Der renommierte Politikwissenschaftler und Friedensforscher Ernst-Otto Czempiel sieht die Möglichkeit der Entstehung einer „Gesellschaftswelt“ durch transnationale intergesellschaftliche, vom Staat weitgehend emanzipierte Aktivitäten. Langfristig sei die mit einer solchen Entwicklung verbundene Entdemokratisierungstendenz durch die Zusammenarbeit in der „Gesellschaftswelt“ und durch Schaffung einer globalen gesellschaftlichen Repräsentationsversammlung überwindbar. David Held dagegen sieht eine solche demokratische Repräsentationsversammlung auf der globalen Ebene als „an impossible dream“.
Die Regierungen versuchen mühsam, durch multilaterale Zusammenarbeit und durch Gründung von Staatengemeinschaften eine übergreifende Autorität aufzubauen. Je dauerhafter, umfassender und verbindlicher diese wird, desto dringender stellt sich die Frage nach der demokratischen Legitimität dieser Entscheidungsebenen. Die tragenden Prinzipien unseres Staatsbegriffs geraten ebenso in die Diskussion wie das Wertegefüge unserer Gesellschaft und die sozialstaatlichen Normen, wobei ganz zwangsläufig das Verhältnis zwischen Bürger und Staat berührt wird. Und genau an dieser Schnittstelle liegt die Stärke und damit auch ein Teil der vielfältigen Aufgaben eines Bundeslandes, das in eine bundesstaatliche Verfassung eingeflochten ist.
Ich möchte hier nur auf einen emotional wirkenden Aspekt hinweisen. Die Bürgerinnen und Bürger suchen Heimat innerhalb eines staatlichen Gebildes, das noch transparent genug ist und durch Kultur, Tradition, landesgeschichtliche Bedeutsamkeiten und Landschaft eine sinnstiftende Identifikation vermittelt, die Gemeinschaft erlebbar macht und Demokratie nachvollziehbar erscheinen lässt.
Wir Abgeordnete haben also allen Grund, unser Mandat für ein starkes und selbstbewusstes Land auch selbstbewusst und im Bewusstsein der christlichen Werte auszufüllen. Es ist uns allen ein Anliegen, die Zukunftsfähigkeit für BadenWürttemberg zu sichern und künftigen Generationen eine Vielfalt an Chancen zu belassen. Dabei geht es meiner An
sicht nach um zwei Schwerpunkte, für die sich der politische Wettbewerb in diesem hohen Hause um die besten Lösungsmöglichkeiten lohnt: erstens der Zugang zu Bildung und Kultur für Jung und Alt und zweitens die Bewahrung der Schöpfung. Wir stehen in der Pflicht, gestaltend auf die Zusammenhänge der Wechselseitigkeit im Netzwerk von Mensch, Natur und Umwelt einzuwirken.
Die Vorstellungen über die Ziele und Wege einer modernen und zukunftsorientierten Landespolitik mögen in diesem Hause weit auseinander klaffen. Das Parlament lebt jedoch auch vom bedingten Streit und schöpft auch visionäre Kraft aus den leidenschaftlichen Diskussionen.
Die Mitglieder dieses hohen Hauses wurden von den Wählerinnen und Wählern abgeordnet. Zwar dem Allgemeinwohl verpflichtet, stehen sie doch zwischen einer allmächtig erscheinenden Bürokratie und den sich oft widerstrebenden Interessen der Bürgerschaft. Der Abgeordnete ist nicht Sendbote der Regierung oder einer Partei, sondern im besten Sinne Bürgeranwalt, der die Regierenden zu kontrollieren und sich den berechtigten Anliegen der Menschen anzunehmen hat.
Wir müssen aber auch akzeptieren, dass in dieser schnelllebigen und doch so spannenden Zeit grundsätzliche Diskussionen und Debatten von einem Großteil unserer Bürger nicht mehr wahrgenommen werden. In unserer Gesellschaft herrscht eine eher pragmatische Sichtweise der Dinge. Tief bohren, wie es am Anfang unserer Republik oder in den sechziger und siebziger Jahren noch der Fall war, wollen nur noch wenige.
Vor allem die jüngeren Wähler sehen die Landespolitik als Dienstleistungsinstitut, das die Erfüllung von Wünschen und die Bearbeitung von Anliegen schnell und reibungslos zu besorgen hat. Und das heißt: Wird nicht rasch geliefert, erscheint Politik als weltfremd, bürgerfern und inkompetent, als eine Art Treibhaus mit ritualisierter Betriebsamkeit, als Kommentierung dessen, was ohnehin geschieht.
