Protocol of the Session on June 29, 2000

die Größenordnung richtig in Erinnerung habe – gibt es Freibeträge von 50 bis 300 DM. Die Regelung halte ich für zu sperrig. Sie bildet das Problem nicht mehr richtig ab.

Wir Grünen im Land treten auch gegenüber unserer Bundestagsfraktion für eine Freibetragsregelung ein, die einfacher und klarer ist und dem durchschnittlichen Feuerwehrmann, wenn sie richtig bewertet ist, garantiert, dass sein ehrenamtlicher Einsatz steuer- und sozialversicherungsfrei bezahlt werden kann.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und des Abg. Kleinmann FDP/DVP – Abg. Jacobi Bünd- nis 90/Die Grünen: Sehr gut!)

Dafür können wir uns bei unseren Kollegen in Berlin mit vollem Herzen verwenden.

Jetzt komme ich zu den Aufwandsentschädigungen für Führungskräfte. Daran hat sich ja die Debatte über die Sozialversicherungspflicht entzündet, und darin sehen wir auch das Problem, das vor uns liegt.

Wenn der Kreisbrandmeister im Landkreis Esslingen bisher 2 500 DM für seine ehrenamtliche Tätigkeit erhalten hat, muss es auch in der Politik erlaubt sein, nachzufragen, ob diese Tätigkeit tatsächlich nur rein ehrenamtlicher Art ist oder ob ein Teil der Tätigkeit dem Ehrenamt zuzurechnen ist – das ist, wie ich zugebe, unbestritten der Fall –, aber daneben vielleicht auch eine Teilprofessionalisierung vorliegt, die sich tatsächlich steuer- und sozialversicherungspflichtig abbilden muss. Das, glaube ich, steht auf der Tagesordnung; darüber müssen wir diskutieren. Das ist eine Problemlage, die nicht nur bei den Feuerwehren, sondern auch bei allen anderen ehrenamtlich Tätigen vorliegt.

Ehrenamt verändert sich. Wir brauchen mehr Ehrenamtliche. Wir brauchen aber auch ein verändertes Ehrenamt, weg von diesem Sozialcharakter, wo man für ein „Vergelt’s Gott!“ ehrenamtlich arbeitet, hin zu qualifiziertem Ehrenamt, das auf allen Ebenen und in allen Funktionen gesellschaftliche Tätigkeit wahrnimmt.

Dazu müssen wir uns überlegen: Was ist Professionalisierung, und was ist Ehrenamt? Diese Frage steht in den nächsten Jahren auf der Tagesordnung. Ich glaube, dass wir nicht zum letzten Mal über dieses Thema reden – nicht nur deshalb, weil man mit dem, was eine Bundesregierung anderer Couleur vorgelegt hat, nicht zufrieden sein kann, sondern auch deshalb, weil das Thema gesellschaftlich relevant ist und ganz intensiv und ernsthaft diskutiert werden muss.

Da finde ich es nicht hilfreich, dass in Ihrem Antrag mit sehr viel Polemik von „Hohn für das Ehrenamt in Feuerwehren“ gesprochen wird. Ich wünsche mir vielmehr, dass wir mit aller Ernsthaftigkeit über diese wirklich wichtigen Fragen des Ehrenamts diskutieren. Da kann ich Ihnen die Unterstützung meiner Fraktion zusichern. Da werden wir auch dem Ehrenamt einen wichtigen und gebührenden Platz einräumen.

(Beifall bei Abgeordneten des Bündnisses 90/Die Grünen)

Die Grundlage, die Sie hier vorlegen, kann ich aber nicht akzeptieren. Denn da muss eine andere Beratung vorausgehen.

(Zurufe der Abg. Haasis und Ingrid Blank CDU)

Wir werden uns dafür einsetzen. Aber wir werden Ihrem Antrag nicht zustimmen, denn er ist uns nicht ernsthaft genug.

Ich danke Ihnen.

(Beifall bei Abgeordneten des Bündnisses 90/Die Grünen)

Das Wort erhält Herr Abg. Dr. Noll.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Im Lob und im Dank an diejenigen, die sich in unserem Land bei Feuerwehren, Vereinen, Verbänden und Hilfsorganisationen ehrenamtlich engagieren, sind wir uns alle einig. Ich schließe mich dem ausdrücklich an.

(Beifall der Abg. Kleinmann FDP/DVP und Döp- per CDU)

Aber da hört die Einigkeit schon auf.

Wir müssen einmal zum Kern des Problems vorstoßen. Diese ganze Diskussion ist in der Tat eine Folge des unseligen 630-DM-Gesetzes. Sie, Herr Brechtken, haben wieder versucht, dieses Gesetz zu verteidigen. Mit diesem Gesetz haben Sie geringfügige Beschäftigung erstmalig sozialversicherungspflichtig gemacht.

Ich kritisiere noch einmal: Das Motiv war nicht, die betroffenen Menschen zu schützen, sondern Ihr Motiv war, zusätzlich abzukassieren.

(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der CDU – Zuruf des Abg. Jacobi Bündnis 90/Die Grünen)

Dieser zusätzliche Schutz wäre auch gar nicht notwendig.

Zweitens: Wenn Sie diese Regelungen richtig durchdacht hätten – wir haben Sie immer wieder darauf hingewiesen –, hätten Sie wissen müssen, dass auch unerwünschte Nebenwirkungen – wie genau der Punkt, über den wir heute diskutieren – auftreten würden.

