Protocol of the Session on July 19, 2000

Lassen Sie mich als letzten Punkt noch die Bildung ansprechen. Ich glaube, dass Bildungspolitik mit einem ganz ehrlichen Umgang mit den Fakten beginnen muss.

(Abg. Haas CDU: Das gilt für die ganze Politik! – Zuruf des Abg. Scheuermann CDU)

Was mich stört, ist, dass im Augenblick diese Fakten nicht auf den Tisch gelegt werden, um Defizite, die bei uns im Schulsystem vorhanden sind, zu verstecken. Wir werden im kommenden Schuljahr, im Schuljahr 2000/2001, 20 000 Schüler mehr haben. Diese werden in die Schulen kommen und müssen unterrichtet werden. Wir haben Unterrichtsausfall. Der Unterricht ist nicht garantiert. Nicht einmal der Unterricht ohne Ergänzungsbereiche ist in diesem Land garantiert.

(Abg. Zeller SPD: So ist es!)

Deshalb müssen wir im Bereich der Unterrichtsversorgung sofort handeln und nicht erst später.

Ich will einmal ein Beispiel aus Karlsruhe nennen, das mir heute Morgen mitgeteilt wurde. In Karlsruhe ist jetzt entschieden worden, dass in so genannten sozialen Brennpunkten Folgendes geschieht: Die bis jetzt für so genannte Brennpunktschulen zusätzlich gewährten 20 Deputatsstunden Sozialzuschlag werden ersatzlos gestrichen. Projektzuschläge, zum Beispiel für das LRS-Projekt, also das Lese-/ Rechtschreibschwäche-Projekt, werden ebenfalls gestrichen. Im neuen Schuljahr werden keine neuen fünften Klassen für Erziehungshilfe mehr eingerichtet. Die generelle Lehrerversorgung liegt gerade in diesen schwierigen Situationen bei 97 % und nicht in einem Bereich, wie wir ihn uns wünschen. Das heißt, wir haben gerade dort, wo wir vor allem aus pädagogischen Gründen einen Einsatz von Lehrkräften brauchen, erhebliche Defizite. Das, was ich hier vorgetragen habe, gilt eigentlich im Prinzip tendenziell für den gesamten Hauptschulbereich.

(Beifall bei der SPD)

Sie haben – das ist das, was mich so ärgert – über Tage hinweg in der Öffentlichkeit den Eindruck erweckt – Sie, Herr Oettinger, haben vorhin auch von mehr Lehrern gesprochen –,

(Abg. Oettinger CDU: Ja!)

als würden wir für dieses Schuljahr, wo wir Defizite haben, zusätzliche Lehrer in der Größenordnung von 940 einstellen. Nein, Sie verschieben das bis nach der Landtagswahl, wollen aber versuchen, vor der Landtagswahl positive Zustimmung zu erfahren. Deshalb sagen wir, wir werden Sie zwingen, und wir werden den Antrag stellen, dass wir diese Lehrerstellen, die wir dringend brauchen, jetzt schaffen, denn unsere Schülerinnen und Schüler brauchen sie jetzt und nicht erst im nächsten Schuljahr.

(Beifall bei der SPD – Zuruf des Abg. Pfisterer CDU)

Dann, Herr Finanzminister, auch noch zur Frage der ehrlichen Bestandsaufnahme in der Bildungspolitik. Ich will nur ein Beispiel nennen. Sie haben gesagt, Baden-Württemberg stehe mit den Bildungsausgaben ganz an der Spitze. Wir sind uns doch hoffentlich einig, dass der richtige Bezugspunkt das Bruttoinlandsprodukt, also die Wirtschaftskraft des jeweiligen Landes ist.

(Abg. Haasis CDU: Was hat das Bruttoinlandspro- dukt mit der Zahl der Lehrer zu tun? – Gegenruf des Abg. Dr. Salomon Bündnis 90/Die Grünen: Mit den Ausgaben des Landes!)

Entschuldigung, es geht hier um Bildungsausgaben für diesen Bereich. Herr Haasis, mit Ihnen brauche ich doch über dieses Thema nicht zu diskutieren.

(Abg. Sieber CDU: Doch, gerade mit dem müssen Sie diskutieren! – Abg. Haasis CDU: Das Brutto- inlandsprodukt hat mit der Zahl der Lehrer nichts zu tun!)

