Protocol of the Session on October 25, 2000

Bevor ich Tagesordnungspunkt 3 aufrufe, begrüße ich unter unseren Gästen auf der Zuhörertribüne besonders die Parforcehornbläsergruppe aus Schömberg.

(Beifall im ganzen Haus)

Diese Bläsergruppe hat in den letzten Jahren bei verschiedenen Landeswettbewerben vordere Plätze belegt. In diesem Jahr haben die Parforcehornbläser aus Schömberg beim Landesbläsertreffen des Landesjagdverbands in Bad Urach den ersten Platz in der Kunststufe errungen. Herzlichen Glückwunsch!

(Beifall im ganzen Haus – Zurufe: Bravo!)

Sie werden uns zu Beginn der Mittagspause im Foyer des Landtagsgebäudes ein Ständchen spielen. Allerdings muss ich darauf hinweisen, dass dies noch etwas auf sich warten lassen wird, weil wir zuerst noch Tagesordnungspunkt 3 behandeln.

Ich rufe Punkt 3 der Tagesordnung auf:

Antrag der Fraktion der CDU und Stellungnahme des Ministeriums für Umwelt und Verkehr – Streichung

von Interregio-Verbindungen in Baden-Württemberg durch die Deutsche Bahn AG und die Rolle der rot-grünen Bundesregierung – Drucksache 12/5594

Das Präsidium hat folgende Redezeiten festgelegt: für die Begründung fünf Minuten und für die Aussprache fünf Minuten je Fraktion, gestaffelt.

Wem darf ich von der Fraktion der CDU das Wort erteilen? – Herr Abg. Scheuermann, Sie haben das Wort.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Tatsache, dass mit dem neuen Sommerfahrplan der Bahn wesentliche Bestandteile des Interregioverkehrs wegfallen sollen, ist die Grundlage für diese Debatte. Bundesweit sollen 18 Millionen Zugkilometer eingespart werden, davon entfallen 2,6 Millionen auf Baden-Württemberg.

Ich stelle fest: Wenn es darum geht, Wohltaten zu verteilen, dann berücksichtigt die Bundesregierung oder die Bahn AG Baden-Württemberg unterproportional. Wenn Schandtaten wie der Wegfall einer eingeführten Zuggattung zu verteilen sind, werden wir überproportional bedacht: 2,6 Millionen Zugkilometer von 18 Millionen belegen, dass Baden-Württemberg überproportional betroffen ist.

(Abg. Kiefl CDU: Das ist eine Sauerei! – Abg. Ingrid Blank CDU: Eine Riesensauerei!)

Was bedeutet das jetzt für uns in Baden-Württemberg? Unser Verkehrsministerium hat errechnet, dass von den 2,6 Millionen Zugkilometern 1,9 Millionen Zugkilometer für die Aufrechterhaltung des Integralen Taktfahrplans unabdingbar sind. Es besteht hoffentlich in diesem Haus Einigkeit darüber, dass die Ausrichtung unseres Nahverkehrs am Integralen Taktfahrplan die Grundlage dessen ist, was wir als erfolgreiche Renaissance des öffentlichen Personennahverkehrs in Baden-Württemberg bezeichnen. Ich stelle schlicht und einfach fest: Der Wegfall des Interregios ist ein Angriff auf den Integralen Taktfahrplan.

(Beifall der Abg. Dr. Vetter CDU und Veigel FDP/ DVP)

Ich verstehe, meine Damen und Herren, wenn in BadenWürttemberg landauf, landab dagegen protestiert wird. Diese Proteste sind berechtigt, aber ich sage dazu: Wenn jeder Zweite, der unterschrieben hat und protestiert, auch ab und zu einmal Interregio fahren würde, dann hätten wir wahrscheinlich das Problem nicht,

(Abg. Dr. Salomon Bündnis 90/Die Grünen: Auch richtig!)

und wenn wir es hätten, hätten wir es nicht in dem Ausmaß, wie wir es jetzt haben.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und des Abg. Veigel FDP/DVP)

Für die Erhaltung eines Zuges ist die Abstimmung mit der Fahrkarte immer noch das probateste Mittel.

(Beifall der Abg. Maurer SPD und Kretschmann Bündnis 90/Die Grünen – Abg. Maurer SPD: Ja- wohl!)

Meine Damen und Herren, an dieser Stelle muss man auch einmal etwas zur Politik der Bahn sagen.

(Abg. Kiefl CDU: Schlechte Politik!)

Wer meint, man würde eine erfolgreiche Bahnpolitik betreiben, wenn man die Ausrichtung an der Wirtschaftlichkeit oder, ich kann auch sagen, das Herbeiführen der Börsenfähigkeit, koste es, was es wolle, zur obersten Richtschnur nimmt, der ist falsch gewickelt.

(Beifall bei der CDU und beim Bündnis 90/Die Grünen sowie bei Abgeordneten der SPD – Abg. Maurer SPD: Sie sind ein Sozialist, Herr Kollege! – Abg. Kiefl CDU: Richtig!)

Die Bahn hat uns, meine Damen und Herren, im Güterverkehr vorgeführt, wohin das führt.

(Abg. Maurer SPD: Ein verkappter Sozialist sind Sie!)

Ein Ast um den anderen ist abgeschnitten worden,

(Abg. Stolz Bündnis 90/Die Grünen: Der Scheuer- mann wird immer besser!)

und heute spielt der Güterverkehr bei der Bahn in der Gesamtbewältigung des Gütertransports leider fast keine Rolle mehr. Wenn es bei der Bahn so weitergeht, dann gilt das bald auch für den Personenverkehr.

