung. Natürlich ist es für uns angesichts der Haushaltslage eine gigantische Herausforderung, in den nächsten Jahren die flächendeckende Einrichtung von Ganztagsschulen zu finanzieren – das ist doch überhaupt keine Frage –, aber wir müssen dies als Kernaufgabe des Landes definieren. Es ist die originäre Aufgabe des Landes Baden-Württemberg, für die Zukunft unserer Kinder Ganztagsschulen bereitzustellen. Dafür müssen wir in anderen Bereichen massiv einsparen. Dafür müssen wir einfach die Prioritäten in diesem Land klären.
Ich nenne Ihnen jetzt gleich die Beispiele. Die Grünen haben für die Investitionen einem Vorschlag gemacht. Damit bin ich bei der Finanzierung. Der Bund hat 528 Millionen € bereitgestellt. Diese Mittel sind bereits ausgegeben; das wissen Sie alle.
Ich kritisiere auch, dass Sie das Windhundverfahren gewählt haben. Das hätte, finde ich, verhindert werden können. Wir Grünen haben das mehrfach beantragt.
Wider besseres Wissen sind Sie bei diesem Verfahren geblieben. Wir haben heute den Antrag vorgelegt, ein Sofortprogramm im Umfang von 100 Millionen €,