Das Land Nordrhein-Westfalen hat wesentlich mehr Lehrer als wir. Das ist aber auch verständlich, weil es wesentlich größer ist. Was sollten denn diese absoluten Zahlen? Es ist doch ein absoluter Unsinn, solche Vergleiche zu machen.

(Abg. Haasis CDU: Auf die Schülerzahl beziehen! – Dem Redner wird das Ende der Redezeit ange- zeigt.)

Ich bin gleich fertig, Herr Präsident.

Die Frage ist: Was geben wir, bezogen auf unsere gesamtwirtschaftliche Leistung, in diesem Land für die Bildung aus?

(Abg. Zeller SPD: So ist es! – Abg. Kluck FDP/ DVP: Länderfinanzausgleich!)

Da sehen die Zahlen so aus: Wir liegen mit 2,48 % gegenüber dem Gesamtdurchschnitt von 2,65 % unter dem Durchschnitt, und wir liegen im Vergleich zu den Flächenländern – man kann die Stadtstaaten nicht immer einbeziehen – auch deutlich unter dem Durchschnitt. Baden-Württemberg liegt in der Bildungspolitik eben nicht an der Spitze, sondern wir haben im Vergleich mit anderen Ländern einiges nachzuholen.

(Beifall bei der SPD – Abg. Haasis CDU: Das ist derselbe Vergleich, wie wenn Sie die Intelligenz der Abgeordneten an der Höhe der Diäten messen würden!)

Deshalb sage ich Ihnen: Nutzen Sie nach außen die Chancen unseres Landes, indem Sie endlich den Bundesrat als ein kooperatives Element entdecken, wo Sie die Landesinteressen und nicht die Parteiinteressen vertreten. Machen Sie im Land endlich den Schritt, der notwendig ist, etwa in der Bildung, indem Sie das Defizit an unseren Schulen sofort abbauen und den Abbau nicht auf das nächste Jahr verschieben.

(Lebhafter Beifall bei der SPD)

Das Wort erteile ich Frau Abg. ErdrichSommer.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Vor wenigen Wochen haben wir als grüne Fraktion einen Nachtrag gefordert, um Überschüsse und Mehreinnahmen in diesem Land zu etatisieren und konsequent für den Schuldenabbau zu nutzen. Erstaunlich schnell kam der Herr Finanzminister unseren Forderungen nach, so schnell, dass ein Verfahren gewählt wurde, das man Parlamentariern fast nicht zumuten kann.

(Abg. Pfister FDP/DVP: Was ist so schlimm an diesem Verfahren?)

Dieses Verfahren erfordert, dass wir innerhalb kürzester Zeit einen Nachtrag durchdiskutieren und eine Sondersitzung machen müssen.

(Abg. Pfister FDP/DVP: Das stimmt!)

Herr Pfister, das ist natürlich ein Verfahren, das für eine so gewichtige Frage und so hohe Geldbeträge nicht in Ordnung geht.

(Abg. Dr. Salomon Bündnis 90/Die Grünen zur CDU: An einem Tag habt ihr uns für verrückt er- klärt, und am nächsten Tag habt ihr es gemacht!)

Herr Brechtken hat viel zum Verfahren gesagt. Ich möchte mich der Sachfrage zuwenden. Die Finanzlage hat sich verbessert, sie hat sich besser entwickelt als erwartet: 1,7 Milliarden DM Überschuss im Jahr 1999, ungefähr 960 Millionen DM Mehreinnahmen, die Sie jetzt für die Jahre 2000 und 2001 veranschlagen. Das sind erfreuliche Ergebnisse, meine Damen und Herren. Ich muss aber sagen, wenn hier so getan wird, als ob das die Landesregierung von BadenWürttemberg verursacht habe: Das waren die Bürgerinnen und Bürger des Landes und der Fleiß und die Unternehmenskraft der Bürger hier, das war keine politische Sache, meine Damen und Herren.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen – Abg. Wei- ser CDU: Gilt das für den Bund auch?)

Erfreulich ist auch, dass die Steuerreform in trockenen Tüchern ist. Da können Sie jetzt unken, wie Sie wollen: Das ist positiv. Wenn Sie die Zeitungen lesen, werden Sie kaum negative Erklärungen finden, sondern die Wirtschaft auf breitester Front und die Bürgerinnen und Bürger sind froh, dass dieser Steuerreform jetzt endlich zum Erfolg verholfen wurde.

(Abg. Haas CDU: Die wären auch 1998 froh ge- wesen!)