Ich kann von dieser Stelle aus Herrn Mehdorn nur raten, sich einmal zum Beispiel in der Schweiz umzusehen. Dort ist oberstes Prinzip nicht die Wirtschaftlichkeit, sondern dort ist oberstes Prinzip die Kundenfreundlichkeit. Wenn die Bahn nicht zur Kundenfreundlichkeit zurückkehrt, wird sie Schiffbruch erleiden.

(Beifall bei der CDU sowie Abgeordneten der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen)

Noch ein Wort zu Dr. Schnell, dem Konzernbeauftragten der Deutschen Bahn für Baden-Württemberg. Er hat, wenn stimmt, was in der Zeitung steht, gesagt, die Interregios von Ulm nach Friedrichshafen bräuchten eine durchschnittliche Besetzung von 200 Personen und hätten nur 160. Nun unterstelle ich einmal, das sei richtig. Zieht denn dann ein vernünftiger Wirtschaftsunternehmer die Konsequenz und trifft die Entscheidung, zu sagen: „Dann lasse ich auch 160 Leute im Regen stehen“? Das ist doch überhaupt nicht normal. Normal ist, sich auch um die restlichen 40 durch ein vernünftiges Marketing und durch ein vernünftiges Angebot zu kümmern.

(Beifall bei allen Fraktionen)

Herr Dr. Schnell, wenn Sie Ihre Aufgabe als Konzernbeauftragter nicht nur als Sprachrohr von Herrn Mehdorn in Baden-Württemberg, sondern auch einmal umgekehrt als Sprachrohr baden-württembergischer Interessen bei der Konzernspitze verstünden, dann dürften Sie so etwas nicht sagen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU – Abg. Dr. Sa- lomon Bündnis 90/Die Grünen: Genau! Wir ma- chen Sie zum Nachfolger von Mehdorn!)

Was ist denn, meine Damen und Herren, die rechtliche und die politische Bedeutung dessen, was auf uns zukommt?

Rechtlich – das ist der Inhalt unseres Antrags – meinen wir, dass nach Artikel 87 e Abs. 4 unseres Grundgesetzes der Bund als Eigentümer der Bahn nicht einfach zulassen kann, dass, aus welchen Gründen auch immer, Personenfernverkehr so nachhaltig beeinträchtigt wird, wie es jetzt mit der Einschränkung des Interregioverkehrs der Fall ist.

Die politische Bedeutung sehe ich darin, dass wir hier in diesem Haus einmütig sagen: Wenn uns überhaupt Maßnahmen zur Verfügung stehen, um die ungeheure Zuwachsprognose im Straßenverkehr einigermaßen zu bewältigen, dann muss ein Teil des für die Straße prognostizierten Zuwachses auf der Schiene stattfinden,

(Beifall des Abg. Kleinmann FDP/DVP)

und dann ist die Einschränkung des Schienenverkehrs zu diesem politischen Ziel einfach kontraproduktiv.

(Beifall bei der CDU, der FDP/DVP und beim Bündnis 90/Die Grünen sowie bei Abgeordneten der SPD – Abg. Drautz FDP/DVP: Sehr gut! Bra- vo!)

Meine Damen und Herren, das letzte Problem, das ich ansprechen möchte, ist die Frage: Was bleibt zu tun? Zunächst einmal finde ich verräterisch, was geschehen ist, als vom Land aus das Angebot gemacht worden ist, die Differenz zwischen den Einnahmen im Interregioverkehr und dem Punkt der Wirtschaftlichkeit durch das Land zu erstatten: Brüske Ablehnung von der Bahn! Was steckt denn dahinter? Wenn Sie sich mit jemandem von der Bahn unterhalten, der einen Einblick hat und der weiß, dass man ihn nicht verrät, dann sagt der: Der ganze Hintergrund der Einschränkung des Interregioverkehrs ist darin zu suchen, dass die Bahn im IC-Verkehr rollendes Material fährt, das so alt ist, dass es ausgemustert werden muss. Weil man sich angeblich neuen Ersatz nicht leisten kann, brauche ich die Erste-Klasse-Wagen der Interregiozüge, die auch schon uralt sind, um die noch älteren im IC-Verkehr zu ersetzen.

(Abg. Dr. Caroli SPD: Und die Loks!)

Das ist wohl der Hintergrund. Dann sollte man von der Bahn aus auch so ehrlich sein und das den Kunden so sagen und ihnen nicht ein X für ein U vormachen wollen.

Zweitens: Meine Damen und Herren, egal, was wir unternehmen, zum Fahrplanwechsel 2001 wird überhaupt nichts passieren, außer dass die Züge wegfallen, weil niemand in der Lage ist, von jetzt bis zum Juni 2001 überhaupt Material zur Verfügung zu stellen, damit in irgendeiner Form Ersatz geschaffen werden kann. Wer Ihnen etwas anderes sagt, der macht Ihnen, glaube ich, wieder ein X für ein U vor.

Dritte Bemerkung, die ich machen wollte, und zwar an Herrn Fischer von der SPD und an einen Teil der Grünen: Die haben gesagt: Das Land bekommt 500 Millionen DM Regionalisierungsmittel im Jahr mehr, als ihm unbedingt zustehen; nehmt einen Teil dieses Geldes und schafft den Ersatz. Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich habe

immer noch gemeint, unsere Aufgabe hier sei in erster Linie, Interessen von Baden-Württemberg zu vertreten.

(Beifall bei der CDU und des Abg. Kleinmann FDP/DVP)

Das ist alles andere, als baden-württembergische Interessen zu vertreten; denn das würde bedeuten, dass wir einen Teil des Nahverkehrs, den wir bisher mit den 500 Millionen DM durchführen, entfallen lassen müssten, um dafür Ersatz für Interregios zu finanzieren.

(Glocke des Präsidenten)