Protocol of the Session on November 23, 2000

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Der uns vorliegende Landesjugendbericht ist der erste, der nach dem neuen Kinder- und Jugendhilfegesetz zu erstellen war. Lassen Sie, Frau Bender, in dieser Sache deshalb etwas Gnade walten.

(Abg. Birgitt Bender Bündnis 90/Die Grünen: Na ja, bei der Regierung!)

Wenn Sie sagen, es handle sich lediglich um eine statistische Ansammlung von Dingen, so sollten Sie bedenken: Es ist der erste Bericht nach dem neuen Kinder- und Jugendhilfegesetz. Die Berichterstattung kann sich ja noch verbessern.

(Abg. Christine Rudolf SPD: Sie haben dafür aber vier Jahre Zeit gehabt!)

Der Bericht ist außerdem nicht isoliert zu betrachten, Frau Bender, sondern muss zeitlich und inhaltlich im Zusammenhang mit dem Bericht der Enquetekommission „Kinder in Baden-Württemberg“ aus der letzten Legislaturperiode, mit dem Kinderbericht aus der letzten Legislaturperiode, mit dem Bericht der Enquetekommission „Jugend – Arbeit – Zukunft“, mit dem Familienbericht und mit dem Bericht der Zukunftskommission „Gesellschaft 2000“ gesehen werden.

Hier gibt es etliche thematische Überschneidungen. Allerdings möchte ich lobend hervorheben: Es bestand das Bemühen, im Jugendbericht nicht all das, was in den anderen

genannten Berichten bereits aktuell festgehalten ist, noch einmal zu sagen. Vielleicht war auch dies Ihr Kritikpunkt.

(Zuruf des Abg. Zeller SPD)

Ausgeklammert ist allerdings der Bereich der behinderten Jugendlichen. Aus dem Blickwinkel der Jugendhilfe hätte nur ein kleines Bruchstück dieses besonderen und auch wichtigen Bereichs beleuchtet werden können. Es ist daher zu begrüßen, dass dieses Thema, wie von der Landesregierung angekündigt, noch einmal umfassend aufgegriffen wird.

Aber – das möchte ich hier ganz bewusst auch sagen – auch behinderte Jugendliche sind Jugendliche. Wir sollten sie nicht ständig als Außenseiter und als Sonderlinge behandeln.

(Zuruf der Abg. Christine Rudolf SPD)

Ich bin deshalb der Meinung: Integration von behinderten Jugendlichen setzt dort an, wo man gemeinsam und nicht getrennt einen solchen Bericht erstellt.

Meine Damen und Herren, der Jugendbericht liefert ein aktuelles Bild der Lebenssituation und der Bedingungen junger Menschen in Baden-Württemberg. Er gibt eine umfassende Darstellung der von dieser Landesregierung und den sie tragenden Fraktionen im Bereich der Kinder- und Jugendhilfe auf den Weg gebrachten Maßnahmen und Leistungen, und er zieht vor dem Hintergrund des gegebenen bzw. erreichten Standes Folgerungen und gibt Empfehlungen für die weitere jugendpolitische Arbeit in unserem Lande.

Beim Jugendplan hervorzuheben sind: Auf der Basis des Kinder- und Jugendhilfegesetzes des Landes sind in dieser Legislaturperiode für die Kinder- und Jugendhilfe vielfältige neue Impulse gegeben worden. Hierzu gehört die Unterstützung der gemeinwesenorientierten Jugendarbeit, die es aufgrund dezentraler und/oder kooperativer Ansätze erlaubt, niederschwellige Angebote der Hilfe und der Beratung zu machen, die daher auch frühzeitig und damit präventiv genutzt werden. Innerhalb dieser gemeinwesenorientierten Jugendarbeit hervorzuheben ist die verstärkte Förderung der Zusammenarbeit von Jugendhilfe und Schule, wie schon erwähnt, nicht nur, aber insbesondere in Form der Schulsozialarbeit, zu deren finanzieller Unterstützung das Land erhebliche Anstrengungen unternommen hat. Frau Bender, 6,5 Milliarden DM sind eingestellt worden.

(Abg. Birgitt Bender Bündnis 90/Die Grünen: Mil- liarden?)