Sie sagten, die Landesregierung sei nicht bestechlich. Das stimmt. Aber man könnte auch als stur bezeichnen, was hier passiert ist. Aus dem heute in der „Frankfurter Allgemeinen“ erschienenen Bericht wird ziemlich klar, dass sich die weniger reichen Länder schon lange an ihre CDU-Kollegen gewandt und dort nachgefragt haben, ob es nicht eine Möglichkeit gäbe, Hilfen zu starten, weil sie die Steuerreform in ihren Auswirkungen so nicht verkraften könnten. Da war aber Funkstille. Die Solidarität der CDU-regierten Länder untereinander ist dürftig bis schauerlich. Sie haben mit dem Länderfinanzausgleich im Grunde die Solidarität mit ihren eigenen Kollegen in den Ländern aufgegeben. Meine Damen und Herren, das, was stattfindet, ist, wie ich finde, eine ganz fatale und schlimme Entwicklung, dass Länder untereinander nicht mehr einsehen, dass dadurch die Nordländer und hauptsächlich die Länder, die im Osten liegen, sehr große Schwierigkeiten haben, ihre Länderhaushalte einigermaßen vernünftig zu finanzieren. Wir sind da Gott sei Dank in einer wesentlich besseren Position.

Im vorgelegten Haushalt werden nun für die Steuerreform Rückstellungen gebildet, und zu diesen Rückstellungen habe ich zwei große Fragenkomplexe.

Die erste Frage lautet: Warum Rückstellungen und nicht Schuldenabbau? Streng finanztechnisch betrachtet ist es relativ gleichgültig, ob ich die 1,7 Milliarden DM – bzw. es sind ja tatsächlich 1,5 Milliarden DM – Überschuss, die noch nicht etatisiert sind, in die Rückstellungen gebe oder ob ich sie zum Schuldenabbau verwende. Fakt ist doch, dass Sie – was Sie jetzt wollen – in dieser Höhe zuerst Kredite aufnehmen und dann das Geld in den Grundstock legen. Meines Erachtens ist die große Frage, ob dies wirtschaftlich sinnvoll oder nicht sinnvoll ist. Hier kommt es

auf das Kreditmanagement an. Ich hoffe, Sie werden uns im Finanzausschuss exakte Vorlagen dazu geben, ob es tatsächlich vernünftig ist, zuerst Kredite aufzunehmen, die dann auch finanziert werden müssen, und die Mittel dann in den Grundstock zu legen und entsprechend zinsbringend anzulegen. Sie müssen uns schon sagen, was daran finanztechnisch vernünftig ist.

Die zweite, wesentlich spannendere Frage ist: Wie groß sind denn tatsächlich die Auswirkungen der Steuerreform? Ich wundere mich schon: Sie verwenden für die Einnahmen die tatsächlichen Werte für die Jahre 2000 und 2001, aber die Auswirkungen der Steuerreform belassen Sie so, wie sie durch die ursprünglich im Bundestag verabschiedete Steuerreform entstanden wären. Zwischenzeitlich sind aber, wie Sie ja selbst sagen, aufgrund Ihres Drucks einige Veränderungen durchgegangen; dafür haben die FDP und die CDU ja entsprechend viel getan – das muss man auch einmal sagen. Dies hat aber Auswirkungen auf die Höhe der Steuermindereinnahmen.

Ich möchte schon wissen, wie Sie uns heute einen Haushalt mit einer Steuermindereinnahme in Höhe von ungefähr 1,7 Milliarden DM vorstellen können. Das Bundesfinanzministerium spricht ja von wesentlich höheren Zahlen. In den einschlägigen Wirtschaftszeitungen wird schon veröffentlicht, wie viel Steuermindereinnahmen auf die einzelnen Länder zukommen. Das betrifft Baden-Württemberg bei Gott stärker als mit 1,7 Milliarden DM. Ich möchte schon gerne wissen, wie Sie dies finanzieren. Es ist doch eine fatale Situation, dass wir einen Haushalt verabschieden, bei dem Sie so tun, als ob Sie alles im Griff hätten. Sie stellen alles zurück; wir haben Mehreinnahmen, die aber tatsächlich kreditfinanziert sind. In Wirklichkeit werden auf uns wesentlich größere Steuereinbrüche zukommen. Es heißt doch immer: Wenn Bürgerinnen und Bürger entlastet werden, wenn die Wirtschaft entlastet wird, dann werden die Haushalte durch entsprechende Steuermindereinnahmen belastet. Das ist sonnenklar. Damit muss ich aber ehrlich umgehen und die richtigen Zahlen benennen; denn sonst bewegen wir uns in einer Grauzone, die von der Finanzseite her in keiner Weise zu verantworten ist.

