Protocol of the Session on October 24, 2001

Aus der Eigenverantwortung des Betreibers und dem damit verbundenen Vertrauensvorschuss folgt nämlich – und das ist jetzt die Reaktion; Vertrauen ist ein Kredit, und ein Kredit muss zurückgegeben werden können –: Wer dieses Vertrauen verletzt, weil er Fehler fahrlässig oder gar absichtlich begeht oder anschließend im Umgang mit Fehlern nachlässig oder absichtlich diese kleinredet, dessen Vertrauensbruch ist mit einer ungemein harten Sanktion versehen, nämlich: Wer dieses Vertrauen enttäuscht, ist nicht zuverlässig im Sinne des Atomrechts, und wer nicht zuverlässig ist, der darf selbst mit einer technisch sicheren Anlage nicht mehr umgehen. Deshalb ist die Betriebsvoraussetzung der Zuverlässigkeit so notwendig und natürlich auch die Sachkunde.

Das ist also die innere Logik, der Mechanismus der Atomaufsicht, dass wir auf der einen Seite die Eigenverantwortung und das Vertrauen haben und auf der anderen Seite die Feststellung der Zuverlässigkeit – oder Unzuverlässigkeit – als Voraussetzung für den Betrieb.

Das ist der Grund – das muss man ja immer wieder einmal in der Öffentlichkeit sagen, und das haben Sie in Ihren Stellungnahmen natürlich bewusst überspielt –, weshalb eine seit dem 31. August dieses Jahres technisch wieder in Ordnung befindliche Anlage nichtsdestoweniger abgeschaltet ist.

Sie suggerieren, dass die Tatsache, dass sie jetzt abgeschaltet ist, bedeute, dass es irgendeine Gefahr im Verzuge gebe.

(Abg. Drexler SPD: Nein!)

Nein, es ist eine Reaktion auf den Umstand,

(Abg. Drexler SPD: Richtig!)

dass wir es mit einem Betreiber zu tun haben, dessen Zuverlässigkeit hier nicht vorliegt.

(Abg. Dr. Salomon GRÜNE: Das haben wir schon richtig verstanden! – Zuruf des Abg. Boris Palmer GRÜNE – Weitere Zurufe)

Weshalb dann die Dramatisierung, es hätte unbedingt und sofort usw. usf.? – Okay.

(Minister Müller)

(Abg. Boris Palmer GRÜNE: Wenn dieselben Leu- te Block I betreiben, sind sie zuverlässig, bei Block II sind sie unzuverlässig?)

Es können immer nur Menschen zuverlässig sein. Wissen Sie, deswegen muss man da genau hinschauen.

Weil nicht nur die Technik sicher sein muss, sondern auch der Umgang mit ihr, geht es um die Frage der Zuverlässigkeit. Das eine, die technische Sicherheit, ist die objektive Seite, das andere ist die Gewissheit der Sicherheit, der zuverlässige Umgang. Ein Mangel in der Technik ist behebbar, ein Mangel auf dem anderen Gebiet – nämlich Mensch und Organisation – ist ein größeres Problem.

Jetzt will ich einmal – zwar gedrängt, aber trotzdem exakt – beschreiben, worin das Problem in Philippsburg lag – Mensch, Technik, Organisation, das sind die drei Faktoren; die Technik war hier das geringste Problem –:

Erstens bestand dort die Bereitschaft, auftretende Probleme zu reparieren statt zu analysieren. Das heißt, es herrschte die Mentalität vor: „Wir bekommen das Ding während des laufenden Betriebs schon wieder hin.“ Das war falsch.

Zweitens: Dort war leider die Bereitschaft zu erkennen, Sicherheitsvorschriften nicht ernst zu nehmen, sondern selbst über sie zu verfügen. Vorschriften sind dazu da, eingehalten zu werden – das ist ganz einfach. Sicherheitspolster, von denen es in einem Kernkraftwerk natürlich eine Menge gibt, sind nicht dazu da, gezielt genutzt zu werden, um zum Beispiel eine Reparatur durchzuführen.

(Beifall des Abg. Kleinmann FDP/DVP)

Drittens stellen wir fehlende Einsicht bei der Darstellung und Einschätzung der Information fest.

