Herr Präsident, ich bin gerade vom Geschäftsführer der CDU wegen einer Verfahrensfrage aufgehalten worden.
Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Diskussion über die Videoüberwachung ist zu Beginn dieses Jahres sehr kontrovers verlaufen. Wir wollten durch unsere Anträge zur Versachlichung und zu einer Struktur in der Diskussion beitragen und wollten auch erreichen, dass Positionen geklärt und erläutert werden. Wir jedenfalls wollten noch einige Eckpunkte setzen, die unserer Meinung nach unerlässlich sind, wenn man die Videoüberwachung einführt. Durch unseren Antrag geben wir auch implizit zu erkennen, dass wir für die Videoüberwachung an öffentlichen Straßen und Plätzen sind.
Von einigen Fachleuten wurde ja so getan, als ob diese Videoüberwachung bei der Verbrechensbekämpfung der Stein der Weisen wäre. Dem ist natürlich nicht so. Die Videoüberwachung ist lediglich ein kleines Mosaiksteinchen zur Bekämpfung der Kriminalität auf öffentlichen Straßen und Plätzen. Sie kann unserer Meinung nach aber auch dazu beitragen, das subjektive Sicherheitsempfinden zu erhöhen.
Unserer Meinung nach ist die Videoüberwachung sinnvoll, wenn sie die polizeiliche Präsenz erhöht, wenn dadurch präsente und nicht nachträgliche Überwachung stattfindet, wenn nicht sichtbare, aber vermutete strafbare Handlungen vermieden werden können, und dies eben durch einen beobachtenden Beamten, der dann sofort, das heißt ohne schuldhaftes Zögern, den Eingriff durch Polizeibeamte veranlasst.
Dies erfordert natürlich eine Änderung des Polizeigesetzes. Aber es erfordert unserer Meinung nach auch – das ist viel wichtiger – ein Einsatzkonzept. Es kommt eben nicht nur darauf an, dass hier Investitionen in die Hardware getätigt werden, sondern es kommt darauf an, wenn jemand beobachtet, dass diese beobachtende Person dann auch veranlassen kann, dass sofort eingegriffen wird und das Ziel erreicht werden kann, nämlich dass Kriminalität sofort verfolgt und geahndet werden kann.
Die Gretchenfrage für den Bereich der Polizei ist natürlich: Woher nehme ich denn die Beamten, die dafür tätig sein sollen?
Das Innenministerium, Herr Schäuble, hat auf diese Frage keine Antwort gegeben. Es hat auch die Frage nicht beantwortet, wie die Videoüberwachung in ein polizeiliches Handlungskonzept eingebaut werden soll und wie man mit ihr letztendlich das subjektive Sicherheitsempfinden erhöhen kann.
Unstreitig ist, dass dadurch, dass pro Anlage in Standardausrüstung 100 000 DM aufgewendet werden müssen, die Wirtschaft angekurbelt wird und sich die Finanzminister freuen; denn sie bekommen dadurch Steuern. Aber dies ist ja nicht der Sinn des Ganzen, sondern der Sinn des Ganzen ist es, durch den Einsatz der Videoanlagen im Rahmen der kommunalen Kriminalprävention – da gebe ich Ihnen Recht – tätig zu werden.
Notwendigerweise fallen Kosten an, und Sie, Herr Schäuble, sagen: Diese Kosten sollen die Ortspolizeibehörden, das heißt die Gemeinden und Städte, tragen, so nach dem Motto „Wer das haben will, soll auch dafür bezahlen“.
Uns muss klar sein: Wenn wir die Frage des Ob und des Wann der kommunalen Seite überlassen, spielen natürlich kommunalpolitische Überlegungen bei der Entscheidung darüber, wo das System eingeführt werden soll, eine große Rolle. Wir wissen aber, dass Kommunalpolitiker – Sie waren ja einer, Herr Schäuble – Gruppeninteressen viel stärker unterworfen sind als wir im Parlament. Deshalb halte ich es nicht für richtig, die Entscheidung der kommunalen Seite zu überlassen.
Die Kriminalitätsbekämpfung ist in erster Linie eine Aufgabe des Staates, und alle Maßnahmen, die in diesem Bereich ergriffen werden, soll dann auch der Staat, das heißt das Land, bezahlen. Dies wäre sachgerecht. Es wäre sachgerecht, dass für die Videoüberwachung ausschließlich der Polizeivollzugsdienst zuständig ist. Nur er verfügt auch über das erforderliche Sachwissen. Er kann veranlassen, dass dann, wenn etwas gesehen wird, ein Beamter eingreift, und er kann den Einsatz vor Ort koordinieren.