Entschuldigung, Millionen. – Dies ist aber zunächst einmal eine primäre Aufgabe der Kommunen. Dass sie es allein nicht schaffen, ist uns klar. Ich sage Ihnen klipp und klar, Frau Bender: Allen, die mit Jugendarbeit zu tun haben, ist klar, dass wir aus der Schulsozialarbeit wohl nicht aussteigen können und dass es auch nicht bei diesen 6,5 Millionen DM bleiben kann. Die Arbeit ist insofern gut, als verschiedene Schulen, die Schulsozialarbeiterinnen oder Schulsozialarbeiter haben, behaupten, dass es bei ihnen weniger Schülerinnen und Schüler gebe, die in das BVJ

kommen, sprich eine Ausbildungsmöglichkeit erhalten, und dass im Vergleich zu anderen Schulen weniger Gewalt angewendet werde. Ich war vor kurzem in einer Schule in Mössingen-Bästenhardt und habe mir das zusammen mit den Trägern vor Ort angeschaut.

Diese Erfahrungen und die auch sonst vor Ort belegten positiven Wirkungen der Schulsozialarbeit, Frau Bender, lassen daher nur einen Schluss zu – ich habe es schon einmal erwähnt –: Die Unterstützung des Landes muss weitergeführt und zugleich ausgebaut werden.

Der Jugendbericht stellt fest, dass sich die aktuellen Anforderungen an die Jugendhilfe weiter erhöht haben. Ein Grund dafür ist sicher die Zunahme von Problemlagen, und zwar insbesondere, wie im Bericht ebenfalls ausdrücklich festgestellt worden ist, in Familien mit allein erziehendem Elternteil sowie bei ausländischen und ausgesiedelten Kindern und Jugendlichen.

Ein anderer, für die Jugendpolitik des Landes nicht minder bedeutsamer Grund ist freilich die Tatsache, dass niederschwellige Angebote, dass frühzeitiges Erkennen möglicher Problemsituationen und die frühzeitige Wahrnehmung entsprechender Beratungs- und Hilfsangebote natürlich die Anforderungen in diesem Bereich nach oben schnellen lassen.

Meine Damen und Herren, Prävention zahlt sich aber nicht nur unter finanziellen Gesichtspunkten aus; es ist auch ein Gebot der Menschlichkeit, der Nächstenliebe, gefährdende Entwicklungen nach Möglichkeit erst gar nicht einsetzen zu lassen und ihnen so früh wie möglich entgegenzuwirken. Das ist das eigentliche Motiv der Schulsozialarbeit, von deren weiterem Ausbau ich gesprochen habe. Dasselbe gilt zum Beispiel auch für die Angebote an Tagesbetreuung. Die Bedeutung der verlässlichen Halbtagsgrundschule

(Abg. Birzele SPD: Gibt es doch nicht! Es heißt doch „verlässliche Grundschule“!)

sei in diesem Zusammenhang angesprochen. Dies gilt nicht minder für alle Maßnahmen und Angebote, die geeignet sind, die Familien und ihre Selbsthilfekräfte zu unterstützen und zu fördern.

Der Jugendbericht zieht eine positive Bilanz des in dieser Legislaturperiode, Herr Birzele, nicht zuletzt auch aufgrund der Enquetekommission „Jugend – Arbeit – Zukunft“ Geleisteten, und er zeigt die Felder konkret auf, auf denen wir aus heutiger Sicht in die Zukunft hinein weiterarbeiten können und müssen. In diesem Sinne ist er ein wichtiges Instrument für eine weiterhin erfolgreiche Jugendpolitik des Landes.

Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der FDP/DVP und der CDU)

Das Wort hat Herr Abg. Käs.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! In der Tat – wir haben ja jetzt den Landesjugendbericht 2000 und quasi einen Nachbericht bzw. eine Nachschau im Hinblick auf die schon über eineinhalb Jahre zurückliegende Jugendenquete – ist es Zeit, Bilanz zu ziehen und einmal nachzusehen, was im Einzelnen konkret erfolgt ist.