Schließlich: Seit gestern müssen wir darüber hinaus noch sagen: Wir haben es auch mit dem Fall einer bewussten Regelverletzung, nämlich einem Verstoß gegen gültige Betriebshandbücher, zu tun.

Wenn man dies zusammennimmt, muss man sagen: Da liegt schon einiges auf dem Tisch des Hauses. Wer eine Anlage auf diese Weise betreibt, hat einiges nachzuholen, bis wieder Zuverlässigkeit gegeben ist.

Was jetzt Stück für Stück herauskommt – schon letzte Woche kam etwas heraus, was die EnBW selbst mitgeteilt hat, diese Woche kam etwas heraus, und ich schließe nicht aus, dass noch weitere Dinge herauskommen –, ist das Ergebnis der Recherchen, die wir von der EnBW verlangt haben. Das ist kein Zufallsfund, sondern genau das, was wir als so genannte vertiefte Analyse von der EnBW erfahren wollten. Insofern ist es notwendig, dass diese Sachverhalte jetzt herauskommen, und es ist ein Ergebnis der Atomaufsicht und kein Abfallprodukt.

(Anhaltender Beifall bei der CDU und der FDP/ DVP)

Ich komme auf das Thema Atomaufsicht noch an einer anderen Stelle zu sprechen. Zunächst möchte ich zu drei Informationsblöcken kommen, die sich auf ganz bestimmte Zeiträume beziehen, nämlich: Was geschah eigentlich Ende

August im Ministerium? Dazu haben Sie sich ja geäußert, obwohl Sie es mittlerweile eigentlich besser wissen müssten, weil wir all dies schriftlich mitgeteilt haben. Was geschah eigentlich in diesem ominösen Gespräch am 6. Oktober zwischen Trittin und mir?

(Abg. Drexler SPD: Was heißt denn „ominös“?)

Es waren ja relativ wenige dabei; aber ich war dabei, das kann ich sagen. Deswegen berichte ich darüber einmal genau so, wie es war.

(Abg. Walter GRÜNE: Wir kennen aber noch ein paar andere, die dabei waren! – Gegenruf des Abg. Wieser CDU: Sind die vertrauenswürdig?)

Sie werden feststellen, dass nichts von dem, was ich jetzt gleich sagen werde, nicht zutrifft.

(Abg. Bebber SPD: Vorsicht!)

Im Übrigen will ich dann noch etwas sagen zu dem angeblich bewusst falschen Umgang, über die Haltung des Bundes – was mir Anfang dieser Woche vorgehalten wurde.

Nun zunächst zum ersten Punkt: Was geschah Ende August? Ich will einen Programmsatz vorausschicken: Ende August waren die Beamten unseres Hauses unter den drei Beteiligten – EnBW, TÜV und Atomaufsicht – die sensibelsten. Sie waren diejenigen, die das Problem am ehesten erkannt haben.

(Abg. Dr. Salomon GRÜNE: Das ist ja unglaub- lich! Sensible Meldeformulare!)

Ich schränke ein: nicht bis zur letzten Konsequenz, das ist richtig. Aber sie haben das Problem am ehesten erkannt. Das will ich Ihnen jetzt auch im Einzelnen deutlich machen.

Die Atomaufsicht, das heißt, unser Haus, hatte allerdings mit zwei Faktoren zu tun, die in diesem Fall belastend waren. Erstens hatten wir es mit einem Betreiber zu tun, der eine verhüllende Informationspolitik betrieben hat. Das drücke ich jetzt direkt noch vornehm aus. Nehmen Sie einmal die Stellungnahmen der EnBW vom 31. August und vom 5. Oktober, nehmen Sie die Erklärungen von Herrn Goll in der Folge des 5. Oktober, und nehmen Sie das, was seit gestern auf dem Markt ist: Dann sehen Sie ungefähr den Erkenntnisfortschritt und auch die Offenheit, mit der wir informiert werden.

(Zuruf des Abg. Walter GRÜNE)

Da fällt die Aufsichtsführung natürlich schwer, das ist klar.