Zu unserer gemeinsamen Herausforderung als Abgeordnete gehört daher, die Balance zu halten zwischen dem Vollzug von Veränderungen nach den vorgegebenen Regeln der parlamentarischen Demokratie und der erwarteten Outputorientierung. Ich plädiere damit nicht gegen das öffentliche Ringen auch um Details. Das ist und bleibt unerlässlich, und wir werden es weiterhin erleben, aktiv wie passiv und hoffentlich in einer gedeihlichen Mischung aus Parteilichkeit und Souveränität. Aber die Demokratie verlangt ebenso, die sprichwörtliche Kirche im Dorf zu lassen, auf Übertreibungen und vordergründigen Dissens als Selbstzweck zu verzichten und bei Aufgeregtheiten und Hysterie den Boden der Sachlichkeit und den Boden der politischen Fairness nicht zu verlassen.
Eine Streitkultur, die Respekt und Achtung vor dem Andersdenkenden bezeugt, ist das Fundament unserer freiheitlichen Ordnung. Wir sollten uns öfter in Erinnerung rufen, welche politischen Grundsätze und welche Themen unbestritten sind und wie breit die gemeinsame Basis ist, aus der heraus wir mehr für unser Land zu leisten vermögen.
Für uns als Abgeordnete gilt bei alledem das, was der spanische Schriftsteller und Moralist Baltasar Gracián schon
im 17. Jahrhundert den Politikern geraten hat: „Wert haben und ihn zu zeigen vermögen, heißt zweimal Wert haben: Was nicht gesehen wird, ist, als ob es nicht da wäre.“
Da ich schon zu Beginn der letzten Wahlperiode, also schon vor fünf Jahren, zu den wenigen MdLs gehörte, die eine E-Mail-Adresse und eine Homepage anzubieten hatten,
stehe ich heute nicht nur als Alterspräsident, sondern gleichsam auch als „Online-Oldy“ oder „Online-Grufti“ oder „Online-Opa“ vor Ihnen. Dies gibt mir auch die Berechtigung, Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen, das Internet als Medium und Handwerkszeug für mehr Bürgernähe ans Herz zu legen.
Ob das Internet unsere Demokratie und ihre Willensbildungsprozesse revolutionieren wird, wissen wir heute noch nicht, und es wird auch in diesem Zusammenhang manch schöner Traum zerplatzen. Das Internet ist jedoch zweifellos eine Plattform, um mit den flexiblen, mobilen, ungebundenen und aufgeschlossenen Bürgerinnen und Bürgern zu kommunizieren, um Vorurteile abzubauen und die aktive Einmischung in die unterschiedlichen Interessen zu fördern, um unsere individuellen Leistungen als Abgeordnete detailliert darzustellen, sodass unsere Lichter weniger unter dem Scheffel der omnipräsenten Fraktionsvorsitzenden stehen.
Spätestens im zurückliegenden Wahlkampf ist praktisch jede und jeder von uns online gegangen. Unsere Homepages dürfen jetzt nicht zu Denkmälern veröden. Das wäre fatal für das Ansehen dieses Hauses, das wäre auch fatal für das Ansehen der Abgeordneten, nicht nur, aber insbesondere den Jüngeren gegenüber.
Wir sollten in die Pflege unserer Angebote investieren, also stets bemüht sein, den Nutzwert, das Informationsangebot und die Kontaktmöglichkeiten zu verbessern. Ich bin sicher, bei der schon jetzt gegebenen Netzdichte wird sich dies auch lohnen.
Freilich, wir wollen nicht den virtuellen Abgeordneten; das kann nicht unser Ziel sein. Unsere Arbeit wird weiterhin in der Realität und nicht im Cyberspace stattfinden. Politik lässt sich nun einmal nicht digitalisieren.
Zum Wesen der Politik gehört, dass sie sich im herkömmlichen Sinne öffentlich vollziehen muss. Nur so ist die notwendige Akzeptanz für die Willensbildung und das Treffen allgemein verbindlicher Entscheidungen zu erreichen. Das bedeutet: Die politische Berichterstattung in den Zeitungen, im Radio und im Fernsehen behält die zentrale Bedeutung.
Deshalb möchte ich die Mitglieder der Landespressekonferenz und alle sonstigen landespolitischen Berichterstatter nochmals ganz herzlich in meine Begrüßung einschließen. Sie, meine Damen und Herren, bestimmen wesentlich mit, was von unserem Tun als Abgeordnete wahrgenommen wird, und vor allen Dingen, wie es in der Öffentlichkeit wahrgenommen wird – zumal Sie oft besser als wir Abge
ordneten überschauen, wie Informationen zustande kommen und in welchem Zusammenhang diese Informationen stehen.
