Protocol of the Session on November 23, 2000

Das Wort erhält Herr Abg. Dr. Witzel.

Sehr geehrter Herr Präsident, meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte zunächst einmal wieder zum Thema, dem eigentlichen Gesetzentwurf, kommen. Es gibt einen Spruch, der heißt: Was lange währt, wird endlich gut. Das trifft auch für diese Debatte über das Kenntnisgabeverfahren zu. Ich habe nachgezählt: Wir haben mittlerweile die sechste Debatte, in der die Frage diskutiert wird, ob wir das Kenntnisgabeverfahren brauchen oder ob das Baugenehmigungsverfahren ausreicht. Dieses Verfahren hätte erheblich verkürzt werden können, denn seit drei Jahren liegt ein Gesetzentwurf von uns Grünen vor, in dem das dauerhafte Wahlrecht, das jetzt die Regierung auch vorschlägt, gefordert wird. Wir begrüßen es daher, dass die Landesregierung mit ihrem Gesetzentwurf im Wesentlichen auf grüne Positionen einschwenkt.

Zur Begründung will ich nur kurz etwas sagen: Man kann in Zukunft dauerhaft zwischen dem Genehmigungsverfahren und dem Kenntnisgabeverfahren wählen. Wenn man wählen kann, dann bedeutet das unter dem Strich: Keiner wird schlechter gestellt, sondern jeder kann das Verfahren wählen, das für ihn am geeignetsten ist. Das heißt, es ist im Grundsatz eine Verbesserung, und diese Wahlmöglichkeit ist von uns auch immer wieder gefordert worden. Wir freuen uns, dass der Gesetzentwurf der Landesregierung dies jetzt auch als einen zentralen Punkt herausstellt.

Im Detail haben wir insbesondere zu den Formulierungen in § 51 noch Änderungsvorschläge. Dazu, meinen wir, sind in unserem Gesetzentwurf bessere Formulierungen enthalten. Das ist aber eher eine Sache für den Ausschuss.

Bei den weiteren Punkten – Teilungsgenehmigung und Regelung der Bauproduktenrichtlinie – können wir dem zustimmen, was im Gesetzentwurf der Landesregierung steht. Das sind ja mehr formale Sachen. Dies begrüßen wir auch im Sinne einer Vereinfachung am Bau.

Jetzt komme ich zu dem Punkt, den auch Herr Moser eben aufgegriffen hat, zur Barrierefreiheit beim Bauen. Auch wir vermissen, dass dazu keinerlei Regelungen in diesem Gesetzentwurf getroffen werden. Auch wir mahnen da einen Bedarf an. Wir haben in der Landesbauordnung gute Regelungen für die Barrierefreiheit bei öffentlichen Gebäuden, aber für den privaten Wohnungsbau fehlen noch Regelungen für barrierefreies Bauen. Wir alle können alt und gebrechlich werden. Treppenstufen, zu enge Türen und Ähnliches können dann zu Hindernissen werden, falls wir einmal an den Rollstuhl gebunden sein sollten. Wir wollen

allen Menschen, die an den Rollstuhl gebunden sind, auch eine Teilhabe am öffentlichen Leben, einen Zugang nach draußen verschaffen.

Dazu brauchen wir einen gewissen Bestand an barrierefreien Wohnungen. Unser Vorschlag steht nach wie vor im Raum. Er lautet einfach: Wenn ein Haus mehr als vier Wohnungen hat, dann soll jede vierte Wohnung barrierefrei sein. Das heißt, wenn ein Haus vier Geschosse hat, dann muss der Architekt dafür sorgen, dass das Erdgeschoss barrierefrei erreichbar ist. Dann muss er einfach etwas breitere Türen einbauen – Herr Moser sagte es schon.

(Abg. Capezzuto SPD: Höhere!)

Höhere für Leute ab 2,20 Meter, ja.

(Abg. Capezzuto SPD: Zum Beispiel!)