Dies ist, Herr Schäuble, kein Widerspruch zur kommunalen Kriminalprävention, wenn der Polizeivollzugsdienst über das Ob und das Wie entscheidet. Wir können und sollten die Kommunen einbeziehen.
Ein weiterer Punkt, mit dem wir nicht zufrieden sein können, ist die Art, wie das Innenministerium mit dem Rechtsstaatsprinzip bzw. dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zur Rechtfertigung der Grundrechtseingriffe umgeht. Wir wissen seit dem so genannten Volkszählungsurteil, dass das Grundrecht auf informelle Selbstbestimmung als Ausfluss des allgemeinen Persönlichkeitsrechts jedem Einzelnen die Entscheidung überlässt, wann und innerhalb welcher Grenzen er persönliche Sachverhalte offenbart.
Unstreitig aber ist, dass die Videoüberwachung in Grundrechte eingreift. Je nach der Art des Eingriffs wird in die Grundrechte mehr oder weniger eingegriffen. Zum Beispiel ist der Eingriff umso stärker, je länger die aufgezeichneten Daten aufbewahrt werden, ist der Eingriff umso stärker, je eher es möglich ist, dass eine Person durch die Aufzeichnung technisch identifiziert wird.
Das heißt, hier gilt es abzuwägen. Da verwundert es mich schon, wenn einerseits in der Stellungnahme auf Seite 4 steht: „Die Aufzeichnungen werden nach einer kurzen, für die Auswertung zu Zwecken der Gefahrenabwehr und Strafverfolgung aber ausreichenden Frist gelöscht“, und andererseits der Fraktionsvorsitzende der CDU verkündet, 14 Tage, also 336 Stunden, seien ausreichend, aber auch notwendig. Wenn ich den Anhörungsentwurf zur Ände
rung des Polizeigesetzes richtig im Kopf habe, ist dort von zwei Tagen, das heißt 48 Stunden, die Rede.
Auch wenn man das, was Herr Oettinger gesagt hat, nicht überbewerten soll, muss man sich trotzdem die Frage stellen, welche Bedeutung dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit als Element unseres Rechtsstaatsprinzips beigemessen wird. Ich merke, Herr Kollege Kiesswetter, dass Sie diese Probleme auch haben.
(Abg. Kiesswetter FDP/DVP: Wir haben sie gere- gelt! – Abg. Rapp REP: Sie haben aber auch ein Problem!)
Vielleicht gibt es aber, Herr Kiesswetter, auch in der Frage der Speicherung noch Bewegungsmöglichkeiten.
Manchmal soll man ja über den eigenen Horizont, über die Landesgrenzen hinausschauen – und Sie sollten das auch in diesem Punkt tun –,
diesmal allerdings nicht, wie bei der Altersteilzeit, nach Bayern, sondern nach Sachsen, nach Leipzig.
Die schauen nicht zu uns. Die Leipziger machen schon seit einigen Jahren Videoüberwachung im Bahnhofsbereich. Bei denen wird aber nur aufgezeichnet, wenn der Beamte etwas erkennt, was seiner Meinung nach strafwürdig ist. Da wird also nicht die Frage nach einer bestimmten Zeit gestellt, sondern gespeichert wird nur, wenn man die Aufzeichnung wirklich braucht. Das hätte wahrscheinlich auch den Erfolg, dass der Beamte genauer hinschaut und den Einsatz besser steuern kann.
Wir jedenfalls haben noch Hoffnung, dass sich hier etwas ändert. Wir wollen, dass die Videoüberwachung rechtlich verankert wird. Wir wollen Einsatzkonzepte. Sie müssen sich sonst den Vorwurf gefallen lassen, Sie würden nur plakativ, sprechblasenartig Gesetzgebung betreiben. Bisher jedenfalls, Herr Schäuble, meine Herren und Damen von der Koalition, haben Sie den Beweis nicht angetreten,
Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren Kollegen! Herr Kollege Redling, es ist schon ein Jammer: Der Gesetzentwurf liegt noch nicht einmal vor
(Abg. Oelmayer Bündnis 90/Die Grünen: Das liegt doch an der Landesregierung und nicht am Kolle- gen Redling!)
wir diskutieren jedenfalls noch nicht einmal über den Gesetzentwurf –, da haben Sie schon tausend Bedenken, Einwendungen, Befürchtungen und was noch alles.
Mannheim und sein Oberbürgermeister machen es Ihnen vor, und er weiß, warum. Wann erkennen Sie endlich, dass wir eine moderne Polizei mit moderner, ja modernster Technik haben und dass wir, wenn das wirklich seine volle Wirkung entfalten soll, auch ein modernes Polizeigesetz brauchen? Wir haben zwar ein modernes, aber dies kann nur als ein Mosaikstein weiter in die Zukunft entwickelt werden.