Die zweite Randbedingung, unter der wir damals zu arbeiten hatten, war: Der TÜV hat eine objektiv falsche Bewertung abgegeben, wie er mittlerweile auch selbst einräumt. Das waren die Randbedingungen.

Was ist nun konkret geschehen? Die Atomaufsicht hat zunächst einmal in einem aktuellen Fall, in einem akuten Fall die Aufgabe, schutzzielbezogen vorzugehen, das heißt, zu überprüfen, ob ein akutes Problem vorliegt, auf das ent

(Minister Müller)

sprechend eingegangen werden muss. In der Tat haben wir in diesen Tagen noch nicht ins Visier genommen, was es zu den Problemen und Konsequenzen hinsichtlich der Sicherheitskultur in den inneren Abläufen der EnBW zu sagen gibt.

Wir sind am 28. August erstmals fernmündlich unterrichtet worden, dass in einem Flutbehälter die Borkonzentration nicht stimme. Dabei wurde mitgeteilt, dass der Fehler mittlerweile behoben sei. Aus den Aufzeichnungen im Kraftwerk lasse sich vermuten – so seinerzeit die EnBW –, dass auch zwei andere Flutbehälterpaare betroffen sein könnten. Den Ursachen werde nachgegangen; die Borkonzentration würde zur Beherrschung relevanter Störfälle ausreichen. Das ist die Geschichte mit der objektiven Gefahr.

(Abg. Dr. Salomon GRÜNE: Aber die Durchmi- schung hat auch nicht gestimmt!)

Ja, aber ich schildere jetzt zunächst einmal nur die Behauptungen, nämlich, die Borkonzentration reiche aus. Das ist die Frage der Störfallbeherrschbarkeit.

Weiter wurden wir darüber informiert, dass der TÜV unterrichtet sei. Die Argumentation der EnBW, wonach die Störfallbeherrschbarkeit gegeben sei, wurde durch den Gutachter des TÜV uns gegenüber fernmündlich bestätigt.

Wir haben den TÜV gebeten, diese vorläufige Abschätzung schnellstmöglich durch Berechnungen auf der Basis des aktuellen Beladeplans zu überprüfen. Für weitere Sofortmaßnahmen war in jener Woche kein Anlass.

Bezüglich der Meldepflicht hatten wir es mit einem relativ sperrigen Partner zu tun. Er bedurfte einer dringenden Empfehlung unsererseits, überhaupt eine förmliche Meldung vorzunehmen. Gleichzeitig haben wir auf Probleme hingewiesen, nämlich erstens auf das Problem, dass es möglicherweise ein Common-Mode-Problem ist, das heißt ein durchgängiger Fehler, dass das, was in einem Flutbehälter vorliegt, möglicherweise auch in anderen vorliegt. Zum Zweiten haben wir sozusagen aus dem Gefühl heraus, aus einer Grobeinschätzung heraus gesagt: Das ist ja wohl ein Ereignis mindestens der Stufe 1.

Der Betreiber ist diesen Hinweisen allerdings nicht gefolgt. Er hat uns dann am 31. August schriftlich auf dem dafür vorgesehenen Formblatt informiert. Er hat dabei lediglich von einer Fehlstellung einer Armatur gesprochen. Die unzulängliche Borkonzentration hat er nicht erwähnt. Dass zwei weitere Behälter betroffen waren, hat er in der Anlage – aber warum eigentlich nicht im Formblatt?, natürlich haben wir die Anlage auch gelesen; aber das zeigt das Herunterspielen – erwähnt.

Diese schriftliche Darstellung wurde von unserem Haus – ohne Erfolg – telefonisch beanstandet, weil wir in der Zwischenzeit aufgrund der fernmündlichen Kontakte bereits mehr wussten, als die EnBW schriftlich zugegeben hat.

Bezüglich der Bewertung und der längerfristig zu ziehenden Konsequenzen war in unserem Haus klar, dass der TÜV automatisch in die Angelegenheit eingeschaltet ist, wie das bei solchen Vorgängen immer der Fall ist, und dass er sich gutachtlich dazu äußert. Diese gutachtliche Äuße

rung ist am 24. September erfolgt. Der TÜV hat, wie wir wissen, immer noch denselben Fehler wie seinerzeit begangen.