Die Auswahl der Themen und die Art und Weise, wie Sie Sachverhalte darstellen, Probleme erörtern, parlamentarischen Streit und Konsens beleuchten oder Persönliches in den Blickpunkt rücken, lenken das öffentliche Interesse und beeinflussen damit auch die Wertschätzung des Parlaments, der Mitglieder des Parlaments, aber auch unseres Föderalismus insgesamt.
Das stellt hohe Anforderungen an journalistische Sachkunde, Objektivität und menschliche Fairness. Wir sind gewiss, dass Sie auch den 13. Landtag von Baden-Württemberg verantwortungsbewusst und in Übereinstimmung mit dem selbst gewählten Leitbild des Dolmetschers zwischen Parlament und Bürger begleiten werden.
Möge uns gemeinsam zweierlei gelingen: dass wichtige Kontroversen hier im Parlament und nicht nach dem PingPong-Prinzip der medialen Fernsehduelle ausgetragen werden und dass sich der parlamentarische Prozess nicht in einem ungewissen „Durcheinander von Stimmen auflöst“, wie dies unser früherer Kollege Lord Ralf Dahrendorf einmal befürchtete. Und dies ist mein Wunsch an Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen, für Ihre Arbeit in der 13. Legislaturperiode.
Die Mitarbeiter des Landtags und die Mitarbeiter der Fraktionen, die sich motiviert und aufgeschlossen in diese gemeinsame Arbeit einbringen, leisten einen Gutteil an diesem Erfolg. Damit möchte ich mich auch bei dieser Gelegenheit bei denen bedanken, die hinter der Bühne wertvolle Arbeit leisten.
Nach § 3 Abs. 2 der Geschäftsordnung des 12. Landtags werden die Geschäfte, solange der Landtag nichts anderes beschließt, nach den Bestimmungen der Geschäftsordnung des vorangegangenen Landtags geführt.
Die Fraktionen haben sich darauf geeinigt, dass der 13. Landtag die Geschäftsordnung des 12. Landtags in der Fassung vom 1. Juni 1989, geändert durch Beschluss vom 11. Dezember 1997, vorläufig weiter anwendet, mit einigen geringfügigen Änderungen, die sich aus Abschnitt I des Ihnen vervielfältigt vorliegenden Vorschlags ergeben (Anlage 1). Ein Text der Geschäftsordnung liegt ebenfalls auf Ihren Tischen.
Mir ist von den Fraktionen angezeigt worden, dass das in § 4 Abs. 6 geregelte Wahlverfahren bezüglich der Vizepräsidenten von der vorläufigen Übernahme der Geschäftsordnung ausgenommen werden soll, weil hierzu Anträge eingebracht werden. – Sie nehmen dies so zur Kenntnis. Die entsprechende Geschäftsordnungsdebatte soll unter Tagesordnungspunkt 3 geführt werden.
Dies bedeutet, dass jetzt bei der vorläufigen Übernahme § 4 Abs. 6 der Geschäftsordnung ausgespart werden soll.
Meine Damen und Herren, wer der vorläufigen Übernahme der Geschäftsordnung mit dieser Maßgabe und mit den in Abschnitt I des Vorschlags aufgeführten Änderungen zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. – Danke. Gegenprobe! – Enthaltungen? – Das Haus hat der vorläufigen Übernahme der Geschäftsordnung mit den in dem Vorschlag enthaltenen Änderungen einstimmig zugestimmt.
Meine Damen und Herren, im Abschnitt II des Vorschlags wird vorgeschlagen, eine interfraktionelle Kommission mit dem Auftrag einzusetzen, dem Landtag eine Empfehlung für die Geschäftsordnung des 13. Landtags vorzulegen. Darf ich feststellen, dass Sie auch dem Zweiten Abschnitt des Vorschlags zustimmen? –
Gemäß § 3 Abs. 4 der Geschäftsordnung muss zunächst die Beschlussfähigkeit des Landtags festgestellt werden. Ich bitte Frau Abg. Dr. Stolz, den Namensaufruf vom Rednerpult aus vorzunehmen.
Meine Damen und Herren, ich bitte Sie, sich bei dem Aufruf Ihres Namens kurz zu erheben und mit einem deutlichen „Hier“ zu antworten.
Ist noch eine Abgeordnete oder ein Abgeordneter im Saal, die nicht aufgerufen wurden? – Das ist nicht der Fall. Dann ist der Namensaufruf beendet.
Meine Damen und Herren, der Namensaufruf hat ergeben, dass 128 Abgeordnete und damit alle Abgeordneten anwesend sind. Der Landtag ist somit beschlussfähig.