Dann habe ich mich über das gewundert, was der Herr Finanzminister gesagt hat: 1,7 Milliarden DM werden aus den Rückstellungen veranschlagt, und damit haben wir die Auswirkungen der Steuerreform im Griff. Mir hat eine Aussage dazu gefehlt, wie er das in den darauf folgenden Jahren machen will; denn wir haben ja nicht nur Steuersenkungen in einem Jahr, sondern wir haben dauerhaft Steuersenkungen, die sogar von Jahr zu Jahr anwachsen. Die Entlastung wird größer, und damit wird die Belastung des Haushaltes größer. Davon wird kein Wort erwähnt.

Ich möchte gerne wissen, wie wir uns als Land dauerhaft auf die verminderten Steuereinnahmen einstellen. Dies kann mit der Rückstellung allein nicht getan sein. Deshalb fordere ich Sie auf, uns zu sagen, wie Sie den Konsolidierungskurs unter den veränderten Bedingungen, unter der veränderten Einnahmesituation strukturell angehen wollen. Diese spannende Diskussion muss bis zur Verabschiedung des Nachtragshaushalts tatsächlich stattfinden. Das müssen wir im Finanzausschuss klären. Ich hoffe, dass Sie dort in der Lage sind, uns ordentliche regionalisierte Zahlen der Belastungen durch diese Steuerreform vorzulegen.

Nach unserer Überzeugung muss folgende Richtung eingeschlagen werden: Wir müssen die Strukturen und die Ausgaben so verändern, dass die zu erwartenden Mindereinnahmen dauerhaft verkraftet werden können, ohne dass wir die Kreditlinie entscheidend erhöhen müssen. Wer im Bundesrat immer mehr Steuerentlastungen und Steuersenkungen fordert und zum Teil durchsetzt, der muss im Landeshaushalt sagen, welche Sparvorschläge er für die dadurch entstehenden Haushaltseinbrüche macht.

(Abg. Dr. Salomon Bündnis 90/Die Grünen: So ist es!)

Der Haken am vorgelegten Nachtrag ist, dass die Botschaft heißt: Wir haben mit den Rückstellungen alles im Griff. Damit weichen Sie den Konsolidierungskurs auf; denn in einem Jahr werden wir einen großen Einbruch zu verzeichnen haben, und wir werden dann fragen müssen, ob wir die Nettokreditaufnahme erhöhen müssen. Ich hoffe, dass wir dazu im Finanzausschuss und bei der nächsten Beratung ein bisschen mehr und substanziellere Zahlen vom Finanzminister vorgelegt erhalten. Ich finde es schon erstaunlich, dass man ohne weiteres als einfache Abgeordnete an die Zahlen herankommt, dass der Finanzminister aber so tut, als gäbe es diese nicht.

Politisch steht dieser Haushalt noch einmal auf einem anderen Blatt. Es ist ja ein Stück in zwei Akten. Heute werden die Mehreinnahmen etatisiert und die Jubelarien veranstaltet: Wir haben alles im Griff, wir sind Spitze,

(Abg. Kiel FDP/DVP: Genau!)

wir sind standhaft geblieben, wir haben die Steuerreform schon im Vorfeld völlig in der Tasche. Und morgen – das heißt nach der Landtagswahl – werden Sie einen Haushalt vorlegen, in dem Sie all die Gaben etatisieren, die Sie jetzt verteilen: für den Hockenheimring zum Beispiel, für die Privatuniversität, auch Iffezheim soll etwas kriegen, die Kur- und Bäderbetriebe stehen auf der Tagesordnung, das Landeserziehungsgeld und Stuttgart 21. Ich könnte diese Liste noch weiter fortsetzen. Das alles sind Versprechungen, die Sie jetzt ohne Gegenfinanzierung abgeben, die nach der Landtagswahl finanziert werden müssen. Das, was Sie uns da vorstellen, halte ich für ein sehr unseriöses Stück; denn, meine Damen und Herren, Sie geben Wahlversprechen auf Pump.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der SPD – Abg. Brechtken SPD: So ist es!)

Die beiden Ausgabepunkte, die Sie etatisiert haben, halte ich für korrekt.