Herr Capezzuto, lieber Kollege, es gibt auch Leute, die noch unter Normtüren passen. Das Entscheidende für Leute mit Rollstuhl ist, dass sie entsprechende Türenbreiten brauchen sowie entsprechende Flächen, auf denen sie in der Wohnung mit ihrem Rollstuhl manövrieren können. Das lässt sich bei guter Architektur auch ohne zusätzliche Kosten verwirklichen. Und wenn es um Hochhäuser geht: Bei mehr als vier Geschossen muss sowieso ein Aufzug her; somit kann man auch dort die Barrierefreiheit praktisch ohne zusätzliche Kosten erreichen.

Meine Damen und Herren, ich darf zusammenfassen: Zu dem Thema Kenntnisgabeverfahren freuen wir uns, dass hier eine grüne Position mehrheitsfähig wird. Zu dem anderen, der Barrierefreiheit, darf ich noch einmal auf den Missstand hinweisen. Wir werden daran arbeiten, dass hier in Zukunft Verbesserungen eintreten.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der SPD – Abg. Capezzuto SPD: Bravo!)

Das Wort erhält Herr Abg. Kiel.

(Abg. Dr. Puchta SPD: Fritz, jetzt zeig, was ein Li- beraler ist!)

Das mache ich. – Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen, meine Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir Liberalen wollen die Gewähr für höchstmögliche architektonische, ja, ich sage es freimütig, künstlerische Qualität beim Bauen. Wer gute Architektur will, braucht nicht nur die baurechtliche Prüfung, sondern auch das eingehende Fachgespräch zwischen Architekt und Bauverwaltung. Den bewusst gewollten, zumindest in Kauf genommenen Wegfall des Planergesprächs beim Kenntnisgabeverfahren bedauern wir.

(Zuruf des Abg. Bebber SPD)

Unsere Forderung aus dem Jahr 1995, das Genehmigungsverfahren wenigstens wahlweise neben das von der Regierung vorgeschlagene Kenntnisgabeverfahren zu stellen, wurde damals abgelehnt. Lediglich die Übergangsregelung der Möglichkeit der Wahl zwischen dem herkömmlichen Verfahren und dem Kenntnisgabeverfahren wurde übernommen. Dabei könnte man es doch auf Dauer Bauherren und Architekten selbst überlassen, ob sie im Einzelfall den ver

meintlich leichteren Weg des Kenntnisgabeverfahrens, den vermeintlich leichteren Weg – das möchte ich betonen – eines vereinfachten Genehmigungsverfahrens gehen wollten.

(Abg. Bebber SPD: Was haben Sie in Ihrer Ge- meinde angestellt?)

Das habe ich im Jahre 1995 gesagt. Ich habe diesen Teil herausgenommen, um deutlich zu machen: Erstens, Herr Dr. Witzel, habe ich das nicht erst vor drei Jahren, sondern schon vor fünf Jahren sehr deutlich gesagt.

(Abg. Dr. Witzel Bündnis 90/Die Grünen: Das ist eine lange Geschichte!)

Damals kam es sogar zu einer namentlichen Abstimmung mit einer weit über die Zahl der Oppositionsmitglieder hinausgehenden Zustimmung zu diesem – –

(Abg. Dr. Witzel Bündnis 90/Die Grünen: Aber vor drei Jahren haben Sie unseren Entwurf abge- lehnt!)

Aus dem Grunde, weil wir noch andere Dinge, die jetzt mit geregelt werden sollen, mit regeln wollten.

(Abg. Dr. Witzel Bündnis 90/Die Grünen: Ah ja! Peanuts!)

Ich meine, es ist manchmal ganz gut, wenn man nachweisen kann, dass einen sein Geschwätz von gestern dennoch etwas angeht.

(Zuruf des Abg. Moser SPD)

Manch einer, der jetzt bereit ist, zuzustimmen, hat eben eine weiter gehende Erkenntnis bekommen, obwohl die Fakten vor fünf Jahren schon in gleicher Weise vorgelegen haben. Aber gut, es ist ja noch nicht zu spät, und ich freue mich, dass das Genehmigungsverfahren jetzt auf Dauer möglich bleibt. Denn die Argumente sprechen sehr dafür.

