Protocol of the Session on June 29, 2000

oder mit dessen Problemen stattfindet, warum macht man es dann nicht direkt und gibt dieses Geld in eine Opferstiftung oder auf anderem Weg an die Opfer, damit diese in der Tat etwas davon haben? Der Gesetzentwurf der Bundesregierung ist in unseren Augen opferfeindlich. Das muss man so direkt sagen.

(Beifall bei den Republikanern)

Er missachtet einseitig die Interessen der Opfer in diesem Gesamtzusammenhang. Man kann nicht die Interessen der Häftlinge für sich alleine betrachten. Das führt zu Ungerechtigkeiten. Das habe ich in der ersten Runde deutlich zu machen versucht, und das habe ich jetzt noch unterstreichen wollen.

Wir haben uns in der Tat – ich habe es vorhin schon gesagt – in den letzten Monaten ausführlich mit der Situation in den Justizvollzugsanstalten in Baden-Württemberg beschäftigt und dort auch verschiedene Einrichtungen besichtigt, auch Werkstätten und Arbeitsmöglichkeiten, die es dort gibt. Wir haben festgestellt, dass diese auf einem sehr, sehr hohen Stand sind: Buchbinderausbildungen werden gewährleistet, es gibt handwerkliche Fachbetriebe mit einem sehr breiten Spektrum. Hier geht das Land in einem große Maße in Vorleistung.

(Abg. Capezzuto SPD: Alles selbstverständlich!)

Wir haben in diesem Bereich bereits einen sehr hohen Standard erreicht. Auch das muss man nach meinem Dafürhalten in die Berechnungen einfließen lassen, wenn man sich Gedanken darüber macht, wie die Situation der Häftlinge verbessert werden kann. In dieser Hinsicht haben andere Bundesländer sicherlich Nachholbedarf. Deswegen geht mir auch – das muss ich in diesem Zusammenhang dazu sagen – der Länderentwurf noch zu weit. Für mich sind immer noch zu viele Elemente der Erleichterung und der Freiraumschaffung für Straftäter drin. Auch das sagte ich schon in der ersten Runde. Das ist der Kritikpunkt am Länderentwurf. Hier wird zu sehr am Element der Strafe abgetragen. Dieses Element darf aber nicht abgetragen werden, sondern dieses Element muss gewahrt werden.

Deswegen lehnen wir auch diesen Länderentwurf ab.

Ich bedanke mich.

(Beifall bei den Republikanern)

Das Wort erteile ich nochmals Herrn Justizminister Dr. Goll.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Es würde sich fast erübrigen, noch einmal dazu Stellung zu nehmen, weil das Wesentliche gesagt ist. Aber zu ein, zwei Punkten muss doch noch etwas gesagt werden.

Erstens: Lieber Herr Walter, als Sie die USA zitiert haben – –

(Abg. Walter Bündnis 90/Die Grünen: Das war Kollege Capezzuto!)

Verzeihung, Herr Capezzuto war es. – Als er die USA zitiert hat, ist mir fast das Blut in den Adern gestockt. Sie und andere waren dort.

(Abg. Capezzuto SPD: Ja!)

Es zeugt von einem unglaublichen Maß an Realitätsferne und leider auch von der Bereitschaft, diese Debatte unseriös zu führen, wenn Sie den amerikanischen Strafvollzug und seine Resozialisierungsleistungen mit unseren Verhältnissen vergleichen.

(Zuruf des Abg. Hans-Michael Bender CDU – Abg. Renate Thon Bündnis 90/Die Grünen: Das hat er nicht gemacht! – Abg. Capezzuto SPD: Mo- ment! Das ist ein ganz anderes Modell! – Zuruf des Abg. Göschel SPD)

Alle haben doch in der Zeitung gelesen, dass dort Sandhaufen von links nach rechts geschaufelt werden.

(Zuruf des Abg. Capezzuto SPD – Unruhe)

Ich kenne die Unterlage. Ich garantiere Ihnen: So viele Gefangene wie die, die Sie in diesem Projekt vorstellen können, und noch viel mehr arbeiten bei uns auch in einem Beschäftigungsverhältnis; die gehen auch als Freigänger raus. Das ist doch völlig klar.

(Abg. Capezzuto SPD: Das sind gar keine Freigän- ger! Es geht um das Modell!)

Das ist ja egal. Der Prozentsatz derer, die bei uns in einem festen Beschäftigungsverhältnis arbeiten und rausgehen, was ja meistens damit verbunden ist, und Gehalt kriegen, liegt, wenn Sie richtig hinschauen, bei uns wahrscheinlich noch viel höher als in den USA.

(Abg. Capezzuto SPD: Es geht um die Entlohnung, nicht um die Beschäftigung!)

Aber der entscheidende Unterschied ist, dass wir einen durchgängigen Resozialisierungsvollzug haben, der auf einem hervorragenden System basiert, das fast allen Arbeit verschafft. Ihre Vorschläge würden aber dazu führen, dass wir weniger Leuten Arbeit verschaffen könnten. Da beißt keine Maus einen Faden ab.

Das Zweite ist – dazu haben Sie, lieber Herr Walter, etwas gesagt –, dass immer zäh die angemessene Vergütung mit der angemessenen Anerkennung verwechselt wird. Sie haben mir sogar unterstellt, ich hätte etwas Falsches gesagt. Das habe ich aber nicht getan. Im Bundesverfassungsgerichtsurteil steht nicht „angemessene Vergütung“ – es ist im Prinzip von der Lohnvorstellung abgerückt –, sondern einfach „der Anreiz“; es soll eine angemessene Anerkennung, eine Prämie dafür sein, dass einer arbeitet. Das hat mit Lohn streng genommen überhaupt nichts zu tun, sondern eigentlich damit, dass ein Häftling nicht in der Zelle sitzt – dazu ist er sowieso verpflichtet –, sondern arbeitet, was die meisten sowieso tun, weil das spannender ist als in der Zelle zu sitzen.