Nun hat man in vagen Versprechungen immer wieder Nachbesserungen angekündigt. Ich darf mich auch da noch einmal auf Aussagen des Bundeskanzlers beim Augsburger Feuerwehrtag beziehen. Dort hat er wieder eine Nachbesserung versprochen. Das Zitat ist schon angeführt worden. Er hat zugesagt, dass man nachbessern werde. Nun kennen wir die Versprechen von Herrn Schröder in der Rentenpolitik, die er nicht gehalten hat, und die Versprechen den Zeitungsverlegern gegenüber, die er auch nicht gehalten hat. Wenn man dann ein zweites Zitat von diesem Augsburger Feuerwehrtag liest, muss man schon nachdenklich werden. Er sagte nämlich: „ Diese Regelung“ – die er jetzt verspricht – „wird nicht alle Wünsche und Träume erfüllen.“

(Abg. Kluck FDP/DVP: Aha! – Zurufe der Abg. Heiderose Berroth FDP/DVP und Christine Rudolf SPD)

Nachtigall, ich hör dir trapsen. Da erfolgt schon die Einschränkung.

Ich kann Ihnen sagen: Nicht nur wir von der Politik, sondern auch die vielen Tausende ehrenamtlich engagierten Menschen in Baden-Württemberg und in ganz Deutschland werden Ihnen in dieser Geschichte Dampf machen. Sie werden, denke ich, nicht von dem Versprechen entbunden werden.

(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der CDU)

Ich will auf einen zusätzlichen Punkt hinweisen, was die finanziellen Auswirkungen dieser Regelung betrifft. Es gibt auch noch das Thema Bürokratielasten. Dass Sie das im Bereich 630-DM-Gesetz bei der Wirtschaft, bei Kleinbetrieben, bei Freiberuflern überhaupt nicht berührt, wundert mich nicht mehr; das ist keine Frage. Aber dass Sie damit zusätzlich auch noch das Ehrenamt belasten, halte ich schon für einen Skandal.

(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der CDU)

Wenn Sie dabei bleiben, können Sie alle Ihre Sonntagsreden zur Förderung des ehrenamtlichen Engagements künftig einstampfen.

(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der CDU – Zuruf des Abg. Brechtken SPD)

Wenn Sie sich einmal mit der Befragung Ehrenamtlicher beschäftigen, an der auch Sie immer beteiligt sind, dann können Sie zwei zentrale Punkte erkennen. Einer davon ist deren Forderung: „Überhäuft uns nicht mit zusätzlicher Bürokratie!“ Schon aus diesem Grunde muss diese Regelung rückgängig gemacht werden.

(Abg. Brechtken SPD: Die sind ja schon abge- schafft, diese Regelungen!)

Der zweite Punkt: Mit dieser Regelung ist wirklich ein Einstieg in die Verwischung von Ehrenamt und Erwerbsarbeit eingeleitet. Das wird einen Dammbruch bedeuten.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP/DVP)

Genau dies wird am Ende Frust, Demotivation und, wie ich fürchte, ein langsames Sterben des Ehrenamts zur Folge haben.

(Abg. Kluck FDP/DVP: Totengräber! Totengrä- ber!)

Die ehrenamtlich Engagierten betonen immer wieder, es gehe ihnen nicht darum, für ihre ehrenamtliche Tätigkeit bezahlt zu werden. Aber sie wollen nicht auch noch Geld mitbringen müssen, um ihre ehrenamtliche Tätigkeit ausüben zu können.

(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der CDU – Minister Dr. Döring: Brillant!)

Genau dazu dienen die in aller Regel bescheidenen Aufwandsentschädigungen. Man hat schon ein bisschen das Gefühl, dass selbst in diesem Bereich wieder an Neidkomplexe appelliert wird.

(Oh-Rufe von der SPD)

Ja, es tut mir Leid. Der Bundeskanzler sagt, es gebe auch sehr hohe Aufwandsentschädigungen. Frau Kollegin Erdrich-Sommer hat hier den Kreisbrandmeister des Landkreises Esslingen genannt und von 2 500 DM Aufwandsentschädigung gesprochen. Sie hat gesagt, das könne keine Aufwandsentschädigung mehr sein.

(Abg. Marianne Erdrich-Sommer Bündnis 90/Die Grünen: Ich habe gesagt, das müsse geprüft wer- den, Herr Kollege!)

Das muss geprüft werden. – Frau Kollegin, in den Ohren Ehrenamtlicher klingt das wie ein Hohn. Vergleichen Sie das einmal mit der Höhe unserer Aufwandsentschädigungen im Parlament. Dann kommen Sie nämlich etwa auf diese Größenordnung.

(Abg. Brechtken SPD: Das ist das Dümmste, was es gibt! – Zuruf der Abg. Marianne Erdrich-Som- mer Bündnis 90/Die Grünen)

Sie versuchen also wieder abzulenken nach dem Motto „Ach, das betrifft nur einige wenige Große, die anderen sind nicht betroffen“. Das ist eben nicht der Fall. Was Sie gesagt haben, stimmt nicht. Das wird sehr viel mehr Feuerwehrmänner betreffen, weil das, was Sie nannten, für Feuerwehrleute, die nicht im Ausbildungsbereich tätig sind, überhaupt nicht zutrifft. Da streuen Sie Nebelkerzen; das werden wir nicht zulassen.

(Zuruf der Abg. Christine Rudolf SPD)

Da ich nun befürchte, dass Sie beim Thema 630-DM-Gesetz beratungsresistent sind und bleiben, fordere ich Sie auf, wenigstens im Bereich des Ehrenamts das, was der Bundeskanzler versprochen hat, schnellstmöglich umzusetzen. Ich fordere Sie auf, den Brief des Landesfeuerwehrverbands, den der Herr Kollege zitiert hat, nicht in den Briefkorb zu schmeißen,

(Abg. Deuschle REP: Papierkorb!)