Herr Staatssekretär, die Zahlen, die Sie vorhin genannt haben, haben mich insofern nicht überzeugt, als ich aus der Praxis heraus weiß, wann ein Kenntnisgabeverfahren in der Regel angewandt wird und wann nicht. Ich weiß natürlich auch die Bauten im Kenntnisgabeverfahren durchgehend zu bewerten. Ich weiß auch zu bewerten, wo gute Architektur an der Tagesordnung ist und wo im Lande mehr nach 08/15 gebaut wird und das Kenntnisgabeverfahren in größeren Gebäuden tatsächlich angewandt wird. Aber wie dem auch sei, es ist ja nicht zu spät.

Ich möchte noch zwei, drei Dinge sagen. Frau Kollegin Brenner, wissen Sie, in solchen fachlichen Fragen ist nicht das Ministerium zuständig, sondern in erster Linie sind die Kommunen zu fragen.

(Abg. Dr. Carmina Brenner CDU: Aber die fragen immer bei uns! – Abg. Dr. Puchta SPD: Die Land- räte vor allen Dingen!)

Die Landräte bzw. die Oberbürgermeister sind die Richtigen, je nachdem, um welche Größenordnung es sich handelt.

(Zuruf des Abg. Moser SPD)

Ein Zweites möchte ich sagen, Herr Kollege Moser.

(Zuruf des Abg. Kluck FDP/DVP – Gegenruf des Abg. Moser SPD: Halten Sie sich raus mit Ih- rem – –)

Hören Sie wenigstens zu! Ich bin der Meinung, Sie haben Recht, wenn Sie beim barrierefreien Bauen etwas anmahnen. Wenn Sie aber bereit sind, einmal nachzulesen, was gerade aus Ihrer Fraktion, Herr Kollege Moser, vor fünf Jahren gesagt worden ist, wird Ihnen deutlich, dass man damals sehr wohl gesagt hat: Wir wollen in erster Linie das Bauen billiger machen und wollen deshalb in diesem Bereich nichts tun.

Nach meiner Auffassung kann man auch nicht so einfach sagen, Herr Kollege Witzel: Wenn in einem Haus vier Wohnungen sind, muss ebenerdig auf jeden Fall barrierefrei gebaut werden. Es gibt genügend Gebiete in BadenWürttemberg, wo Sie nicht mehr bauen könnten,

(Abg. Moser SPD: Es muss pragmatische Lösun- gen geben!)

wenn Sie auf jeden Fall einen ebenerdigen Zugang schaffen müssten. In vielen Fällen müssen Sie eben eine ganze Reihe von Stufen hochgehen, um in den erdgeschossigen Bereich zu kommen. Das ändert aber nichts daran, dass es dort gemacht wird, wo es möglich ist.

(Abg. Moser SPD: Wo es im Grundsatz möglich ist!)

Damit bin ich einverstanden; nur absolut kann man es nicht fordern.

(Abg. Dr. Witzel Bündnis 90/Die Grünen: Man muss erst einmal einen Grundsatzbeschluss fassen; dann kann man die Ausnahmen regeln!)

Die Maßnahme ist bisher jeweils daran gescheitert, dass man sie absolut gefordert hat und nicht bereit war, in die Gesetzgebung eine Relativität aufzunehmen.

Ich meine, meine sehr verehrten Damen und Herren, wir alle können sehr froh sein, dass wir jetzt noch rechtzeitig auf einen guten Nenner gekommen sind. Wir haben nie vergessen, das immer wieder zu fordern, und ich bin froh, dass es jetzt in die Tat umgesetzt werden kann.

(Beifall bei der FDP/DVP und der Abg. Dr. Car- mina Brenner CDU)

Das Wort erhält Herr Abg. Schonath.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Der vorliegende Gesetzentwurf zur Änderung der Landesbauordnung war in ähnlicher Form bereits zweimal Gegenstand von Beratungen hier im hohen Haus. Nach der Novellierung der Landesbauordnung trat am 1. Januar 1996 eine neue Bestimmung in Kraft. Neben dem herkömmlichen Baugenehmigungsverfahren wurde das so genannte Kenntnisgabeverfahren eingeführt. Für ganz bestimmte Baugebiete entfiel für die Bauherrschaft und die

Architekten das ganze Prozedere eines Baugenehmigungsverfahrens. Die Bauherren können nämlich schon mit dem Bauen beginnen, nachdem sie die zuständige Behörde von der geplanten Bauabsicht in Kenntnis gesetzt haben.