Deswegen ist natürlich auch der längere Urlaub nach der Bundesregelung überhaupt nichts für einen Häftling, der dann eine Woche in der Zelle sitzen würde. Es ist natürlich

(Minister Dr. Ulrich Goll)

der größte Unsinn, den Urlaub zu verlängern und die Gefangenen in dieser Zeit in der Zelle hocken zu lassen.

(Heiterkeit bei der CDU und den Republikanern)

Wir sagen, dass sie wenigstens ein paar Tage ansparen können sollten, in denen sie am Ende einen Arbeitsplatz suchen können oder etwas früher herauskommen. Das ist Anerkennung; das erhöht den Anreiz, und deshalb ist das eine Umsetzung des Bundesverfassungsgerichtsurteils, auch wenn Sie zehnmal das Gegenteil behaupten.

Eines ist aber sicher: Ich habe selten ein Beispiel von so schlechtem Umgang des Bundes mit den Ländern erlebt wie diesmal.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP – Abg. Hans-Michael Bender CDU: So ist es! Richtig!)

Das müssen Sie sich schon einmal überlegen. Im letzten Jahr haben wir 16 : 0 beschlossen, und vor wenigen Wochen haben sich im Beisein der Bundesjustizministerin alle Länder – 16 : 0 – in Potsdam hinter dieses Ergebnis gestellt, welches wir hier versuchen Ihnen näher zu bringen. Und was machen Sie? Meines Erachtens bewegen Sie sich weitab von den Länderinteressen. Sie hätten überhaupt keine Probleme, es zu tun; denn alle Ihre Länder waren bei diesen 16 dabei. Stattdessen unterstützen Sie den Bund bei einem Versuch, mit den Ländern auf eine Weise umzugehen, wie man es nun wahrlich nicht tun sollte. Denn wer es so eilig hat und die Länder nicht mitreden lassen will, der kann kein überzeugendes Konzept haben.

Danke schön.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP – Zuruf des Abg. Walter Bündnis 90/Die Grünen)

Meine Damen und Herren, es liegen keine weiteren Wortmeldungen mehr vor. Die Aktuelle Debatte ist damit beendet und Punkt 1 der Tagesordnung erledigt.

Ich rufe Punkt 2 der Tagesordnung auf:

Antrag der Fraktion Die Republikaner und Stellungnahme des Innenministeriums – Richtlinienvorschlag der EU-Kommission betreffend das Recht auf Familienzusammenführung und dessen Auswirkungen auf Baden-Württemberg – Drucksache 12/5161

Das Präsidium hat folgende Redezeiten festgelegt: für die Begründung fünf Minuten, für die Aussprache fünf Minuten je Fraktion bei gestaffelten Redezeiten.

Das Wort zur Begründung erteile ich Herrn Abg. Dr. Schlierer.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Richtlinienvorschlag der EU-Kommission betreffend das Recht auf Familienzusammenführung ist ein 35 Seiten starkes Papier, das, wenn es denn so, wie es jetzt im Raum steht, umgesetzt würde, Deutschland und auch Baden-Württemberg eine neue Welle der Massenzuwanderung bescheren könnte.

Ergänzend muss man natürlich bei der Formulierung dieser Richtlinie dazu sagen: Es geht hier um Ausländer aus Nicht-EU-Staaten. Urheber dieses Papiers ist der sozialistische portugiesische Kommissar für Rechts- und Innenpolitik Antonio Vitorino. Im Mittelpunkt dieses Papiers steht die Forderung, dass Nicht-EU-Angehörige, die eine mindestens einjährige Aufenthaltsgenehmigung besitzen, nach höchstens einem Jahr Wartefrist Anspruch auf Nachzug von Ehegatten und Kindern erhalten sollen.

(Abg. Deuschle REP: Hört, hört!)

In den Genuss dieses Familiennachzugs sollen weiter auch kranke oder pflegebedürftige Eltern bzw. unverheiratete oder gleichgeschlechtliche Lebenspartner und nicht eheliche Kinder kommen. Sie können das alles in Artikel 5 dieses Richtlinienvorschlags nachlesen.

Damit sind wir beim zentralen Punkt: Diese Auslegung beinhaltet nämlich eine signifikante Ausweitung des Begriffs der Familie.

Familie ist – und hier greife ich mal auf die Grundgesetzkommentierung bei Maunz/Dürig/Herzog zurück – wie folgt definiert:

Familie als Gegenstand des staatlichen Schutzes ist die Verbindung von Eltern und Kindern in den von der Rechtsordnung bestimmten oder anerkannten Lebensbereichen.

Ausdrücklich wird dabei festgehalten:

Die nicht eheliche Lebensgemeinschaft ist keine Familie im Sinne des Grundgesetzes. Auch wenn in dieser Gemeinschaft gemeinsame Kinder vorhanden sind, bildet die Gesamtheit dieser Personen keine Familie.

Über diese Definition, die für unsere Rechtsordnung nach wie vor maßgeblich ist, setzt sich der Richtlinienentwurf der EU-Kommission hinweg, der, wie oben bereits erwähnt, auch unverheirateten, gleichgeschlechtlichen Lebenspartnern und nicht ehelichen Kindern das Recht auf Familiennachzug einräumen will.

Wie die Landesregierung in ihrer Stellungnahme zu unserem Antrag bemerkt, kommt diese Auslegung der EUKommission einer Ausdehnung des Familiennachzugs über den Bereich der Kernfamilie hinaus gleich, und hier liegt dann auch die migrationspolitische Zeitbombe dieses Entwurfs begründet.