Beide Berichte sind außerordentlich umfangreich und enthalten eine Fülle von Hinweisen auf Aktivitäten der Regierung, auf neu eingesetzte Mittel und auf neu eingesetzte oder neu beschlossene Maßnahmen verschiedenster Art.

Insgesamt aber – da muss man auch einmal einen Dialog mit den betroffenen Jugendlichen gegenüberstellen – kommt insbesondere bei den Problemgruppen relativ wenig davon an. Hier setzt der Kritikpunkt an. Wir haben ja die Probleme in der Jugend nicht bei den engagierten Jugendlichen oder bei gut ausgebildeten Jugendlichen, zum Beispiel Abiturienten, sondern wir haben Probleme bei ethnischen Minderheiten, wir haben Probleme bei schlecht ausgebildeten Jugendlichen, wir haben bei körperlich oder sonst in irgendeiner Form benachteiligten Jugendlichen eine ganze Reihe von Problemen. Hier sehe ich relativ wenig neue Ansätze, sondern ich sehe im Prinzip ein „Weiter so wie bisher“. Wenn man sich die Autorenfraktionen der Großen Anfrage ansieht – CDU, SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP/DVP –, stellt man fest, dass hier offensichtlich ein großer Konsens der beharrlichen Fortsetzung der bisherigen Politik stattfindet. Und was ich bisher von den anderen Oppositionsfraktionen gehört habe, erweckt ja auch nicht den Eindruck, als werde hier grundsätzliche Kritik an dem „Weiter so wie bisher“ geübt.

Ich möchte einmal ein paar Einzelaspekte herausgreifen. Wir haben in Baden-Württemberg sicherlich nicht so wie in den neuen Bundesländern zum Beispiel ein Problem der Jugendarbeitslosigkeit. Das ist natürlich kein Problem, das junge Abiturienten betrifft. Denen kann man sagen: „Studiert Informatik, studiert einen Beruf aus der neuen ITBranche, und euch stehen alle Türen offen.“ Aber wir haben ein Problem am anderen Ende der gesellschaftlichen Skala. Da sehe ich noch große Hürden, die zu überwinden sind.

Ich habe seinerzeit in meinem Beitrag zum Abschluss der Jugendenquete auf einen Fall hingewiesen – darauf möchte ich noch einmal eingehen –, der mir für die grundsätzlichen strukturellen Probleme doch sehr symptomatisch erscheint. Ich war im Zuge dieser Jugendenquete auch in Mannheim und bin dort mit einer jungen Frau ins Gespräch gekommen, die schwer lernbehindert war, geistig aber durchaus fit, jedoch aufgrund ihrer Probleme nicht einen hoch qualifizierten Beruf anstreben konnte, sondern in der Tat nur Küchenhilfe werden wollte. Die erzählte mir aus der Mannheimer Situation die Lebensrealität, in der sie sich befindet. Sie kommt als Küchenhilfe in Mannheim nur sehr schwer unter, weil die Gastronomie für jemanden wie sie keine Aufnahmefähigkeit besitzt. Ich habe damals darauf hingewiesen – dann kam gleich wieder: ja, ja, das alte Thema –, dass es ein Problem ist, auch dass wir jetzt noch Probleme haben, in einer sich mittlerweile in vielen Teilen ethnisch strukturierenden Wirtschaft, vor allem in den großen Städten, leistungsbehinderte deutsche Jugendliche angemessen unterzubringen. Die Frau hat mir gesagt: Bei einem griechischen Wirt komme ich nicht unter, bei einem türkischen Wirt komme ich nicht unter, und die deutsche Gastronomie ist nur High-Level-Gastronomie. Die Frau hat mir ihre Probleme in dieser Weise geschildert.

(Abg. Renate Rastätter Bündnis 90/Die Grünen: Also nur noch gut bürgerlich!)

Ich habe diesen Fall auch in der Zeit danach weiterverfolgt und stelle fest, dass dieselben Probleme nach wie vor bestehen. Ich stelle auch fest, dass in der Beantwortung der Großen Anfrage und im Landesjugendbericht entsprechende Themen nicht aufgegriffen worden sind bzw. dass keine logischen Ansätze da sind.

Jugendgewalt wird hier in diesem Haus und auch draußen in der Öffentlichkeit – der zweite Aspekt – auf rechte Gewalt oder Gewalt von Rechts, wie auch immer, beschränkt. Das Grundproblem, dass diese Jugendgewalt ein Reflex auf unsere Gesellschaft ist, auf eine Big-Brother-orientierte Gesellschaft, wo nachmittags um fünf Uhr der erste Mord im Fernsehen passiert, das ist in der Tat hier vollkommen ignoriert worden.

(Beifall bei den Republikanern – Abg. Zeller SPD: Das ist ungeheuerlich!)

Man muss doch in der Tat einmal schauen, was für Leitbilder hier transportiert werden. Da sehe ich bei all dem, was hier zu lesen war, wenig substanzielle Gegenmaßnahmen.

(Beifall bei den Republikanern)

Der nächste Aspekt: ausländische Jugendliche, wobei hier in falscher Weise, wie ich meine, die Spätaussiedler aus Russland in denselben Topf kommen und im selben Zusammenhang diskutiert werden. Die sind natürlich auch ein Problem. Sie haben Integrationsprobleme. Sie sind jetzt in der dritten Generation weitgehend integrationsunwillig. Ich finde in den Papieren keine konkrete Angabe, wie man gerade mit jenen ausländischen Jugendlichen umzugehen gedenkt, die mittlerweile ganz offen erklären, dass sie kein Interesse mehr haben, Integration wahrzunehmen. All diese Angebote, die hier genannt werden – Sprachschule, Integrationsförderung –, sind Maßnahmen, die einen Dialog voraussetzen. Das heißt, sie müssen auch angenommen werden.

(Abg. Zeller SPD: So ein Geschwätz!)

Was aber soll mit solchen Jugendlichen, die diese Maßnahmen gar nicht annehmen wollen, geschehen? Ich sehe hier keinen entscheidenden und vernünftigen Ansatz.

Summa summarum, meine Damen und Herren: Dieser Jugendbericht und die Antwort auf die Große Anfrage sind in der Tat eine vollständige Zusammenfassung der bisherigen Politik. Ich sehe keine weiteren neuen kreativen Ansätze, die über das „Weiter so wie bisher“ hinausgehen. Deshalb halte ich dieses insgesamt für einen Versuch, der nur in Teilen erfolgreich war, dessen Ansätze gerade die Problemgruppen oftmals gar nicht in der Weise erreichen, wie man das jetzt insbesondere von den Rednern der anderen Fraktionen hier öfters hört.

Danke.

(Beifall bei den Republikanern)

Das Wort hat Frau Abg. Blank.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Eineinhalb Jahre nach Abschluss der Enquetekommission „Jugend – Arbeit – Zu

kunft“ ziehen wir heute Bilanz über die Verwirklichung der damals verabschiedeten Handlungsempfehlungen.

Wenn ich mir die Bilanz anschaue, dann stellt sich mir deutlich dar, dass wir die Empfehlungen mit allen finanziellen Auswirkungen im Doppelhaushalt 2000/2001 umgesetzt haben. Herr Braun, ich würde mir wünschen, dass man dies zur Kenntnis nimmt, und zwar positiv zur Kenntnis nimmt, und nicht versucht, in den Krümeln zu suchen.

Ich gehe nicht auf Ihre fünf Punkte im Gesamten ein, sondern ich nehme drei Punkte heraus, wo ich einfach das Gefühl habe, da muss ich widersprechen. Wir haben ja auch Publikum. Deshalb darf das so nicht stehen bleiben.

Sie haben davon gesprochen, Integrationsförderung hätten wir vorher gekürzt, was Sprachförderungen anbelangt. Wir haben nicht gekürzt. Wir haben durch die Enquetekommission 3,5 Millionen DM für diese Integrationsmodelle und die Sprachförderung neu eingesetzt. Allerdings haben wir – da gebe ich Ihnen Recht – beim muttersprachlichen Unterricht gekürzt. Aber – das sage ich auch ganz deutlich – das haben wir absichtlich getan, weil wir der Auffassung sind, dass wir den bei uns lebenden ausländischen Jugendlichen unsere Sprache vermitteln sollten, damit sie hier in unserer Gesellschaft einen anständigen Ausbildungsplatz bekommen.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP)